5. [104] Rama und Luxmann, oder die kluge Eule.
5. Rama und Luxmann, oder die kluge Eule

Es war ein Mal ein Rajah, Namens Chandra-Rajah,1 der hatte einen erfahrenen Wuzeer oder Minister, genannt Butti. Ihre gegenseitige Liebe war so groß, daß sie eher ein Brüderpaar zu sein schienen und nicht ein Herr mit seinem Diener. Weder der Rajah noch der Wuzeer hatten Kinder und doch sehnten sie sich gleicherweise nach einem Sohne. Schließlich bekamen alle beide, die Frau des Rajah sowohl, wie die Frau des Wuzeers an ein und demselben Tage, zu ein und derselben Stunde einen kleinen Jungen. Man hieß den Rajahssohn Rama und der Sohn des Wuzeers ward Luxmann genannt, und es herrschte großer Jubel bei der Geburt der Beiden. Die Knaben wuchsen auf, liebten einander zärtlich und waren nur miteinander glücklich. Sie gingen zusammen in die Tagesschule, beteten zusammen und spielten zusammen, auch wollten sie nur von ein und demselben Teller essen. Da sagte eines Tages, als Rama Rajah fünfzehn Jahr alt war, die Ranee, seine Mutter,[105] zu Chandra Rajah: »Gemahl, unser Sohn verkehrt zu viel mit geringen Leuten; er spielt z.B. immer mit dem Wuzeerssohne Luxmann, das schickt sich nicht in seiner Stellung. Ich möchte, Du bemühtest Dich, dieser Freundschaft ein Ende zu machen und andere Spielgefährten für ihn zu suchen.«

Chandra Rajah erwiderte: »Das kann ich nicht, Luxmanns Vater ist mein genauer Freund und Wuzeer, dasselbe war sein Vater meinem Vater; warum sollen es die Söhne einander nicht auch sein?« Diese Antwort verdroß die Ranee, aber sie sagte ihrem Gemahle nichts mehr, sondern schickte inzwischen zu allen Weisen, Sehern und Beschwörern im Lande und erforschte von ihnen, ob es kein Mittel gäbe, die Zuneigung, welche die Kinder zu einander hatten, zu zerstören. Sie antworteten, sie wüßten keines. Zuletzt kam eine alte Nautsch-Frau zu der Ranee und sagte: »Ich kann Deinen Wunsch erfüllen, doch mußt Du mir einen großen Lohn geben.« Da schenkte die Ranee der alten Frau einen ausnehmend großen Beutel voll goldner Mohurs und sagte: »Dies gebe ich Dir gleich, und ist Dein Unternehmen erfolgreich, so gebe ich Dir noch einmal so viel.« Hierauf verkleidete sich diese alte boshafte Frau, zog ein kostbares Kleid an und ging zu einem Gartenhause, das Chandra Rajah seinem Sohne gebaut hatte und woselbst Rama Rajah und Luxmann, der junge Wuzeer, den größten Theil ihrer Spielzeit zu verbringen pflegten. Außerhalb des Hauses war ein großer Brunnen und ein schöner Garten. Als die alte Frau ankam, spielten die Knaben eben miteinander im Garten Karten nahe am Brunnen. Sie kam näher und fing an Wasser aus demselben zu schöpfen. Rama Rajah sah auf, bemerkte sie und sprach zu Luxmann: »Geh' und erkunde, wer jene reichgekleidete Frau ist und theile es mir dann mit.« Der Wuzeerssohn that, wie ihm geheißen war[106] und fragte die Frau, was sie wolle. Sie antwortete: »Nichts, o nichts,« und mit dem Kopfe nickend, ging sie fort. Dann ging sie zur Ranee zurück und sagte: »Ich habe gethan, was Ihr wünschtet, gebt mir meinen versprochenen Lohn.« Die Ranee gab ihr darauf den zweiten Beutel voll Gold. Nach Luxmanns Zurückkunft fragte ihn der junge Rajah: »Was wollte die Frau?« Luxmann antwortete: »sie sagte, sie wollte nichts.« »Das ist nicht wahr,« erwiderte der andere zornig, »ich weiß gewiß, sie hat Dir etwas mitgetheilt; weßhalb sollte sie ohne einen Grund hierherkommen? es steckt irgend ein Geheimniß dahinter, daß Du mir verbirgst, ich bestehe darauf, es zu wissen.« Luxmann betheuerte vergebens das Gegentheil. Nun erhob sich ein Streit zwischen den beiden jungen Leuten, dann schlugen sie sich, und schließlich lief der junge Rajah ganz erzürnt zu seinem Vater. »Was fehlt Dir mein Sohn?« fragte derselbe. »Vater,« antwortete er, »ich bin auf den Wuzeerssohn böse, ich hasse diesen Knaben, tödte ihn und laß mir seine Augen zum Beweis seines Todes bringen, oder ich esse nichts zu Mittag.« Darüber war Chandra Rajah tief betrübt. Weil sich nun der junge Rajah standhaft weigerte, etwas zu Mittag zu essen, sprach der Rajah schließlich zum Wuzeer: »Bringe Deinen Sohn fort und verstecke ihn, denn die Knaben haben sich untereinander gezankt.« Dann ging er hin, schoß einen Hirsch, zeigte dessen Augen Rama und sagte; »Siehe, mein Sohn, auf Deinen Befehl ist der gute Wuzeerssohn seines Lebens beraubt worden.« Da ward Rama Rajah lustig und verzehrte sein Mittagsessen. Eine Weile danach fing er an, seinen freundlichen Spielgenossen zu vermissen; er hatte Niemanden mehr, von dem er gern Geschichten hörte oder der ihn belustigte. Dann träumte ihm vier Nächte hindurch von einem prächtigen Glaspalaste, in dem eine marmorweiße Prinzessin wohne, und er berief alle Weisen des Königreiches, um[107] sich diesen Traum deuten zu lassen, aber es vermochte Niemand. Jemehr er nun an diese schöne Prinzessin und seinen verlorenen Freund dachte, desto trauriger wurde er, und er sprach zu sich selbst: »Ach, wenn mein Wuzeerssohn hier wäre, wie schnell würde er mir den Traum deuten! o mein Freund, mein Freund, mein theurer, verlorner Freund.« Und als Chandra Rajah, sein Vater, hereinkam, sprach er zu ihm: »Zeige mir das Grab von Luxmann, dem Sohne des Wuzeer's, damit ich auch auf demselben sterbe.« Da erwiderte sein Vater: »welch' ein thörichter Knabe bist Du, erst bittest Du um den Tod des Wuzeerssohnes und nun möchtest Du auf seinem Grabe sterben; was ist das für dummes Zeug?« Rama Rajah erwiderte: »O, warum gabst Du den Befehl ihn umzubringen? In ihm verlor ich meinen Freund und alle Freude meines Lebens; zeige mir gleich sein Grab, und auf demselben, das schwöre ich, will ich mich selbst tödten.« Als der Rajah die aufrichtige Trauer seines Sohnes sah, sprach er zu ihm: »Du hast mir in der That dafür zu danken, daß ich Deine thörichten Wünsche nicht achtete. Dein alter Spielkamerad lebt noch; seid wieder Freunde, denn was Du für seine Augen hieltest, das waren nur die Augen eines Hirsches.« So kam Rama's und Luxmann's Freundschaft wieder auf den alten Fuß. Da sprach Rama zu Luxmann: »Ich hatte vor vier Nächten einen seltsamen Traum. Es war mir, als wanderte ich viele Meilen weit durch einen trostlosen Dschungel, danach kam ich an einen Hain von Cacaonußbäumen, den durchschritt ich und gelangte an einen, der war ganz aus Guavabäumen,2 dann kam ich zu einem von Suparibäumen und schließlich zu einem von Kopalbäumen; hinter diesem lag ein Garten voll Blumen, von denen mir die Malee-Frau einen[108] Strauß band. Um den Garten floß ein großer Strom, an seinem nächsten Ufer lag ein schöner aus durchsichtigem Glas erbauter Palast, und in der Mitte desselben saß die schönste, marmorweiße Prinzessin, die ich je sah. Sie war mit kostbaren Juwelen bedeckt, bei dem Anblicke ihrer Schönheit schwanden mir die Sinne und – ich erwachte. Dies hat sich vier Mal wiederholt, und Niemanden habe ich gefunden, der mir dies Traumgesicht auch nur einigermaßen erklären kann.« Luxmann antwortete: »Aber ich kann es; es gibt allerdings eine Prinzessin, die der, welche Du in Deinem Traume sahest, gleicht, und wenn Du Lust hast, kannst Du zu ihr reisen und sie heirathen.« Da sagte Rama: »und wie lautet Deine Traumerklärung weiter?« Der Wuzeerssohn erwiderte: »Höre mir zu und ich will Dir Alles mittheilen: In einem, von uns weitentfernten Lande, in der Mitte des Reiches eines großen Königs, wohnt seine Tochter, eine überaus schöne Prinzessin. Sie lebt in einem Glas-Palaste. Um den Palast fließt ein großer Fluß und rings um den Fluß ist ein Blumengarten; rings um denselben sind vier dichte Lustwälder; einer von Kopalbäumen, einer von Suparibäumen, einer von Guavabäumen und einer von Cacaobäumen. Die Prinzessin ist 24 Jahre alt, aber noch nicht vermählt; sie hat beschlossen, nur den zu heirathen, der zu Pferd über jenen Fluß setzen kann, um sie in ihrem Glas-Palaste zu begrüßen. Aber obgleich schon viel tausend Könige das versuchten, so kamen sie doch alle bei diesem Unternehmen jämmerlich um; entweder ertranken sie im Flusse, oder sie brachen sich beim Fallen den Hals. Du siehst nun, daß Alles, was Du träumtest, vollkommen wahr ist.« »Können wir zu diesem Lande reisen?« fragte der junge Rajah; »o ja,« entgegnete sein Freund, »Du mußt nämlich folgendermaßen handeln: gehe und theile Deinem Vater mit, daß Du die Welt zu sehen wünschtest;[109] ersuche ihn nicht um Elephanten noch um Gefolge, sondern bitte Dir für die Reise sein altes Schlachtroß aus.«

Hierauf ging Rama zu seinem Vater und sprach: »Vater, gestatte mir, mit dem Wuzeerssohne auf Reisen zu gehen, ich wünsche die Welt zu sehen.« »Was bedarfst Du zur Reise, mein Sohn?« sagte Chandra Rajah, »willst Du Elephanten haben? und wie viele? Begleiter? wie viele?« »Keines von beiden, Vater,« antwortete er; »ich bitte Dich, gieb mir lieber Dein altes Schlachtroß, das möchte ich unterwegs reiten.« »Es sei, mein Sohn,« antwortete der Rajah, und darauf gingen Rama Rajah und Luxmann auf die Reise. Nachdem sie viele, viele tausend Meilen hinter sich hatten, kamen sie zu ihrer Freude eines Tages zu einem dichten Haine von Cacaonußbäumen und danach zu einem Haine von Guavabäumen, dann zu einem von Suparibäumen und schließlich zu einem von Kopalbäumen; danach betraten sie einen wunderschönen Garten, woselbst die Maleefrau ihnen einen großen Blumenstrauß darreichte. Nun wußten sie, daß sie bald den Ort, wo die schöne Prinzessin wohne, erreichen würden. Nun traf es sich, weil viele Könige und vornehme Leute bei dem Versuche über den Fluß zu setzen, welcher den Glas-Palast, den die Prinzessin bewohnte, umgab, ertrunken waren, daß der König, ihr Vater, ein Gesetz gegeben hatte, demzufolge in Zukunft ein Freier nur zu bestimmten Zeiten und mit seiner Erlaubniß und seinem Wissen den Sprung wagen dürfe. Aus diesem Grunde wurde jeder Rajah und jeder Prinz, der sich dem Flußufer näherte, ins Gefängniß geworfen. Diese Verordnung war weder dem Rama noch dem Wuzeerssohne bekannt. Sie erreichten ungefährdet die Mitte des Gartens, befanden sich bald in der Nähe des großen Stromes und beriethen miteinander, wie sie zu dem, am jenseitigen Ufer stehenden herrlichen Glas-Palaste gelangen könnten, als sie sich von[110] der königlichen Wache ergriffen und ins Gefängniß geschleppt sahen.

»Das ist ein hartes Schicksal,« sagte Luxman; »Ja,« seufzte Rama, »ein trauriges Ende unsrer schönen Pläne. Hältst Du es für möglich, daß wir unsren Wächtern entkommen?« »Ich hoffe es,« entgegnete Luxmann, »den Versuch müssen wir wenigstens machen.« Mit diesen Worten wandte er sich an die Schildwache, die vor der Thüre stand und sprach zu dieser: »Hier hast Du Geld, willst Du uns armen, eingekerkerten Leuten den Gefallen erweisen und mit lauter Stimme rufen, die Kuh des Malee sei fortgelaufen?« »Das ist ein leichter Weg, sich etwas zu verdienen,« meinte die Schildwache, nahm das Geld und schrie aus Leibeskräften. Der Erfolg entsprach Luxmanns Erwartungen. Die Maleefrau hörte die Schildwache rufen und dachte in ihrem Sinne: »Was? steht da schon wieder eine Schildwache vor dem Gefängnisse; wen mag man denn da bewachen? Sicher sind es die beiden jungen Rajahs, denen ich heute morgen begegnete, die muß ich zu befreien suchen!« Nun bat sie zwei Bettler um ihre Begleitung, nahm Blumen und Süßigkeiten mit sich und that, als wolle sie mit ihnen zu einem kleinen Tempel, der auf dem viereckigen Platze stand, in dem die Gefangenen eingeschlossen waren. Die Wache meinte, sie wolle nur mit ein paar alten Freunden den Tempel besuchen und ließ sie ungehindert weiter gehen. Sie aber schloß, sobald sie den freien Platz betreten hatte, die Thür des Gefängnisses auf und überredete die beiden jungen Männer, Rama Rajah und Luxmann, ihre Kleider mit denen der alten Bettler zu wechseln, und das thaten sie auch. Die Bettler blieben in der Zelle, während die Alte ihre vornehmen Freunde, Luxmann und Rama, in ihr Häuschen führte. Dort angekommen, sprach sie: »Junge Prinzen, Ihr thatet sehr unrecht, ohne die Erlaubniß unsres Rajahs an[111] den Fluß zu gehen; habt Ihr ihm doch nicht einmal Eure Ehrerbietung bezeigt. Das Gesetz ist in Bezug hierauf so streng, daß Ihr sicher eine lange Zeit im Gefängnisse geblieben wäret, hätte ich Euch nicht zur Flucht verholfen, und das that ich nur so bereitwillig, weil ich fühlte, daß Ihr aus Unwissenheit irrtet, aber morgen früh müßt Ihr an den Hof, um dort Eure Aufwartung zu machen.« Am folgenden Tage brachten die Wachen ihre beiden Gefangenen zum Rajah und sprachen: »Sieh, o König, hier sind zwei junge Rajahs, die wir, trotz Deines Gesetzes und Befehles gestern Abend am Flusse umherwandernd fanden.« Doch als man die Gefangenen genau betrachtete, – siehe, da fand sich, daß es ein paar alte Bettler waren, die Jedermann kannte und oft vor den Schloßpforten gesehen hatte. Da lachte der Rajah und sprach: »Ihr dummen Gesellen, Ihr seid diesmal allzu schlau gewesen, wahrhaftig, Ihr fandet ein paar prächtige Rajahs; erkennt Ihr diese alten Bettler denn noch immer nicht?« Worauf sich die Wachen sehr beschämt davonschlichen. Auf den Rath der Maleefrau begaben sich nun Luxmann und Rama am andern Morgen zeitig zum Palaste und ließen sich beim Rajah anmelden. Der Rajah empfing sie äußerst huldreich; kaum hörte er aber den Zweck ihrer Reise, so schüttelte er den Kopf und sagte: »Meine lieben, jungen Leute, seid Ihr wirklich entschlossen, Euer Leben zu wagen, um meine Tochter Barguttee Bai3 zu gewinnen, dann sei es fern von mir, Eure Absichten zu durchkreuzen, doch möchte ich Euch den freundschaftlichen Rath geben, von Eurem Unternehmen abzustehen; gibt es doch hundert Prinzessinnen, die Euch mit Freuden heirathen würden. Warum kommt Ihr denn gerade in dies Land, wo schon tausend Euch an Schönheit gleichende Prinzen ihr[112] Leben einbüßten? Gebt den Gedanken an meine Tochter auf; sie ist ein hartnäckiges Mädchen.« Doch Rama Rajah erklärte, daß er trotzdem vor Begierde zittere, den Sprung über den gefahrvollen Fluß zu wagen, worauf der Rajah seine Einwilligung zu diesem Unternehmen gab und feierlich in der ganzen Stadt bekannt machen ließ, daß abermals ein Prinz sein Leben auf das Spiel setzen wolle, und deßhalb alle guten und aufrichtigen Menschen für einen günstigen Erfolg beten möchten. Nachdem Rama sich prächtig gekleidet hatte, bestieg er seines Vaters starkes Schlachtroß, spornte es an und sprengte an den Fluß. Hoch hinauf, hinauf in die Luft, einem Vogel gleich, setzte das gute Schlachtroß gerade über den Fluß, sogar bis in die Mitte des Hofes, der den Glas-Palast der Prinzessin Bargaruttee umgab; und als sei er beschämt über eine so geringe That, führte er das Kunststück noch drei Mal aus. Hierüber war das Herz des Rajah froh, er lief herzu, klopfte das tapfere Pferd, küßte Rama und sagte: »Sei mir willkommen Schwiegersohn.« Unter großem Jubel fand die Hochzeit statt. Da gab's Feste, Illuminationen und viel Geschenke, und dann lebten Rama Rajah und seine Frau, die Ranee Bargaruttee, eine Zeitlang sehr glücklich. Schließlich sprach eines Tages Rama Rajah zu seinem Schwiegervater: »Sieh, ich bin hier ungemein gern bei Dir gewesen, doch habe ich eine große Sehnsucht, meine Eltern und meine Heimath wiederzusehen.« Hierauf erwiderte der alte Rajah: »Mein Kind, es steht Dir frei zu gehen, doch habe ich außer Dir keinen Sohn und außer Deiner Frau keine Tochter, und da ich ungern Euren Anblick entbehre, so hoffe ich, daß Ihr oftmals wiederkommt, um mich zu sehen und mein Herz zu erfreuen. Meine Thür steht Dir immer offen und Du wirst mir jederzeit willkommen sein.«

Rama Rajah versprach, bei nächster Gelegenheit zurückzukehren[113] und begab sich, beladen mit vielen kostbaren Gaben des alten Rajahs und mit allen zur Reise erforderlichen Gegenständen versehen, sammt seinem schönen Weibe Bargaruttee, seinem jungen Freunde, dem Wuzeer, und einem großen Gefolge auf die Heimreise. Vorher aber belohnten Rama Rajah und Luxmann die freundliche Maleefrau, welche ihnen so bereitwillig geholfen hatte, auf das reichlichste.

Am ersten Abend ihrer Wanderung erreichten die Reisenden das Ende des Cacaonußhaines, dort an der Grenze des Dschungels beschlossen sie, anzuhalten, um die Nacht über auszuruhen. Rama Rajah und die Königin Bargaruttee begaben sich in ihr Zelt, aber Luxmann, dessen zarte Liebe für sie so groß war, daß er gewöhnlich die ganze Nacht hindurch vor ihrer Thür wachte, saß in der Nähe unter einem großen Baume, als zwei kleine Eulen über seinen Kopf dahinflogen, sich auf einem der höchsten Zweige hockten und miteinander zu plaudern begannen.4 Der Wuzeerssohn, der in manchen Theilen klüger war, als die meisten Menschen, verstand ihre Sprache. Zu seinem Erstaunen hörte er, daß die kleine Madame Eule zu ihrem Gatten sagte: »Ich möchte gern, daß Du, mein Lieber, mir eine Geschichte erzähltest. Es ist schon lange her, seit ich eine hörte.« Darauf antwortete das Männchen, die andere kleine Eule: »Eine Geschichte? Was soll ich Dir für eine Geschichte erzählen? Siehst Du die Leute, die sich unter unsrem Baume gelagert haben? Möchtest Du wohl ihre Lebensgeschichte hören?« Frau Eule willigte ein, und das Männchen begann: »Sieh' Dir erst diesen armen Wuzeer an. Er ist ein guter und treuer Mann und hat viel für seinen jungen Rajah gethan, aber er hat weder jetzt noch später einen Vortheil davon.« Luxmann hörte dem Allen sehr aufmerksam[114] zu, und indem er seine Schreibtafel herauszog, beschloß er, all' das Gehörte niederzuschreiben. Die kleine Eule sing an mit der Erzählung von Rama's und Luxmann's Geburt. Dann sprach sie von ihrer Freundschaft, ihrem Streite, dem Traume des jungen Rajah und ihrer Versöhnung. Und ferner berichtete sie von den aufeinanderfolgenden Abenteuern, die sie erlebten, als sie die Prinzessin Bargaruttee suchten, bis zu eben dem Tage, an dem sie ihre Heimreise antraten. »Und was hält das Schicksal noch für diesen armen Wuzeer in Bereitschaft?« fragte Frau Eule. »Von diesem Orte,« erwiderte das Männchen, »wird er mit dem jungen Könige und der Königin weiterreisen bis sie sich ganz nahe bei Chandra Rajahs Besitzungen befinden, dort, wenn der ganze Zug eben unter einem großen Bananenbaum hinziehen will, wird dieser Wuzeer Luxmann bemerken, daß sich einige der höchsten Zweige auf gefährliche Art hin- und herbewegen. Er wird den König und die Königin eilends hinwegziehen, und der Baum, der sie sonst unabwendbar getödtet haben würde, wird mit einem entsetzlichen Krachen zur Erde fallen; aber hat er auch auf diese Weise das Leben des Rajah gerettet, so entgeht er doch nicht seinem Geschicke.« (All' dies schrieb sich der Wuzeer nieder.) »Und was dann?« fragte das Weibchen, »was dann?« »Dann,« fuhr der kleine weise Geschichten-Erzähler fort, »dann wird der Wuzeer gerade, wenn Rajah Rama und die Ranee Bargaruttee mit all' ihrem Gefolge die Thürschwelle des Palastes betreten, bemerken, daß das Gewölbe über ihnen unsicher ist; nur dadurch, daß er das Rajahpaar schnell hindurchzieht, wird er verhindern, daß es sie im Niederfallen zerschmettert.« »Und was wird er darauf thun, lieber Mann?« fragte Frau Eule wieder. »Darauf,« hob die kluge Eule wieder an, »wird Wuzeer Luxmann, wenn er bei dem schlafenden Rajah und der Ranee Wache hält, einen großen Cobra sehen, der der sich langsam die Mauer herabschlängelt und näher und immer[115] näher zur Ranee kriecht. Er wird denselben mit seinem Schwerte tödten, aber ein Tropfen des Cobrablutes wird auf die Stirn der Ranee fallen. Der Wuzeer wird es nicht wagen mit seiner Hand das Blut von ihrer Stirn zu wischen. Er wird statt dessen sein Gesicht mit einem Tuche bedecken, um den Tropfen auf diese Weise mit der Zunge fortzulecken, aber hierüber wird der Rajah ärgerlich werden und seine Vorwürfe werden diesen armen Wuzeer in einen Stein verwandeln.«

»Wird er immer ein Stein bleiben?« fragte Frau Eule. »Nicht immer,« antwortete das Männchen, »aber doch acht Jahre lang.« »Und was dann?« fragte sie wieder. »Dann,« antwortete das andere, »wenn der junge Rajah und die Ranee ein Kind haben, wird es sich so machen, daß das Kind eines Tages auf dem Boden spielt, und um sich von der Stelle zu bewegen, wird es sich an der steinernen Figur festhalten, und durch die Berührung des Kindes wird der Wuzeer wieder ins Leben kommen. Aber ich habe Dir heute Nacht genug erzählt, komm, wir wollen Mäuse fangen, – tuwhit, tuwhoo, tuwhoo,« und fort flogen die Eulen. Luxmann hatte alles Gehörte niedergeschrieben, es machte sein Herz schwer, aber er dachte, »wer weiß, ob sich das Alles erfüllt.« Deßhalb vertraute er keiner lebenden Seele ein Wort davon an. Am folgenden Tag setzten sie ihre Reise fort, und wie die Eule es prophezeit hatte, so geschah es. Während die Gesellschaft unter einem großen Bananenbaume dahinzog, bemerkte der Wuzeer, daß dieser unsicher war. »Die Eule sprach die Wahrheit,« dachte er für sich, ergriff den Rajah und die Ranee und zog sie, als gerade ein ungeheurer Baumzweig mit entsetzlichem Krachen niedersiel, unter demselben fort.

Als sie eine kurze Zeit darauf, nach ihrer Ankunft in Chandra Rajah's Reiche durch den großen Bogen des Schloßhofes einzogen, bemerkte der Wuzeer das Losbröckeln einiger[116] Steine. »Die Eule war eine glaubwürdige Prophetin,« dachte er wieder, erfaßte die Hand von Rama Rajah und Bargaruttee Ranee, riß sie rasch hindurch und bewahrte ihr Leben gerade zu rechter Zeit. »Verzeiht mir,« sprach er zum Rajah, »daß ich es ungeheißen wagte, Eure Hand und die der Königin zu berühren, allein ich sah die drohende Gefahr.« Darauf langten sie an und wurden von Chandra Rajah, der Königin, dem Wuzeer (Luxmanns Vater) und dem ganzen Hofstaate freudig begrüßt.

Ein paar Nächte später, als der Rajah und die Ranee schliefen, und der junge Wuzeer seiner Gewohnheit gemäß bei ihnen wachte, sah er einen großen schwarzen Cobra heimlich die Mauer gerade über dem Kopfe der Ranee herabkriechen. »Ach,« dachte er, »wenn sich nun mein Geschick erfüllt, so muß es sein; ich will trotzdem meine Pflicht thun.« Dann zog er aus den Falten seines Gewandes die Tafel, auf der seine und des jungen Rajah's Lebensgeschichte stand, (wie er sie der Eulen-Erzählung nachgeschrieben hatte) von seiner Knabenzeit an bis zu eben dieser Stunde, – legte sie neben den schlafenden Rajah, zog sein Schwert und tödtete den Cobra. Ein paar Tropfen Schlangenblut fielen auf die Stirn der Königin. Der Wuzeer wagte es nicht, dieselbe mit seiner Hand zu berühren, doch damit ihre erhabenen Augenbrauen nicht durch das Blut des niederträchtigen Cobra entweiht würden, bedeckte er ehrfurchtsvoll sein Gesicht und seinen Mund mit einem Tuche, um so den Blutstropfen mit der Zunge fortzuwischen. In diesem Augenblicke fuhr der Rajah aus dem Schlafe auf, und da er dies sah, rief er: »O Luxmann, Du bist mir wie ein Bruder gewesen. Du hast mich aus so manchem Ungemach errettet! Warum handelst Du jetzt also an mir? Ihre geweihte Stirn zu küssen! Wenn Du sie wirklich liebtest, (und wer kann das lassen?) so hättest Du mir das sagen sollen, als wir sie zuerst im Glas-Palaste sahen, und ich würde mich selbst zum Rücktritt gezwungen[117] haben, damit sie Deine Frau werden möge. O mein Bruder, mein Bruder, warum hast Du mich so betrogen?« Der König hatte sein Antlitz in seine Hände vergraben, jetzt sah er auf und wandte sich zum Wuzeer, aber er erhielt weder Antwort noch Erwiderung. Luxmann war zu einem fühllosen Steine erstarrt. Da bemerkte Rama zum ersten Male die Tafel, die Luxmann neben ihn gelegt hatte, und als er in derselben las, was Luxmann ihm von seiner Knabenzeit an bis ans Ende gewesen war, da überstieg sein herber Schmerz alle Grenzen und zu den Füßen der Bildsäule niederfallend, umschlang er deren steinerne Kniee und weinte laut. Als der Tag dämmerte, fanden ihn Chandra Rajah und die Ranee noch immer weinend und den Stein streichelnd und ihn mit trauervollen Thränen und Seufzern um Vergebung anflehend. Da sprachen sie zu ihm: »Was hast Du da gethan?« Als er es ihnen erzählte, ward der Rajah, sein Vater, sehr böse und sagte: »War es noch nicht genug, daß Du schon einmal ungerechter Weise den Tod dieses guten Mannes gewünscht hast, warum mußtest Du durch Deine voreiligen Vorwürfe ihn in einen Stein verwandeln? Fort mit Dir, Du richtest nichts wie Unheil an.«

Acht Jahre vergingen, ohne daß der Wuzeer seine ursprüngliche Gestalt zurückerhielt, obgleich ihn Rama Rajah und Bargaruttee Ranee täglich beobachteten, seine kalten Hände küßten und ihn mit allen Schmeichelnamen anflehten, ihnen zu vergeben und zu ihnen zurückzukehren. Nach acht langen Jahren bekamen Rama und Bargaruttee ein Kind, und als es neun Monate alt war und nun anfing herumzukriechen, setzten die Eltern es neben die Statue des Wuzeer's, sie aber standen dabei und beobachteten es, in der Hoffnung, das Kind werde die Prophezeihung der Eule wahr machen und eines Tages den Stein berühren.

Aber sie warteten drei Monate hindurch vergebens. Als[118] das Kind schließlich ein Jahr war und zu gehen versuchte; da saß es eines Tages dicht bei der Statue, und wie es auf seinen unsicheren Füßchen hin- und herschwankte, streckte es seine zarten Hände aus und hielt sich an einem der steinernen Füße fest. Luxmann kam sofort ins Leben zurück, beugte sich nieder, nahm das kleine Kind, welches ihn erlöst hatte, auf seine Arme und küßte es. Es ist unmöglich, Rama Rajah's und seiner Gemahlin Entzücken über die Wiedergewinnung ihres lang verlorenen Freundes zu beschreiben. Der alte Rajah und die alte Ranee freuten sich auch sammt dem Wuzeer, Luxmanns Vater, und seiner Mutter.

5. Rama und Luxmann, oder die kluge Eule

Da sprach Chandra Rajah zum Wuzeer: »Mein Sohn ist so glücklich mit seiner Frau und seinem Kinde, während Deiner keines von beiden hat, geh', suche ihm eine Frau, damit wir eine rechte lustige Hochzeit halten.« Da suchte der Wuzeer seinem Sohne eine freundliche, schöne Frau, und Chandra Rajah und Rama Rajah sorgten dafür, daß Luxmanns Hochzeit größer ward, als die irgend eines großen Rajah's vor- oder nachher. Ja, es war ganz, als wäre er ein Sohn des königlichen Hauses, und dann lebten sie sehr glücklich. Und dasselbe wünschen wir allen guten Vätern, Müttern, Ehemännern, Frauen und Kindern.


1

Mond-König.

2

Areca Catechu, die Betelnuß-Palme.

3

Ein Name des Ganges.

4

Siehe die Notizen am Ende des Buches.

Quelle:
Frere, M[ary]: Märchen aus der indischen Vergangenheit. Hinduistische Erzählungen aus dem Süden von Indien, Jena: Hermann Costenoble, 1874, S. 104-119.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Horribilicribrifax

Horribilicribrifax

Das 1663 erschienene Scherzspiel schildert verwickelte Liebeshändel und Verwechselungen voller Prahlerei und Feigheit um den Helden Don Horribilicribrifax von Donnerkeil auf Wüsthausen. Schließlich finden sich die Paare doch und Diener Florian freut sich: »Hochzeiten über Hochzeiten! Was werde ich Marcepan bekommen!«

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon