Qualität

[580] Qualität. – Es ist bisweilen nützlich, sich zu erinnern, wie scholastisch die meisten Wörter gebildet worden sind, die aus dem technischen Gebrauche der Philosophen in die gebildete Gemeinsprache übergingen. Zwar ist unser Wort qualitas bedeutend älter als die mittelalterlichen Formationen quidditas und haecceïtas, über welche jeder Lehrling der Philosophiegeschichte sich gern lustig macht; aber diese beiden Begriffe hatten trotz ihrer sprachlichen Abscheulichkeit einen guten Sinn, einen bessern vielleicht als das vom klassischen Cicero geprägte Wort qualitas: quidditas sollte das Was (quid) der Dinge bezeichnen, mit einer just für die Scholastiker überraschenden Unklarheit zugleich die Materie und die Form; haecceïtas sollte deiktisch auf dieselben Dinge als Individuen hinweisen; doch so, daß beide Begriffe wortrealistisch die Kräfte benennen sollten, die hier das quid, dort das haec1 der Dinge hervorriefen.

Dem Begriffe qualitas fehlt von Hause aus eine solche Beziehung zur Ontologie; er drückt ursprünglich eine Schülerfrage der Grammatik aus und ist, als Aristoteles die Hauptredeteile der Grammatik für logische Kategorien ausgab, einfach in die Logik hinübergenommen worden. Ich setze dabei als bekannt voraus,[580] daß – wie gesagt – Cicero die lateinische Lehnübersetzung von griech. poiotês (schon bei Platon, von poios , qualis) der dankbaren Welt geschenkt hat; er sagt (Acad. I. 7, 25): qualitates igitur appellavi, quas poiotês Graeci vocant, quod ipsum apud Graecos non est vulgi verbum, sed philosophorum.

Wir können das lateinische Wort am häufigsten durch Eigenschaft oder Beschaffenheit übersetzen, gelegentlich auch durch Art oder durch das gelehrtere Modus. Die Entstehung des griechischen Modellworts erklären wir uns am besten, wenn wir an die Methode denken, die unsern Kindern die Kenntnis der Redeteile beibringt; man fragt nach den Kasus des Substantivs mit den hergebrachten Fragen wer oder was, wessen usw.; so fragt man auch nach dem Eigenschaftswort durch das hergebrachte wie beschaffen (qualis); und da die Antwort ganz allgemein talis heißen muß, so hätte die Kategorie (da doch die Logik Antworten ordnen will und nicht Fragen) auf Lateinisch pedantischer Weise talitas heißen müssen. Wir wollen uns aber gern mit der überlieferten Wortform qualitas begnügen.

Auch Kant hat den Begriff der Qualität in seine neue Kategorientafel aufgenommen, hat allerdings viel scharfsinniger als Aristoteles unter den Kategorien nicht Redeteile, sondern Urteilsformen verstanden, hat die Kategorie der Qualität nach ihren drei Arten getrennt (Realität, Negation und Limitation), hat es aber dennoch durch die Aufnahme des Begriffs gebilligt, daß da aus der Frage nach der Eigenschaft ein substantivisches Abstraktum gebildet worden war. Dazu aber war meines Erachtens nur die naive Kategorienlehre der Griechen berechtigt, nicht mehr die Erkenntnistheorie, welche seit der Wirksamkeit der Nominalisten unser Denken beherrschen will. Es will mir auch scheinen, als widersetze sich die Menschensprache allen Versuchen, Eigenschaften (wenigstens die natürlichen, die sinnlichen Eigenschaften) als Substantive, als Objekte aufzufassen. Wir haben gelernt, daß unsere Welt der Wirklichkeit eine adjektivische Welt ist, daß der Sensualismus nur adjektivische Sinneseindrücke kennt; wir glauben die Wirklichkeit oder Realität dessen, was diese adjektivischen Sinneseindrücke hervorruft, am besten dadurch[581] auszudrücken, daß wir diese Erzeuger von Qualitäten als Kräfte, als Objekte, als Dinge, als Substantive in die Welt hinaus vorstellen. So substantivieren wir zum ersten Male die Qualitäten; der naive Realismus der Gemeinsprache kennt gar keine andere Wirklichkeit. Die Scholastiker mühten sich ab, in diesen substantivierten Qualitäten das Singuläre als Haecceïtät, das Wesentliche als Quiddität zu unterscheiden. Die klugem Scholastiker hätten sich sagen müssen, daß die Quiddität, weil sie Materie und Form der Objekte zugleich bezeichnete, für die Qualität keine Wirkungsmöglichkeit übrig ließ; denn als wirkende Kräfte, welche entweder durch die Materie oder durch die Form unsere Sinne zu einer Reaktion veranlassen, wurden doch die Qualitäten aufgefaßt. Und so hätte der Begriff Qualität aus der philosophischen Sprache verschwinden müssen, hätte in die Gemeinsprache gar nicht eindringen können, wenn nicht – ja, wenn nicht des Aristoteles Verwechslung von Kategorie und Redeteil nachgewirkt hätte.

So betrachtet scheint mir der bald zweihundertjährige Streit um das Wesen der Eigenschaft geeignet, in eine einfache Formel gebracht zu werden. Galilei, Boyle und Gassendi, besonders aber Locke, haben mit immer stärkerer Entschiedenheit gelehrt, daß die sekundären Qualitäten, d.h. die so wohl bekannten sinnlichen Eigenschaften der Dinge nicht objektiver Art sind, sondern subjektiver Art; Berkeley und nach ihm Kant haben sodann den subjektiven Charakter auch der primären Qualitäten, man denke an Größe und Bewegung, durchschaut. Mit dieser Phänomenalität oder Verzeihung für das Wort Erscheinungshaftigkeit der Welt war den vorhin erwähnten Sprachgewohnheiten, Eigenschaften zu substantivieren, ihr Recht abgesprochen. Es gibt nur eine adjektivische Wirklichkeitswelt; die Objekte sind nur Hypostasen, substantivierte Eigenschaften, und die qualitas ist nur die Frage nach der Art dieser Eigenschaften. Und die Anwendung des Qualitätsbegriffs auf die Urteilsformen kann ohne Verrenkung des ursprünglichen Begriffs nicht aufrecht erhalten werden.

Inzwischen war das Wort bis in die Tiefen der Gemeinsprache hinabgesunken. Qualität, franz. qualité, fing an, die gute[582] Qualifikation eines Gebrauchsgegenstandes zu bedeuten. Heute empfiehlt der Zigarrenhändler seine Qualitätszigarren und verspricht übrigens, das Gewünschte in jeder Quantität zu liefern.

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Der Ausdruck haecceïtas wirkt selbst noch unter den sprachlichen Ungeheuern der Scholastik als barbarisches Wort; sein Präger ist Duns Scotus.

Quelle:
Mauthner, Fritz: Wörterbuch der Philosophie. Leipzig 21923, Band 2, S. 580-583.
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