5. Die schlechte Frau und die gute Frau.

[78] Sineddur (von der wir vorher gehört haben,) wandte sich an den Sultan, ihren Schwiegervater, und sprach zu ihm: »O König, die Leute sagen, die Frauen seien alle schlecht; und doch sind die Frauen nicht alle üb er ein: da giebt es auch eine gute und eine böse Art!« (Hierauf erzählte Sineddur folgende zwei Geschichten:) Von unsrem Herrn Salomo (so begann Sineddur die erste Geschichte) verlangte einst unsre Herrin Bilkis, er solle ihr einen Pavillon aus Vogeleiern bauen lassen. Salomo beschied die Vögel zu sich; dieselben erschienen. Nur die Eule und der Sperling wollten nicht kommen. Salomo sandte nach ihnen und liess sie mit Gewalt herbeibringen. Er fragte beide: »Warum kommt ihr nicht?« Die Eule blickte Salomo an und sprach zu ihm: »Ich habe Widerwillen, mit Weibern zusammenzutreffen! Wegen der Verkehrtheit[78] der Frauen habe ich mich einsam auf den Gipfeln der Berge eingenistet und schreie.« Salomo fragte: »Was ist der Grund dieses Widerwillens?« Die Eule begann nun folgendermassen zu erzählen:

Es war ein Haus, und ich nistete auf demselben schon gegen vierzig Jahre, wie vordem mein Vater und Ahn. Und in diesem Hause, auf dem ich wohnte, lebten zwei verheiratete Brüder; der eine von ihnen besass ein Mädchen, der andre einen Knaben. Als dieselben der Kindheit entwachsen waren, da verheirateten die Eltern beide mit einander. Dann starben ihre Eltern, und jene blieben in treuer Liebe allein übrig. Einst blickte der junge Mann seine Frau an und sprach zu ihr: »Wir wollen uns gegenseitig ein Versprechen geben: wenn ich sterbe, dann sollst du keinen Mann wieder heiraten, und wenn du zuerst sterben solltest, so soll ich keine Frau wieder heiraten!« Die Frau entgegnete: »Gott befohlen!« Beide gaben sich demgemäss dies Versprechen. Sie lebten noch längere Zeit, dann starb der Mann, und die Frau blieb allein übrig. Man nahm und begrub jenen. Sie weinte und klagte und trauerte über seinen Tod; sie errichtete über seinem Grabe ein Zelt und äusserte: »Ich werde hier weilen, bis mich der Tod mit ihm vereint!« In jener Stadt aber befand sich ein Räuber, der stahl die ganze Stadt aus, ja sogar aus dem Palaste des Sultan entblödete er sich nicht zu stehlen. Der Sultan verzweifelte schier, ihn einfangen zu können; er wandte sich an seinen Wesir und sprach zu ihm: »Wesir, ich habe dich nur deshalb in deine Stellung eingesetzt, damit du mich in allen Dingen zufriedenstellest. Wenn du,« fuhr er fort, »mir diesen Räuber nicht morgen herbringst, lebendig oder tot, so lasse ich dich hinrichten!« Der Wesir verliess den Gerichtssaal voll trauriger Gedanken und sprach zu sich: »Die Wächter und die Truppen haben sich jenem Diebe gegenüber machtlos gezeigt, wie kann ich ihn da einbringen?« So wanderte er denn in Gedanken vertieft umher, ritt schliesslich auf seinem Pferde aus dem Stadtthore hinaus und auf einen Friedhof los; daselbst erblickte er ein Zelt, das dort errichtet war. Erstieg vom Pferde ab und begab sich hin, um in das Zelt zu gucken. Als er nun hineinguckte, erblickte er eine Frau. Er prallte zurück. Sie aber sah ihn an und rief ihm zu: »Komm doch her! Was hast du?« Er entgegnete: »Ich erblickte ein weibliches Wesen und zog mich zurück.« Sie versetzte: »Ach, das thut weiter nichts; nimm nur hier Platz!« Er nahm neben ihr Platz. Sie sah, dass er[79] bekümmert war und sprach zu ihm: »Was fehlt dir?« Er entgegnete: »Lass mich! Heute noch kann ich leben und morgen muss ich sterben!« Sie fragte ihn: »Warum?« Er entgegnete: »Der Sultan hat an mich eine Anforderung gestellt, die mir nicht ins Herz hinein will!« Sie sprach: »Lass mich dir einen Rat geben! Was ist's mit dir?« Der Wesir erwiderte: »Es weilt ein Räuber in der Stadt, gegen den können sich die Bürger nicht schützen. Der Sultan hat mir nun gesagt: ›Entweder bringst du mir jenen her, oder ich lasse dir den Kopf abschneiden!‹« Die Frau erwiderte hierauf: »Nimmst du mich zur Gemahlin, wenn ich dir einen Rat gebe?« Der Wesir entgegnete: »Ich werde dich nehmen; gieb mir aber erst einen guten Rat!« Da sprach sie: »Hier im Grabe liegt mein Mann, mein Vetter, der ist seit einem halben Monat tot. Nun, den wollen wir aus dem Grabe hervorholen und ihm den Kopf herunterschneiden; dann sprich du zum Sultan: ›Hier ist der Kopf des Räubers!‹ –; der Sultan kennt jenen nicht!« Der Wesir blickte sie an und sprach zu ihr: »Der Dieb ist aber einäugig!« Sie entgegnete: »Warte nur, lass mich ihm ein Auge herausreissen und ihn einäugig machen!« Hiermit riss sie ihrem toten Gemahle ein Auge aus und machte ihn einäugig. Der Wesir nahm den Kopf, brachte ihn dem Sultan und sprach zu ihm: »Mein Herr, da ist der Kopf des Diebes!« Am folgenden Tage sandte die Frau an den Wesir und liess ihm sagen: »Du musst mich nun heiraten!« Der Wesir aber liess ihr antworten: »Wäre an dir etwas Gutes, so hättest du unmöglich deinen Vetter, den trauten Genossen deines Lebens, aus dem Grabe hervorholen und ihn seines Kopfes und eines Auges berauben können! Dein Vetter hat von dir nichts Gutes erfahren, wie sollte ich da von dir etwas Gutes erhoffen können! Such nur umher nach Herzenslust: vielleicht findest du ein paar Schwarze, die kannst du ja nehmen!«


Der Sperling wandte sich an die Eule und sprach zu ihr: »Halte nicht alle Frauen für gleich; da giebt es auch eine gute und eine böse Art!« (Er begann nun folgendermassen zu erzählen:)

Ich nistete auf einem Hause, wo schon Vater und Grossvater genistet hatten. Daselbst wohnte eine Frau, die war mit ihrem Vetter schon als Kind verheiratet worden. Da er sie sehr lieb hatte, liess er ihr Bild auf seine Schnupftabaksdose malen, damit er sie sähe, wenn er die Dose beim Schnupfen hervorzöge. Er war[80] ein Grosskaufmann; einst musste er eine Reise machen, drum nahm er Waaren und begab sich nach einer anderen Stadt, um dort zu handeln. Er gelangte nach jener Stadt, brachte seine Waaren in einem Laden unter und begann sein Geschäft, so wie er begehrte. In dieser Stadt waren aber viele Diebstähle vorgekommen, und es befand sich da eine Masse von Dieben und Räubern. Eines Tages stand er des Morgens auf, um in der Moschee zu beten; er meinte, der Tag sei schon weiter vorgeschritten, und es sei nicht mehr früh; da nahmen ihn die Nachtwächter fest und führten ihn vor den Richter. Der fragte ihn: »Was ist mit dir, mein Sohn?« Er entgegnete: »Ich bin ein Kaufmann und treibe Handel in meinem Laden.« Der Richter fragte weiter: »Was hat dich so früh aufstehen heissen?« Jener erwiderte: »Ich dachte, der Tag sei schon ein gutes Stück vorgeschritten, und der erste Gebetsruf sei vorüber.« Der Richter sah ihn an und sprach zu ihm: »Hast du nicht die Verordnung vernommen?« Der Kaufmann entgegnete: »Nein.« Da fuhr ihn der Richter an: »Du lügst, du bist ein Dieb und Diebessohn! Führt ihn ins Gefängnis!«

Als man ihn ins Gefängnis führte, da entfiel ihm seine Schnupftabaksdose; er tastete nach ihr umher, konnte sie aber nicht finden. Der Richter bekam sie zu Gesicht und brachte sie dem Sultan, um ihm das herrliche Bild zu zeigen. Der Sultan sah die Dose und begann die Einheit Gottes zu preisen; er blickte seinen Wesir an und befahl demselben: »Begieb dich zu dem Eigentümer dieser Dose und frage ihn, aus welcher Stadt er ist und wie er heisst!« Der Wesir begab sich ins Gefängnis und begann mit jenem auf eine freundliche Art und Weise zu sprechen und ihm Mut zu machen; er sagte zu ihm: »Wir werden uns für dich verwenden und deine Freilassung bewirken.« Dann fragte er ihn: »Aus welcher Stadt bist du?« Der Kaufmann entgegnete: »Aus der und der Stadt und ich wohne in dem und dem Viertel.« Hierauf verliess ihn der Wesir und begab sich zum Sultan, zu dem er sprach: »Ich habe jenen nach seiner Heimat befragt, und er hat mir mitgeteilt, aus welcher Stadt er stammt und in welchem Viertel er wohnt.« Der Sultan sprach: »Höre, Wesir! Ich wünsche, dass du ein Schiff mit Waaren befrachtest und nach jener Stadt, wo sich die Frau dieses Kaufmannes befindet, reisest; handle dort klug und umsichtig und bringe mir diese Frau!« Der Wesir entgegnete: »Gott befohlen! Der Befehl der Sultane heischt Gehorsam!«[81]

Der Sultan rüstete dem Wesir ein Schiff aus, und jener segelte ab. Er gelangte nach der Stadt, wo sich die Frau des Kaufmannes befand, kam in dem Hafen an, schaffte seine Waaren nach der Stadt, mietete einen Laden, brachte seine Waaren in diesem Laden unter und begann sein Geschäft wie die übrigen Leute. Schliesslich kam eines Tages eine alte Frau zu ihm: die kam um bei ihm zu kaufen; sie sah ihm an, dass er erst seit kurzem da war. Sie sprach zu ihm: »Hast du feine Zeuge, etwa die Stoffe ›Bostra‹, ›Bedrucktes‹ und ›Spinnewebe des Palastes‹?« Er entgegnete ihr: »Ja, das habe ich.« Er fragte: »Was willst du damit thun?« Sie entgegnete: »Ich habe bei mir ein kleines Waisenmädchen, das will ich ausstatten.« Er sprach: »Gott befohlen!« Er legte ihr Zeug vor und zeigte es ihr; er legte ihr für den Preis von vier bis fünf Tausend Piaster vor. Da rief sie: »Mein Herr, das ist viel zu viel; für mich; ich bin ein armes Weib und habe nicht soviel Geld!« Er entgegnete: »Nimm es alles umsonst von mir, und mit diesem Beutel voll fünfhundert Goldstücke thu' dir eine Güte! Besuche mich ja immer wieder, bleib nicht zu lange von mir fern!« Die Alte erwiderte ihm: »Gott befohlen!« Sie nahm die Sachen, kehrte frohen Mutes heim und brachte jene Gegenstände nach Hause. Sie merkte, dass jener etwas von ihr wünschte.

Am folgenden Tage begab sie sich wieder hin und sprach zu ihm: »Mein Herr, wünschest du, dass ich dir irgend etwas besorge?« Er entgegnete: »Kennst du das Haus von dem und dem?« Sie entgegnete ihm: »Ich kenne es.« Er sprach zu ihr: »Nimm dies Kästchen hier, bring es jener schönen Frau, und diese fünfhundert Goldstücke hier sollen für dich sein! Und sage jener Schönen die Worte: ›Ich möchte gern zwei Stündchen bei dir zubringen!‹« Die Alte entgegnete: »Gott befohlen!« Sie nahm das Kästchen und ihre fünfhundert Goldstücke und ging ab. Dann begab sie sich nach dem Hause der schönen Frau; sie klopfte an die Thür, da kam die Dienerin heraus und fragte: »Was willst du?« Die Alte erwiderte: »Geh zu deiner Herrin und sage ihr: ›Die Hebamme deiner Mutter möchte bei dir ein Stündchen verweilen!‹« Die Dienerin ging ins Haus zurück zu ihrer Herrin und berichtete ihr: »Die Hebamme deiner Mutter möchte ein Stündchen bei dir zubringen.« Hierauf trat die Alte ein, und die schöne Frau bewillkommte sie herzlich. Die Alte begann: »Du bist mein Töchterchen, ich habe deine Mutter schon aufgezogen und[82] dich auch, als du klein warst und auf meinem Schosse sassest.« Sie nahm neben der schönen Frau Platz, und diese liess ihr Kaffee kochen und Essen vorsetzen. Die Alte sprach zu ihr: »Herrin, du sendest mich doch nicht ohne Hoffnung wieder weg?« Die schöne Frau erwiderte: »Nur zu! Gott befohlen! Was du bedarfst, werde ich dir schon verschaffen!« Die Alte begann: »Ja, da ist ein reicher Kaufmann erst seit kurzem hier angekommen; der erkundigte sich nach deiner Wohnung und fragte nach dir; er sendet dir dieses Kästchen; das ist ein prächtiges Geschenk, das du (behalten musst und) mir nicht zurückgeben darfst!« Die schöne Frau empfing das Kästchen von der Alten und barg es in ihrer Truhe. Dann fragte sie die Alte: »Was beabsichtigt denn jener?« Diese erwiderte: »O, er will bloss zwei Stündchen bei dir verweilen!« Die schöne Frau sprach: »Nun gut, dann geh zu ihm und sage ihm, er solle zwei Stunden nach Sonnenuntergang kommen!« Der Wesir freute sich über diese Kunde, begab sich ins Bad, rasierte seinen Körper und sein Haupthaar und machte sich fix und fertig. Die schöne Frau hatte der Alten gesagt: »Wenn er das Haus nicht kennt, so zeig es ihm und geh dann, wohin du willst!« Als die Nacht einbrach, machte sich auch die schöne Frau fix und fertig und richtete eine Abendtafel her. Sie bedeutete die Dienerin und sprach zu ihr: »Wenn ein Kaufmann zu mir kommt, so lass ihn hier neben mir fünf oder zehn Minuten sitzen und poche dann tüchtig an die Thür; schleich dich hinaus vor die Thür und poche an dieselbe!«

Der Kaufmann kam, trat ein, und sie empfing ihn, sie bewillkommte ihn mit den Worten: »Sei gegrüsst! Willkommen! Segen hat uns aufgesucht!« Er entgegnete ihr: »Du bist der Ort des Segens!« Dann nahm er neben ihr Platz. Beide hatten eben erst begonnen, den ersten oder zweiten Bissen zu gemessen, da erdröhnte die Thür. Der Wesir blickte die schöne Frau an und fragte sie: »Wer ist das?« Da sprang sie auf, schlug auf die Schenkel und rief: »Wo verstecke ich dich jetzt?« Er fragte sie nochmals: »Wer ist's denn?« Sie antwortete: »Das ist der Bruder meines Mannes, der ist ein Mörder; jeden Tag kommt er so um diese Zeit, er giebt Obacht auf mich und auf das Haus seines Bruders!« Er fragte: »Was ist da zu thun?« Sie erwiderte: »Ich habe ein Kellerloch, in das werde ich dich hinablassen, und dort wirst du zehn oder fünfzehn Minuten verweilen müssen; wenn mein Schwager wieder fort ist, werde ich dich herauslassen!« Der Wesir entgegnete: »Gott[83] befohlen!« Nun machte sich die Frau nebst der Dienerin ans Werk, und beide hoben den Stein oben auf dem Kellerloche ab, banden den Wesir an ein Hanfseil und liessen ihn hinab in das Kellerloch; dort liessen sie ihn. Dann deckte sie wieder den Stein oben darauf und liess ihn da unten bis zum nächsten Morgen. Am nächsten Morgen öffnete sie wieder das Kellerloch, in dem sich jener befand, und rief hinab: »Wie geht dir's?« Er entgegnete: »Eine Ratte von der Grösse einer Katze und die Nässe hier machte meinen Geist verwirrt! Auch hatte ich garnichts zu essen,« fuhr er fort; »denn seit gestern Mittag habe ich nichts genossen!« Die Frau sprach: »Auf, Magd, bring jetzt die Wolle her!« Hierauf liess sie ihm Wolle, eine Karde und ein Laternchen hinunter, damit er ordentlich sehen könne, wenn er arbeitete. Sie rief ihm zu: »Wohlan, mein Junge, arbeite nach Herzenslust! Arbeitst du tüchtig, so sollst du tüchtig zu essen bekommen; arbeitest du aber wenig, so bekommst du wenig zu essen!« Er entgegnete: »Das war nicht die Beschäftigung meines Vaters und Grossvaters!« Sie entgegnete: »Ganz wie du willst! Wenn du ordentlich kardest, bekommst du zu essen; kardest du nicht, so kannst du verhungern!« Er entgegnete ihr: »Gieb her! Ich will arbeiten!« Sie liess ihm ein ordentliches Stück Brot hinab, acht Oliven und einen Milchnapf voll Wasser. Er begann die Wolle zu karden; seine Hände wurden mit Blasen bedeckt, da konnte er nicht tüchtig arbeiten, sondern nur wenig. Da liess sie ihm weniger Essen hinunter und gab ihm nur ein viertel Brot. Er kam beinahe vor Hunger um, der Arme; er umwickelte seine Hände mit Lappen und kardete die ganze Nacht hindurch.

Am folgenden Morgen sandte er ihr hinauf, was er fertig gemacht hatte. Sie fand, dass es die gewöhnliche Aufgabe überstieg. Da guckte sie hinunter zu ihm und rief ihm zu: »Wenn du viel arbeitest, gebe ich dir viel zu essen; arbeitest du aber wenig, so erhältst du nur viertel Ration!« Von nun an kardete er beständig gut und bekam gut zu essen.

Die Erzählung möge jetzt zum Sultan zurückkehren. Er wandte sich an seinen zweiten Wesir, der neben ihm sass, und sprach: »Der Wesir, den ich aussandte, bleibt recht lange aus; jetzt sind es schon drei oder vier Monate, und er ist noch nicht zurückgekommen!« Der zweite Wesir entgegnete: »Mein Herr, vielleicht hat ihm jene Frau gefallen, und er hat sie mitgenommen und ist mit ihr nach einer andern Stadt gezogen!« Der Sultan blickte auf und sprach:[84] »Da werde ich für dich ein Schiff befrachten, wie ich für jenen eines befrachtet habe; reise du ihm nach und ziehe Erkundigungen ein!« Der Wesir entgegnete: »Gott befohlen!« Hierauf beorderte der Sultan ein Schiff her, befrachtete es für den Wesir mit Waaren und gab ihm, was er an Geld nötig hatte; dann empfahl sich jener Gottes Schutz und reiste ab.

Er reiste übers Meer und gelangte nach jener Stadt. Daselbst eröffnete er einen Laden, wie der erste Wesir, und begann zu handeln. Im Verlaufe des dritten Tages kam die Alte zu ihm und sprach: »Guten Morgen, mein Herr! Du bist offenbar erst seit Kurzem hier; ich habe dich früher nicht in der Stadt gesehen!« Er entgegnete ihr: »Ja, ich bin erst seit drei Tagen hier.« Sie fragte ihn: »Hast du wohl Seidenzeuge, Ambra, Zibeth und Moschus?« Er entgegnete ihr: »Was du brauchst, das habe ich.« »Er legte ihr Waaren vor, damit sie sich dieselben ansähe.« Sie sprach zu ihm: »Mein Herr, dies ist viel zu viel für mich, ich habe nicht soviel Geld, um den Preis hierfür bezahlen zu können!« Er entgegnete: »Das soll ein Geschenk von mir sein, und diese zwei Beutel voll Goldstücke lass dir ebenfalls zu Gute kommen!« Sie nahm alles und ging damit nach Hause. Am folgenden Morgen begab sich die Alte wieder zu ihm und begann: »Mein Herr, du bist in dieser Stadt noch fremd, bedarfst du vielleicht irgend einer Sache? Was du nur wünschest, das soll dir werden!« Er entgegnete der Alten: »Kennst du das Haus von dem und dem?« Sie entgegnete ihm: »Das kenne ich sehr genau.« Der Wesir sprach: »Diese zehntausend Piaster hier schenke ich dir, und dieses Kästchen bringe der schönen Frau und sage zu ihr: ›Ein Fremder möchte gern zwei Stündchen bei dir verweilen!‹« Die Alte entgegnete dem Wesir: »Gott befohlen!« Sie nahm das Kästchen nebst dem Gelde, begab sich nach dem Hause der schönen Frau und klopfte an die Thür; die Magd antwortete: »Wer ist's?« Die Alte entgegnete: »Sag' deiner Herrin, die Hebamme ihrer Mutter sei da!« Die Magd begab sich zu ihrer Herrin. Dieselbe sprach: »Lass jene herein!« Die Alte trat ein; jene bewillkommte sie und sprach zu ihr: »Sei willkommen!« Die Alte gab ihr nun das Kästchen und begann: »Dies ist eine noch wertvollere Beute als das erste Mal!« Sie nahm das Kästchen, legte es zu dem ersten Kästchen in die Truhe und sprach: »Bring ihn her, wie vordem den anderen, eine Stunde oder anderthalbe Stunde nach Sonnenuntergang!«[85]

Der Wesir wartete also in seinem Laden; die Alte kam und sprach zu ihm: »Mein Herr, Gott hat alles leicht gemacht! Bleibe du,« fuhr sie fort, »hier auf deinem Platze, bis ich komme und dich hinbringe!« Der Wesir wartete, bis sie wiederkam; sie sprach zu ihm: »Komm!« Sie zeigte ihm jene Hausthür. Er fasste den Klopfer an, da fand er eine Magd dort warten; die sprach zu ihm: »Komm herein!« Er trat ein und fand alles fix und fertig. Er fand Lichter aufgesteckt und eine Tafel hergerichtet, und auf derselben alles, was getrunken und gegessen wird. Die schöne Frau wandte sich an den Wesir: »Mein Herr, nimm Platz! Wir wollen zu Abend speisen!« Beide begannen zu Abend zu speisen. Sie nahmen eben den ersten oder zweiten Bissen ein, da erdröhnte schon die Thür. Sie rief: »Ach, wo verstecke ich dich nun? Jetzt kommst weder du noch ich davon!« Der Wesir fragte: »Wer ist's?« Die schöne Frau erwiderte: »Der Bruder meines Mannes kommt gewöhnlich um diese Zeit!« Der Wesir sagte: »Wohin wirst du mich nun stecken? Wo wirst du mich verbergen?« Sie erwiderte ihm: »Ich habe da ein Kellerloch!« Dann rief sie die Magd her bei, beide hoben den Schlussstein weg, banden den Wesir an das Seil und liessen ihn hinunter und am Seile baumeln zwischen Himmel und Erde. Bald hatten sie ihn ganz hinunter gelassen.

Der erste Wesir sass unten und kardete; er merkte weiter nichts, als dass auf einmal ein Mann sich neben ihn hinstellte. Der zweite Wesir begann: »Was ist's mit dir?« Der erste entgegnete: »Was mit mir ist, ist auch mit dir los! Gott, der dich jetzt hierhergebracht hat, hat auch mich hierhergebracht!« Da erkannte der neuangekommene den alten und sprach zu ihm: »Ach, du bist's?« Jener entgegnete ihm: »Jawohl!« Der neue fragte: »Was thust du denn hier, arbeitest du hier?« Der alte entgegnete: »Freilich, ich arbeite hier nach Herzenslust!« Da erwiderte der neue: »Nun, Gott hat uns nicht von einander trennen wollen; wir waren zusammen im Wesiramt und jetzt sind wir zusammen im Kellerloche! Und werden wir schliesslich sterben müssen, so wird dies wohl auch zusammen geschehen!« Der neue nahm nun neben jenem im Kellerloche Platz. Der alte zog sein Abendessen hervor und begann zu essen. Der neue sprach zu ihm: »Gieb mir auch ein kleines Stückchen, denn seit gestern habe ich nichts genossen!« Der alte entgegnete: »Nein, mein Sohn, bei Gott, du wirst nichts hiervon zu essen bekommen; denn die Arbeit hier erfordert einen wohlgenährten[86] Körper!« Der alte verzehrte somit sein Abendbrot allein und gab seinem Amtsgenossen nichts; der musste ohne Abendbrot schlafen; dann, am Morgen, öffnete die schöne Frau das Kellerloch und liess Wolle hinab. Sie sprach zu dem neuangekommenen Wesir: »Arbeite du wie dein Kamerad, sonst giebt's nichts zu essen!« Beide begannen zu arbeiten; jener alte, der daran gewöhnt war, arbeitete mehr als verlangt war, drum liess ihm jene reichliche Kost hinunter; der neuangekommene konnte aber nur wenig fertig bringen, deshalb liess ihm die Frau nur viertel Ration hinunter. Er wandte sich an seinen Kameraden und sagte demselben: »Ich bin nicht satt geworden!« Der alte erwiderte: »Was soll ich für dich thun, soll ich etwa für dich arbeiten?« Da dachte der neue des Nachts nach und sprach zu sich: »Wenn es so ist, dass der, der tüchtig arbeitet, auch tüchtig zu essen bekommt, so werde ich heute Nacht nicht schlafen gehen, sondern ganz durcharbeiten!«

Lass sie jetzt in ihrer Arbeit unten im Kellerloche; die Erzählung möge sich wieder zum Sultan wenden! Der dachte nach und sprach zu sich: »Der zuerst abgesandte Wesir reist ab und kommt nicht wieder, ebenso der zweite: vielleicht haben sie die schöne Frau wirklich in ihrer Gewalt und streiten sich nun wegen derselben, oder sie sind mit ihr nach einer anderen Stadt gezogen. Ich muss ihnen nach!« Hierauf berief er einen von seinen Wesiren zu sich, den er als einen zuverlässigen Mann kannte, und sprach zu ihm: »Nimm du mir die Regierungsgeschäfte ab! Du weisst übrigens nicht, ob ich einen oder zwei Monate weg sein werde!« Der Sultan rüstete nun eine mächtige, königliche Schiffsladung aus, er nahm wertvolle Waaren mit sich, wie Seidenstoffe in allen Arten und Gestalten, natürlich auch eine Summe Geld. Dann empfahl er sich Gottes Schutz und reiste ab.

Er gelangte nach jener Stadt und ging vor Anker. Die Kaufleute der Stadt vernahmen, dass dieser Kaufmann eben neu angekommen sei; drum begaben sie sich auf sein Schiff, Messen ihn in ihrer Stadt willkommen und sprachen zu ihm: »Zeig' uns dein Waarenregister, mein Herr! Wir wollen dir die ganze Waarenladung hier abnehmen!« Er entgegnete: »Nein, ich will einen Laden eröffnen und selbst verkaufen; ich will nicht im Grossen verkaufen, sondern im Einzelnen.« So mietete er denn einen Laden und brachte seine Waaren in ihm unter. Im Verlaufe des dritten Tages kam die Alte, um zu kaufen, und erblickte ihn. Sie sprach zu ihm: »Hast[87] du schöne Stoffe, mein Herr?« Er entgegnete: »Ja, ich habe Sammet, indische Gazestoffe, alle Arten und Gestalten von Seidenzeug, ferner Kaschmir und silbergestickte Stoffe.« Hiermit schnitt er ihr von jenen kostbaren Stoffen zu, was ihr wohl genügen konnte, und gab ihr noch fünftausend Piaster. Die Alte sprach zu ihm: »Besten Dank, mein Herr; sage nur, mein Herr, was du wünschest! Ich werde es dir schon verschaffen können!« Er entgegnete ihr: »Bringe erst diese Dinge, nach deinem Hause und komm dann wieder zu mir; ich bedarf deiner!« Die Alte nahm die ihr geschenkten Sachen und ging nach Hause. Dann kam sie wieder zu ihm. Er fragte sie: »Kennst du das Haus von dem und dem?« Die Alte entgegnete: »Das kenne ich sehr genau!« Der Sultan sprach: »Dieses Kästchen voll Goldstücke und dies Kästchen voll Diamanten ist für sie bestimmt; diese schönen zehntausend Piaster hier aber sind deine Belohnung!«

Sie nahm alles und ging fort. Sie gelangte zum Hause jener schönen Frau und klopfte an die Thür. Die Magd fragte: »Wer ist's?« Die Alte entgegnete: »Geh zu deiner Herrin und sage ihr, die Hebamme ihrer Mutter sei gekommen!« Die Dienerin ging hinein und sagte ihrer Herrin Bescheid. Dieselbe sprach: »Lass die Alte herein!« Jene trat ein und begann: »Herrin, das ist eine noch reichere Beute als die beiden vorhergehenden Geschenke!« Die schöne Frau nahm die Kästchen und legte sie zu den übrigen in die Truhe. Dann sprach sie zur Alten: »Sage dem Fremden, er solle eine oder anderthalb Stunde nach Sonnenuntergang zu mir kommen!« Die Alte begab sich wieder zum Sultan und sprach zu ihm: »Mein Herr, eine Stunde oder anderthalbe Stunde nach Sonnenuntergang werde ich dich nach dem Hause jener schönen Frau geleiten.« Nach Sonnenuntergang kam demnach die Alte wieder und forderte ihn auf: »Mein Herr, komm mit!« Der Sultan schloss den Laden ab und ging ihr nach; endlich sprach sie: »Hier ist das Haus.« Man pochte an das Thor; die Magd kam heraus und sagte: »Tritt ein, mein Herr, sei gegrüsst!« Er trat ein und fand alles fix und fertig.

Die schöne Frau redete ihn an: »Willkommen, mein Herr! Segen ist bei uns eingezogen!« Der Sultan erwiderte: »Du bist der Ort des Segens, du Herrin, Fürstin!« Darauf sprach sie zu ihm: »Sei so gütig, mein Herr, und setze dich!« Sie befahl darauf der Dienerin: »Bring die Tafel her!« Jene brachte die Tafel. Die[88] beiden begannen zu essen; da ertönte plötzlich der Klopfer, und es pochte. Der Sultan rief: »Was ist das, Herrin?« Sie entgegnete: »Ach, wo soll ich dich hinstecken? Das ist der Bruder meines Gemahles, der pflegt um diese Zeit zu kommen; er ist ein Mörder, und vor ihm hast weder du noch ich Sicherheit!« Sie schlug sich in ihrer Angst auf ihre Schenkel und rief: »Was thue ich nun! Doch,« fuhr sie fort, »da habe ich ja das Kellerloch! Richtig, ich werde dich in dasselbe auf ein Stündchen hinunterlassen; wenn jener dann das ganze Haus durchsucht und niemanden gefunden hat (und wieder weggegangen ist), werde ich dich wieder herauslassen!« Der Sultan entgegnete: »Gut!« Sie befahl nun der Magd: »Bringe das Hanfseil!« Beide hoben sodann den Verschlussstein ab, banden dem Sultan das Seil um den Leib und liessen ihn hinunter.

Jene beiden Wesire kardeten eifrig unten und merkten eben bloss, dass ein Mann herunter gelassen wurde. Als er unten ankam, redeten sie ihn an: »Was ist's mit dir?« Er entgegnete: »Was ist's denn mit euch hier?« Da erkannten sie ihn, bewillkommten ihn und begrüssten ihn als Sultan. Sie sprachen zu ihm: »Dank sei Gott, der dich zu uns hergebracht hat! Wir sind deine Diener in dieser und in jener Welt! Wir waren deine Wesire in unsrer Heimat und jetzt sind wir deine Wesire im Kellerloch.« Der Sultan setzte sich zu ihnen hin. Als er dasass, kam das Abendbrot für jene herunter. Ein jeder von den beiden Wesiren nahm sein Abendbrot, um es in einem Winkel zu verzehren; der Sultan aber musste zugucken, denn sie luden ihn nicht zum Essen ein. Er sprach zu seinen Wesiren: »Ihr esst, und ich soll da zugucken?« Jene entgegneten: »Gewiss, Herr, so ist die Regel im Kellerloch: wer arbeitet, bekommt zu essen; wer nicht arbeitet, bekommt nichts zu essen!« Der arme Sultan hungerte die ganze Nacht hindurch. Am nächsten Morgen liess die schöne Frau den beiden alten Insassen die für sie bestimmte Wolle hinunter; da liess sie auch für den Neuangekommenen eine Karde und sein Teil Wolle hinunter. Die beiden sprachen zu ihm: »Karde mit uns, Herr, sonst bekommst du nichts zu essen und zu trinken!« Da rief der Sultan die Dienerin herbei und sprach zu ihr: »Rufe mir deine Herrin her, ich will sie sprechen!«

Die Herrin kam und fragte: »Was wünschest du?« Er entgegnete: »Meine Tochter, ich bin ein Sultan, und seit ich mein[89] Auge geöffnet habe, habe ich nicht gelernt, hart zu arbeiten oder hart zu beissen!« Da sprach die schöne Frau zu ihm:


»Wer sich verläuft, den führe nicht!

Den Blinden lass im Bangen!

Wer Russ mit seinen Händen mengt,

Schwärzt sich die eignen Wangen!«


Sie fuhr fort: »Hättest du es nicht selbst veranlasst, so hätte euch Gott nicht hierher gebracht! Sagt mir die Wahrheit: was hat euch eigentlich hierher geführt?« Der Sultan entgegnete: »Dein schönes Bild war es!« Jene fragte: »Woher kanntet ihr mein schönes Bild?« Der Sultan zog nun die Schnupftabaksdose hervor und sprach: »Das bist du auf dem Bilde!« Sie nahm ihm die Dose aus der Hand und rief: »Das ist ja die Dose meines Gemahles, der nun schon fast zwei Jahre fort ist!« Sie fuhr fort zum Sultan gewendet: »Sag' mir ja die ganze Wahrheit!« Der Sultan begann hierauf: »Meine Tochter, den Besitzer dieser Dose haben wir bedrängt mit Gewalt und Feindschaft. Er kam als Fremder in unsre Stadt, der Arme! In unsrer Stadt waren vorher viel Diebereien vorgekommen, und wir hatten verordnet: es sei den Bewohnern der Stadt nicht gestattet, Nachts auszugehen. Er wusste von dieser Verordnung nichts und ging einst zur Nachtzeit aus; da nahmen ihn die Nachtwächter fest und brachten ihn (vor den Richter); schliesslich warfen wir ihn ins Gefängnis. Als wir bei ihm jene Dose fanden, nahmen wir sie ihm ab und verliebten uns in dich; wir wünschten dich zu erlangen. Wir fragten ihn nun nach seiner Heimat und Wohnung; so kamen wir denn einer nach dem andern hierher; doch schliesslich stürzte Gott uns alle ins Verderben!«

Hierauf erwiderte die schöne Frau: »Ich wünsche deine und deiner Wesire Unterschrift und Siegelring; du musst mir einen Befehl an deine Wesire in deiner Heimat ausfertigen und in dem Briefe sagen: ›Wer mit diesem Briefe zu euch kommt, den lasset die Regierung führen, bis ich persönlich bei euch eintreffe!‹« »Ihr aber,« sprach sie zum Sultan und den beiden Wesiren, »sollt hierbleiben im Kellerloche, werdet aber gut zu essen und zu trinken bekommen und braucht nicht mehr zu arbeiten; wenn ich dann meinen Vetter hierher gebracht habe, werde ich euch freilassen!« Der Sultan fertigte ihr den Brief aus. Sie trug der Dienerin auf: »Lass jene im Kellerloche ja keinen Mangel leiden!« Dann bestieg sie ein Schiff und reiste ab. Sie gelangte nach jener Stadt, liess[90] das Schiff im Hafen und begab sich gradaus zum Schlosse und zum Sitzungssaale. Sie überreichte den Beamten ihre Vollmacht; jene küssten den Brief und ehrten ihn und sprachen: »Der Befehl der Könige heischt Gehorsam!«

Sie begann nun zu regieren. Sie liess den ersten, zweiten und dritten Tag vorübergehen, dann sandte sie ihre Befehle an die Wesire und sprach zu denselben: »Bringet sämtliche Gefangene her zu mir!« Man brachte sämtliche Gefangene vor sie. Sie schenkte allen die Freiheit; in bezug auf ihren Gemahl aber befahl sie: »Lasst ihn in der Gefangenschaft, führt ihn wieder in den Kerker zurück!« Sie liess nun die Nacht herankommen, da befahl sie ihren Beamten: »Bringt mir jetzt den Gefangenen, den wir im Kerker gelassen haben!« Man brachte ihn. Sie fragte ihn: »Was ist's mit dir, mein Sohn?« Er entgegnete: »So geht's nun einmal dem Fremdlinge!« Sie sagte zu ihm: »Nimm deine Güter und deine Waaren, lade sie auf ein Schiff und kehre heim! Ja,« fuhr sie fort, »ich werde dir einen meiner Schiffskapitäne zusenden; der wird dir deine Sachen verladen und dich in deine Heimat befördern!« Sie sandte an einen Schiffskapitän und befahl demselben: »Bringe diesen Mann mit seiner Habe in seine Heimat; und wenn es so weit ist, dass du den Anker lichten willst, so komm zu mir!« Der Schiffskapitän entgegnete: »Gott befohlen!« Der Kapitän machte sich reisefertig. Als er soweit war, den Anker zu lichten, begab er sich wieder zu ihr. Da sprach die schöne Frau zum Kapitän: »Ich werde heimlich mitreisen!« Dann brach die Nacht ein; da ging sie mit dem Kapitän nach dem Schiffe und befahl: »Spanne die Segel aus und lass das Schiff in See gehen!«

Bald gelangten sie wieder nach dem Hafen der Heimatstadt. Sie beorderte ein Boot her und sprach: »Ich will mich zuerst ausschiffen!« Man brachte ihr ein Boot; sie stieg in dasselbe hinab und begab sich gradaus nach ihrer Wohnung. Sie klopfte an die Thür, damit die Dienerin herauskäme. Die Magd guckte heraus; mein Gott, da sah sie ihre Herrin in Männerkleidern; sie sperrte den Mund auf und floh wieder ins Haus hinein. Die schöne Frau rief ihr zu: »Komm doch zu deiner Herrin, hab' keine Furcht!« Da kam die Dienerin wieder heran, machte die Thür auf und kicherte. Die schöne Frau trat ein, legte die Männerkleidung ab und zog ihre gewöhnlichen Weiberkleider wieder an. Unterdes verliess auch ihr Vetter das Schiff und lud seine Waaren aus. Da kam ihm seine[91] Frau entgegen, begrüsste ihn und sprach: »Mein Herr, ach, über diese lange Abwesenheit!« Er nahm neben ihr Platz, trank Kaffee und ruhte sich aus.

Seine Frau sprach zu ihm: »Lass mich schnupfen!« Erreichte ihr eine andre Dose. Sie fragte: »Wo ist die Dose mit meinem Bilde?« Er sah zu Boden und schwieg. Sie sprach: »Sage mir die Wahrheit! Wo ist deine Dose?« Er entgegnete: »Gutes Mädchen, die ist mir entwendet worden!« Sie fragte weiter: »Wer hat sie dir entwendet?« Er entgegnete: »Ich kam nach einer Stadt, da war der Herrscher ein Tyrann und die Beamten tyrannisch. Einst ging ich in der Nacht aus, ich vermeinte, es sei nicht mehr allzufrüher Morgen; plötzlich hielten mich die Nachtwächter an. Man warf mich ins Gefängnis und raubte mir daselbst meine Dose.« Die schöne Frau sprach nun: »Wenn jene Leute in deine Gewalt kommen, was wirst du über sie beschliessen?« »Kind,« entgegnete er, »jener Mann ist ein König! Wenn er Tyrannei ausübt, dann wird Gott ihn am Tage der Auferstehung bestrafen, am Tage, wo Gott Richter ist, und die Engel Zeugen sind!« Hierauf griff sie mit ihrer Hand in die Tasche und sprach zu ihrem Gemahle: »Ist das deine Dose?« Er entgegnete: »Was hat sie dir hierher gebracht?« Sie entgegnete: »Die, welche dich vergewaltigten, befinden sich in deiner Gewalt in sicherem Gewahrsam!« Er fragte: »Wo denn?« Sie antwortete: »Sieh her!« Damit nahm sie den Verschlussstein weg und öffnete das Kellerloch, liess jenen ein Seil hinab und rief ihnen zu: »Bindet euch an das Seil, ich will euch emporziehen!« Mittlerweile wandte sie sich an ihren Gemahl und sprach zu ihm: »Verstecke dich, bis alle drei heraus sind!« Sie zog sie herauf und brachte sie herein in das Zimmer. Während man nun dasass, kam plötzlich der Gemahl der schönen Frau zu ihnen herein und redete sie an: »Friede sei über euch!« Die drei erblickten ihn und kamen beinahe vor Angst um.

Jener trat näher heran; da begann der Sultan: »Verzeihung sollen edle Leute ausüben! Wenn du uns jetzt für unsere That bestrafen würdest, so könnte selbst Gott dich nicht zur Rechenschaft ziehen. Wir haben dich vergewaltigt und dir Böses gethan!« Da trat der Gemahl der schönen Frau näher heran und sprach zum Sultan: »Wenn Gott dir auch Macht gegeben hat über das Reich und das Leben der Menschen, so hat er dir doch keine Macht gegeben, über die Ehefrauen zu verfügen!« Der Sultan erwiderte:[92] »Mein Sohn, ich bereue aufrichtig! Verzeihe mir!« Hiermit stand der Sultan auf und eilte auf die Frau zu, küsste ihr das Haupt und sprach zu ihr: »Gott möge dich zu meiner Tochter in dieser und in jener Welt machen!« Dann zogen der Sultan und die Wesire die Schlüssel der Läden hervor, die sie gemietet hatten, und übergaben dieselben der schönen Frau. Sie sprachen zu ihr: »Alles dies ist dein rechtmässiger Besitz, und uns verwehrt; rechtmässiger (für dich) als Muttermilch (für den Säugling)!« Ferner fertigte ihr der Sultan einen Befehl aus, der daraufhin lautete, es solle ihr jedes Jahr eine Geldsumme von ihm zugesandt werden. Hierauf begleitete der Kaufmann die drei bis auf das Schiff, und sie wünschten ihm und ihr ein herzliches Lebewohl.

Quelle:
Stumme, Hans: Tunisische Märchen und Gedichte. Leipzig: Hinrich: 1893, S. 78-93.
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