Der Papagei.

[181] Ein Jüngling, Abdurrachman, hielt einen Papagei. Diesen hatte er viele Worte sprechen gelehrt. Wenn Abdurrachman irgend wohin gehen wollte, so fragte er den Papagei um seine Meinung, riet ihm dieser zu gehen, so ging er, riet er ihm ab, so ging er nicht.

Dieser Abdurrachman hatte eine Geliebte; diese hatte ihn eines Tages aufgefordert, zu ihr zu kommen. Da trat Abdurrachman zu seinem Papagei: »Ich habe eine Geliebte,« sagte er, »die hat mich zu sich gerufen, soll ich gehen?« Der Papagei sprach: »Gehe!« Darauf sprach der Papagei: »Kennst du eine List? Wenn du eine solche kennst, so gehe!« Darauf fuhr er fort:

In dieser Stadt lebte ein sehr böses Weib, dieses Weib hatte zwei Kinder. Der Herrscher hatte von ihrer Schlechtigkeit gehört und jagte sie mit ihren beiden Kindern aus der Stadt. Diese Frau führte ihre beiden Kinder bei der Hand und begab sich zu einer Steppe, dort begegnete der Frau ein Wolf. Der Wolf wollte die Frau fressen. Da sprach die Frau in ihren Gedanken: »Ich will dem Wolfe mit List beikommen, sonst wird er mich und meine Kinder fressen.« So that sie. Der Wolf kam näher. Die Frau sprach: »Komm und friss mich halb! eins meiner Kinder friss auch!« Darauf sprach der Wolf: »Weshalb sagst du dies?« Die Frau sprach: »Hier lebt ein Löwe. Der Herrscher schickt täglich drei Menschen, damit sie der Löwe fresse. Heute hat der Herrscher mich und meine beiden Kinder ausgeschickt, damit uns der Löwe fresse.[181] Deshalb sage ich zu dir: Friss mich halb und eins meiner Kinder, die eine Hälfte von mir und mein eines Kind soll für den Löwen nachbleiben!« Darauf öffnete der Wolf den Rachen, um sie zu fressen. Da sprach das Weib: »Ich habe ein Wort zu sagen, das höre mit an, dann kannst du mich fressen!« Darauf sprach der Wolf: »Sprich deine Rede!« Die Frau sprach: »Ich bin ein Mensch, der vom Herrscher zum Löwen geschickt worden. Wenn du mich halb frisst und eins meiner Kinder frisst, so frisst der Löwe das übrige nicht. Der Löwe ist ein grosser Fürst.« Da dachte der Wolf nach. Die Frau sprach: »Weh! da kommt der Löwe. Wenn er hergekommen, lässt er nichts nach.« Als sie so gesprochen, entfloh der Wolf. Als er so floh, begegnete ihm ein Fuchs. Der Fuchs sprach: »Wo eilst du denn hin?« Der Wolf sprach: »In dieser Steppe war ein Mensch mit zwei Kindern, den wollte ich fressen. Es hatte ihn aber ein Herrscher zum Löwen geschickt, damit er ihn fresse, als dieser Mensch mich sah, forderte er mich auf, ihn zu fressen. Ich fragte ihn, weshalb er so spräche, und der Mensch sprach: Ich bin des Löwen Speise, was von mir übrig bleibt, frisst der Löwe nicht. Dann sagte er: Sieh, da kommt der Löwe. Ich fürchtete mich nun vor dem Löwen und entfloh.« Der Fuchs sprach: »Das ist ein Weib gewesen, die hat dich überlistet. Lass uns beide zu ihr gehen und sie auffressen.« Da begab sich der Wolf mit dem Fuchse zum Weibe, und sie kamen zu der Stelle, wo das Weib sich befand. Die Frau sah nun, wie der Wolf mit einem Fuchse herbeikam. Als die Frau sie erblickte, sprach sie zu sich selbst: »Die will ich abermals überlisten.« Als der Wolf mit dem Fuchse nah herzugekommen war, sprach die Frau zu ihnen: »Gut, dass ihr hergekommen seid, Wolf, ich habe daran gedacht, dich so herzulocken. Dich hat der Fuchs unterwiesen, er hat gesagt, ich sei ein Weib, ich hätte dich überlistet, und hat dich veranlasst, zurückzukehren. Das wollte ich eben. Ich bin kein Mensch, ich bin Mängul-Bijawani108, wärest du mit einem Tiger oder[182] einem Schweine zu mir gekommen, so hätte ich dich selbst laufen lassen, du bist aber mit einem Fuchse gekommen, jetzt lasse ich dich nicht los, dich ebensowenig wie den Fuchs. Komm her, Wolf, ich will euch beide fressen.« Als sie diese Rede vernommen hatten, fürchteten sich der Wolf und der Fuchs und entflohen. »Wenn du nun so listig bist, wie jenes Weib, so begieb dich zu deiner Geliebten.«

Da ging Abdurrachman heraus, um fortzugehen. Es war aber Morgen geworden. Da kehrte er zum Papagei zurück und sprach: »Es ist Morgen geworden.« Da sprach der Papagei: »Wenn's so ist, so gehe morgen.« Als es abermals Abend geworden, ging er wiederum zum Papagei. Abermals fragte er diesen: »Soll ich heute zu meiner Geliebten gehen?« Der Papagei sprach: »Geh nur! Ich will dir aber ein Wort sagen, höre dies mit an, und dann geh!« »So sprich!« sagte jener. Da sagte der Papagei:

In dieser Stadt lebte eine böse, diebische Katze. Die ging in die Häuser der Menschen und frass alles, was sie stehlen konnte. Eines Tages kam sie in das Haus eines Färbers. Da frass sie denn alles, was sie vorfand. Der Färber merkte wohl, was sie bei ihm gefressen und beabsichtigte, ihr nachzustellen. Am Abend drang die Katze abermals in das Haus des Färbers, und dieser merkte, dass die Katze gekommen war, stand auf und zündete ein Licht an. Als dies die Katze sah, kroch sie – in ein Fass und blieb darin liegen. Der Färber suchte nun die Katze überall, konnte sie aber nicht finden. Erst bei Tagesanbruch machte die Katze sich fort. Als die Katze ins Freie gekommen war und sich besah, war sie bunt gefärbt, Da sprach die Katze zu sich selbst: »Ich will die Katzen versammeln! Wenn sie versammelt sind,« so will ich sagen: »Ich bin euer Herrscher geworden. Ihr selbst sehet, wie ich gefärbt bin, und erkennet daran, dass ich wirklich euer Herrscher bin.« Jetzt versammelte sie die Katzen, darauf sprach die diebische Katze: »In dieser Nacht hat Gott, der Herr, mich zu eurem Herrscher gemacht, denn meine Haarfarbe[183] ist eine andere geworden.« Das gaben nun alle Katzen zu und unterwarfen sich. Diesen Tag versammelte sie auch alle Füchse: »Gott, der Herr, hat mich zu eurem Herrscher gemacht, was sagt ihr dazu? Meine Haarfarbe hat sich verändert.« An diesem Tage stimmten alle Füchse bei, und alle unterwarfen sich. Darauf rief sie die Schweine und Wölfe zusammen und sprach zu ihnen: »Gott, der Herr, hat mich zu eurem Herrscher gemacht, was sagt ihr dazu?« Als die Schweine und Wölfe die Farbe der Katze sahen, glaubten sie ihr und unterwarfen sich. Darauf rief sie die Tiger und Löwen und sprach zu ihnen: »Gott hat mich zu eurem Herrscher gemacht, was meint ihr dazu?« Auch die sahen ihre Farbe, glaubten und unterwarfen sich. Viele Tage lang herrschte so die diebische Katze. Eines Tages gab sie ein Gastmahl und setzte die Katzen an die oberste Stelle, weiter abwärts setzte sie die Füchse, dann die Schweine und Wölfe, und dicht bei der Thür die Tiger und Löwen. Als sie so die Plätze verteilt, dachte der Fuchs bei sich: »Die Herrscherwürde der Katze scheint eine Betrügerei zu sein. Wenn dies ein wirklicher Herrscher wäre, so würde er den Tigern und Löwen die oberste Stelle anweisen, den Katzen aber die unterste Stelle. Ich will ihm eine Falle stellen.« So überlegte er bei sich. Darauf brachte man ihnen Branntwein. Der Herrscher befahl: »Sprechet zu, ihr Füchse!« Darauf tranken diese Branntwein, wurden trunken, und der Herrscher trat an ihre Seite und trank mit ihnen. Da dachte der Fuchs abermals in seinem Sinne: »Es ist eine Lüge, dass dies ein wirklicher Herrscher ist; wenn er ein wirklicher Herrscher wäre, so wäre er nicht an meine Seite gekommen und hätte mit mir getrunken. Ich will ihn doch mit einer List ausforschen!« So dachte der Fuchs. Sie waren nun alle betrunken und traten ins Freie. Da blieb der Fuchs beim Herrscher. Zur Seite des Herrschers ging er und sprach: »Ei, Herrscher, ich habe euch etwas zu fragen, ihr aber müsst mir die Wahrheit sagen. Dann wollen wir beide Freunde sein«. Darauf sprach[184] der Herrscher; »Frage nur heute, was du auf dem Herzen hast, ich will dir richtig Antwort geben.« Darauf sprach der Fuchs: »Wie habt ihr nur diese Herrscherwürde erlangt?« Der Herrscher sagte ihm nun im Trunke die ganze Wahrheit: »Ich war eine diebische Katze. Da bin ich eines Tages in das Haus eines Färbers zum Stehlen gegangen. Als ich so eingetreten war, stand der Färber auf und machte ein Licht an, da sprang ich aus Furcht in ein Fass und lag ganz still. In dem Fasse war Farbe, und die Farbe drang in mein Fell. Als ich am Morgen aus dem Fasse kam und mich besah, hatte ich mich ganz verändert. Da sprach ich zu mir selbst: Ich bin ein Herrscher geworden und alle sollen sich mir unterwerfen. Da habe ich denn die Füchse, Schweine. Wölfe, Tiger und Löwen zusammengerufen und bin so ihr Herrscher geworden. Alle haben sich mir unterworfen. Seitdem lebe ich nun als Herrscher, sonst wäre ich wie früher eine diebische Katze geblieben.« So erzählte sie alles dem Fuchse der Wahrheit gemäss. »Nachdem sie so gesprochen, ging der Fuchs heraus und erzählte Tigern und Löwen alle diese Worte, dass dies nur eine Katze sei und fälschlich als ein Herrscher gelte. Da kamen die Löwen und Tiger, packten die diebische Katze, schnitten ihr Ohren und Nase ab, bestrichen sie mit Kot, beschimpften sie und töteten sie unter heftigen Qualen.«

»Ja,« fuhr der Papagei fort, »wenn du nicht dieser Katze gleichst, so gehe zu deiner Geliebten.« Als endlich Abdurrachman herausging, sah er, dass der Morgen angebrochen. Da trat er wieder ein und sprach: »Es ist Morgen geworden.« Da sagte der Papagei: »Nun so geh morgen hin!«

Da wurde es wiederum Abend. Da sprach Abdurrachman: »Wenn ich wieder den Papagei frage, so verwickelt er mich wieder in Reden und lässt mich nicht zu meiner Geliebten, ich will heute den Papagei töten und dann mich zu meiner Geliebten begeben.« Solches bei sich überlegend, begab er sich zum Papagei. Eingetreten, sprach er: »Ich[185] will heute zu meiner Geliebten gehen«. »Geh!« sprach der Papagei, denn er wusste, dass er ihn töten wollte, und erwiderte nichts. Als der Papagei schwieg, sagte Abdurrachman: »Hast du mir nichts zu sagen?« »O ja,« sprach der Papagei, »ich will reden. Höre es mit an, dann gehe zu deiner Geliebten.«

»In einer Stadt lebte ein Kadi, wenn der eine Schrift schrieb und sein Siegel aufdrückte, und jemand dies an seinem Kopfe befestigte, so konnte man, wo die Schrift zur Erde fiel, Gold und Silber finden, wenn man nachgrub. Als dies die Leute hörten, so liessen sie sich von dem Kadi die Schrift schreiben, nahmen die Schrift mit sich und fanden viel Gold und Silber. Das Gerücht davon verbreitete sich in allen Städten. In einer Stadt vernahmen es drei Menschen und begaben sich zum Kadi. Nach drei Monaten gelangten sie endlich zu der Stadt des Kadi und suchten daselbst den Kadi auf.« »Wir sind,« sprachen sie, »von weitem gekommen, da wir von eurer Vortrefflichkeit gehört haben. Gebet uns bitte die Schrift und drücket euer Siegel auf, denn wir haben gehört, dass, wer die Schrift hat, Gold und Silber an der Stelle ausgraben kann, wo die Schrift zur Erde gefallen ist. Schreibet uns die Schrift und drücket euer Siegel auf, auch wir wollen Gold und Silber suchen.« Darauf schrieb ihnen der Kadi die Schrift und drückte sein Siegel auf. Die drei Menschen befestigten sie an ihrem Kopf und gingen davon. Als sie die Stadt verlassen und eine Strecke Weges gegangen waren, fiel von dem Haupte des einen die Schrift zur Erde. Er grub daselbst und fand Silber. Der letzte ging seines Weges, da fiel die Schrift herab, er grub auch und fand Kupfer. »Was soll ich mit Kupfer thun?« sprach er, steckte die Schrift wieder fest und ging weiter. Diese fiel wieder zur Erde und er fand Eisen. Da sprach er zu sich selbst: »Gott der Herr hat mir weder Gold noch Silber beschieden, da nun aber Kupfer besser ist als Eisen, so will ich hingehen und das vorher gefundene Kupfer nehmen.« Als er hinkam und nachsah,[186] war das Kupfer verschwunden. »Jetzt will ich mich mit dem Eisen begnügen.« sprach er, dann ging er zu der Stelle, wo er das Eisen gefunden, aber auch dieses war verschwunden.109 Darauf sprach er zu sich selbst: »Gott, der Herr hat mir das alles nicht beschieden, ich will meine Gefährten aufsuchen und von ihnen etwas Gold und Silber nehmen und dann mit ihnen zusammen nach Hause zurückkehren.« Als er aber nach seinen Gefährten ausschaute, hatten sie sich schon auf den Weg gemacht. Als er so in dieser Stadt die Gefährten verloren hatte, zog er allein heim, und nachdem er unzählige Leiden ertragen, kam er nach einem Jahre nach Hause. »Wenn du wie dieser nicht nachbleibst, so begieb dich zu deiner Geliebten,« sprach der Papagei.

Darauf überlegte Abdurrachman die Sache bei sich und fand, dass die Worte des Papageis richtig seien. »Wenn ich nicht auf ihn höre, und zu meiner Geliebten gehe, so werde ich auch Leiden erdulden.« So liess er von seiner Geliebten ab. Darauf ergab sich Abdurrachman Gott, und dieser erfüllte alle seine Wünsche, so dass er gleich einem Heiligen wurde.110

Quelle:
Seidel, A. (Hg.): Anthologie aus der asiatischen Volkslitteratur. Weimar: Verlag von Emil Felber, 1898, S. 181-187.
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