XIII
Mahmûd Kola.

[114] Eine einfachere Form dieser Geschichte ist Nr. 53 bei HAHN, GrAlbM.


In einer Stadt herrschte ein guter König, der hatte drei Söhne. Er hatte auch einen vortrefflichen Minister, dessen Händen er alle Angelegenheiten seines Reiches anvertraute. Die Zeit verstrich, und der König wurde alt. Da legte er dem Minister folgendes ans Herz. Er sprach: »Ich bin alt geworden, ich weiss, dass ich [bald] sterben werde. Meine jungen Söhne sind dir anvertraut, [gieb] recht, recht [acht] auf sie.« »Gut«, antwortete der Minister. [Wieder] verstrich eine kurze Zeit, da starb der König. Aber der Minister änderte sein Benehmen den Prinzen gegenüber, er wollte die Herrschaft für sich usurpieren und vertrieb sie aus dem Schlosse und ihre Mutter mit ihnen. Da gingen sie weg und nahmen in einem andern Stadtviertel Wohnung, wo sie fern vom Schlosse ihres Vaters waren. Da lebten sie nun.

Aber wiederum trug sich der Minister mit bösen Anschlägen gegen die Knaben und sagte sich: »Es ist besser, dass ich sie töte.« Er nahm sich nun vor, sie zu töten und eine kleine Truppe hinzuschicken, die sie ergreifen und abschlachten sollte. Aber einer von den Dienern ihres Vaters hatte Mitleid mit ihnen, der sprach: »Viel Gutes habe ich[114] von meinem Herrn, ihrem Vater, erfahren; jetzt will man sie so ohne weiteres (?) töten? Bei Gott, ich will hingehen und es ihrer Mutter entdecken.« So ging er denn hin und sprach zu ihrer Mutter: »Meine Herrin, sei wachsam! Mit dem Minister steht es so: er will deine Söhne töten.« »Du hast gut daran gethan«, versetzte sie, »dass du es mir entdecktest.«

Die Beschäftigung ihrer Söhne war die: jeden Tag gingen sie auf die Jagd, und am Abend kamen sie zurück. An dem Nachmittage aber schickte sie die Mutter nach einem andern Hause, und als die Polizisten der Regierung kamen, suchten sie die Prinzen und fanden sie nicht. Da kehrten sie zurück und sagten zum Minister: »Wir haben sie nicht gefunden, denn sie haben sich auf die Jagd begeben.« Am folgenden Tage sagte der Minister: »Erkundiget euch, auf welchem Wege sie kommen, gehet dann an das betreffende Thor, nehmet sie fest, bringet sie her und tötet sie.« Auch an diesem Tage waren die Prinzen auf die Jagd gegangen, da ging aber wieder der Diener zu ihrer Mutter und entdeckte es ihr, indem er sprach: »Wisse, Wächter sind im Stadtthor postiert, die, sobald deine Söhne kommen, sie festnehmen und abschlachten sollen.« Da begann sie zu weinen, und sogleich nahm sie viel Geld, zog ihre Kleider aus, zog Kleider einer Beduinenfrau an, ging aus der Stadt und stellte sich an einem Wege fern von der Stadt hin. Geld hatte sie viel mit sich. Da blickte sie hin und sah sie aus der Ferne. Da rief sie ihnen auf arabisch zu: »hēn, hēn.«1 Sie hörten ihren Ruf, dachten aber, sie wäre eine Beduinenfrau und fragten sie: »Was willst du, Mütterchen?« »Kommet hierher«, erwiderte sie. Sie kamen zu ihr heran und sahen, dass es ihre Mutter war. Da fragten sie erstaunt: »Was soll das bedeuten, Mutter?« Sie antwortete: »Gehet, kommet nicht hierher in die Stadt. Wenn ihr in die Stadt hineingehet, so[115] wird man euch festnehmen und abschlachten, denn Wächter lauern euch da auf. Nehmet jetzt dieses nicht wenige Geld und ziehet weg, wohin das Auge euch führt.« Darauf küsste sie sie, und sie begannen zu weinen, sie wie ihre Kinder. Dann ging sie in die Stadt zurück, während ihre Kinder wieder umkehrten. Sie zogen mitten durch die Wüste einen Tag und zwei und einen Monat und kamen ans Thor von Stambul. Sie traten in die Stadt ein, nahmen in einem Gasthofe Wohnung und gaben ihr Geld aus, bis es zu Ende war. Hernach waren sie in grosser Bedrängnis, und in ihrer Not verkauften sie (auch) ihre Pferde. Auch das Geld für ihre Pferde ging zu Ende und, da sie Hunger litten, verkauften sie sogar ihre Kleider. Alles, was sie hatten, ging dahin, auch das Geld für ihre Kleider ging dahin. Eines Nachts waren sie ohne Essen geblieben, und Geld hatten sie nicht. Da sass der ältere Bruder da, dachte nach und sprach für sich hin: »Herr! was sollen meine Brüder morgen essen, Geld ist nicht da, und Brod ist auch nicht da.« So dachte er nach und begann zu weinen. Und er weinte und weinte und weinte. Wie er so weinte, erwachte der mittlere Bruder und setzte sich auf. Und er sprach; »Mein Bruder, was ist dir? Bist du etwa nicht wohl?« »Mein Bruder!« antwortete der andere, »gesund bin ich, aber ich denke nach, was wir morgen essen sollen.« »Das ist schmerzlich, Bruder«, erwiderte der andere, »jawohl, ich weiss auch nicht, was wir machen sollen.« Und auch er begann zu weinen. Als sie beide so weinten, wachte der jüngste Bruder auf und sprach: »Meine Brüder, warum weinet ihr?« »Wie sollen wir nicht weinen, Bruder?« fragten sie, »Siehst du nicht, dass wir in bedrängter Lage sind? Was sollen wir morgen essen, und was sollen wir trinken?« Da begann auch er zu weinen, und sie weinten, bis ihre Augen [beinahe] erblindeten. Dann sprach der jüngste Bruder: »Meine Brüder, genug des Weinens! Sehet zu, welche Abhilfe ihr für unsere Lage treffet.« »Es giebt keine Abhilfe«,[116] erwiderten sie. »Dann will ich euch eine sagen«, versetzte er. »Morgen führet mich auf den Markt und verkaufet mich jemandem. Ich werde dann bei dem leben, der mich kauft, und ihr zehret von dem Kaufgelde.« Da fingen sie noch viel mehr zu weinen an; aber der jüngste Bruder sprach: »Das ist keine Hilfe für uns.« Sie willigten dann ein, und am folgenden Tage nahmen sie ihn an der Hand und führten ihn auf den Markt. Man begann um ihn zu handeln, und der Bazar liess ihn dann dem Ältesten der Kaufmannschaft für 20000 zufallen. Dieser kaufte ihn und fragte ihn: »Wie ist dein Name?« »Mahmûd Kola«,2 antwortete er. Er führte ihn dann nach Hause, wo er einen Tag blieb, und hernach führte er ihn ins Bad, liess ihm den Kopf und den Bart rasieren3 und schöne Gewänder machen. Dann brachte er ihn auf den Markt und setzte ihn in ein Handelshaus, bis er gut Handel treiben gelernt und hernach vertraute er ihm die Angelegenheiten des Geschäftshauses an d.h. [den Vertrieb] von Gewändern und kostbaren Dingen.

Alle Leute der Stadt gewöhnten sich an ihn, und auch die Kaufmannschaft des ganzen Marktes wandte sich ihm zu. Und er war ein Jüngling, wie es in der ganzen Stadt Stambul keinen zweiten gab, und viele Leute pflegten an seinen Laden zu kommen, nur um ihn zu betrachten, und um ihn betrachten zu können, kauften sie bei ihm. Und so [zahlreich] fanden sich die Menschen ein, dass sie einander drängten.

Eines Tages schickte die Tochter des Sultans4 ihre Dienerin auf den Markt, damit sie einige Dinge kaufe. Die[117] Dienerin ging früh auf den Markt und kam zufällig an den Laden des Mahmûd Kola. Sie blickte hin, und siehe da, ein blühender, entzückender junger Mann sitzt im Laden. Da begann sie den Namen des Herrn zu preisen und rief aus: »Sollte es (auch) so einen Jüngling geben?«5 Und sie blickte auf den jungen Mann und vergass sich selbst bis Nachmittag, als die Sonne schon unterging. Und nun erst machte sie sich auf und ging nach Hause. Ihre Herrin biss aus Wut in saure Trauben und begann sie anzuschreien und rief: »Was thatest du in der Zeit? in der Zeit? Warum beeilst du dich [nicht] mit den Arbeiten, die du zu thun hast?« Da antwortete die Dienerin: »Meine Gebieterin! warte, bis ich es dir erzähle, und zürne nicht ohne Grund (?). Früh ging ich weg, und bis jetzt musste ich auf einen Jüngling blicken, der wie eine duftige Blume ist. Er kommt keiner andern als dir zu. Eine Jugend, wie diese, giebt es in ganz Stambul nicht.« »Wo ist er?« fragte die Tochter des Sultans, »auf welchem Markte hast du ihn sitzen sehen?« »Er sitzt im Laden des Altesten der Kaufmannschaft«, antwortete die Dienerin, »denn er ist sein Sklave, er hat ihn gekauft. Aber ich denke, er ist ein Königssohn, der gestohlen, dann hierhergebracht und verkauft wurde. An einem anderen Orte wird so einer nicht geboren; er stammt vielmehr nur von Königen ab.«

Sofort gab die Tochter des Sultans einem Diener den Befehl: »Geh, sage dem Altesten der Kaufmannschaft, dass er hierher komme«, und der Diener ging ihrem Befehle gemäss6 hin. – Die Tochter des Sultans war mit dem Sohne des Ministerpräsidenten verlobt. – Der Älteste der Kaufmannschaft kam zur Tochter des Sultans, machte eine Reverenz vor ihr und setzte sich hin. Da sprach sie zu ihm:[118] »Weisst du, was ich von dir will?« »Was wünschest du, Werteste?« fragte er. »Ich wünsche«, erwiderte sie, »dass du deinen Mahmûd Kola hierher bringst, damit ich ihn sehe. Denn die Leute erzählen viel von ihm, und ich möchte sehen, wie er ist.« »Schön, Werteste«, antwortete er, »ich will ihn herbringen, wann du nur willst.« – »Dann geh, und komm morgen früh mit ihm her.« Der Älteste der Kaufmannschaft stand auf und ging weg, aber er verlor sein Herz, dass sie ihm vielleicht den Sklaven wegnähme. Am folgenden Tage gingen der Älteste der Kaufmannschaft und Mahmûd Kola zur Tochter des Sultans und begaben sich in ihr Schloss. Sie sah ihn vom Fenster aus schon in der Ferne und ward ganz entzückt. Sie ging ihm dann entgegen und nahm ihn bei der Hand. Sie traten in ihr Zimmer, und sie setzte ihn über sich, während sie sich unter ihn setzte. Darauf begannen sie in Rede und Gegenrede sich mit einander zu unterhalten,7 und sie lachten und amüsierten sich vortrefflich. Da sagte die Tochter des Sultans zum Ältesten der Kaufmannschaft: »Sieh! um wieviel hast du diesen Jüngling gekauft? nimm dir das Zweifache.« »Wie du willst«, erwiderte der Kaufmann, »ich kann deinen Worten nicht zuwiderhandeln.« – »Um wieviel hast du ihn gekauft?« – »Um zwanzigtausend.« – Sie gab ihm dann vierzigtausend, und er ging nach Hause, während Mahmûd Kola bei der Tochter des Sultans blieb.

Eines Tages sagte der Ministerpräsident zu seiner Frau: »Willst du nicht eines Tages deine Schwiegertochter besuchen und ihr etwas hinbringen?« »Gewiss«, sagte sie, »morgen will ich hingehen.« Die Frau des Ministerpräsidenten machte sich denn am folgenden Tage auf, um zu ihrer Schwiegertochter, der Tochter des Sultans, zu gehen. Sie ging hin, langte am Schlosse an, trat ins Thor und begab sich dann weiter zu dem Zimmer, in dem die Tochter[119] des Sultans wohnte. Sie blickte hinein und sah einen Jüngling neben der Tochter des Sultans sitzen, die ihre Schwiegertochter war. Kaum hatte sie dies gesehen, als sie sich umwandte, hinausging und nach Hause zurückkehrte. Da fragte sie ihr Mann: »Warum bist du so schnell zurückgekommen, Frau?« »Was sollte ich denn sonst thun«, erwiderte sie. »Ich bin hingegangen – gieb die Hoffnung auf deine Schwiegertochter auf.« »Warum?« fragte er. »Als ich hinkam«, antwortete sie, »sah ich einen jungen Mann auf ihrem Sessel sitzen, ja über ihr.« – »Und wer war das?« – »Ich weiss nicht«, erwiderte sie.

Nun ging er selbst zum Sultan und sagte zu ihm: »So steht es mit deiner Tochter. Gestern ging meine Frau sie besuchen, da fand sie einen jungen Mann bei ihr.« Sofort schickte der Sultan einen Diener nach seiner Tochter, und als sie zu ihm kam, sprach er: »Meine Tochter, [wer] war bei dir?« Sie antwortete: »Ich habe mir einen Mann gekauft, um ihn zu heiraten.« »Wie kann das sein?« rief ihr Vater, »du bist die Tochter des Sultans und willst den Fremden da heiraten!« »Ich finde es ganz passend«, erwiderte sie, »den Sohn des Ministerpräsidenten mag ich nicht, sondern den Mahmûd Kola will ich haben.« Sie drangen sehr in sie, dass sie ihr Vorhaben aufgäbe, aber sie gab es nicht auf. Schliesslich sagte sie: »Ich will mit euch etwas abmachen. Wir wollen eine Karawane dem Mahmûd Kola ausrüsten8 und eine dem Mahmûd, dem Sohne des Ministerpräsidenten. Beide wollen wir in Geschäften aussenden, und wer von ihnen mit mehr Gewinn zurückkommt, den will ich haben.« Beide bekamen nun Karawanen und reisten nach Schâm-scherîf (Damascus). Dort angekommen, nahmen sie in einem grossen Gasthause Wohnung und begannen Handel zu treiben. Aber schliesslich gab sich Mahmûd, der Sohn des Ministerpräsidenten, dem Trinken, Saufen und schändlichen[120] Dingen hin. Alle seine Waare verschleuderte er und gab sie für gemeine Dinge hin. Als alle seine Waare verthan war, schlenderte er in den Strassen der Stadt umher. Da fragte ihn Mahmûd Kola: »Warum schlenderst du müssig in den Strassen herum?« »Ich weiss nicht«, erwiderte er, »mein Vermögen ist mir ausgegangen.« – »Dann komm, ich will dir zehntausend geben; gehe nach Stambul in das Haus deines Vaters und sage, Mahmûd Kola sei gestorben.« – »Gut, gieb es her.«

Mahmûd Kola gab ihm zehntausend, dann ging er zum Gasthofbesitzer und sagte ihm: »Ich will jetzt dieses Zimmer verschliessen und aufs Geratewohl herumreisen. Wenn ich zurückkomme, so gehört, was darin ist, mir, wo nicht, so ist es ein Bachschîsch für dich.« »Schön«, sagte der Wirt. Dann verliess er die Stadt und schlug den Weg nach der Wüste ein. – Er ging einen Tag und zwei und drei und vier Tage und kam schliesslich an einen Wasserquell, über dem sich ein Feigenbaum erhob. Da er müde war, legte er sich unter dem Feigenbaum nieder, und wie er dalag, bevor er noch eingeschlafen war, sah er drei Tauben .... heranfliegen, die kamen und liessen sich auf dem Feigenbaume nieder. Und infolge einer Bestimmung Gottes begannen die Tauben zu sprechen. Es sagte die eine zu ihrer Genossin: »Freundin! weisst du, wer hier schläft?« »Ich weiss«, antwortete die andere, »wozu willst du das wissen?« »Dieser Jüngling«, sagte die andere, »ist der Sohn des und des Königs der Stadt Mossul.« Darauf sagte die zweite: »Wenn er nicht schliefe, teilte ich ihm etwas mit, aber jetzt werde ich es nicht thun, vielleicht schläft er.« »Vielleicht schläft er aber nicht«,9 sagte die Genossin, »sage, was du zu sagen hast, mag er schlafen oder wachen.« Da sagte die andere: »Wenn er doch wüsste, dass unter dem Steine, der ihm zu Häupten liegt, ein Schatz ganz voller Goldstücke liegt,[121] die niemals ausgehen!« Darauf sagte die dritte Taube: »Auch ich würde etwas sagen, wenn er wach wäre: Jetzt sollte er nach Ägypten gehen. Die Tochter des Königs von Ägypten hat den Aussatz bekommen, und ihr Vater hat schon alle Ärzte zu ihr kommen lassen, damit sie sie heilen, aber sie vermochten es nicht. Wenn aber der Jüngling jetzt eine Flasche voll Saft von diesem Feigenbaume nimmt und damit den Körper des Mädchens einreibt, so wird sie sofort gesund.« Er war aber wach und schlief nicht.10

Die Tauben flogen wieder davon, und dann grub er unter jenem Steine, bis er an den Zugang zum Schatze gelangte, und er fand ihn, wie die Taube gesagt. Er deckte ihn aber wieder gut zu und liess ihn da. Dann langte er nach seiner Satteltasche, nahm eine grosse leere Flasche heraus und begann die Früchte des Feigenbaumes zu pressen, dass ihr Saft herauskam. Er presste so lange, bis die Flasche voll war, dann that er diese in seine Satteltasche, bestieg sein Ross und ritt tief, tief in die Wüste, bis er nach Kairo kam. Hier begann er auf dem Markte auszurufen: »Ein Arzt! ein Arzt!«, bis er zum Schlosse des Königs gelangte. Auch dort, auf dem Hofe des Serails, rief er: »Ein Arzt! Ein Arzt!« Da gingen einige Diener hin und meldeten dem König: »Ein Arzt ist hier angekommen.« »Rufet ihn her«, befahl der König. Als er vor den König kam, fragte ihn dieser: »Junger Mann, du bist Arzt?« »Jawohl, Freund«, antwortete er. »Ich habe eine Tochter«, sagte der König, »die den Aussatz bekommen hat. Kannst du sie heilen?« »Ich möchte sie sehen«,[122] erwiderte Mahmûd. Sie wurde dann gebracht, er sah sie sich an und sagte: »Ich will sie heilen, aber nur unter der Bedingung, dass du sie mir dann giebst.« »Wenn du sie heilst«, sagte der König, »dann soll sie ein Geschenk für dich sein. Ausserdem will ich dir noch Honorar geben, bis zur Hälfte meines Reiches.« Da sagte Mahmûd Kola: »Lass alle Menschen von hier hinausgehen.« Als alle hinausgegangen waren, zog er ihr die Kleider aus, nahm dann die Flasche aus der Satteltasche und rieb ihr den ganzen Körper ein. Sofort wurde sie gesund, und ihr Körper wurde wie der eines eben von der Mutter geborenen Kindes. Sie zog dann ihre Kleider wieder an und trat heraus. – Als sie wieder geheilt war, hatte sie zu Mahmûd Kola gesagt: »Verlange von meinem Vater nichts anderes als das Zelt, das er mit sich nimmt, wenn er reisen will.« – Der König sprach nun: »Jetzt hast du meine Tochter wiederhergestellt, sie ist dir geschenkt; verlange aber noch etwas anderes, das du haben möchtest.« »Ich will nichts anderes«, erwiderte er, »als das Zelt, das du mit dir nimmst, wenn du in die Welt ziehst.« Da sagte der König: »Deine Lehrer gaben dir keine [gute] Lehre, und die dich im Lesen unterrichteten, können nichts durchschneiden.«11 »Wenn du doch mein ganzes Reich wünschtest, und nicht dieses Zelt!« »Dieses will ich«, erwiderte Mahmûd Kola, »weil ich in der Welt herumreisen will.«

Der König gab ihm das Zelt. Er nahm es und auch die Königstochter und verliess die Stadt. Er legte die erste Tagereise zurück, bis zum späten Nachmittag, und hernach richtete er das Zelt auf – da kamen daraus vierzig Reiter mit ihrem Zubehör hervor. Und jedesmal, wenn er sein Zelt aufrichtete, kamen aus demselben vierzig Reiter heraus, Tag für Tag. So wurde sein Heer unzählig und unberechenbar.[123] Er begab sich nun an jene Quelle und an den Feigenbaum, liess daselbst sein Heer lagern und hob den Schatz. Vierzig Maulesel belud er mit Gold von jenem Schatze und vierzig mit Silber. Hernach brachen sie von dort auf und zogen dahin einen Tag und zwei und drei, bis sie nach Damascus gelangten. In der Stadt Damascus geriet man vor seinem Heere in grosse Furcht. Aber er schickte einen Boten zum Könige der Stadt, und der sagte: »Fürchtet euch nicht; wir sind keine Feinde, sondern Leute des Friedens.« Dadurch wurde die Stadt ein wenig beruhigt.

Alsdann liess er den König holen und sprach zu ihm: »Du bist bei mir eingeladen, du und alle Grossen deiner Stadt.« Am folgenden Tage kam der König und alle Grossen zum Gastmahle, das er für sie hergerichtet hatte. Da gerieten sie in Verwunderung über das Gastmahl und über das Heer und über dessen Rüstung, aber noch viel mehr über das Zelt. Nach einigen Tagen wurde auch er zum Könige geladen, und er begab sich zum Könige zum Gastmahle, das dieser gab. Als er das Schloss verliess, ging er in der Stadt umher und begab sich in das Gasthaus zum Gastwirte, bei dem er seine Waare deponiert hatte. Er fand sein Zimmer noch verschlossen, und er holte seine Waare heraus und schaffte sie nach seinem Lager. Als er mitten durch den Markt ging, erblickte er den Sohn des Ministerpräsidenten, den Mahmûd, der einen Wasserschlauch auf dem Rücken trug und Wasser verkaufte: er war ein Wasserträger geworden. Er erkannte ihn sogleich und rief: »Wasserträger! komm hierher.« Doch dieser fürchtete sich. Da rief er ihm auf türkisch zu: »Ulân gel burda!«12 Da kam er an ihn heran. »Giess mir Wasser ein«, sagte er. Er goss ihm Wasser ein, und er trank und gab ihm als Bezahlung[124] ein Goldstück. »Junger Mann!« redete er ihn dann an, »habe ich dir nicht zehntausend gegeben, damit du nach Hause gehest? warum gingst du nicht?« – »Ich weiss nicht, ich ging nicht.« – »Komm!« sagte Mahmûd Kola, »ich will dir jetzt von neuem zwanzigtausend geben, und nun geh nach Hause, nach Stambul.« – »Schön, gieb mir, ich will gehen.« – »Komm, ich will sie dir geben, aber ich will dir mein Siegel auf die beiden Oberschenkel drücken. Geh dann hin und sage: ›Mahmûd Kola ist gestorben‹.« Mahmûd, der Sohn des Ministerpräsidenten, erklärte sich hiermit einverstanden. Er machte nun seinen Siegelring heiss und drückte ihn auf dessen Oberschenkel; darauf gab er ihm die zwanzigtausend, und Mahmûd, der Sohn des Ministerpräsidenten, ging nach Hause, nach Stambul. »Wo ist Mahmûd Kola?« fragten sie ihn. »Er ist gestorben«, sagte er. Da sagten der Ministerpräsident und der Sultan zum Mädchen: »Mahmûd Kola ist jetzt tot; nun lass uns dich mit Mahmûd, dem Sohne des Ministerpräsidenten, verheiraten.« »Ich gebe ihn noch nicht auf«, erwiderte sie, »zehn Jahre lang will ich mich nach ihm erkundigen, dann erst!« Und dann setzte sie sich zu Hause hin und begann in den Städten Nachforschungen nach ihm anzustellen; sie konnte aber keine Nachricht von ihm erlangen.

Mahmûd Kola war inzwischen mit seinen Soldaten von Damascus aufgebrochen, und auch er kam nach Stambul. Er lagerte sich vor der Stadt, und ganz Stambul strömte zu ihm heraus. Auch dort schickte er zum Sultan und liess ihm sagen: »Fürchtet euch nicht vor mir, wir sind Leute des Friedens.« Er lagerte vor Stambul viele Tage und lud den Sultan zu sich. Und dieser kam mit allen Grossen von Stambul zum Gastmahl, das Mahmûd Kola gab, und sie wussten nicht, dass es Mahmûd Kola war. Als sein Heer so vor Stambul lagerte, sagte die Tochter des Sultans zu ihrer Dienerin: »Geh, suche im Heere herum, vielleicht ist er unter ihnen, vielleicht findest du ihn[125] als Diener oder als Trossknecht bei den Lasttieren. Gieb wohl acht!« Die Dienerin ging unter die Soldaten, trat in dieses Zelt und jenes Zelt ..., und dann wurde sie auf ein grosses und schönes Zelt aufmerksam. Sie begab sich dahin, und als sie an demselben ankam, erblickte sie einen Thron mit sieben Stufen, und rund um ihn waren ..... von Hyacinth, und der Thron selbst war von Gold. Und eine Kuppel von Gold wie ... war über dem Zelte. Sie blickte hinein und sah einen äusserst vornehmen Mann da sitzen. Auch er sah sie, und erkannte sie; aber sie erkannte ihn nicht. Da rief er ihr zu: »Komm hierher!« Und als sie hinging, fragte er sie: »Was suchst du?« »Ich suche«, antwortete sie, »einen Mann, dessen Sache die und die ist.« Da rief er schnell, schnell, ohne Verstellung aus: »Ich bin es!« aber sonst sagte er nichts, schrieb jedoch gleich einen Brief an die Prinzessin des Inhaltes: »Wisse, dass ich mir die Tochter des Königs von Ägypten zur Frau genommen habe. Und du geh und heirate, worauf willst du warten?« Sie schrieb jedoch an ihn: »Hast du dir auch eine Frau genommen, so will ich die Dienerin, und mag sie die Herrin sein.« Dann schickte er ihr einen zweiten Brief: »Wenn du willst, will ich auch.«

Am folgenden Tage wurde er wiederum zum Sultan geladen. Da sagte er zum Sultan: »Gieb mir deine Tochter.« »Schon«, antwortete dieser, »ich will sie dir geben.« Und er gab sie ihm. Sie begannen nun beim Gelage zu essen und zu trinken, und als sie damit fertig waren, und er aufstand, um sich die Hände zu waschen, sagte er zu Mahmûd, dem Sohne des Ministerpräsidenten: »Geh, giess mir Wasser über die Hände.« Der Ministerpräsident wurde wütend, dass er zu seinem Sohne sagte: »Giess mir Wasser über die Hände!« Da sagte er aber zu allen [Anwesenden]: »Warum findet ihr das sonderbar (schwierig)? Ist er nicht mein Sklave?« »Wieso ist er dein Sklave?« fragten sie. »Ich habe ihn um dreissigtausend gekauft«, erwiderte er, »und ihm zwei Stempel auf die Oberschenkel aufgedrückt. Kommt[126] und seht, dass dem so ist.« Sie entblössten ihm die Oberschenkel und sahen dort die zwei Stempel. »Was du sagst, ist wahr«, sagten sie.

Darauf setzten sie sich hin, der König liess seine Tochter holen und gab sie Mahmûd Kola. Und sie veranstalteten seine Hochzeit – sieben Tage und sieben Nächte13, – und er heiratete sie, und sie ward seine Gattin. Hernach schickte er Ausrufer in die Stadt aus und liess verkünden: »Wer Mossulaner bringt, dem gebe ich ein Goldstück.« Die Arbeiter begannen nun Mossulaner zu suchen – Mahmûd Kola dachte sich, vielleicht finde ich meine Brüder –, und eines Tages erblickte einer von den Leuten der Stadt zwei Mossulaner neben einander sitzen, die waren Brüder. Da fasste er sie an der Hand und sagte: »Kommet, der Schwiegersohn des Sultans ruft euch.« »Was will er von uns?« fragten sie, »wir sind Fremde.« Sie wurden aber vor Mahmûd Kola gebracht, und als er sie sah, erkannte er sie. »Das sind meine Brüder«, rief er aus und sprang auf, küsste sie und liess sie neben sich sitzen. Hernach liess er sie ins Bad führen, ihnen den Kopf rasieren und andere Gewänder anziehen. Auch gab er dem viele Geschenke, der sie gefunden hatte.

Dann brach er von Stambul auf, um nach seiner Vaterstadt, nach Mossul, zu ziehen. Und er und seine Brüder zogen hin, bis sie in die Nähe von Mossul gelangten. Als der Minister, der an Stelle von dessen Vater König geworden war – der war es, der sie aus dem Hause ihres Vaters vertrieben hatte und sie hatte ermorden wollen –, als dieser Minister hörte, dass ein mächtiger König mit zahllosen Truppen anrückte, ging er ihm aus Furcht zwei bis drei Tagemärsche entgegen. Er ahnte aber nicht, dass es der Sohn des Königs, seines Herrn, war. Bevor sie zusammentrafen, befahl[127] Mahmûd Kola seinen Dienern und sprach: »Auf! jener vorderste Mann, der auf dem Wagen fährt, ist König an Stelle meines Vaters. Auf! tötet ihn und zerhaut ihn in Stücke.« Sie liefen an ihn heran, töteten ihn und zerhieben ihn in Stücke. Dann zog er in Mossul ein und nahm die Stelle seines Vaters ein. Er führte auch wieder seine Mutter heim,14 nahm auch selbst Wohnung im Schlosse und war König.

1

Ist wohl nur eine Interjection; an das ägyptisch-arabische hene »hier« darf man wohl nicht denken.

2

D.h. Mahmûd, der Sklave, der Kuli.

3

Die Übersetzung hat waallaḳû (falscher Numerus!), sie supponiert also wmugrele,, wohl mit Recht; die Orientalen lassen sich bekanntlich auch das Kopfhaar abrasieren – vgl. LANE, SitGbr. I p. 24, BAEDSOC, Syrien p. 376 und BODENSTEDT, 1001 TiO. p. 51 –; den Bart gewöhnlich nur Leute dienenden Standes, vgl. LANE, a.a.O.

4

Der Übersetzer falsch: »des Vesiers«.

5

Unsicher. Die Übersetzung schlecht und nicht minder uns klar: »Wie wird ein Jüngling wie dieser?« (keif jeṣîr miṯl hâḏa šâb).

6

Unsicher. Die Worte heissen eigentlich »hinter ihr«. Die Übersetzung hat »sogleich«.

7

Eigentlich: »zu sprechen, zu geben und zu nehmen von einander.«

8

?; eigentlich »halten«.

9

Der Übersetzer fasste laile, im Sinne von »Nacht« auf!

10

Häufiger Zug, der besonders in der Gruppe der Sagen vom geblendeten Beneideten vorkommt. Die sprechenden Wesen sind teils Vögel, teils Dämonen. Vgl. GRIMM, KHM No. 107 »Die beiden Wanderer« und III pp. 188 f., 342. Zu den hier gegebenen Nachweisen füge noch hinzu: HAHN, GrAlbM. No. 30, KRAUSS, SMSdsl. I p. 433, MIKLOSICH, Zigeuner IV p. 44, 1001 N Br. I p. 231 f., KNOWLES, FtKash. p. 90 f. und RIVIÈRE, CKabyles p. 36, 53. Auch Siddhikür p. 61 hat einige Verwandtschaft mit diesem Zuge.

11

D.h. mit ihrem Verstände, weil er stumpf ist, vgl. p. 131 oben. Zum ganzen Satze vgl. auch p. 47 unten.

12

»Knabe, komm her!« Auch im Türkischen wird Knabe (eig. oġlân) für »Diener« gebraucht, wie im Französischen (garçon) und Arabischen (weled).

13

Die gewöhnliche Dauer der Hochzeitsfeierlichkeiten im Orient von der ältesten bis in die jüngste Zeit; vgl. Richter 14 v. 12, Tobit 11 v. 18 (20) und LANE, SitGbr. III p. 136.

14

Unübersetzt.

Quelle:
Lidzbarski, Mark (Hg.): Geschichten und Lieder aus den neuaramäischen Handschriften. Weimar: Verlag von Emil Felber, 1896, S. 114-128.
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