Glockenturm

[575] Glockenturm, ein wichtiger Bauteil der christlichen Kirchen, der den Zweck hat, eine oder mehrere Glocken aufzunehmen, deren Geläute das Zeichen für die Gemeinde ist, sich in dem Gotteshause zu versammeln.

Ueber die Entstehung dieser Bauten ist nichts Authentisches bekannt; sie mögen wohl anfangs kleine Aufsätze auf dem Kirchendach gebildet haben, die ebenfalls nur kleine Glocken aufzunehmen vermochten. Der Sage nach sollen die Glockentürme in Campanien entstanden und durch den Bischof Paulinus von Nola dort eingeführt worden sein (Campana, Nola). Vor dem 7. Jahrhundert sind keine Nachrichten über Glockentürme gefunden worden. Die ältesten Beispiele dürften die altchristlichen Bauten in Ravenna bieten, so namentlich der Turm von S. Francesco sowie der des Domes und der Kirche S. Apollinare in Classe. Die ravennatischen Beispiele zeigen in der Regel eine runde Gestalt, während die meisten altchristlichen Bauten Italiens einen viereckigen Glockenturm, der daselbst Campanile genannt wird, aufzuweisen haben. Diese Turmbauten standen nicht in direkter Verbindung mit der Kirche, sondern seitlich. Sie wurden in mehreren Stockwerken aufgeführt und besaßen nach oben zu sich vermehrende Schallöffnungen von verschiedener Bildung. Außer den genannten Beispielen befinden sich noch bemerkenswerte Glockentürme zu S. Maria in Cosmedin [3] in Rom (s. die Figur), S. Lorenzo außerhalb der Mauern Roms u.s.w. [1]. Während in den ersten Jahrhunderten nur die Bischofskirchen Glockentürme hatten, erhielten im Mittelalter alle Gemeindekirchen und die Kirchen der reichen Klöster einen oder mehrere Türme, meist als Zeichen der Macht, oft auch zur wehrhaften Verteidigung. Im unteren Teil den Eingang zur Kirche bildend oder ganz geschlossen mit wenigen engen Oeffnungen, nahm der Turm in dem über dem Kirchendach gelegenen Teil den Glockenstuhl (s. Lagerstuhl) auf und erhielt Schallöffnungen, als niedere oder hohe Fenster ausgebildet. Bei einfachster Bildung nimmt ein Obergeschoß in Holzbau mit Brettschalung die Glocken auf. Den obersten Abschluß bildet der Helm, entweder steil und hoch anstrebend (auch stumpf oder kugelförmig), aus Stein oder Holz und in letzterem Falle mit Metall, Ziegeln (farbigen) oder Schiefern eingedeckt und in eine Spitze mit Wetterhahn, Kreuz mit Blitzableitung auslaufend.


Literatur: [1] Unger, F.W., Zur Geschichte der Kirchtürme, Jahrbuch des Vereins der Altertumsfreunde im Rheinland, 15. Jahrg., 1860. – [2] Weingärtner, W., System des christlichen Turmbaues, Göttingen 1860. – [3] Lübke, W., Geschichte der Architektur, Leipzig 1875, S. 236. – [4] Ungewitter, G., Lehrbuch der gotischen Konstruktionen, 3. Aufl., bearbeitet von K. Mohrmann, Leipzig 1890. – [5] Viollet-le-Duc, Dictionnaire raisonnée de l'architecture, Bd. 3, Clocher, S. 286 ff.

Weinbrenner.

Glockenturm
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 4 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 575.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika