Held Burk.[94] 56

1. Es war einmal ein wunderbarer Derwisch,

Der göttlichen Begeisterung rüst'ger Held.


2. Stets blieb er auf dem rechten Pfad des Glaubens,

Ein Wegeweiser auf der Frommen Weg.


3. Burk ward er unter unserm Volk geheissen,

Auf schlechtem Wege sah ihn Niemand je.


4. Mit Leib und Seele dem Allmächt'gen eigen.

Blieb stets der treue Mann auf Gottes Bahn.


5. Tief tauchte er in's Meer der Gottesliebe.

Verachtete das eitle Thun der Welt.


6. All' Hab und Gut und seine ganze Würde

Gab er den Flammen preis und lebte Gott,


7. Bald fand er auch den Demant seines Wunsches.

Fürwahr, er gab sein ganzes Gut dahin.


8. Er flehte Tag und Nacht zu dem Allmächt'gen,

In fester Einheit57 diente er dem Herrn.


9. Ununterbrochen leerte er den Becher

Der Gottesliebe, Zählte hundert Jahr.


10. So seinem Volke fern, kam Gott er näher,

An dessen Schwelle lag er Tag und Nacht.


11. Inbrünstig flehte er aus tiefstem Herzen

Zu seinem Herrn, ihm klagend Leid und Not.
[94]

12. Gott pflegte stets auch gnädig zu erhören

Sein Beten und erfüllte seinen Wunsch.


13. Zu keiner Zeit hat ihm der Weltenherrscher

Betrübt sein gottergebenes Gemüt.


14. Den Namen Gottes rief er manchmal, stürzte

Alsdann zu Boden und verlor die Sinn'.


15. Bald kam er wieder zu sich, rief von neuem

Den Namen Gottes, oder seufzte tief.


16. In grosser Unordnung war dann sein Reden,

Und oft verliess ihn die Bescheidenheit.


17. Mit Gott war stets er im Gespräch, zu seinem,

Des Höchsten Lob, war immer er bereit.


18. Mit Gott allein verkehrte dieser Heil'ge,

Ihn liebt allein er unerschütterlich.


19. Daher auch, was er je von ihm erflehte,

Es wurde ohne Weit'res gleich gewährt.


20. So pflegt er Jahre lang das Wort zu führen,

Gott wurde seiner überdrüssig nie.


21. Nie wurde seine heilge Lust gebrochen,

Nie trübte sich sein Seelenspiegel je.


22. So fest vereinigt lebten sie zusammen,

Denn reichlich Gottes Gnade er genoss.


23. Sehr oft erging an ihn aus reiner Liebe

Von Gott der Ruf: »Mein treuer Diener Burk«,


24. »Was wünschest du mein Günstling? Deine Bitte

Trag' vor, du weisst, sie wird dir gern erfüllt.«


25. Und Burk antwortete: »O du Allew'ger!

Unendlich gross und gnädig bist du Herr!«
[95]

26. Da eines Tag's gefiel es Gott zu sagen:

»Nun, Derwisch, achte wohl jetzt auf mein Wort!«


27. »Durch vierzig Tage sollst du jetzt vollstrecken,

Was ich befehle, ohne Widerspruch.


28. Dafür erfüll' auch ich dir dein Verlangen,

Jedweder Wunsch soll gern gewährt dir sein.« –


29. Burk sagte: »Ach du Herrscher beider Welten,

Mit Leib und Seele, Herr, gehör' ich dir.«


30. »Was immer du befiehlst, ich will es thuen

Aus vollem Herzen, feuchten Aug's und nackt,«


31. »Hältst du zu einem Dienste mich nur würdig

So will ich ihn mit wahrer Lust erfüll'n.« –


32. Und so vollbrachte der begabte Derwisch

Auch wirklich vierzig Tage seinen Dienst.


33. Er meldete sodann dem Allerhöchsten,

Dass er vollbracht, was ihm befohlen sei.


34. Und sagte: »Eingelöst ist mein Versprechen;

Was immer du befiehlst, – du bist der Herr!«


35. Und Gott: »Verlange, was dein Herz begehret,

Es sei gewährt, sofern es möglich ist.« –


36. Und Burk erhob sich, seufzt aus tiefster Seele,

Der schweren Klage Laut zum Himmel stieg.


37. »Warum hast du so tief geseufzt, dass Sonne

Und Mond von deines Kummers Rauch umwölkt?«


38. Frug Gott, »Was ist dein Wunsch? Lass' mich es wissen,

Was liegt am Herzen dir? Komm, sag' es mir!« –


39. »O Gnädiger, in Ewigkeit Allmächt'ger,«

Ruft unser Held jetzt ganz verstörten Sinn's,
[96]

40. »Ich schäme mich die Stimme zu erheben,

Mein Bitten vorzubringen wag' ich nicht.«


41. Und der allgüt'ge Schöpfer sprach: »Divane,

Lass das Erröten sein und rede frei,«


42. »Sei diesmal ohne Sorge, denn was immer

Du sagst und bittest, soll gewährt dir sein.«


43. Und Burk sprach: »Meines Herzens heisses Flehen

Und meiner Seele wahr' Verlangen ist:


44. Du mögest deine Hölle jetzt zertrümmern,

Dem Staub, dem Wind gieb ihre Asche preis.


45. Vernichte sie, du ewig Makelloser,

Dass frei die Welt von dieser Marter sei.


46. Erfülle diesen meinen Wunsch! Verweig're

Ihn nicht! Gedenke was du mir versprachst.


47. Zeig' deine Allmacht, Mächt'ger und zerstöre

Die Hölle jetzt, o grösster Padischah!58


48. Jch habe meine Bitte vorgetragen –

Jetzt halt' auch du dein Wort, o Herr der Welt!« –


49. Da sagt der allerhöchste Herrscher, welcher

Der Firmamente Meisterwerk gebaut:


50. »Wenn meine Hölle ich zertrümmern wollte,

Dem Staub, dem Wind gab' ihre Asche preis,


51. So würde Niemand mir gehorsam bleiben,

Anbetend Niemand unterthänig sein.


52. Verlange nicht Erfüllung solcher Bitte

Lass ab von diesem Wunsch. Gehorche mir!« –


53. Tief kränkten diese Worte den Divane,

Ein heisses Mitleid lohte in ihm auf.
[97]

54. So stand er schmollend, abgekehrt sein Antlitz,

Setzt nieder sich zur Kible59 hingewandt.


55. Er sprach: »O Gott, du hast dein Wort gebrochen,

Ein eitler Wahn war unsre Freundschaft nur.


56. Geendet hab' ich heute mit der Freundschaft

Wir beide sind getrennt auf immerdar!« –


57. Wild loderte der Schmerz in seiner Seele;

Er seufzt', und badete sein Herz in Blut.


58. Den Engel Gabriel rief der Allmächt'ge

Und sprach: »Zu meinem Helden eile hin.


59. Mein Freund verliess im Zorn mich und zerrissen

Hat heute er der alten Freundschaft Band.


60. Versöhne wieder mich mit meinem Freunde;

Mein Freund ist aufgebracht, beschwicht'ge ihn.


61. Zusammenstürzen alle meine Himmel,

Schon bitt're Thränen weint der Engel Chor,


62. Die Erde bebt in allen sieben Schichten,

Der Lärm hat alle Lüfte schon erfüllt.


63. Als wollt' in Trümmer gehn der höchste Himmel,

Der Welten Kuppel einzustürzen droht.


64. In allen Horizonten tönt Gewinsel,

Peris und Huris60 stimmen Klagen an.


65. Die Engel schluchzen laut an meiner Schwelle,

Ich höre Weinen nur vom höchsten Thron.


66. Von Zank und Hader sind erfüllt die Lüfte,

Und Stein und Hügel, Berg' und Thäler voll.


67. Es weinen auf der Erde Tier' und Vögel,

Ameise, Schlange, Panther, Löw' im Wald.
[98]

68. So gehe schnell denn hin zu meinem Freunde

Und bringe meinen vollen Segen ihm!« –


69. Und Gabriel, zu Moses eilend, sagte:

»Dir sendet Allah seinen Gruss und dies:


70. Mit Burk war ich befreundet manche Jahre,

Doch traf ihn heut von mir ein grosses Leid.


71. So stelle zwischen mir und ihm den Frieden

Nun wieder her und mache froh sein Herz!« –


72. Und Moses ging die Botschaft auszurichten.

Er überbracht' der Freundschaft Becher ihm


73. Und sprach: »Du hochbegabter, edler Derwisch!

Durch Gott ist heute dein Gemüt betrübt.


74. Entferne diesen Gram aus deinem Herzen,

Der Freundschaft Trümmer bau' von Neuem auf.«


75. Und Burk darauf: »O Moses, du Wegweiser,

Der sein Geheimnis kund gethan der Welt,


76. Zerstören soll die Höll' der Makellose,

Sonst bleib' ich unversöhnt und aufgebracht.


77. Viel habe ich für meinen Freund erduldet;

Es ist die Hölle nur, was ich verlang'.


78. Er schlage seine Hölle so in Trümmer,

Dass auch kein Funke von ihr übrig bleibt.


79. Dies ist mein Sehnen bis zum jüngsten Tage,

Nichts nehme ich von meinem Wunsch zurück.


80. Ich weiss gewiss, nicht falsch ist sein Versprechen,

Ich weiss, dass hoffnungslos er keinen macht.


81. Und wollte meinen Wunsch er nicht erhören,

Sollt' seine Hölle nicht in Trümmer geh'n,
[99]

82. So will ich nie mehr mit ihm Frieden machen.

Dies ist mein letztes Wort. Und damit gut!«


83. So klagt er bitter über seinen Herren

Und schalt, wie es ihm auf die Zunge kam:


84. »Mit unsrer Freundschaft ist es nun zu Ende,

Die Jahre lang gedauert, sie ist hin!


85. Mein Bitten hast du mir doch nicht gewähret,

Mein treues Herz, du hast es nicht erfreut.


86. Was hätte es geschadet, wenn du's thatest,

Dein Volk du von der Höllenqual befreist?


87. Ein wahrer Freund erfüllt des Freund's Begehren,

Und alle Sünden er vergeben kann.


88. Ein Bettler, habe ich mein Wort gehalten,

Und du, ein König, sollst wortbrüchig sein?


89. Nicht ziemet deiner Majestät solch' Handeln

Und treulos heisst, wer uns das Wort nicht hält.


90. O Allah, ferne ist dir Wort und Treubruch!

Nun zeige deine Macht, Allmächt'ger du.


91. Zeig' allen Welten klar dein göttlich Können

Und stehe heute deinem Diener bei.


92. Du hast mit vieler Kunst das All erschaffen,

Die Welt belebt mit so viel Herrlichkeit.


93. In schönster Form hast Alles du vollendet,

Mit Huld und Gnade reichlich uns beschenkt.


94. Es ziemt sich nicht dies alles zu vernichten,

Und widerstreitet deinem früh'ren Thun.


95. Du bist Allah, du weist, du kennst dein Wollen;

O ende diesen Streit, du hast die Macht!«
[100]

96. Die Antwort des Allmächt'gen lautet also:

»Geduldig sei, nicht übereil' dich, Burk.


97. Bis zu der Tage jüngsten sollst du warten.

Dann auf der Stelle, Burk, zerstör' ich sie.


98. Sollst warten bis das Licht von Mond und Sonne

Erlischt durch Gottes grenzenlose Kraft.


99. Bis meine Himmel all' in Trümmer fallen,

Der Sterne Heer sich auf die Erde stürzt.


100. Bis er genaht der Tag der Auferstehung.

An einem Orte Tier' und Vögel steh'n.


101. Bis dass als Staub die Berge aufwärts fliegen.

Und Felder, Güter, Weinberg' wüste sind.


102. Bis Heil'ge, Gottesfürchtige, Propheten

Und Fromme, Redliche vereinzelt steh'n.


103. Bis alle Menschen sich zusammenfinden,

Gefesselt dasteht der Tyrannen Schar.


104. Vergangenheit und Gegenwart vereinigt,

Bis Erd' und Himmel dann zu Grunde geh'n.


105. Bis alle Ströme trocknen und versiegen,

Und Kön'ge dasteh'n zitternd, machtberaubt.


106. Bis alle Firmamente sind verwüstet,

Der Menschen Schar verwundert und erschreckt.


107. Bis Elefant und Fliege bei einander

Wie Ameise und Löwe friedlich steh'n.


108. Dann lass ich meiner Hölle Glut erscheinen,

Dass jammernd aufschreit, schmerzdurchwühlt, die Welt,


109. Dass Heil'ge und Propheten sie erblicken,

Dass Kön'ge, Bettler weinen, angsterschreckt.
[101]

110. Es zische laut und sprudle auf die Hölle,

So dass die ganze Welt in Ohnmacht sinkt.


111. Ein jeder mache mit sich selbst die Rechnung

Und seh' der Hölle tausendfache Qual.


112. Es sehe dies die Welt und bleib' zerschmettert

Im Anblick einer solchen Plagen-Füll'.


113. Wohin wir uns auch wenden, keine Rettung

Ist zu erspäh'n. Wer hilft aus dieser Not?


114. Ohmächtig, unbewusst und ohne Willen

Zieh' man betäubt umher am jüngsten Tag.


115. Dann will ich meine Hölle ganz zertrümmern,

In alle Winde ihre Asche streu'n.


116. Die Menschheit wisse, dass so gross die Mühsal,

Und dass die Hölle reich an Qualen ist.


117. In mir erkenne den Allgegenwärt'gen

Und meines Willens unbegrenzte Macht.


118. Nun, Burk, mein Freund, ist jetzt dein Herz zufrieden?

Siehst du, wie endlos meine Huld dir ist?« –


119. Da sagte Burk: »O Allah, ewig grosser,

Der nimmer schläft, nun ist mein Wunsch erfüllt.


120. Jetzt bin ich ausgesöhnt, du gabst mir Freude

Und von der Hölle Sorgen bin ich frei!«


121. Doch Moses sprach: »Welch' wunderbarer Derwisch

Bist du, der hier so kühn, verwegen bat.


122. Du fürchtest nicht des Allerhöchsten Grösse?

Nicht des Allmächt'gen schreckensvollen Grimm?


123. Was ficht dich an, dass du in deinem Bitten

Verlässt die Grenzen der Bescheidenheit?
[102]

124. Es bangte dir nicht vor dem Richterthrone?

Du Sklave zitterst nicht vor ihm, dem Schah?


125. Du bist ein Knecht, und sollst ihm stets gehorchen;

Droht Feuer dir, halt' still wie Abraham.


126. Wirft er ins Wasser dich, musst du ein Jonas

Und mit den Fischen gut befreundet sein.


127. Nun überleg' dir's wohl, lass dein Gebahren,

Bekenne deine Ohnmacht, dien' Allah!«


128. Und der Divane antwortet: »O Moses,

Du Führer auf dem Pfad der Gottesfurcht,


129. Gott ist ein gnäd'ger Fürst, und ohne Grenzen

Ist seine Huld, auch wenn ich sündige.


130. Der Ewige ist stets der Allbarmherz'ge,

Es zürnt der gnadensreiche Schöpfer nie.


131. Wie kühn ich immer sei, er wird verzeihen

Und Alles, was ich wünsche, giebt er mir.


132. Noch niemals hat er sich von mir gewendet,

Nie ging ich ungehört von seinem Thron.


133. Er wechsle täglich siebzig mal die Formen –

Barmherzigkeit besiegt des Zornes Glut!« –


134. Ich habe Burks Geschichte hier beendet,

Mein Wort, es war nur kurz. Ve es selâm.61

Quelle:
Seidel, A. (Hg.): Anthologie aus der asiatischen Volkslitteratur. Weimar: Verlag von Emil Felber, 1898, S. 94-103.
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