Neapel.91

[218] Ich kam hieher mit der größten Idee von der Vollkommenheit, worin ich die praktische Musik finden würde. Bloß zu Neapel hofte ich, daß meine Ohren durch die feinste musikalische Wollust, welche Italien hervorzubringen vermag, sollten erquickt werden. Die übrigen Oerter besuchte ich meiner Geschäfte wegen, um eine bestimmte Arbeit zu Stande zu bringen, die ich mir selbst aufgelegt hatte; hieher aber kam ich, von der Hofnung mich zu ergötzen, beseelt. Und welcher Freund der Musik könnte an einen Ort kommen, der die beyden Scarlatti, Vinci, Leo, Pergolese, Porpora, Farinelli, Jomelli, Piccini und unzählige andere Komponisten, Sänger und Spieler vom ersten Range hervorgebracht hat, ohne von den lebhaftesten Erwartungen voll zu seyn. Wie weit diese Erwartung erfüllet worden, wird der Leser aus dem Verfolge meiner Erzählung sehen, welche beständig eine getreue Übersetzung der Empfindungen ist, die ich hatte, indem ich sie in mein Tagebuch gleich nachdem ich etwas gehört und gesehen hatte, ohne alle wissentliche Vorurtheile oder Partheylichkeit eintrug.[218]


Dienstags, den 16ten October.

Ich langte hier etwa um fünf Uhr des Nachmittags an, und gieng denselben Abend zu dem Teatro de Fiorentini, die komische Oper, Gelosia per Gelosia, welche Sgr. Piccini gesetzt hat, zu sehen. Dieß Theater ist so klein, als das Footesche in Londen, aber höher; denn es sind fünf Reihen Logen darin. Ungeachtet der Hof zu Portici, und eine Menge vornehme Familien auf ihren Villeggiature oder Landhäusern waren, so war doch das ganze Haus voll Zuschauer; so groß ist Piccini's Ansehen. Eigentlich hatte diese Oper auch nichts als die Verdienste und den Ruhm des Komponisten für sich, indem sowohl die Poesie als die Sänger schlecht waren. Ich nehme eine komische Rolle aus, die Sgr. Casaccia, ein Mann voll unbeschreiblicher Laune, spielte. Sobald er erschien, gerieth das ganze Haus in Bewegung; die Lustigkeit dieses Schauspielers bestund nicht in Narrenspossen, und war nicht bloß lokal, wie es in Italien sowohl als auch an andern Orten nicht selten der Fall ist, sondern sie war von der originalen allgemeinen Art, welche zu allen Zeiten, und an allen Orten Lachen erregt.

Die Arie dieser komischen Oper ist voll schöner Stellen, und hat überhaupt eine sehr sinnreiche Instrumentalbegleitung: Ballette waren nicht dabey, so daß die drey Akten, woraus sie bestund, ziemlich lang zu seyn schienen.[219]

Es sind in dieser Stadt drey Conservatorien, zur Erziehung der Knaben, welche von der Musik Profeßion machen wollen, welche eben so eingerichtet sind, als die venetianischen für die Mädchen. Gleichwie die Schülerinnen in den venetianischen Conservatorien wegen ihres Geschmacks und netten Ausführung berühmt sind, so haben die Schüler der Neapolitanischen lange Zeit den Ruhm der besten Contrapunktisten oder Komponisten in Europa gehabt.


Mittwochens, den 17ten October.

Diesen Nachmittag gieng ich, eine Musik zu hören, in die Franziskaner-Kirche, wo die drey Conservatorien, Morgens und Abends, Musik und Musiker zu einem achttägigen Feste hergeben.92 Diese Kirche ist groß und schön, aber allzu verziert. Die Bauart daran scheint gut zu seyn, aber sie ist so sehr übergoldet, daß ich geblendet ward, wenn ich sie betrachten wollte; und an den wenigen Orten, wo kein Gold ist, hat man eine Menge bunte Blumen angebracht.

Das Orchester war zahlreich, und bestund aus mehr als hundert Sängern und Spielern.[220] Sie stunden auf einer dazu errichteten Gallerie, welche ganz überguldet und übersilbert war. Ungeachtet es eine recht gute Gesellschaft von Musikern zu seyn schien, und ihr Anführer sorgfältig und aufmerksam genug war, so machte doch die Entfernung einiger Spieler von den andern es beynahe unmöglich, allezeit genau Takt zu halten. Die Komposition war von Sgr. Gennaro Manni, und einige Stücke davon waren vortreflich; er schlug selbst den Takt. Die Einleitung war in einem wilden Geschmacke geschrieben, worauf diese Art von Anfangs-Symphonie zur Begleitung eines wohlgearbeiteten Chores ward. Es folgten verschiedene Arien und ein Duet darauf, welche mir sehr gefielen, es herrschte Einbildungskraft und Erfindung, Licht und Schatten darin, und obgleich der Gesang nicht von der besten Gattung war, so gefiel mir doch ein Altist und Bassist ungemein. Der Altist hatte eine so helle Stimme, als ich je gehört habe, sie drang durch das ganze Orchester in den lautesten und wildesten Theilen des Chors hervor. Er sang auch eine Arie, und da fand ich seinen Triller gut, und seinen Vortrag ungezwungen; allein sein Portamento war nicht völlig gut, und hatte etwas von der in England so genannten Cathedralmanier im Singen, durch die Gurgel. Die Baß-Arie war so geistreich geschrieben, als ich je eine gehört habe, die Instrumentalbegleitung war vollstimmig, ohne die Melodie der Singstimme zu unterdrücken: die Instrumente schienen, ohne ihren[221] Gesang zu unterbrechen, oder zu verstümmeln, vielmehr ihn immer fortzusetzen und zu schliessen, indem sie dem Sänger Zeit zum Athemholen gaben. In einem Duette zwischen zwey Discanten, war die Begleitung ebenfalls unvergleichlich, wie auch in einem mit verschiedenen Solostellen untermischten Chore. In der Folge schien der Verfasser nicht so glücklich zu seyn. Es kamen einige unbedeutende, schwerfällige Stücke darin vor; in einem der ersten war nichts neues, als daß der Accent oftmals auf der unrechten Note stund, Z.E. auf der zweyten anstatt der ersten, oder im schlechten Takte auf der vierten statt der dritten. Dieß mag in komischen Opern, wo man irgend eine Laune damit ausdrücken will, angehen; allein ein so elendes Nothbehelf ist unter der Würde der Kirchenmusik, woselbst in geschwinden Stücken ein ernsthafter und majestätischer Styl sollte beybehalten werden. Aber eben die Neuheitssucht, welche in der italiänischen Musik solche plötzliche Veränderungen hervorgebracht hat, bringt manchmal sonderbare Concetti zur Welt.

Die Nationalmusik ist hier sonderbar, und weicht sowohl in Ansehung der Melodie als Modulation von allen dem ab, was ich sonst wo gehöret habe. Heute Abend sangen zwey Leute eins ums andere; einer von ihren neapolitanischen Canzoni ward von einer Violin und Calascione begleitet. Der Gesang ist lärmend und gemein, aber die Begleitung ist vortreflich, und wird gut[222] ausgeführt. Die Violin- und Calascione-Stimmen waren sowohl während des Singens als der Ritornelle beständig geschäftig.93 Die Modulation überraschte mich sehr: der Gang von a mol ins c und f war weder schwer noch neu; allein der von a dur in c mol war erstaunend fremd, und das um desto mehr, weil der Rückgang zu dem Haupttone so unmerklich war, daß er weder das Ohr beleidigte, noch leicht zu entdecken war, auf welchem Wege, oder durch welche Tonfolge er gieng.


Donnerstags, den 18ten October.

Es war bey meiner Ankunft zu Neapel ein großes Glück für mich, daß ich, ungeachtet viele, an welche ich Briefe hatte, auf dem Lande waren, Sgr. Jomelli und Sgr. Piccini in der Stadt antraf. Jomelli machte eine ernsthafte Oper für das Theater von S. Carlo fertig, und Piccini hatte eben die komische Oper auf die Bühne gebracht, deren ich oben gedacht habe.

Heute früh besuchte ich Sgr. Piccini, und hatte das Vergnügen, mich lange mit ihm zu unterhalten. Er scheint recht bequem zu leben,[223] hat ein gutes Haus, und viele Bediente und Aufwärter. Er ist erst vier oder fünf und vierzig Jahr alt; sieht wohl aus; hat ein sehr lebhaftes Ansehn, und ist ein höflicher und angenehmer Mann, klein von Statur; aber für einen Neapolitaner, der so viel Feuer und Genie hat, ziemlich ernsthaft in seinem Betragen. Seine Familie ist ziemlich zahlreich, einer von seinen Söhnen studirt zu Padua. Nachdem er den Brief gelesen, den Herr Giardini mir mitgegeben hatte, sagte er mir, daß es ihm eine große Freude seyn würde, wenn er mir oder meinem Werke nützliche Dienste leisten könnte. Meine ersten Untersuchungen betrafen die neapolitanischen Conservatorien: denn weil er selbst in einem erzogen war, so konnte ich seine Nachrichten für authentisch und hinlänglich halten. Bey meinem ersten Besuche schränkte ich meine Fragen vornehmlich auf folgende Punkte ein:


1) Das Alter dieser Anstalten.

2) Ihre Namen.

3) Die Zahl ihrer Lehrer und Schüler.

4) Die Zeit, wenn man in diese Schulen eintrit, und wenn man sie verlässt.


Auf meine erste Frage antwortete er mir, daß die Conservatorien von alten Zeiten herstammten, welches man aus der verfallenen Beschaffenheit des einen Gebäudes sehen könnte, welches im Begriff war, einzustürzen.94[224]

Auf die zweyte, daß sie S. Onofrio, La Pietà und Santa Maria di Loretto, hiessen.

Die dritte Frage beantwortete er also: Die Zahl der Schüler in dem ersten belaufe sich etwa auf neunzig, in dem zweyten auf hundert und zwanzig, und in dem dritten auf zweyhundert. Jedes habe zwey Oberkapellmeister, wovon der eine die Kompositionen der Lehrlinge durchsehe und verbessere, der zweyte auf das Singen achte, und Lektionen gebe. Es wären Untermeister da, welche Maestri secolari genannt würden, einer für die Violine, der andere für das Violonschell, einer für den Flügel, einer für die Hoboe, einer für das Waldhorn und so weiter für die übrigen Instrumente.

Auf meine vierte Frage gab er mir zur Antwort: daß man Knaben von acht oder zehn bis zu zwanzig Jahren aufnehme; daß man sie auf acht Jahre verpflichtete, wenn sie jung aufgenommen würden; wären sie älter, so sey ihre Aufnahme schwerer, wenn sie anders nicht schon in dem Studium und der Ausübung der Musik etwas gethan hätten. Wenn ein Knabe einige Jahre in einem Conservatorio gewesen sey, und man finde kein Genie an ihm, so werde er entlassen, um andern[225] Platz zu machen. Einige nehme man als Pensionärs an, und diese bezahlten für den Unterricht; andere, die ihre Zeit ausgehalten haben, bestelle man zu Lehrern für die andern; doch in beyden Fällen könnten sie das Conservatorium nach Belieben verlassen.

Ich erkundigte mich durch ganz Italien, an welchem Orte vornehmlich die Knaben durchs Castriren zum Singen tüchtig gemacht würden, aber ich konnte keine gewisse Nachricht erhalten. Zu Mayland sagte man mir, es geschehe zu Venedig; zu Venedig, es geschehe zu Bologna; zu Bologna leugnete man es, und wies mich nach Florenz: von Florenz nach Rom, und von da nach Neapel. Eine solche Operation ist freylich an allen diesen Orten so sehr wider die Gesetze als sie wider die Natur ist; und die Italiäner schämen sich derselben so sehr, daß sie sie von einer Provinz auf die andere schieben.


Ask where's the North? at York,

'tis on the tweed;

In Scotland, at the Orcades; and there

At Greenland, Zembla, or the Lord

Knows where.


Doch versicherte mich Herr Jamineau, brittischer Consul zu Neapel, der so lange daselbst gelebt und besondere Untersuchungen darüber angestellt hat, in Ansehung der neapolitanischen Conservatorien, daß diese Gewohnheit in denselben[226] durchaus verboten sey, und daß die jungen Castraten von Leocia in Puglia kämen. D. Cirillo, ein berühmter Arzt zu Neapel bestätigte seine Aussage. Doch ehe die Operation vorgenommen wird, führt man sie in ein Conservatorium, um sie daselbst zu prüfen, ob eine gute Stimme von ihnen zu erwarten ist, alsdenn nehmen ihre Eltern sie zu diesem barbarischen Zwecke mit nach Hause. Inzwischen steht die Todesstrafe darauf, wenn jemand die Operation verrichtet, und der Bann, wenn man darum weiß, es sey denn, daß es, wie man oftmals vorgiebt, wegen einer Krankheit an diesen Theilen, wovon man glaubt, daß sie die Operation erfodere, und mit Einwilligung des Knabens geschehe. Man hat Exempel, daß es selbst auf Verlangen des Knaben geschehen sey, welches mit Graffetto zu Rom der Fall war. In Ansehung der vorläufigen Proben der Stimme, glaube ich, daß diese grausame Operation nur zu oft ohne Probe, oder wenigstens ohne hinlängliche Beweise geschieht, daß die Stimme dadurch besser werden könne; sonst würde man gewiß nicht in jeder italiänischen Stadt eine solche Menge Verschnittener finden, die gar keine Stimme oder doch keine so gute haben, die einen solchen Verlust ersetzen könnte. Alle Musici95 in den Kirchen werden itzt aus dem Ausschusse der Opernhäuser zusammengelesen, und sehr selten findet[227] man einen Sänger mit erträglicher Stimme in ganz Italien, der bey einer Kirche in Diensten stünde. Die Virtuosi, welche gelegentlich bloß an hohen Festen daselbst singen, sind gemeiniglich Fremde, die für diese Zeit bezahlt werden.

Ich gieng diesen Nachmittag wieder nach der Franciscaner-Kirche, wo das Orchester stärker war als gestern. Es war mit dem ganzen Conservatorio der Pietà, bestehend aus hundert und zwanzig Knaben, welche alle blau gekleidet waren, besetzt. Die Symphonie war eben angefangen worden, als ich ankam; sie war sehr glänzend und wohl ausgeführt: es folgte ein recht gutes Chor, und darauf eine Tenorarie, eine für den Sopran, eine andere für den Alt, und noch eine für einen andern Tenoristen; aber nie habe ich in Italien schlechter singen hören; alles war mittelmäßig und schülerhaft; die Cadenzen waren steif, studirt und schlecht herausgebracht, und der ganze Haufen der Sänger hatte nichts einem Triller ähnliches vorzuweisen. Der Discant zwang die hohen Noten so übelklingend hervor, daß sie jedem Zuhörer durch die Seele giengen, und der Baßist sang so rauh, als ein Dorfhund, dessen Bellen er nachzuahmen suchte. Ein junger Mann spielte eben so unrein und schülermäßig ein Solo auf dem Basson, welches mich aus der Kirche trieb, ehe die Vesper zu Ende war.

Von hier gieng ich gerade nach der komischen Oper, welche heute auf dem Teatro nuovo gespielt[228] ward. Dieß Schauspielhaus ist nicht nur kleiner, als das der Fiorentini, sondern auch älter und schmutziger. Die Kutschen haben einen sehr unbequemen Weg, durch enge Straßen dahin. Die heutige Burlette hieß Le Trame per amore, und war von Sgr. Giovanni Paesielio, Maestro di capella napolitano, gesetzt. Das Singen war nur mittelmäßig; es waren neun Personen in dem Stücke, und dennoch keine einzige gute Stimme unter ihnen; gleichwohl gefiel mir die Musik sehr; sie war voller Feuer und Einbildungskraft, die Ritornelle waren reich an neuen Gedanken, und die Singstimmen halten solche edle simple Melodien, die man gleich beym ersten male faßt, und sich ihrer wieder erinnert, wären sie auch nur von einem schwachen Orchester, oder auf dem bloßen Flügel gespielt worden.96 Die Anfangssymphonie, welche bloß aus einem Satze bestund, war ganz komisch, und enthielt eine zusammenhängende Reihe artiger Einfälle. Ballette waren nicht dabey, und daher mußte man[229] die Akte zu einer ermüdenden Länge ausdehnen. Man beklatschte die Arien sehr, ungeachtet dieß die vierzehnte Vorstellung der Oper war. Der Verfasser hatte sich verbunden, auf das bevorstehende Carnaval für Turin zu komponiren, wohin er abreiste, als ich noch zu Neapel war. Die Vorstellung daurete von dreyviertel auf Acht bis nach eilf Uhr.


Freytags, den 19ten.

Heute Nachmittag gieng ich zum drittenmale nach der Franciscaner-Kirche, und hörte eine Musik, die von den Schülern des andern Conservatoriums, Santa Maria di Loretto, aufgeführt ward. Sie erschienen alle in weisser Uniform, mit einer Art von schwarzem Gürtel. Das Singen war ein bischen besser, als des Tages zuvor; aber die Instrumente waren kaum so gut. Die erste Arie, welche auf eine lebhafte Symphonie und Chor folgte, ward von einem unbedeutenden Tenoristen gesungen, eine andere Arie von einem Discantisten, der etwas besser war, hierauf folgte ein Baßist, dessen Stimme nichts weniger als unbedeutend war. So ein brüllender Stentor mit einer so unbiegsamen Kehle, muß noch nie existiret haben. Die Acht- und Sechszehntheile wurden so derbe und so abgestossen hergesungen, daß sie ganz groteske und lächerliche Wirkung thaten; hätte man nicht den ernsthaften Eindruck gesehen, den diese Musik auf die melancholischen[230] Zuhörer machte, so würde man nimmermehr gedacht haben, daß sie ernsthaften Inhalts wäre. Ein Solo auf dem schlechtesten Contraviolon wäre im Vergleich mit dieser Arie eine süße Musik gewesen. Nach ihm sang ein mittelmäßiger Altist, den alle Kraft der Lunge nicht angenehm machen konnte. Auf ihn folgte ein andrer Sopran, der was gutes hoffen ließ: seine Stimme war tonvoll, und er hatte einen leichten Triller, woraus was zu machen war. Kurz, dieß war der einzige hofnungsvolle Sänger, den ich seit zwey Tagen hörte. Zu den schlechten Stimmen kam eine plumpe, dumme und rohe Manier, daß die Leute aus der Kirche gesungen, sobald sie herein kamen. Ein junger Mann spielte solo in den Ritornellen, auf einer Art Clarinetten, welche zu Neapel einevox humana genannt wird, ein anderer die Trompete, und ein dritter die Hoboe; aber auf eine unangenehme unreine Art. Die Knaben, welche die Arien sangen, brachten sehr armselige Cadenzen darin an, welche, weil es Arien mit einem zweyten Theile waren, beym Da capo noch einmal vorkamen.


Sonnabend, den 20sten.

Heute früh hörte ich in eben derselben Kirche die Knaben aus dem Conservatorio S. Onofrio, welche weisse Uniform tragen. Ihre Musik war ohngefehr eben so, wie die der andern beyden Conservatorien. Diese Pflanzschulen, welche ehemals[231] so große Virtuosen gezogen haben, scheinen itzt ziemlich arm an Genie zu seyn. Jedoch so wie diese Institute, gleich andern der Veränderung unterworfen sind, so werden sie doch vielleicht, nachdem sie einige Zeit ermattet liegen, gleich ihrem Nachbar dem Vesuv, in ein neues Feuer ausbrechen.


Sonntags, den 21ten, und Montags, den 22ten.

Brachte ich zu, die Gegenden um Neapel zu besehen. Doch kam ich, Paesiello's Oper in dem Teatro nuovo zum zweytenmale zu hören, früh genug zur Stadt zurück. Sie gefiel mir itzt eben so sehr als zuvor, und zwar an einerley Stellen. Die Anfangssymphonie schien mir noch immer komisch und original, die Arien waren gar nicht gemein, obgleich meistentheils plan und simpel. Wenn der Verfasser einen Fehler hat, so ist es der, daß er gewisse Stellen zu oft, ja wohl fünf- oder sechsmal wiederhohlt; welches eben so ist, als wenn man einen Nagel in eine übertünchte Mauer schlägt, zwey oder drey Schläge befestigen ihn besser als mehrere, denn sonst wird er los, oder prellt zurück: so druckt eine wiederhohlte Berührung des Trommelfells im Ohre oftmals einen Satz desto stärker ein; allein wenn sie zu oft wiederhohlet wird, so fällt nicht nur aller neuer Eindruck weg, sondern auch der schon gemachte, wird dadurch ausgelöscht. Ich glaube noch immer,[232] daß diese Oper, aus Mangel der Ballette, zu lang ist.97


Dienstags, den 23sten.

Als ich heute Abend einige ächte neapolitanische Sänger, von einem Calascioncino, einem Mandolin und einer Violine begleitet, hörte, so ließ ich die ganze Truppe zu mir herauf hohlen, doch nahm sie sich wie alle andere Gassenmusik besser in der Ferne aus; im Zimmer war sie rauh, übel stimmend und ohne Harmonie; da hingegen sie auf der Straße von allen diesem das Gegentheil schien: doch man mag sie hören, wo man will, so ist die Modulation und Begleitung sehr ausserordentlich.

In dem heutigen Canzone fiengen sie in a moll an, und ohne zu wissen wie, giengen sie in die fremdesten Töne über, die man sich denken kann; jedoch ohne das Ohr zu beleidigen. Nachdem die Instrumente eine lange Symphonie in a gespielt hatten, fieng der Sänger in f an, und schloß in c, welches weder ungewöhnlich noch schwer war; allein nach einem andern Ritornell aus f, fiel er in e moll, und schloß in a moll; hierauf kamen noch einige Uebergänge in b moll und d moll vor, welche, ohne das Ohr zu beleidigen, allemal wieder in den Hauptton a moll übergiengen, oder[233] vielmehr glitten. Die Instrumente giengen inzwischen in geschwinden Noten ohne die geringste Pause fort. Die Singstimme ist sehr langsam, eine Art von Psalmodie. Der Text, wovon allzeit einige Strophen auf die nehmliche Melodie gehen, ist in neapolitanischer Sprache, und vom guten Italiänischen so verschieden, als Wällisch vom Englischen. Diese sonderbare Art von Musik ist so wild in ihrer Modulation, und so verschieden von aller übrigen Europäischen, als die Schottische, und ist vielleicht eben so alt, da sie bloß durch Ueberlieferung sich unter dem gemeinen Manne erhält. Doch schrieb der Violinspieler die Melodie der Singstimme für mich nieder, und brachte mir nachher etwas, das der Instrumentalbegleitung ähnlich war; allein diese Stimmen haben ein sonderbares Ansehn, wenn man sie auf dem Papiere zugleich sieht. Ich hörte diese Musikanten eine Menge neapolitanischer Lieder spielen, die durchgehends von aller andern Musik verschieden war.

Kurz vor Weihnachten kamen dergleichen Musikanten aus Calabrien nach Neapel; allein ihre Musik ist von dieser ganz verschieden: sie singen gemeiniglich in die Zither und Violine, welche sie nicht an die Schulter halten, sondern nieder hängen lassen. Paesiello hatte einiges von dieser Musik in seine komische Oper gebracht, welche itzt gespielt ward. Sgr. Piccini versprach mir einige von diesen wilden National-Melodien zu verschaffen. Eine andere Art ist Apulien eigen,[234] wodurch die Leute ins Tanzen und Schwitzen gebracht werden, welche von der Tarantul gebissen sind oder seyn sollen. D. Cirillo verschafte mir eine Probe von dieser Art Musik. Sgr. Serrao, welcher eine besondere Disputation über diese Materie geschrieben, und D. Cirillo, der verschiedene Versuche angestellt hat, um die Sache zu entscheiden, sind beyde der Meynung, daß das ganze Factum eine Betrügerey sey, welche die Einwohner von Apulien treiben, um Geld zu gewinnen, und daß nicht nur die Cur, sondern auch die Krankheit selbst erdichtet ist. D. Cirillo versicherte mich, daß er die Tarantul nie hätte reizen könen, entweder ihn selbst noch andere, mit denen er mehr als einmal den Versuch gemacht hätte, zu stechen. Dennoch glauben die Einwohner dieser Landschaften alles so treuherzig, daß sie, wenn andere giftige Insekte oder Thiere sie beissen, sich dieser Methode nach einer besondern Melodie zu tanzen, bedienen, bis sie in den Schweiß gerathen; welches sie nebst dem guten Glauben an die Cur manchmal gesund macht. Sie setzen den Tanz manchmal in einer Art von Wuth stundenlang fort, daß sie so gar vor Mattigkeit und Schwachheit niederfallen.98[235]


Mittwochen, den 24sten.

Heute Abend gieng ich wieder nach Piccini's Oper, kam aber zu spät zur Symphonie; das Theater war ganz voll, und die Musik gefiel mir mehr als das erstemal. Die Melodien sind nicht so gemein, als in Paesiello's Oper, und es ist auch mehr Fleiß darin; einige begleitete Recitative habe ich darin angetroffen, in deren Ritornellen, ungeachtet einige ganz verschiedene Stimmen zugleich arbeiten, eine Deutlichkeit, und wenn ich so reden mag, Durchsichtigkeit herrscht, die recht wundernswürdig ist. Das Singen, wie ich vorhin bemerkt habe, ist elend; allein Casaccia hat so viel komische Stärke, (vis comica) daß man an sein Singen gar nicht denkt; allein aus Mangel der Ballette müssen die Akte so lang seyn, daß es ganz unmöglich ist, sich in der Aufmerksamkeit zu erhalten; daher fangen diejenigen, welche nicht plaudern, oder in Karten spielen, gemeniglich an zu schlafen.


Donnerstags, den 25sten.

Nach Tische gieng ich noch einmal in die Franciscaner-Kirche, die Knaben zu S. Onofrio zu hören. Sie sangen eine Litaney, welche Durante gesetzt hatte;99 Die übrige Musik, welche von[236] einem rohen unerfahrnen Komponisten herzukommen schien, hatte ein junger Mensch gesetzt, der den Takt schlug. Es kam hier wieder ein Solo auf der so genannten voce humana vor, welches Instrument einen angenehmen Ton und einen weiten Umfang hat, aber nicht sonderlich gespielt ward. Auch wurde ein Violinconcert dazwischen gespielt, wobey der Spieler eine fertige Hand und Feuer aber keinen Geschmack noch Vollkommenheit zeigte.


Freytags, den 26sten.

Heute früh hatte ich das Vergnügen, Sgr. Jomelli100, der des Abends zuvor vom Lande in die Stadt gekommen war, zu sehen und zu sprechen. Er ist ausserordentlich korpulent, und hat im Gesichte etwas Händeln ähnliches, so viel ich mich des letztern erinnern kann, doch ist er weit höflicher und sanfter in seinem Betragen. Ich fand ihn in seinem Schlafrocke, er saß bey einem Flügel und schrieb. Er nahm mich sehr höflich auf, und entschuldigte sich sehr, daß er mir auf[237] die Karte, die ich in seinem Hause abgegeben, keinen Gegenbesuch gemacht hätte; allein es bedurfte hier gar keiner Entschuldigung, da er eben in die Stadt gekommen, und im Begriffe war, eine neue Oper auf die Bühne zu bringen, welche ihm Zeit und Nachdenken genug kosten mußte. Herr Hamilton hatte mit ihm von mir gesprochen. Ich gab ihm Pater Martini's Brief, und nachdem er ihn gelesen hatte, schritten wir unmittelbar zum Werke. Ich sagte ihm den Zweck meiner italiänischen Reise, und zeigte ihm meinen Plan: denn meine Zeit war kostbar. Er las ihn mit großer Aufmerksamkeit, und sprach sehr offen und einsichtsvoll mit mir. Die Geschichte der Musik, die ich bearbeiten wollte, sagte er, sey in Italien sehr vernachläßigt; die Conservatorien, wovon ich mir Nachrichten ausbat, wären sehr heruntergekommen, ungeachtet sie ehemals an großen Männern so fruchtbar gewesen. Er nannte mir einen großen Gelehrten, der die Psalme in vortrefliche italiänische Verse übersetzt, und in dieß Werk eine Abhandlung über die alte Musik einzuschalten beliebt habe, die er ihm auch mitgetheilet. Er hielt diesen Schriftsteller für einen feinen scharfsinnigen Kritiker; er sey in manchen Punkten mit Pater Martini nicht gleicher Meynung; habe mit Metastasio im Briefwechsel gestanden, und habe einen langen Brief von ihm über die lyrische Poesie und Musik erhalten, welches alles ich nothwendig sehen müßte. Er versprach mir das Buch zu verschaffen, und mich mit dem[238] Verfasser bekannt zu machen. Er sagte sehr vieles zum Ruhme des Alessandro Scarlatti, wegen seiner Kirchenmusiken, nehmlich Motteten, Messen und Oratorien; und versprach mir nähere Nachrichten von den Conservatorien zu verscheffen, oder was sonst zu meinem Zwecke dienlich, und in seinem Vermögen stünde. Er schrieb meine Addresse auf, und versicherte mich, daß er ganz zu meinen Diensten wäre, sobald er nur seine Oper auf die Bühne gebracht hätte. Als ich ihm sagte, daß mein Aufenthalt zu Neapel nur sehr kurz seyn könnte, daß ich so gar schon auf der Rückreise seyn würde, wenn mich seine Oper, die ich so sehr zu hören wünschte, nicht aufgehalten hatte; daß sowohl dringende Geschäfte zu London, als auch die Furcht vor einem nahen Kriege, der mich auf dem festen Lande gefangen halten mögte, meine Abreise beschleunigten: worauf er mir allem Ansehn nach sehr aufrichtig zur Antwort gab, wenn ich nach meiner Zuhausekunft irgend etwas wichtiges zu meinem Plane gehöriges brauchte, so wolle er mirs gewiß übersenden. Kurz ich gieng sehr zufrieden von diesem wirklich großen Komponisten hinweg, der ohne Zweifel unter den itztlebenden einer der ersten in seiner Kunst ist: denn wenn ich die itzigen Theaterkomponisten in Italien nach meinem Urtheile von ihren Verdiensten ordnen sollte, so wäre es folgendermaßen: Jomelli, Galuppi, Piccini und Sacchini. Es ist inzwischen schwer zu entscheiden, wessen Verdienste von den beyden erstgenannten Komponisten am[239] höchsten gehalten werden. Jomelli's Werke sind voll großer und edler Ideen, die er mit Geschmack und Gelehrsamkeit ausbildet; Galuppi ist reich an Einbildungskraft, Feuer und Empfindung; Piccini hat im komischen Style alle seine Vorgänger weit übertroffen, und Sacchini scheint in der ernsthaften Schreibart mehr als irgend jemand zu versprechen.

Der englische Minister an diesem Hofe, Herr Hamilton, der wegen seines Geschmacks und Eifers für die Künste, und als Gönner der Künstler in ganz Europa bekannt ist, war nicht in der Stadt, als ich nach Neapel kam; er bewies mir aber die Ehre, sobald er meine Ankunft erfuhr, mich auf sein am Fuß des Vesuvs gelegenes Landgut, villa angelica genannt, einzuladen. Ich machte ihm also heute, nachdem ich Sgr. Jomelli besucht hatte, zum erstenmale meine Aufwartung, und ward von ihm und seiner Gemahlin nicht nur höflich, sondern auch ungemein gütig aufgenommen. Ich hatte das Glück, daselbst zwey oder drey Tage bey ihnen zuzubringen, und während der Zeit fehlte es unter andern Belustigungen, nicht an Musik, indem Herr Hamilton zwey Personen in Diensten hatte, die zugleich beyde, der eine auf der Geige, der andere auf dem Violonschell vortreflich spielten.


Sonnabends, den 27sten.

Ungeachtet ich heute Abend heftiges Kopfweh hatte, so entschloß ich mich doch, theils dem Schmerz[240] zu trotzen, theils ihn zu lindern, in Piccini's. Oper zu gehen, und fand, daß sie zwar mein Uebel nicht curiren konnte, aber doch den Schmerz linderte, und meine Aufmerksamkeit davon abzog. Das Theater war voller Zuschauer, und die Schauspieler agirten sehr lebhaft. Endlich kam ich diesmal früh genug, die Symphonie zu hören; sie war sehr schön und voller Einbildungskraft; sie bestund nur aus zwey Sätzen, wobey die Violinen schwere Arbeit zu verrichten hatten. Was mir vorher gefiel, gefiel mir itzt noch mehr. Es ist unmöglich an den originalen Gedanken und an dem unerschöpflichen Reichthume dieses Komponisten kein Vergnügen zu finden.


Montags, den 29sten.

Als Herr Hamilton nach Neapel zurückkam, gab er, um meine musikalische Neugierde zu befriedigen, ein großes Concert in seinem Hause, wo viele Gesellschaft war, und wo ich das Vergnügen hatte, die vornehmsten Musiker dieser Stadt anzutreffen: worunter Sgr. Barbella, ein berühmter Geiger, und Orgitano, einer der besten Flügelspieler und Komponisten für dieses Instrument, sich befanden. Doch übertrift Mrs Hamilton sowohl ihn als alle andere, die ich hier gehört habe auf diesem Instrumente. Sie spielt ungemein rund, leicht und mit mehr Ausdrucke und Gefühl, als man gewöhnlich bey den Flügelspielerinnen antrift; denn man muß gestehen, daß[241] das Frauenzimmer, ungeachtet es oftmals viel Fertigkeit erlangt, dennoch sich selten um den Ausdruck bekümmert. Barbella hintergieng meine Erwartung; sein Spiel hat itzt nichts Ausserordentliches; freylich ist er nicht jung, und man macht hier nichts aus den Solospielen, welche selten vorkommen; so daß unterrichten und im Orchester mitspielen sein vornehmstes Geschäft ist. Er spielte jedoch das berühmte neapolitanische Lied, welches der gemeine Mañ gewöhnlich um Weihnachten zu Ehren der Jungfrau Maria zu spielen pflegt, vortreflich. Dieß spielt er mit einem brummenden Dudelsacks-Baß in einer sehr launigten aber delikaten Manier. Als Solospieler hingegen, so sanft und angenehm auch sein Ton ist, muß er Nardini und verschieden andern Italiänern nachstehen; doch scheint er die Musik recht gut zu verstehen, und viele Einbildungskraft in seiner Komposition zu haben, die zuweilen in eine nicht unangenehme Raserey übergeht.

Hier ward ich zuerst dem Lord Fortrose vorgestellt, von welchem ich nachher viele besondere Gütigkeit genossen habe. Auch ward ich mit dem französischen Consul, Herr d'Astier bekannt, der ein wahrer Kenner der Musik, und mit den verschiednen Schreibarten aller großen Komponisten in Europa, sowohl der ehmaligen als der itztlebenden genau bekannt ist, deren verschiedene Verdienste er sehr gut aus einander zu setzen weiß. Ich theilte ihm meinen Plan mit, und hatte eine lehrreiche[242] Unterredung mit ihm. Um zu musikalischen Untersuchungen mit diesem Herrn und Sgr. Barbella desto besser Zeit zu haben, ward eine ausgesuchte Gesellschaft von zehn bis zwölf Personen zum Abendessen behalten, und wir blieben bis früh um zwey Uhr beysammen.

Barbella ist der beste Mann von Charakter, sein Temperament ist, wie einer von der Gesellschaft bemerkte, so sanft wie der Ton seiner Geige. Indem ich dicht bey ihm saß, erfuhr ich viele Lebensumstände alter neapolitanischer Komponisten. Herr Hamilton hatte sich erboten, an alle Aufseher der verschiednen Conservatorien zu schreiben, allein Herr Barbella übernahm es gütigst, mir alle Nachrichten zu verschaffen, welche ich von diesen berühmten musikalischen Schulen zu haben wünschte. Lord Fortrose, zu dem er alle Morgen geht, lud mich ein, mit ihm in seinem Hause, so oft es mir beliebte, zusammen zu kommen. Auf diese Weise erhielt ich vom Herrn Barbella und einem jungen Engländer, Herrn Oliver, der vier Jahre in dem Conservatorium S. Onofrio gewesen ist, hinlänglichen Unterricht von allem, was ich deswegen zu wissen brauchte. Herr Hamilton nahm sich meines Geschäfts so eifrig an, daß er eine Liste alles dessen, was mir noch fehlte, von mir verlangte, um zu sehen, wie er mir es am besten verschaffen könnte.


Mittwochen, den 31sten October.

[243] Heute früh gieng ich mit dem jungen Herrn Oliver zu dem Corservatorium S. Onofrio, und besah alle Zimmer, wo die jungen Leute sich üben, essen und schlafen. Auf dem ersten Absatze der Treppe stund ein Trompeter, der auf seinem Instrumente so lange kreischte, bis er beynahe zerplatzte; auf dem andern war ein Waldhornist, der eben so laut bellete. In dem gewöhnlichen Uebungssaale war ein holländisches Concert, (durch concert) welches aus sieben oder acht Flügeln, noch mehr Violinen, und verschiedenen Stimmen bestund, die alle verschiedene Stücke aus verschiedenen Tönen spielten: andere Knaben schrieben in dem Zimmer; weil es aber ein Heiligen-Tag war, so fehlten viele, die sonst auch in diesem Saale studiren und sich üben. Die Einrichtung des Hauses mag diese Zusammenhäufung aller Lehrlinge erfodern, wodurch die Knaben vielleicht, wenn auch neben ihnen noch so viel vorgeht, fest auf ihre Arbeit Acht zu haben lernen; sie mögen auch dadurch Stärke erhalten, weil sie so laut spielen müssen, um sich selbst zu hören: allein mitten unter solchem, beständen fort unharmonischen Lärm ist es unmöglich, ihrem Spielen die geringste Feinheit oder Vollkommenheit zu geben. Daher ihre plumpe rauhe Manier, welche in ihrer öffentlichen Ausführung so merklich ist; daher der gänzliche Mangel an Geschmacke, Rundung und Ausdruck bey allen diesen jungen Musikern,[244] so lange sie diese Vorzüge nicht ausserhalb des Landes erlangt haben.

Die Betten, welche in eben dem Zimmer sind, dienen den Flügel- und andern Instrumentspielern zu Sitzen. Von dreyßig bis vierzig Knaben, die sich hier übten, konnte ich nur zwey ausfindig machen, die einerley Stück spielten: einige von denen, die sich auf der Violine übten, schienen viel Stärke in der Hand zu haben. Die Violinschellisten üben sich in einem anderen Zimmer, und diejenigen, welche die Flöte, Hoboe und andere Blasinstrumente spielen, in einem dritten; ausgenommen die Trompeter und Waldhornisten, welche entweder auf der Treppe oder auf dem Boden ihre Künste üben müssen.

Es sind sechszehn junge Kastraten in diesem Collegio, und diese liegen oben allein, in wärmern Zimmern, als die übrigen Knaben, aus der Furcht sich zu verkälten, wodurch ihre weichlichen Stimmen nicht nur zu ihren gegenwärtigen Übungen ungeschickt werden, sondern auch Gefahr laufen mögten, ganz verlohren zu gehen.

Die einzigen Ferien in dieser Schule fallen in den Herbst, und dauren nur wenige Tage. Während des Winters stehen die Knaben zwey Stunden vor Tagen auf, von welcher Zeit an sie ihre Übung (anderthalb Stunde zum Mittagsessen ausgenommen) bis acht Uhr des Abends fortsetzen. Diese anhaltende Übung, welche einige Jahre hindurch währet, muß mit Genie und[245] gutem Unterrichte verbunden, große Musiker hervorbringen.

Nach Tische gieng ich nach dem Theater S. Carlo die Probe von Jomelli's neuer Oper zu hören. Es waren nur zwey Akte fertig, allein diese gefielen mir ungemein; die Anfangssymphonie ausgenommen, welche sehr kurz war, und meine Erwartung nicht befriedigte. Die Arien und begleiteten Recitative hingegen hatten durchgehends ihre besondern Vorzüge, und ich wüßte mich keiner zu erinnern, die so unbeträchtlich gewesen wären, nicht Aufmerksamkeit zu erregen. Die Oper hieß Demophoon, die Namen der Sänger wußte ich nicht, ausgenommen Aprile, der erste Sänger, und Bianchi101 die erste Sängerin. Aprile hat eine schwache, ungleiche Simme, doch ist er in seiner Intonation standfest; seine Person ist wohl gebildet, sein Triller gut, und er hat viel Geschmack und Ausdruck. Die Bianchi hat eine angenehme, niedlich tönende Stimme, hält allezeit genau Ton, und hat ein vortrefliches Portamento; nie hört ich eine mit mehr Leichtigkeit oder so ganz ohne allen Zwang singen. Die übrigen Sänger waren alle über das Mittelmäßige hinweg: ein Tenorist, der Stimme und Geschmack genug hatte, Aufmerksamkeit[246] zu erregen; ein sehr schöner Altist; ein junger Sopranosänger, dessen Gesang voll Gefühl und Ausdruck war, und eine zweyte Sängerinn, deren Gesang gewiß nicht verrächtlich war. Solche Sänger und Sängerinnen waren zu dieser Musik nöthig, welche in einer schweren Schreibart abgefasst ist, und durch die Instrumente mehr Wirkung thut, als durch die Singstimmen. Zuweilen scheint sie etwas mühsam gesetzt zu seyn, allein imensemble ist sie bewundernswürdig-meisterhaft in der Modulation und in der Melodie voll neuer Gedanken. Dieß war die erste Probe. Die Instrumente waren noch rauh und nicht standfest genug, weil sie das eigentliche Zeitmaaß oder den Ausdruck eines jeden Satzes noch nicht genau kannten; doch so viel ich damals urtheilen konnte, war die Komposition den Talenten der Sänger vollkommen gemäß, welche zwar alle gut, aber keiner vom ersten Range war, und daher der Hülfe der Instrumente sehr bedurften, um die Bilder auszumahlen, und die Leidenschaften zu verstärken, welche der Dichter vorgezeichnet hatte.

Die allgemeine Erwartung von dieser Arbeit des Sgr. Jomelli war nach der Menge Zuhörer zu urtheilen, die bey der ersten Probe waren, sehr groß; denn das Parterre war ganz voll, und viele Logen mit Leuten von Stande besetzt.

Die Bauart des Theaters S Carlo ist edel und zierlich: es ist ein Oval oder vielmehr ein[247] Segment eines Ovals, das an der Theaterseite abgeschnitten ist. Es sind sieben Reihen Logen darin, welche weit genug sind, daß in jeder zehn oder zwölf Personen so bequem auf Stühlen sitzen können, als wenn sie zu Hause wären. In jedem Range sind dreyßig Logen, ausgenommen in den drey untersten, welche wegen der königlichen Loge, die darin angebracht ist, nur neun und zwanzig haben. Im Parterre sind vierzehn oder funfzehn Reihen Sitze, welche sehr geräumig, bequem und mit ledernen Küssen und ausgestopften Rücklehnen versehen sind, wobey auch jeder Sitz von dem andern durch eine breite Armlehne abgesondert ist: mitten im Parterre können dreyßig neben einander sitzen.


Den 1sten November.

Da es heute Allerheiligentag war, so gieng ich wenigstens zwey Meilen nach der Kirche der Incurabili, wo man mir eine gute Musik verheissen hatte; allein ich fand sie erbärmlich. Von hier gieng ich zu verschiednen andern, wo ich schlechte Musik hörte, die schlecht aufgeführt ward.


Freytags, den 3ten November.

Heute besah ich das königliche Museum zu Portici102, wo ich über alte Instrumente und Manuscripte Untersuchungen anzustellen hatte, die für meine Geschichte vorzüglich wichtig waren. In[248] dem dritten Zimmer dieses merkwürdigen Kabinets, wo die alten chirurgischen Instrumente liegen, fand ich folgende musikalische: drey Sistra, nehmlich zwey mit vier Stangen von Erzt, und eins mit dreyen; verschiedene Crotola oder Cymbeln; Tambours de basque; eine Syrinx mit sieben Pfeiffen, und eine große Anzahl zerbrochener Flöten von Elfenbein.

Das sonderbarste von allen diesen Instrumenten ist eine Art von Trompete, die vor etwa einem Jahre zu Pompeji gefunden worden; sie ist zum Theil zerbrochen, allein doch nicht so sehr, daß man die Form des Ganzen nicht noch wahrnehmen könnte. Es sind noch Ueberbleibsel von sieben kleinen Pfeiffen von Knochen oder Elfenbein dabey, die in eben so viel andern von Erz stecken, alle von gleicher Länge und Durchschnitt; diese umgeben die große Röhre, und scheinen in ein Mundstück auszugehen. Einige von den kleinen ehernen Pfeiffen sind zerbrochen, und also die von Elfenbein bloß. Es ist natürlich, vorauszusetzen, daß sie alle auf einmal geblasen worden, und daß die kleinen Pfeiffen mit einander unisono gestimmt, und eine Octave höher waren, als die große. Man pflegte dieß Instrument über die Schulter zu hängen. Diese sonderbare Art von Trompete ward in der Hauptwache gefunden, und scheint der wahre Clangor tubarum zu seyn.

Da niemand in dem Museum eine Bleyfeder brauchen darf, so war Herr Robertson, ein geschickter[249] junger Künstler von unsrer Gesellschaft, so gütig, als wir mit den übrigen, die das Museum besehen hatten, in das Wirtshaus, wo wir speiseten, zurückgekommen waren, aus dem Gedächtniße eine Zeichnung dieser Instrumente in meine Schreibtafel zu machen, welche die ganze Gesellschaft, die aus sieben Personen bestund, sehr richtig fand.

In dem neunten oder zehnten Zimmer sind alle Manuscripte, welche man bisher im Herculanum gefunden hat, wovon nur zwey, welche griechisch geschrieben sind, lesbar gemacht worden. Eins handelt von der epicurischen Philosophie, eins von der Rhetorik, eins von der Moral, und eins von der Musik; jedes Manuscript scheint ganz zu Kohlen verbrannt zu seyn.

Von dem musikalischen Manuskripte, wovon Philodemus Verfasser ist, sah ich zwey Blätter entwickelt und aufgespannt. Es ist kein Gedicht über die Musik, wie Herr de la Lande sagt; noch eine Satyre darauf, wie andre behaupten, sondern eine Widerlegung des Systems des Aristorenus, der ein praktischer Musiker war, und also das Urtheil des Ohrs den pythagorischen Zahlen, und den arithmetischen Proportionen bloßer Theoristen vorzog. Prolomäus that eben dasselbe nachmals auch. Ich unterredete mich über das Manuscript mit dem Pater Antonio Pioggi, der es entwickelt und erkläret hatte. Er hat itzt[250] die Aufsicht in einer Schriftgießerey, wo eine neue Art griechischer Lettern gegossen werden, welche denen, worin dieß Manuscript geschrieben ist, völlig ähnlich sind, und womit dieß Werk soll gedruckt werden.

Jeder Freund der Gelehrsamkeit muß sich über die Langsamkeit wundern, womit man bey der Entwickelung dieser Manuscripte verfährt. Alle die bisher gefunden, sind aus dem Herculanum; die zu Pompeji sollen alle im Feuer aufgegangen seyn.


Sonnabend, den 3ten.

Heute Abend gieng ich nach einem niedlichen neuen Komödienhause, welches eben eröfnet ward. Man spielte eine Komödie in Prosa, welche eine türkische Geschichte enthielt; schlecht geschrieben und nicht sonderlich vorgestellt.


Sonntags, den 4ten.

Ich gieng heute früh in die Kirche des heil. Januarius, um die Orgel zu hören, und die Kapelle zu sehen, worin die Gemählde von Domenichini sind. Hierauf führte mich ein Freund nach Don Carlo Cotumacci's Hause, welcher Kapellmeister des Conservatorium S. Onofrio ist. Ich hörte ihn auf dem Flügel spielen, und er theilte mir eine große Menge Anekdoten, die[251] ältere Musik betreffend, mit. Er war im Jahre 1719 ein Schüler des Ritter Scarlatti, und zeigte mir die Sonaten, welche dieser große Meister ihm eigenhändig vorgeschrieben hatte. Ich erhielt auch eine sehr genaue Nachricht von Scarlatti und seiner Familie. Sgr. Cotumacci war Durante's Nachfolger. Er spielt in dem alten Orgelstyl sehr vollstimmig und künstlich in der Modulation. Er hat sehr viel Kirchenmusiken gesetzt, wovon er mir ein Paar merkwürdige Stücke schenkte. Er hat große Geschicklichkeit im Unterrichte, und er zeigte mir zwey von ihm selbst geschriebene Manuskripte, das eine vom Accompagnement, und das andere vom Contrapunkt. Ich halte ihn für älter als siebzig.

Diesen Abend gieng ich in die erste öffentliche Vorstellung von Sgr. Jomelli's Oper Demophoon aus dem großen Theater S. Carlo, wo Herr Hamilton mich mit einem Platze in seiner Loge beehrte. Es ist schwer sich die Hoheit und Pracht dieses Schauspiels vorzustellen und sie zu beschreiben. Weil es S. Carls Heiligentag, und des Königs von Spanien Namenstag war, so erschien er in großer Galla, und das Haus war nicht nur zwiefach erleuchtet, sondern auch erstaunend voll von wohlgekleideten Leuten.103 Vor jeder Loge hängt ein drey bis vier Fuß langer[252] und zwey bis drey breiter Spiegel, vor welchen zwey große Wachskerzen stecken; diese leuchten durch den Wiederschein doppelt, und vermehrten das Licht, das vom Theater und aus den Innern der Logen kam, und machten den Glanz zu blendend, und dem Auge beschwerlich. Der König und die Königinn waren gegenwärtig. Ihre Majesteten haben eine große Loge vorn im Schauspielhause, welche in der Länge und Breite den Platz von vier Logen einnimmt. Der Umfang des Theaters ist unermeßlich, und die Scenen, Kleidungen und Theaterverzierungen waren ausserordentlich prächtig. Mir deucht dieß Theater übertreffe hierin sowohl als in der Musik das grosse französische Operntheater zu Paris. Herr de la Lande ist zwar anderer Meynung; denn nachdem er eingeräumt hat, daß die italiänische Oper, sowohl was die Musik als die Poesie anbetrift, sehr gut ist, so schließt er folgendermaßen: dieß ist sie aber in andern Stücken meiner Meynung nach gar nicht, und zwar aus folgenden Ursachen:


1) Es ist beynahe gar keine Maschinerey in den italiänischen Opern.104

2) Sie haben keine solche Menge reicher und prächtiger Kleidungen als zu Paris.105[253]

3) Die Anzahl und Mannigfaltigkeit der Schauspieler ist geringer.

4) Der Chöre sind nicht so viel, und sie sind weniger gearbeitet, und

5) Die Vereinigung des Gesanges und der Tänzer wird vernachläßigt.106


Allein auf alle diese Einwürfe würde ein wahrer Liebhaber der Musik antworten: Desto besser.

Herr de la Lande gesteht, daß das Orchester zahlreicher und mannigfaltiger sey; allein er klagt, daß der schönen Stimmen in einer italiänischen Oper so wenige sind, und daß sie auch mit der Musik und der Auszierung derselben zu viel zu thun haben, als daß sie auf Deklamation und Gesten achten könnten.

Diese letzte Beschuldigung ist ganz und gar ungerecht. Wer sich nur des Portici und Laschi in den komischen Opern, die etwa vor zwanzig Jahren zu London waren, erinnert, oder neulich die Buona Figliuola daselbst gesehen hat, als Sgra. Gnadagni, Sgr. Lovatini und Sgr. Morigi sie aufführten; oder in der ernsthaften Oper an Monticelli, Elisi, Mingotti, Colomba Mattei, Mansoli zurückdenkt, oder in den itzigen Opern Sgr. Guadagni gesehen hat, muß gestehen, daß die Italiäner nicht nur gut recitiren, sondern auch vortrefliche Aktörs sind.[254]

Man gebe einem Freunde der Musik eine Oper auf einem schönem Theater das wenigstens noch zweymal so groß als das pariser ist, die Musik sowohl als die Poesie sey gut, und die Sänger und Spieler thun das ihrige: so wird er allen übrigen ohne Murren entsagen; sollte auch sein Ohr weniger durch Chöre betäubt, und sein Auge durch Maschinereyen, Kleidungen und Tänze weniger geblendet werden, als zu Paris.107[255]

Doch ich komme wieder auf das Theater S. Carlo. Es übertrift an Pracht alles, was Dichtkunst und Romanen je geschildert haben: doch[256] muß man bey allen dem gestehen, das wegen der Größe des Gebäudes und des Lärms der Zuschauer[257] die Sänger so wenig als die Instrumente können deutlich gehört werden. Man erzählte mir indessen, daß die Zuschauer wegen der Gegenwart des Königs und der Königinn weit weniger Lärm machten als sonst. Keine Hand bewegte sich zum Klatschen, während der ganzen Vorstellung, ungeachtet die Zuschauer mit der Musik sehr zufrieden zu seyn schienen; allein die Wahrheit zu gestehen, so machte sie mir nicht so viel Vergnügen, als bey der Probe; auch zeigten sich die Sänger, ungeachtet sie sich noch mehr angriffen, nicht so sehr zu ihrem Vortheile, indem keine einzige von den ißigen Singestimmen Stärke genug für so ein Theater hatte, vornehmlich wenn es voll und unruhig ist. Sgra. Bianchi, die erste Sängerin, deren angenehme Stimme und simple Singart mir und andern bey der Probe so viel Vergnügen machte, that den Neapolitanern, welche an die Stärke und das Glänzende einer Gabrieli108 Teuber, und de Amici gewohnt waren, kein Genüge. Ihre Manier hat für den verderbten Geschmack dieser enfans gatés, die nie zufrieden sind, als wenn sie in Erstaunen gesetzet werden, zu viel Simplicität. In Ansehung der Musik gieng viel von den Helldunkeln verlohren, und man konnte nichts deutlich hören, als die lärmenden und wüthenden Sätze, welche bloß[258] dazu dienen sollten, das übrige hervorstehend zu machen, die Mezzotinten, und der Hintergrund giengen ganz verlohren, und es blieb eigentlich nicht viel mehr übrig, als die kühnen und rauhen Pinselzüge des Komponisten.

Während der Vorstellung kam Caffarelli in das Parterre; Sgr. Giraldi, der in Herr Hamiltons Loge war, versprach mich mit ihm bekannt zu machen, und führte mich, als die Oper aus war, zu ihm. Er sieht wohl aus, und hat eine lebhafte feurige Miene; er scheint nicht über funfzig Jahr alt zu seyn, ungeachtet man ihn für drey und sechzig ausgiebt. Sein Betragen war sehr höflich, und er ließ sich sehr zuvorkommend und gefällig mit mir ins Gespräch ein; er fragte mich nach der Herzogin von Manchester und Lady Fanny Shirley, die ihn, während seines Aufenthalts in England, welcher, wie er sagte, in die lezten Jahre der Regierung Heideggers109 fiel, mit ihrer Gunst beehrten. Er stellte mich Sgr. Gennaro Manno, einem berühmten neapolitanischen Komponisten vor, der hinter ihm saß. Sgr. Giraldi war vorhin bey ihm gewesen, um von ihm die Zeit zu erfahren wenn er mich zu ihm führen dürfte; es war nun ausgemacht, daß wir bey Lord Fortrose zusammen kommen sollten; der Lord war es, dem ich diese und sehr viele andere[259] Gelegenheiten, meine Kenntnisse zu vermehren, in Neapel zu danken hatte.

Das Haus ward sehr bald leer, und ich war verbunden, diesem Altvater des Gesanges mich zu empfehlen, welcher der älteste Sänger in Europa ist, der seine Kunst noch öffentlich ausübt; denn er singt noch oftmals in Klöstern und Kirchen, ungeachtet er das Theater vor einiger Zeit verlassen hat.

In der heutigen Oper kamen unterhaltende Tänze vor, aber alle von der lebhaften Art; denn andere können die Italiäner nicht leiden. Ihre Ballette, wie ich oben bemerkt habe, sind eigentlich mehr pantomimische Unterhaltungen, worin die Theaterverzierungen gewöhnlich schön sind, und die Geschichte faßlich und angenehm vorgestellt wird. Der Gegenstand des ersten war l'isola disabitata, (die wüste Insul,) die zweyte stellte die Belustigungen vor, welche Vauxhall in England eigen sind; hier kamen Quäker, Matrosen, savoyardische Guckkästen und dergleichen vor, und in dem dritten Ballette zum Schlusse der Oper, tanzten Thracier zu Ehren der Vermählung Creusens und Cherinths, zweyer Personen, welche in der Oper vorkommen. Die sechs vornehmsten Tänzer waren die Sgri. Onocuto Vigano, Giuseppe Trafieri, Francesco Rafetii; und unter den Tänzerinnen waren Sgra. Colomba Beccari, Anna Torselli und Caterina Ricci die vornehmsten. Der erste Tänzer hat viel Kraft und[260] Nettigkeit, und scheint Slingsby in seinemà plomb, oder genauen Beobachtung des Zeitmaßes gleich zu kommen; und der Beccari vielfüßig hüpfender Tanz scheint an Flüchtigkeit der Radicati ihrem zu gleichen.


Montags, den 5ten.

Heute früh gieng ich in das Conservatorium S. Onofrio, um die Knaben in ihren Lehrstunden zu sehen, und einige der besten unter ihnen spielen zu hören. Sie waren alle eifrig bey der Arbeit, und machten ein vortrefliches Getöse, welches nicht erreicht werden konnte


Von hundert Kehlen, nicht von hundert Zungen

Von hundert Paaren ehrnen Lungen,

Von zehn laut tönenden Trompeten nicht.


Doch schont man der Ohren sowohl der Lehrer als Schüler, wenn Unterricht im Singen gegeben wird, denn dieß Geschäfte wird in einem ruhigen Zimmer verrichtet; allein in den andern Uebungssälen ist der Lärm und das Mißgetöne unbeschreiblich. Dennoch hörte ich in einem Nebenzimmer zwey Knaben mit einander besonders spielen; der eine spielte ein Solo von Giardini auf der Violine, und der andere eines von seiner eignen Arbeit auf dem Violonschell. Das erste ward nur mittelmäßig ausgeführt, allein das zweyte war schön gesetzt, und ward sehr gut gespielt. Ich habe durch ganz Italien gefunden, daß Giardini's[261] Solos nebst des Londner Bachs und Abels Symphonien in großem Ansehn stehen, und zwar mit Recht, weil ich auf meiner ganzen Reise nichts gehört habe, daß ihnen gleich käme.

Von hier gieng ich nach dem Kloster der Donna Regina, um einer großen Feyerlichkeit zuzusehen. Es war eine bellissima Funzione, wie die Italiäner es zu nennen pflegen, bey Gelegenheit zweyer Türkensclaven, die sich zum Christenthume bekehrt hatten, und heute öffentlich getauft wurden. Verschiedne Bischöfe wohnten der Handlung bey, und die Kirche war voll der feinsten Leute aus Neapel. Die Musik hatte Giuseppe di Majo, ein neapolitanischer Komponist, der in dem Conservatorium der Pietà erzogen war, gesetzt; sie war vortreflich, aber die Ausführung taugte nichts.

Heute hatte ich die Ehre bey unserm Minister zu essen, und ward nach Tische durch einen fetten Dominicaner, der dahin kam, Buffo-Arien zu singen, sehr angenehm unterhalten. Er accompagnirte sich selbst auf dem Flügel, und sang eine Menge lustiger Scenen aus Piccini's und Paesiello's komischen Opern, welche er mit einer komischen Stärke vortrug, die Casaccia's seiner wenig nachgab, den er an Stimme weit übertraf.

Sgr. Nasci, Direktör des Orchesters bey der komischen Oper in dem Theater de Fiorentini[262] begleitete den Dominicaner mit der Violine, und spielte nachher in einigen Trios von seiner Arbeit, die ausserordentlich schön waren, und einen ungewöhnlichen Grad von Anmuth und Leichtigkeit hatten.

Hierauf war Herr Hamilton so gütig, mir ein reizendes Gemählde von Corregio, welches er besitzt, zu zeigen. Es stellt die nakte Venus vor, mit welcher Cupid um den Bogen ringt, den sie ihm geraubt hat, unterdeß daß ein Satyr mit seinem Köcher davon läuft. Es ist ein wundernswürdiges Stück, und wird wegen der vielen Figuren dem heil. Hieronymus zu Parma gleich geschätzt.

Das Kunst- und Naturalienkabinet des Herrn Hamiltons ist sehr groß und unschätzbar. Es war für meine Untersuchungen ein wichtiges Geschäft, seine unermeßlich große Sammlung von vetruseischen Vasen und andern Seltenheiten des höchsten Alterthums zu besehen; doch sein Umgang und Rath gaben mir mehr Licht in Ansehung der Musik und Instrumente der Alten, als diese kostbaren Ueberbleibsel der Kunst.

Als wir aus den Zimmern, die wir besehen hatten, zurückkamen, um die Bibliothek zu besehen, fanden wir einen neapolitanischen Prinzen und Prinzeßinn, einige Abgesandten, Lord Fortrose, den französischen Consul, verschiedne Herren aus England, und viele andere; des Nachmittags war wieder Concert, und eine ausgesuchte[263] Gesellschaft blieb zum Abendessen, und gieng erst um zwey Uhr auseinander, da ich vom Herrn Hamilton und seiner Gemahlin sehr gerührt Abschied nahm, weil die Unterstützung und gütige Aufnahme, womit sie mich während meines Aufenthalts zu Neapel beehrten, mir und meinem Plane so nützlich und wichtig waren, daß ich nie unterlassen werde, mit der größten Dankbarkeit daran zu gedenken.


Donnerstags, den 6ten.

Heute hatte ich die Ehre bey Lord Fortrose zu speisen. Die Gesellschaft war sehr zahlreich, und meistentheils musikalisch. Barbella und Orgitano waren auch eingeladen, auch war der französische Consul, Herr d'Astier da. Nach Tische versammlete sich ein zahlreiches Orchester auf der Gallerie, und wir hatten Musik bis nach eilf Uhr. Barbella gefiel mir heute weit mehr, als zuvor; er ist sehr fest im Tone, und hat viel Geschmack und Ausdruck; wenn er nur etwas mehr Glänzendes, einen vollern Ton, und mehr Mannigfaltigkeit im Style hätte, so wäre sein Spielen unverbesserlich, und überträfe vielleicht manche Spieler in Europa: so aber scheint sein Ton schläfrich, und seine Manier unbelebt zu seyn.

Orgitano spielte den Flügel, und Sgr. Consorte, ein Castrat sang; auch hörte ich einen recht guten Hoboisten ein Solo spielen. Die ganze[264] Gesellschaft verzweifelte, daß Caffarelli kommen würde, siehe da kam er herein, und war ausserordentlich aufgeräumt; und wider alles Vermuthen ließ er sich sehr bald erbitten, zu singen. Manche Töne giebt seine Stimme itzt nur schwach an, doch hat sein Gesang noch Schönheiten genug, um jedem, der ihn hört, zu beweisen, daß er ein ausserordentlich großer Sänger müsse gewesen seyn; er accompagnirte sich selbst auf dem Flügel und sang ohne alle andere Begleitung. Gefühl und Anmuth, und ein ausserordentlich genau angemessener Ausdruck sind seine charakteristischen Züge. Ungeachtet Caffarelli und Barbella ziemlich alt sind, und in Verfall gerathen, so sind die Ueberbleibsel ihrer Kunst eben deswegen desto schätzbarer. Caffarelli schlug mir vor, einen ganzen Tag mit einander zuzubringen, um über musikalische Materien zu reden, und sagte, diese Zeit würde noch zu kurz seyn, für alles, was wir zu sagen hätten; allein als ich ihn überzeugte, daß ich nothwendig den folgenden Abend gleich nach geendigter Oper nach Rom reisen müßte, so that er mir den Vorschlag, den folgenden Morgen bey Lord Fortrose zusammen zu kommen.

Nach dem Abendessen spielte Barbella verschiedene Calabrische, Leccische und Neapolitanische Arien und unter andern ein launigtes Stück, das er selbst gesetzt hatte, und welches er ninna nonna nannte; es ist ein lullaby, oder ein Wiegenlied, vortreflich in seiner Art, und gut ausgedruckt.


Mittwochs, den 7ten.

[265] Heute erlaubte mir der Padre della Torre, an den ich Briefe hatte, ihn zu besuchen. Er ist Bibliothekar des Königs, und Aufseher des königlichen Raritäten-Kabinets, in dem Pallaße Capo di Monte. Nie habe ich einen Mann von so gefälligen liebreichen Charakter gesehen. Er kann nicht unter siebenzig Jahr alt seyn, und doch ist er so lebhaft, und selbst scherzhaft, als ein Jüngling von zwanzig Jahren. Er und sein Gehülfe hatten mit großem Fleiße in der königlichen Bibliothek, welche vorher der Farnesischen Familie gehörte, und von Parma hierher gebracht ward, Materialien zur Geschichte der Musik ausgesucht. Unter andern Büchern und Manuskripten, die ich schon kannte, zeigte er mir einige ungedruckte merkwürdige Tractate, welche sich sonst nirgends finden110

Hierauf zeigte er mir seine Mikroscope und Telescope, welche durch ganz Italien berühmt sind; denn man behauptet, daß sein Vater beyde, vornehmlich die Mikroscope sehr verbessert habe, indem er eine kleine Linse oder Kügelchen von reinem Crystalglas, je kleiner je besser, hinzugefügt hat.[266] Er schmelzt sein Glas selbst in einem Geschirre von tripolitanischer Erde, und macht es in einer reinen Flamme sphärisch. Es vergrössert den Durchmesser einer Sache, wenn das Kügelchen von der kleinsten Art ist, 2560 mal; da hingegen die gewöhnlichen Mikroscope etwa 350 mal vergrößern.111

Nachdem er mir den ganzen Proceß gezeiget hatte, war er so gefällig, mir mit verschiedenen von diesen Glaskügelchen zu meinem eigenen Gebrauche ein Geschenk zu machen.

Von ihm gieng ich nach des Lord Fortrose Hause, um Caffarelli anzutreffen. Itzt da ich seinen Namen zum letztenmal nenne, nehme ich der Gelegenheit wahr, meinen Lesern zu sagen, daß dieser berühmte Sänger ein Herzogthum gekauft hat, welches sein Neffe nach seinem Tode[267] besitzen soll. Sein Titul istDuca di Santi Dorato. Er ist sehr reich, und singt dennoch oft für Geld in den Klöstern und Kirchen. Er hat sich ein prächtiges Haus gebauet, über dessen Thür diese Aufschrift steht:


AMPHION THEBAS, EGO DOMUM.112


Heute erwies mir Sgr. Fabio, erster Violinist bey dem Opern-Theater S. Carlo die Ehre mit mir zu Mittag zu essen; er war so gefällig und so gütig seine Geige mit zu bringen. Es ist gar nichts neues in den großen Städten Italiens, daß Virtuosen vom ersten Range selbst ihre Instrumente über die Gassen tragen. Ein so kleiner Umstand scheint nicht der Mühe werth zu seyn, erwähnt zu werden, doch bezeichnet er den Unterschied der Sitten und des Charakters zweyer nicht weit von einander entfernten Länder sehr stark. In Italien trägt der Vorspieler der ersten Oper in der ganzen Welt, das Instrument seines Ruhms und seines Glücks mit eben so viel Stolze bey sich, als ein Soldat sein Schwert oder seine Flinte; dahingegen in England die unwürdige Begegnung, die er von dem Pöbel würde auszustehen haben, ihn bald lehren würde, sich seiner Kunst zu schämen, und sein Instrument aus Furcht zurückzulassen.

Ich erhielt vom Sgr. Fabio eine genaue Nachricht von den Personen, die das große Opernorchester ausmachen: es sind achtzehn bey der ersten,[268] achtzehn bey der zweyten Geige, fünf bey dem Violon, und nur zwey bey dem Violonschell; welches, wie mir deucht, schlechte Wirkung thut, da der Violon durch ganz Italien so schlecht gespielt wird, daß er keinen musikalischern Ton hervorbringt, als ein Hammer oder dergleichen Handwerkszeug. Dieser Spieler, ein fetter, gutherziger Mann, hat sich durch sein beständiges Vorspielen bey einem so großen Orchester, eine etwas rauhe und harte Art zu spielen angewöhnt, und er schickt sich also besser zum Mitspielen im Orchester, als zum Solospielen. Doch sang er einige Buffo-Arien sehr schön, und begleitete sich selbst auf der Violine so meisterhaft, daß es beynahe eben die Wirkung that, als wenn ein ganz Musikchor gespielt hätte. Nach Tische accompagnirte ihn ein anderer verschiedene Solos von Giardini und andere Stücke.

Ich brachte den Nachmittag mit Barbella zu, der mir alle Materialien einhändigte, die er für mich hatte sammeln können, sowohl was die Geschichte der neapolitanischen Conservatorien, als auch Anekdoten von alten Komponisten und Spielern aus dieser Schule betraf: ausser diesen schrieb ich alle mündlichen Nachrichten von Musikern und musikalischen Sachen nieder, die er mir aus dem Gedächtnisse mittheilte. Während meines Besuchs hörte ich einige von seinen besten Schülern ein Solo von Giardini sehr geschickt spielen; er war der brillianteste Violinspieler, den ich in Neapel angetroffen habe.[269]

Nachdem ich meinen Lesern eine Nachricht von der musikalischen Unterhaltung gegeben habe, welche Neapel mir verschaffte, so hoffe ich die Erlaubniß zu haben, noch einige wenige Betrachtungen anzustellen, ehe ich diese Stadt verlasse, die man so lange Zeit für den Mittelpunkt der Harmonie und die Quelle angesehen hat, woraus sich musikalisches Genie, Geschmack und Gelehrsamkeit über ganz Europa ergossen; daß sogar diejenigen, welche selbst urtheilen können, dieß auf Treu und Glauben für wahr annehmen, und den Neapolitanern mehr Ruhm beylegen, als sie itzt verdienen, ungeachtet sie in vorigen Zeiten gegründeten Anspruch auf diesen Ruhm machen konnten.

Herrn de la Lande Nachricht von der Musik zu Neapel ist nichts weniger als genau, und man geräth in Versuchung zu glauben, daß er entweder nicht gehörig darauf achtete, oder daß er kein feines musikalisches Ohr hatte.

»Die Musik, sagt er, ist vorzüglich der Triumph der Neapolitaner; es scheint, als wenn das Trommelfell in diesem Lande schärfer gespannt, harmonischer und empfindlicher gegen die Töne wäre, als in dem übrigen Europa. Die ganze Nation singt, jede Gebärde und jede Biegung der Stimme, ja so gar die Prosodie ihrer Sylben im Umgange, sind voll Harmonie und Musik. Daher kömmt es, das Neapel die vornehmste Quelle der italianischen[270] Musik, großer Komponisten und vortrefflicher Opern ist.«113

Ich gebe gern zu, daß die Neapolitaner eine natürliche Anlage zur Musik haben: allein ich kann nimmermehr zugeben, daß ihre Stimmen biegsamer und ihre Sprache harmonischer sey, als die der übrigen Italiäner, da vielmehr gerade das Gegentheil wahr zu seyn scheint. Der Gesang in den Straßen ist weit weniger angenehm, obgleich originaler, als an andern Orten; und man behauptet durchgehends, daß die neapolitanische Sprache die barbarischte von allen Dialekten Italiens sey.114

Man muß freylich gestehen, daß das itzt emporkommende Geschlecht von neapolitanischen Musikern, ungeachtet es eigentlich weder Geschmack noch Delikatesse, noch Ausdruck hat, dennoch in seinen Kompositionen, was den Contrapunkt und[271] die Erfindung betrift, vortreflich ist. In ihrer Manier, sie auszuführen, herrscht ein Nachdruck und Feuer, dergleichen man vielleicht in der ganzen Welt nicht findet: sie ist so hitzig, daß sie beynahe zur Wuth übergeht; und diese Heftigkeit des Genies macht, daß ein neapolitanischer Komponist in einem Stücke, welches ruhig und in einem mässigem Feuer anfängt, das Orchester, ehe es geendigt ist, in Lichte Flammen setzt. D. Johnson sagt, daß Schakespear in der Tragödie allzeit der Gelegenheit etwas komisches anzubringen nachjagte; und die Neapolitaner können gleich muthigen Pferden den Zügel nicht leiden, und beschleunigen voller Unwillen ihren Lauf bis zur äussersten Schnelligkeit. Das Rührende und Anmuthige sucht man in den Conservatorien selten zu erreichen, und um die seinen ausgesuchten Manieren, wodurch einzelne Stellen nicht nur verändert, sondern auch verbessert werden, bemühen sich die meisten Spieler zu Neapel weniger, als in dem übrigen Italien.

91

S. Volkmann z.B. S. 29. ff.

92

Dieser Musik wegen bekommen die Conservatorien ihre Privilegien; und in Betracht dessen, daß die Knaben umsonst spielen, hat der König sie von allen Abgaben von Wein und Lebensmitteln befreyt, welche die übrigen Einwohner von Neapel bezahlen müssen.

93

Das Calascione ist ein zu Neapel sehr gewöhnliches Instrument. Es ist eine Art von Zither, aber bloß mit zwey Saiten, welche quintenweis gestimmt sind. Die Gebrüder Colla haben sich seit einiger Zeit in Deutschland damit hören lassen.

94

Ich erhielt nachher von guter Hand die genaue Jahrzahl ihrer Stiftung; ihre festgesetzten beständigen Gesetze, deren ein und dreyßig sind; und die Vorschrift, welche den Aufsehern alle Monate in Ansehung der Studien und Aufführung der Knaben gegeben wird.

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Das Wort Musico scheint itzt in Italien nichts als einen Discantisten oder Altisten zu bedeuten, dessen Stimme durch die Kunst erhalten worden.

96

Dieß ist bey den neuern Opern-Arien sehr selten, so sehr ist die Partitur und die Instrumentalbegleitung überladen. Auch Piccini wird beschuldigt, daß er die Instrumente so übermäßig beschäftigt, daß kein Notenschreiber in Italien eine von seinen Opern abschreiben will, ohne sich eine Zechine mehr bezahlen zu lassen, als er für jedes andern Komponisten Opern bekömmt. Allein bey den komischen Opern muß er gewöhnlich für schlechte Stimmen schreiben, und müssen die Instrumente also die beste Wirkung thun; und freylich kömmt in dergleichen Dramen so viel Zank und Lärm vor, daß man sie nothwendig durch die Instrumente kräftig ausdrücken muß.

97

Ich erfuhr nachmals, daß Ballette bloß auf dem Theater S. Carlo, welches das Hoftheater ist, erlaubt sind.

98

Diese Nachricht mag vielleicht die Ehre der Musik schmälern, indem sie die Zweifler an ihrer Wundermacht vermehrt; doch zur Steuer der Wahrheit durfte ich sie nicht verhehlen.

99

Durante, der seit einigen Jahren todt ist, war lange Zeit Kapellmeister bey dem Conservatorium S. Onofrio. Ich hatte mir aus Rousseau's Schilderung von den Verdiensten dieses Komponisten die größte Idee gemacht; und sammlete während meiner Reise durch Italien eine große Menge seiner Kirchenmusiken. Herr Rousseau spricht in sehr starken Ausdrücken von ihm: »Durante est le plus grand Harmoniste de l'Italie, c'est à dire, du monde, Dict. de musique.«

100

Jomelli ward im September des vorigen Jahres von einem Schlagflusse befallen, ist aber, so viel man in Deutschland weiß, nach am Leben.

101

Dies ist ohne Zweifel, wie man mich versichert hat, die ehmals in Braunschweig so beliebte Sängerinn, Sgra Tozzi, deren zweyter Mann Herzogl. Brauns. Kapellmeister war. Ihr Familienname ist Bianchi.

102

Vgl. Volkmann. B. 3. S. 287. ff

103

Der vierte November wird eben so gefeyert, als der Namenstag der Königinn von Neapel und des Prinzen von Asturien.

104

Die Italiäner haben längst die kindischen Vorstellungen fliegender Götter und Göttinnen aufgegeben, worin die Franzosen so verliebt und worauf sie so stolz sind.

105

Wenn der spielenden Personen weniger sind, so müssen folglich auch der Kleidungen weniger seyn.

106

Voyage d'une François. Tom. VI. Volkmann B. 3. S. 157. f. Wo aber einiges verändert ist.

107

Herr Burney scheint in diesen Anmerkungen gegen Herrn de la Lande fast den Engländer und den Tonkünstler zu sehr zu verrathen. Es versteht sich daß in der Oper die übrigen schönen Künste der Musik einigermassen untergeordnet seyn müssen. Doch soll sie mehr allein herrschen, nicht der Unterstützung und Mitwirkung ihrer Schwestern ganz entbehren wollen. Vielmehr wird sie oftmals in weit schwächerem Lichte erscheinen, je weiter sie die Poesie, Pantomime, Tanzkunst und Mahlerey von sich entfernt hält. Wie viel Antheil jede von diesen Künsten an dem Ganzen einer Oper haben dürfe, welche mehr oder weniger zur Hauptwirkung beytragen müsse, zu welcher Zeit jede mitwirken könne, das hängt von der Fabel der Oper und von ihrer ganzen Anlage ab, und es zu bestimmen, dazu gehört ein feiner Kenner aller dieser Künste. Ein solcher Operndichter, der auch in einigem Grade Tonkünster, Dekoratör und Ballettmeister mit wäre, wer mit diesen Künstlern gemeinschaftlich arbeitete, und dessen Plan alsdenn gehörig ausgeführet würde, müßte uns, (deucht mir) eins der reizenden und prächtigsten Schauspiele geben, wodurch gerade die Sinnen, welche der Seele die meiste Nahrung geben, auf das angenehmste unterhalten würden. Vielleicht aber sind solcher Kenner zu waige, oder die Gelegenheit, ihre Gedanken durchgehends mit nötiger Vollkommenheit auszuführen, sind zu selten: und es ist um deswillen rathsamer, sich nur der Hülfe der Poesie und Pantomime zu bedienen, und die Tanzkunst und Mahlerey wegzulassen, weil ihre geschickte Vereinigung in der Anlage einer Oper sowohl, als in der Ausführung so schwer ist? Dieß scheint der Grund zu seyn, warum der Verfasser nebst andern, sich aus den Theaterverzierungen und dem Tanze so wenig machen. Allein schwer und verwerflich ist zweyerley. Herr de la Lande will unter der Maschinerey auch wohl nicht das Spielwerk magischer Dekorationen verstehen, das in Nicolini's so genannte Pantomimen gehört: mir deucht, man könne einen würdigen Gebrauch davon machen; wiewohl ich gern zugebe, daß er sparsam seyn müsse, wenn er gute Wirkung thun soll. Der Tanz in sofern er eine schöne Kunst ist, oder so wie Noverre und Angiolini ihn ausüben, ihre Ballette, welche einzelne Theile der Haupthandlung (oder auch Episoden, wenn sie nur die Hauptfabel hervorheben) vorstellen, die fest mit ihr verwebt sind, welche die Handlung fortführen, und so wie Poesie und Musik Leidenschaften schildern und erregen, ein solcher Tanz verträgt sich zu gut mit einer Feyerlichkeit, welche die Musik giebt. Er kann einem Schauspiele so viele Mannigfaltigkeit verschaffen, und wenn er in gehörigem Verhältnisse mit den übrigen Theilen desselben steht diese so sehr heben, daß die Wirkung des Ganzen nothwendig dabey ungemein gewinnen muß. – Ohne mich in eine Verteidigung der französischen ernsthaften Opern, oder gar ihrer Musik einzulassen, glaube ich auch, behaupten zu können, daß die italiänische Art von Choren leichten und dünnen Gewebes nicht gerade die einzige gute ist, und daß man auf wohl nach Beschaffenheit der Fabel stärker gearbeitete Chöre auf die Opernbühne bringen könnte, ohne eben Kirchenmusik zu liefern, und das Gedächtniß der Sänger zu stark anzugreifen.

Auch die Klage des Herrn de la Lande über die von der Musik unterdrückte Aktion scheint mir nur allzugegründet; es ist auch seine Klage nicht allein. Leute von Geschmack haben längst schon bemerkt, daß die izige künstliche Form der Arien, welche der Eitelkeit der Sänger ihren Ursprung zu danken hat, dem Ausdrucke des Affekts schade, und die gute Aktion fast unmöglich mache. Einige Wiederhohlung in der Aktion wird man dem Sänger bey einer Arie gern erlauben, denn die Vorzuge der Musik bedecken die Mängel der Aktion, und aus der Vereinigung des Gesanges, der Instrumentalmusik und Pantomime entstehet erst die abgezweckte Wirkung; allein bey solchen Ritornellen, Passagen, Cadenzen, und Dacapo's, als die neuern italiänischen Opern in ihren Arien haben, ist es unmöglich, wenn der Sänger nicht lieber ganz kalt und müßig seyn, oder sich überagiren will, nicht in langweilige Dehnungen und matte Wiederhohlungen einer und derselben Gesten zu verfallen. Der Sänger verweilt allzulange bey einem Gedanken, als daß der Vorrath der Aktion, wenn er auch den weisesten Gebrauch davon machte, nicht erschöpft werden sollte; Gesang und Aktion stehen auf diese Weise in einem gar zu übeln Verhältnisse, in zu großer Entfernung von einander, und der Ausdruck des Affekts muß unendlich viel schwächer werden, als er seyn könnte, wenn die Musik ihrem übertriebenen Putze etwas entsagte, und der Aktion Raum gäbe, mitzuwirken. Die großen Sänger in der ernsthaften Oper, welche der Verfasser auch als große Schauspieler anführt, würden in leztem Betrachte bey genauer Untersuchung schwerlich die Probe halten, sie würden wohl nur verhältnißweise gut seyn. Im Komischen ist es ein anders, denn da ists erlaubt, von der natürlichen Aktion zur Karrikatur überzugehen, und da ist auch die Musik nicht so mit Zierrathen überladen, und namentlich in der Serva Padrona am wenigsten. A.D.U.

108

Sgra. Gabrieli ist vor kurzer Zeit nach Petersburg gegangen, wo sie ausser freyer Wohnung und Tafel ein Gehalt von 6500 Rubeln bekömmt; Sgra. Teuber ist schon im vorigen Jahre, wie man nur erzählt hat, von Petersburg nach London gegangen.

109

Heidegger war vordem Unternehmer der Opern in London, zu der Zeit, als Händel daselbst blühete.

110

In seinen Werken befindet sich eine Abhandlung vom Schalle; sie sind unter dem Titel: Elementa Physicae auctore P.D. Johanne Maria de Torre, zu Neapel 1769 in 9 Bändern in Octav herausgekommen. Seine Geschichte des Vesuvs, welche zu Paris 1766. 8. aus dem Italiänischen ins Französische übersetzt worden, ist bekannt.

111

Diese Entdeckung ist nicht neu; Leuenhoeck soll schon kleine Glaskugeln in seinen Mikroscopen gebraucht haben. Baker in seinem erleichterten Mikroscop, (microscope made easy, welches auch ins Französische und zweymal ins Deutsche übersetzt worden) urtheilt zwar sehr verächtlich davon, und sagt: »Die Erfahrung hat gelehrt, daß sie so wenig Licht zulassen, und einen so kleinen Theil eines jeden Objekts zeigen, so schwer zu gebrauchen sind, und die Augen so sehr angreifen, daß ihre Kraft zu vergrößern aus Mangel der nöthigen Deutlichkeit, wohl mehr Irrthümer hervorbringen, als neue richtige Entdeckungen veranlassen mögte.« Doch so wahr dieß auch damals seyn mogte, als Baker schrieb, so scheint doch itzt der Padre de la Torre jedem Einwurfe gegen diese gläsernen Kügelchen durch die Art, wie er sie verfertigt und gebraucht, zuvor gekommen zu seyn.

112

Amphion bauete Theben, ich nur ein Haus.

113

Voyage d'une François. Tom. VI. (der deutschen Uebersetzung z.B.) Eben die Unrichtigkeit, womit Herr de la Lande hier von der Musik und Musikern spricht, herrscht durch sein ganzes Werk, und ist von dem deutschen Herausgeber nicht allemal berichtiget worden. Er rechnet Corelli und Galuppi unter die neapolitanischen Komponisten, da es doch bekannt genug ist, daß Corelli aus der römischen Schule war, und er selbst an einem andern Orte (Tom. 5.) sagt, daß Galuppi zu der venetianischen gehöre.

114

Ein hinlänglicher Beweis, daß die neapolitanische Sprache bloß ein Patois oder Provincialdialekt sey, liegt darin, daß sie bloß geredet wird, und daß die Eingebohrnen selbst, die eine gute Erziehung gehabt haben, niemals darin zu schreiben wagen. (Doch hat man eine neapolitanische Uebersetzung des Gierusallemme liberata von Tasso.)

Quelle:
Carl Burney's der Musik Doctors Tagebuch einer Musikalischen Reise. [Bd. I]: durch Frankreich und Italien, Hamburg 1772 [Nachdruck: Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise. Kassel 2003], S. 218-272.
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