[62] 15. Die dreizehn Brüder.

Ein armer Jäger hatte seit langem kein Wild erlegen können; Pulver und Blei waren verschossen, und eben wollte er mit der letzten Kugel seinem Leben ein Ende machen. Da flog über ihm etwas Schwerfälliges auf. Der Jäger läßt erschrocken sein Gewehr fallen, sieht hinauf und bemerkt hoch auf einem Baume ein riesengroßes Nest. Vielleicht sind Eier in dem Neste, dachte er und stieg hinauf. Und wirklich, vier riesengroße Eier fand er in dem Neste, so groß, daß er sie kaum tragen konnte. »Wie wird sich mein Weib freuen«, sagte er halblaut vor sich hin, steckte die Eier behutsam in seine Jagdtasche und stieg hinunter. »Zerstöre nicht, was du trägst«, hörte sich auf einmal der Jäger anrufen, »zerstöre nicht, und du wirst glücklich werden.« Dieß kam dem Jäger gerade nicht sehr gelegen, denn sein Weib und seine drei Kinder hatten schon lange nichts gegessen.

Da kommt ein Hase des Weges. Der Jäger reißt sein Gewehr herunter, zielt und es knallt und der Hase ist getroffen. Das machte den Jäger wieder zufrieden und die Eier konnten ungestört hinter dem Ofen ihren Platz einnehmen. Der Hasenbalg wird verkauft und dafür wieder etwas Pulver und Blei angeschafft. Doch es nützte wieder nichts, die Jägerei wollte und wollte durchaus nicht gehen, der alte erfahrene Schütze konnte kein Wild treffen und doch hatte sein Weib und seine Kinder nichts zu essen. Da, in der größten Noth bemerkt er wieder das Nest auf dem hohen Baume, er steigt hinauf und findet acht Eier darin. Frohes Herzens dankte[62] er Gott für die riesengroßen Eier, aber die verhängnisvollen Worte: »Zerstöre nicht«, hörte er wieder. Voll Verdruß stieg er hinunter, steckte die Eier ein und ging heim. Da läuft wieder ein Hase über den Weg, und der Schuß gelingt ihm. »Aha, so ist es«, sagte der Jäger zu sich, »da muß ich ja täglich hieher gehen, vielleicht werde ich glücklicher.« Des andern Tages findet der Jäger in dem Riesenneste nur ein Ei, aber es wird ihm besonders anempfohlen, das Ei ja nicht zu zerstören.

Drei Wochen waren seit dieser Zeit verflossen, der Jäger hatte der Eier ganz vergessen, und seine Jagden waren glücklich. Einmal sitzt er in seiner Stube und putzt sein Gewehr blank. Da kracht und knallt es auf einmal hinter dem Ofen, und ehe sich der Alte von seinem Schreck erholte, stunden dreizehn frische Kerle vor ihm. »Um Gottes Willen, was wollt ihr von mir haben?« sprach erschrocken der alte Jäger; »wenn ich das gewußt hätte, was in den Eiern verborgen gewesen, so wären sie gewiß hinter dem Ofen nicht liegen geblieben.« »Du hättest nicht gut gethan«, ließ sich der jüngste hören, »wir sind unser dreizehn, was können wir nicht vereint vollbringen? Gewiß, wir werden deiner nie vergessen, und dir die Wohlthat dereinst reichlich belohnen. Höre mich an: Der König braucht Krieger, er wird hart vom Feinde bedrängt, gehe hin, sage, was du weißt, und bitte für uns um Dienst in seinem Heere.« Lange bedurfte es, ehe sich der alte Weidmann von seinem Schrecken erholte, besonders das gebietende Wesen des jüngsten behagte ihm nicht. »Diesem jüngsten von euch müßt ihr alle gehorchen«, sagte der alte Jäger den übrigen zwölfen »er redet gescheit und hat gewiß mehr Verstand als wir alle.« Dann nahm er seinen Hut, hängte seine Büchse über die Achsel und eilte zum Könige. Der nahm sie gern auf, und ließ sie sogleich vor seinen Thron rufen. Der jüngste wurde auch von ihm als der tüchtigste erkannt und er machte ihn zum Hauptmann. Das verdroß aber die übrigen Brüder, sie beneideten ihn seiner Stelle wegen[63] und beschlossen, ihn zu vernichten. Gelegenheit bot sich ihnen bald dar. Unweit der Stadt lag eine Wiese, welche schon seit undenklicher Zeit nicht gemähet war. Man konnte sie aber auch nicht mähen, denn es kamen immer dreizehn Rosse dahergerannt und zertraten und zerstampften das Gras so sehr, daß man es nicht mehr brauchen konnte. Die dreizehn Brüder sollten nun diese Wiese abmähen. Sie unterzogen sich auch freudig der Aufgabe, weil sie dabei ihren Bruder zu vernichten dachten.

Als sie anfingen zu mähen, erschienen sogleich die dreizehn Pferde und wollten wieder ihre alte Wirtschaft treiben. »Fangen wir die Pferde«, sagte der jüngste zu seinen Brüdern, »jeder eines, es sind unser gerade auch dreizehn.« Er lief zuerst zu den Pferden, um eines zu fangen. Das gerade wollten die Brüder, denn sie glaubten, die Pferde würden ihn zerreißen, doch siehe, jedes Pferd ließ sich von ihm berühren und ward augenblicklich zahm. Wie das die übrigen sahen, liefen sie hin und jeder suchte sich ein Pferd heraus; jeder wollte das schönste haben, so daß dem jüngsten nur ein magerer Schimmel blieb. Der sprach: »Sei mit mir wohl zufrieden, Löwenzahn, denn ich werde dich, wenn du mir gehorchst, glücklich machen.« Unser Löwenzahn erstaunte ob der Sprache des Pferdes, es gab ihm einen Namen, den er nicht verdiente, und verhieß ihm Glück, wenn er ihm folge.

Als der König das Abenteuer vernommen hatte, bangte ihm auch vor Löwenzahn, und er sann nun selbst, wie er ihn verderben könne. Da erinnerte er sich seiner Braut, die ihm einst geraubt worden und schickte den Löwenzahn hin, mit dem Auftrage, sie zu holen.

Ganz seinem Pferde vertrauend, ritt Löwenzahn fort. Das Pferd wußte den Weg und auch die Mittel, wie die geraubte Königstocher zu erlösen sei. Eines Morgen ritten sie bei einem Teich vorbei; da lag ein Karpfen im Schlamme und konnte sich nicht helfen. Mitleidig hob ihn Löwenzahn[64] in's Wasser und der Karpfen verhieß, er wolle ihm auch einmal beistehn, wenn er in Noth sei. Er ritt weiter und fand einen Hund an einer Kette, die an einem Felsen angeschmiedet war. Auch diesen befreite er, und der Hund versprach, er wolle ihm dankbar sein. Auch einen Adler befreite er, und der machte ihm ein gleiches Versprechen. Endlich kamen sie bei der Zauberin an, diese hieß sie willkommen. Sie sperrte beide in den Schweinstall und gab ihnen Menschenfleisch zu essen. Das Pferd aß nichts und Löwenzahn auch nichts. Um nun die Königstochter zu erlösen, ward dem Löwenzahn aufgetragen, er müsse drei wüthende Pferde reiten. Das Pferd gab ihm seinen Sattel, der so schwer wurde, daß die Pferde daran zu schleppen hatten. Störrisch erhob sich das erste Pferd in die Lüfte, aber der Sattel ward ihm bald zu schwer und es mußte sich bald auf die Erde niederlassen. Da verwandelte es sich in einen Hasen und jagte davon. »Ach, wenn ich jetzt einen Hund da hätte«, sprach Löwenzahn, und augenblicklich sieht er einen Hund dem Hasen nachjagen und ihn auch bald einbringen. Löwenzahn nahm den Hasen dankbar an, und warf ihn der Zauberin vor die Füße. Des andern Tages ritt er ein noch wüthenderes Pferd, aber der Sattel ward auch diesem Pferde zu schwer, es ließ sich auf die Erde nieder und verwandelte sich in einen Vogel. Jetzt könnte mir der Adler gute Dienste leisten, dachte sich Löwenzahn, und bald nahet sich ein Adler, der ihm den Vogel bringt. Zähneknirschend nahm ihn die Zauberin. Und nun sollte Löwenzahn das dritte, das böseste Pferd reiten. Als er das Pferd besteigen wollte, schlich sich die Zauberin hinter ihn und wollte ihn mit einem Stäbchen berühren. Löwenzahn hatte es aber gleich bemerkt, riß ihr das Stäbchen aus der Hand und berührte sie selbst damit. Die Zauberin verwandelte sich in Stein, da hob das Pferd sich schnell in die Lüfte und siebenmal kreiste es herum. Dann verwandelte es sich in einen Fisch und verschwand im Meere. Jetzt that der Karpfen seine[65] Schuldigkeit. Er spie den Fisch an's Ufer und Löwenzahn schnitt ihm den Bauch auf, fand darin einen Schlüssel, sperrte das Zimmer auf, wo die Prinzessin gefangen saß und führte sie ihrem Bräutigam zu. Doch die Prinzessin wollte um keinen Preis den König heiraten. Sie habe ihr Brautkleid bei einem Zauberer, und das müsse sie erst haben. Löwenzahn wurde darnach ausgeschickt, und nach vielen Gefahren brachte er der Prinzessin eine verschlossene Kiste. »Ich habe aber keinen Schlüssel«, sagte die Prinzessin, und Löwenzahn mußte wieder aushelfen. Er brachte auch den Schlüssel. Doch wie erstaunten der König und auch Löwenzahn, als sie den Inhalt der Kiste sahen: nichts anderes als ein altes Schwert. Ihr Erstaunen stieg noch höher, als die Prinzessin beide niederknieen hieß und sie köpfen wollte. »Derjenige«, sagte sie, »der ein edles Blut hat, wird wieder lebendig.« Löwenzahn hatte nichts zu verlieren und kniete nieder, der König jedoch wollte sich unter keiner Bedingung dazu verstehen, und nur die Uberzeugung, daß in seinen Adern edles Blut rolle, vermochte ihn endlich sich köpfen zu lassen – und siehe, Löwenzahn wurde lebendig und der König blieb für immer tot. Darauf heiratete die Prinzessin den Löwenzahn und das Volk begrüßte ihn freudig als seinen König, denn alle hatten ihn lieb, und es gab wohl nur zwölf Herzen im Lande, die ihm das Glück mißgönnten.

Seine zwölf Brüder beneideten ihn seines Glückes wegen. Auch jetzt ruhten sie nicht und suchten ihn zu verderben, obgleich alle eine hohe Stellung im Lande eingenommen hatten. Sie bestachen mit vielem Gelde eine Hexe, und diese bezauberte den König auf einer Jagd. Groß war der Schmerz der Königin, als sie erfuhr, ihr Gemahl sei auf der Jagd auf einmal verschwunden. Die ganze Stadt trauerte um den König. Die Brüder hingegen waren froh, des lästigen Bruders los zu sein, und einer erkühnte sich sogar, um die Königin zu freien. Diese jedoch hatte ihre Bosheit geahnet, sie wurden[66] aller ihrer Würden entsetzt und mußten sich flüchten. Vorher aber wollten sie noch den weißen Schimmel, der den König aus so vielen Gefahren errettet hatte, stehlen und tot schlagen, doch das Pferd machte einen solchen Lärm, daß die Leute wach wurden und das Pferd noch retten konnten. Die Königin fütterte es mit eigener Hand, und erfuhr nun von ihm, daß der König nicht tot, sondern verzaubert sei. Darauf besteigt die Königin das Pferd, und fort geht es im Galopp. Unterwegs wünschte das Pferd, sie müsse das Erste, woran sie Wohlgefallen finde, fangen. In einem Walde gelang es ihr, eine Nachtigall zu fangen, die ihr besonders gefiel. Dann setzte sich die Königin wieder aufs Pferd und ritt weiter. Als sie einen Brunnen erreichte, mußte sie die Nachtigall dreimal untertauchen. Höllische Gestalten guckten heraus, und drohten sie zu verschlingen, doch die Königin ließ sich nicht irren, und als sie zum dritten Male die Nachtigall mit Wasser bespritzte, stand der König ihr Gemahl vor ihr und dankte ihr freudig für seine Erlösung. Beide setzten sich nun auf das treue Pferd und fort ging's der Heimat zu. Jubelnd begrüßte sie das Volk und die schwarzen Trauertücher mußten den rothen weichen.

Die zwölf Brüder entgingen aber der verdienten Strafe nicht. Als sie erfuhren, daß der König lebe, setzten sie sich zu Pferde und verließen eiligst die Stadt. Der König aber reitet ihnen nach und findet sie gerade beim Feuer sitzen, das Nachtmahl kochend. Er wirft sein Stäbchen, das er bei der Zauberin erbeutet hatte, in das Feuer und es erwuchs ein Felsen daraus, der Mann und Roß unter sich begrub. Dann ritt der König vergnügt nach Hause, feierte noch einmal die Hochzeit und lebte glücklich bis an sein Ende.

Der alte Jäger lebte auch noch und wurde in hohen Ehren gehalten. Er vermählte seine Tochter mit dem Sohne des Königs, und bei der Hochzeit ward diese Geschichte in eine Kanone geladen und bis hieher geschossen.[67]

Quelle:
Vernaleken, Theodor: Kinder- und Hausmärchen dem Volke treu nacherzählt. 3.Auflage, Wien/Leipzig, 1896 (Nachdruck Hildesheim: Olms, 1980), S. 62-68.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Paoli, Betty

Gedichte

Gedichte

Diese Ausgabe fasst die vier lyrischen Sammelausgaben zu Lebzeiten, »Gedichte« (1841), »Neue Gedichte« (1850), »Lyrisches und Episches« (1855) und »Neueste Gedichte« (1870) zusammen. »Letzte Gedichte« (1895) aus dem Nachlaß vervollständigen diese Sammlung.

278 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon