Imaginär

[168] Imaginär (reinimaginär) heißen zunächst die Quadratwurzeln aus negativen Zahlen; ihnen gegenüber werden die positiven und negativen Zahlen als reell bezeichnet. Jede imaginäre Zahl ist das Produkt aus einer reellen Zahl in die Wurzel aus der negativen Einheit √–1; die letztere wird allgemein mit i bezeichnet. Dabei ist i = i5 = i9 = ...; i2 = i6 = ... = – 1; i3 = i7 = ... = – i; i4 = i8 = ... = 1. Summen von reellen und imaginären Zahlen heißen komplex (s. Komplexe Größen).

In der algebraischen und analytischen Geometrie ist das Auftreten von imaginären (oder komplexen) Werten der Bestimmungsstücke der gesuchten Größe immer ein Zeichen, daß die betreffende Aufgabe keine oder nur eine uneigentliche Lösung besitzt. So erhält man z.B. für den aus drei Seiten zu berechnenden Dreiecksinhalt einen imaginären Wert, wenn eine Seite größer ist als die Summe der beiden andern; das Dreieck ist alsdann nicht konstruierbar. Ebenso erhält man für die Koordinaten der Schnittpunkte zweier außerhalb voneinander liegender Kreise komplexe Werte. Die Kreise schneiden sich tatsächlich nicht. Um jedoch die Allgemeingültigkeit gewisser geometrischer Sätze (z.B. des Satzes, daß eine Kurve n-Ordnung mit einer solchen p-Ordnung gerade n p Punkte gemein hat) zu sichern, ist man genötigt, in der Geometrie auch imaginäre Gebilde, d.h. solche mit imaginären oder komplexen Koordinaten oder Gleichungen zu betrachten.

In der ebenen Geometrie gelangt man hierbei zu imaginären Punkten x0 + i x1, y0 + i y1 (durch jeden geht eine reelle Gerade


Imaginär

) und zu imaginären Geraden (a0 + i a1) x + (b0 + i b1) y + (c0 + i c1) = 0 (auf jeder liegt ein reeller Punkt


Imaginär

); ferner zu imaginären Kurven (z.B. die imaginäre Ellipse x2/a2 + y2/b2 = 0). Von Wichtigkeit sind die sogenannten imaginären Kreispunkte, die unendlich fernen Punkte des Geradenpaars x2 + y2 = 0. Es sind die zwei Punkte, welche jeder Kreis der Ebene mit der unendlich fernen Geraden gemein hat Sie werden harmonisch getrennt durch je zwei aufeinander senkrechte Gerade. Eine Kurve, welche durch dieselben geht, heißt zirkulär. Ein imaginärer Punkt (Strahl) kann auch synthetisch definiert werden als einer der Doppelpunkte (Doppelstrahlen) einer durch zwei Punktepaare (Strahlenpaare) gegebenen elliptischen Involution.

In der Raumgeometrie unterscheidet man außer imaginären Punkten und Ebenen imaginäre Gerade erster und zweiter Art, je nachdem sie einen reellen Punkt und eine reelle Ebene besitzen oder nicht. Die imaginären Raumgeraden können synthetisch als Leitlinien von Kongruenzen (s. Liniengeometrie) definiert werden.

Wölffing.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 5 Stuttgart, Leipzig 1907., S. 168.
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