10. Die Verwandlung.

[116] Es war einmal ein rechtgläubiger Mann, der empfand das Verlangen, nach Mekka zu pilgern, und wollte eben die Pilgerschaft antreten. Jener Mann war reich und besass zwei Krüge voll Goldstücke. Er sann nach, wo er dieselben wohl aufbewahren könne. Er hatte einen Freund, einen jüdischen Schneider. »Nun,« sprach der Gläubige bei sich, »ich will sie dem Juden zur Aufbewahrung geben.« Hiermit that er oben in den Hals der Krüge Schmalz, denn[116] er sagte sich: »Die Juden essen ja kein Schmalz; da wird mir der Jude, wenn ich ihm die Krüge gebe, nichts herausstehlen!« Somit gab er dem Juden diese Krüge zur Verwahrung und zog auf die Pilgerschaft.

Die Frau des Juden begann eines Tages das Haus zu scheuern; dabei schlug sie unabsichtlich an den einen Krug, sodass derselbe zerbrach. Nun fielen natürlich die Goldstücke aus dem Kruge und kollerten umher. Sie raffte dieselben zusammen, rief ihren Mann her und sprach zu demselben: »Komm her und sieh!« Jener kam, sah hin und fand Goldstücke daliegen. Da untersuchte er den anderen Krug ebenfalls und fand auch Goldstücke. Er nahm nun die beiden Krüge, die zerbrochen waren (und beseitigte sie), legte die Goldstücke in einen Kasten, kaufte sich zwei andre Krüge voll Schmalz und liess die in seinem Hause stehen. Schliesslich kehrte der Mekkapilger wieder heim. Derselbe verweilte bei sich daheim zwei oder drei Tage, dann begab er sich zu dem Juden. Er sprach zu letzterem: »Gieb mir die Gegenstände, die ich dir zum Aufheben gegeben hatte!« Da gab ihm der Jude jene beiden Krüge voll Schmalz. Der Mekkapilger nahm die beiden Krüge und schaffte sie nach Hause. Er besah sich den ersten Krug und griff mit der Hand in den Hals hinein, fand aber unten keine Goldstücke, Ärgerlich und aufgebracht kehrte er wieder zu dem Juden zurück und fuhr ihn an: »Wo sind meine beiden Krüge, die ich dir hergebracht hatte?« Der Jude sah ihn an und erwiderte: »Jene, die du mir gebracht, hast du doch wiederbekommen!« Der Pilger rief: »Meine Krüge waren voll Goldstücke; nur oben befand sich Schmalz, unten aber Goldstücke!« Der Jude entgegnete: »Nun, da haben sich deine Krüge eben verwandelt!« Jetzt wurde der Pilger noch mehr aufgebracht, und der Streit der beiden ward immer heftiger. Schliesslich begaben sie sich zum Sultan Harun Arraschid.

Der Mekkapilger begann vor dem Sultan: »Das Gesetz des Propheten spreche aus dir! Diesem Juden hier übergab ich zwei Krüge voll Goldstücke zur Verwahrung und pilgerte nach Mekka; als ich wieder zurückkehrte, fand ich Schmalz (statt Goldstücke)!« Der Jude aber blieb bei seiner Behauptung: »Sie haben sich vielleicht verwandelt.« Der Sultan entgegnete hierauf: »Gott, der gepriesen sei, hat allerdings Macht zu Allem! Geh wieder fort, mein Sohn, ich kann dir nicht Recht verschaffen!« Da ging der Pilger wieder heim, bekümmert wegen seines Geldes, das für ihn dahin[117] war; denn das Geld ist ein Stück von der Leber! Als er so in seinem Kummer einher ging, begegnete ihm Abu Nowas. Der sprach zu ihm: »Was ist's mit dir, Freund?« Der Pilger entgegnete: »Mein Geld hat ein Jude verschlungen!« Abu Nowas sprach: »Werde mit mir handelseinig, dann will ich dir schon dein Geld wiederverschaffen!« Der Mekkapilger erwiderte: »Ich werde dir zweihundert Goldstücke geben!« Abu Nowas entgegnete: »Einverstanden!«

Abu Nowas hatte nun einen Bekannten, einen Christen, der war Maler; er pflegte auch die Leute zu photographieren. Zu dem ging Abu Nowas und bat ihn: »Mache mir ein Bild von dem jüdischen Schneider!« Der Maler entgegnete: »Führe mich zu ihm und zeige ihn mir!« Abu Nowas führte den Christen, derselbe folgte ihm und erblickte richtig den Juden. Er photographierte schnell1 das Gesicht jenes Juden mit seinem Apparate, ging dann nach Hause und fertigte ein grosses Bild nach dem ersten an; er malte den Juden, wie er leibte und lebte, ohne Mängel und ohne unnötige Zuthaten. Dann liess er Abu Nowas sagen: »Das Bild des Juden ist fertig.« Abu Nowas liess den Mekkapilger rufen, brachte das Bild herbei und sprach: »Gefällt dir dies Bild?« Der Pilger entgegnete: »Es gefällt mir schon; aber was für eine Erleichterung bringt es mir? Wo ist mein Geld?« Abu Nowas erwiderte: »Warte nur! Kauf mir zunächst einen Affen!«

Der Pilger kaufte einen Affen. Abu Nowas nahm ihn her und stellte das Bild vor ihm auf; dann nahm er einen Stock und prügelte auf ihn los. Wenn nun dem Affen die Hiebe zu weh thaten, dann guckte er um sich, sah jenes Bild und floh hinter dasselbe. Sobald der Affe hinter das Bild geflohen war, prügelte ihn Abu Nowas nicht weiter, sondern liess ihn in Buhe. So wurde schliesslich der Affe dressiert: wenn ihn Abu Nowas schlagen wollte, dann floh er hinter das Bild. Abu Nowas wandte sich nun zu dem Mekkapilger und sprach zu ihm: »Geh' du jetzt wieder regelmässig zu dem Juden und schliesse wieder von neuem Freundschaft mit ihm! Bring' aber ihm gegenüber die Rede nicht weiter auf das Geld! Wenn er dir dann einmal passende Gelegenheit giebt, so stiehl seinen Sohn und bring' ihn hierher! Dann wird schon dein Geld wieder zu dir kommen!« Der Mekkapilger erwiderte: »Gut!« Er begab sich wieder zu dem Juden und begann wieder neben ihm zu sitzen und[118] bei ihm Kaffee zu trinken, wie es sonst immer der Fall gewesen war. Eines Tages hatte der Jude etwas zu besorgen; drum blickte er den Mekkapilger an und sprach zu ihm: »Gieb Achtung auf den kleinen Jungen da neben dir!« Dann ging er fort.

Der Pilger passte nun auf, bis jener verschwunden war; dann nahm er schnell den Kleinen unter die Achsel und eilte fort. Er schaffte den Knaben zu Abu Nowas; dieser aber gab ihm für denselben den Affen und sprach: »Geh jetzt wieder nach dem Laden des Juden, setze den Affen dahin, wo vordem der Junge sass; kaufe ferner ein halbes Brot und eine Unze Schmalz; (iss davon,) aber iss es nicht ganz auf, bevor der Jude kommt! Wenn er dich dann fragt: ›Wo ist mein Sohn?‹ (dann zeige auf den Affen) und sprich zu ihm: ›Da ist dein Sohn!‹ Wenn er dich fragt: ›Was ist's mit dem Jungen, ist er ein Affe geworden?‹ – dann sprich: ›Als ich das Schmalz und das Brot zu essen begann, da ass er auch mit und wurde verwandelt; denn Schmalz ist euch ja nach euren Religionssatzungen verboten; ihr esst ja doch nur frische Butter!‹«

Der Mekkapilger begab sich nun wieder nach seinem Platze (nach dem Laden des Juden), nahm ein halbes Brot und Schmalz mit und war noch mit dem Essen beschäftigt, als der Jude zurückkam. Der Jude blickte umher, konnte aber seinen Sohn nicht entdecken. Er blickte den Mekkapilger an und sprach zu ihm: »Wo ist mein Sohn?« Der Angeredete antwortete (indem er auf den Affen zeigte): »Da ist dein Sohn!« Der Jude erwiderte: »Beim lebendigen Gotte, was ist mit ihm? Mein Sohn ist ein Aff' geworden? Was soll das?« Der Pilger entgegnete: »Lieber Jude, der Junge begann, mit mir Brot und Schmalz zu essen, – Schmalz ist euch ja aber nach euren Religionsgesetzen verboten, – drum wurde er in einen Affen verwandelt!« Da begann der Jude zu schreien und begab sich in den Palast des Sultans Harun Arraschid, um Klage zu führen. Abu Nowas befand sich aber auch im Gerichtssaale. Der Jude brachte dem Herrscher seine Klage vor und begann: »Mein Herr, ich liess meinen Sohn neben dem Manne hier in meinem Laden zurück. Als ich wiederkam, fand ich statt des Knaben einen Affen!« Der Sultan blickte darauf den Mekkapilger an und sprach zu ihm: »Was hast du zu sagen?« Der Gefragte entgegnete: »Mein Herr, so ist's in der That! Er liess seinen Sohn neben mir zurück; ich kaufte mir darauf ein halbes Brötchen und eine Unze Schmalz. Ich[119] begann zu essen; da kam der Junge und ass auch mit; ich konnte ihm nicht schnell noch sagen: ›Iss nicht!‹ Er hatte aber höchstens einen oder zwei Bissen verzehrt, da veränderte sich schon seine Natur, und er wurde ein Affe!« Da sprach der Jude: »Nachdem unser Herr Jesus (!) auf Erden gewesen, ist keine Verwandlung mehr vorgekommen!« Der Sultan blickte den Juden an und sprach: »Das ist allerdings richtig, mein Sohn!«

Da wandte sich plötzlich Herr Abu Nowas an den Sultan und sprach zu ihm: »Mein Herr, wir wollen doch den Affen herholen lassen! Wenn der Affe dann den Juden erkennt und auf ihn zueilt und ihn umarmt, dann wird es sein Sohn sein! Wenn er aber nicht auf ihn zueilt und ihn nicht erkennt, dann ist es eben sein Sohn nicht!« Man holte nun den Affen und brachte ihn in den Gerichtssaal vor den Sultan und dessen Umgebung. Abu Nowas blickte auf und sprach: »Sämtliche Anwesende mögen sich von ihren Plätzen, wo sie jetzt sitzen, erheben! Auf wen nun der Affe, zueilt, der ist sein Vater!« Alle Anwesenden erhoben sich nun, und jeder stellte sich an eine Stelle (die Wand entlang). Hierauf blickte Abu Nowas den Affen mit einem grimmigen Blicke an, als ob er ihn durchprügeln wollte; der Affe aber sprang auf und geriet dem Juden an den Hals und umarmte denselben. Der Jude versuchte, den Affen von sich zu stossen, der Affe umhalste ihn aber immer von neuem und liess nicht von ihm los. Jetzt sprach der Sultan: »Wohlan, nimm deinen Sohn und bring ihn weg!« Der Jude blickte den Sultan an und sprach zu ihm: »Mein Herr, es giebt keine Verwandlungen mehr!« Da wandte sich plötzlich Abu Nowas an den Juden mit den Worten: »Hier ist deine schriftlich verbürgte Aussage über eine Verwandlung! Denn du hast früher selbst ausgesagt, die Goldstücke seien verwandelt und zu Schmalz geworden! Wenn Gott die Goldstücke verwandelt und zu Schmalz gemacht hat, so kann er auch einen Menschen verwandeln und zu einem Affen machen!« Hierauf bestätigte auch der Sultan: »Gewiss, wer Goldstücke verwandeln kann, der hat auch die Macht, einen Menschen zu verwandeln! Also fort mit dir, nimm deinen ›Sohn‹ und geh mit ihm heim!«

Der Jude nahm den Affen und begab sich nach Hause. Da holte ihn der Pilger auf der Strasse ein und sprach zu ihm: »Gieb hübsch Achtung auf den Affen! Was aber deinen Sohn betrifft, so befindet sich der bei mir, und ich stecke ihn in den Kerker und[120] lasse ihm täglich fünfhundert Hiebe aufzählen und peinige ihn sonst noch weiter, wenn du mir nicht meine beiden Krüge mit den Goldstücken zurückgiebst, an denen auch nicht ein Heller fehlen darf! Und ich werde deinem Sohn aus seinem Körper Fleisch schneiden und das braten und ihm zu essen geben!« Da beeilte sich der Jude, obwohl es seiner Leber nicht leicht anging, und gab dem Mekkapilger sein Gold zurück, und letzterer gab ihm seinen Sohn.

1

Natürlich machen die Momentphotographen auch Tunis unsicher.

Quelle:
Stumme, Hans: Tunisische Märchen und Gedichte. Leipzig: Hinrich: 1893, S. 116-121.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Aristoteles

Physik

Physik

Der Schluß vom Allgemeinen auf das Besondere, vom Prinzipiellen zum Indiviudellen ist der Kern der naturphilosophischen Lehrschrift über die Grundlagen unserer Begrifflichkeit von Raum, Zeit, Bewegung und Ursache. »Nennen doch die Kinder zunächst alle Männer Vater und alle Frauen Mutter und lernen erst später zu unterscheiden.«

158 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon