Kristallisation

[710] Kristallisation, das Entstehen regelmäßiger, Körpern von bestimmter chemischer Zusammensetzung wesentlich zukommender, ebenflächig begrenzter Formen. Kristallbildung erfolgt beim Uebergang fester Körper aus dem beweglichen in den starren Zustand, und zwar beim Abkühlen von Dämpfen (Sublimation), beim Erstarren von Schmelzflüssen oder aus Lösungen durch Verdampfung des Lösungsmittels, Temperaturerniedrigung, Veränderung des Lösungsmittels, Aenderung der chemischen Zusammensetzung oder der physikalischen Eigenschaften des gelösten Körpers.

Die Kristalle sind endlich begrenzte Aggregate von gleichartigen Molekeln, die regelmäßige, in gleicher Weise unendlich wiederholbare Lagen gegeneinander einnehmen. Alle Kristalle lassen in ihrer Masse Minima und Maxima der Kohärenz erkennen, die in der Eigenschaft einer mehr oder weniger deutlich hervortretenden ebenflächigen Spaltbarkeit nach geometrisch bestimmbaren Richtungen zum Ausdruck gelangen. Vollkommen ausgebildete Kristalle entstehen nur dann, wenn sie sich frei entwickeln können; natürliche Kristalle haben deshalb selten die ideale geometrische Regelmäßigkeit. Bei der künstlichen Kristallisation ist es dagegen leichter, auf eine bestimmte Ausbildung der Kristalle hinzuwirken. So scheidet sich z.B. der Schwefel beim Abkühlen seiner Dämpfe in kleinkristallinischer Form, dagegen beim langsamen Verdunsten seiner Lösung in Schwefelkohlenstoff in einzelnen, wohlausgebildeten Kristallen ab. Die Kristallisation aus Lösungen wird durch Bewegen der Lösung, durch Einsaat eines schon vorhandenen Kristalls oder Kristallfragmentes (Impfen), durch Anbringen von Ansatzpunkten u.s.w. beschleunigt, durch Bewahrung der Lösung vor Erschütterung und durch Einhaltung einer niedrigen Temperatur verlangsamt. Je schneller aber die Kristallisation vor sich geht, um so zahlreicher und um so weniger vollkommen ausgebildet sind die anschließenden Kristalle, da sie sich gegenseitig in ihrer Ausbildung Hören. Dagegen pflegen große Kristallindividuen häufig Mutterlauge einzuschließen. Eine große Anzahl von Substanzen nimmt bei der Kristallisation aus Lösungen von dem Lösungsmittel auf, und dieses ist wesentlich für das Bestehen der betreffenden Substanz in Kristallform: Kristallwasser, -alkohol, -benzol u.s.w. Eine andre Erscheinung der Kristallisation ist die der Uebersättigung, die darin besteht, daß man in völliger Ruhe befindliche Lösungen weit unter den Punkt, bei dem unter gewöhnlichen Umständen die Kristallisation beginnt, unter den Kristallisationspunkt abkühlen kann, ohne daß sich Kristalle abscheiden. Der Uebersättigung analog ist die Ueberschmelzung, die sich darin äußert, daß sich bei völliger Ruhe geschmolzene Substanzen, wie z.B. Schwefel, unter ihren Erstarrungspunkt ohne Kristallabscheidung abkühlen lassen. Diese tritt aber bei der geringsten Erschütterung der Lösung oder der Schmelze sofort und unter Entwicklung von Wärme ein. Schließlich bleibt noch die Eigentümlichkeit mancher Stoffe, wie z.B. der arsenigen Säure, zu erwähnen übrig, im Momente der Ausscheidung eines Kristalls aus dem Lösungsmittel im Dunkeln mit einem blitzartigen Funken aufzuleuchten. – Im chemischen Großbetrieb arbeitet man je nach dem Zweck auf die eine oder die andre Art der Kristallisation hin. Kochsalz und Kristallzucker z.B. läßt man unter Umrühren aus der wässerigen Lösung kristallisieren, um eine[710] möglichst feinkörnige Abscheidung zu erzielen. Kandiszucker, Blutlaugensalz, Alaun züchtet man in großen, wohlausgebildeten Kristallen, indem man Fäden oder Stäbe in die Lösung hängt (s. Kandiszucker). Glasflüsse und geschmolzene Metalle dagegen werden möglichst langsam abgekühlt, um eine Kristallisation und die dadurch bedingte Sprödigkeit der erstarrten Masse nach Möglichkeit zu vermeiden. Ueber flüssige Kristalle vgl. S. 709 und Lehmann, Bericht der Gesellschaft deutscher Naturforscher 1906.

(Kerp) Bujard.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 5 Stuttgart, Leipzig 1907., S. 710-711.
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