23. [339] Wie die drei geschickten Männer die Geister überlisteten.
23. Wie die drei geschickten Männer die Geister überlisteten

Es war einmal ein sehr reicher Mann, der hatte eine sehr schöne Frau, und dieses Mannes liebste Beschäftigung war, den Pfeil und Bogen zu handhaben. Er besaß hierin eine so erstaunenswerthe Geschicklichkeit, daß er allmorgendlich eine Perle aus dem Nasenringe seiner Frau schoß, ohne sie nur im Geringsten zu verletzen.

Eines Tages, es war gerade ein Festtag, kam der Schwager des Perlenschießers, um seine Schwester, die für eine kurze Zeit ihre Eltern besuchen wollte, abzuholen. Als er sie sah, sagte er: »Du siehst ja so blaß, leidend und abgemagert aus. Behandelt Dich Dein Mann unfreundlich? Oder fehlt Dir sonst etwas?« »Nein«, entgegnete sie. »Mein Mann behandelt mich gut. Er giebt mir Gold und Schmucksachen und mein Haus ist so hübsch, wie ich es mir nur wünschen kann. Mein einziger Kummer ist, daß er sich jeden Morgen den Spaß macht, mir eine Perle aus meinem Nasenringe zu schießen. Das ängstet mich, denke ich doch immer, wer weiß ob er nicht doch einmal sein Ziel verfehlt, und mir der Pfeil ins Gesicht fährt und mich tödtet. So schwebe ich in beständiger Lebensgefahr,[340] mag ihn aber nicht bitten es nachzulassen, weil ihm gerade die Ausführung dieses Kunststückes eine ganz besondere Freude gewährt. Allein ich wäre sehr froh, stände er aus eigenem Antriebe davon ab.« »Was pflegt er denn zu sagen, wenn ihm der Schuß gelang?« fragte der Bruder. »Jeden Tag«, erwiderte sie, kommt er, sobald die Perle gefallen ist, zu mir und sagt ganz glücklich und stolz: »Sah man je einen geschickteren Mann als mich?« Und ich antworte dann »nein, sicher bist Du der Geschickteste auf der Welt.« »Antworte ihm das nicht wieder«, sagte der Bruder, sondern, richtet er das nächste Mal dieselbe Frage an Dich, so entgegne ihm: »Ich weiß es nicht, halte es aber doch für möglich, daß es auf unserer Erde noch einen geschickteren Mann, wie Du bist, giebt.« Die Frau des Perlenschießers versprach dem Rathe ihres Bruders zu folgen. Und als nun ihr Mann das nächste Mal wieder die Perle aus ihrem Nasenringe getroffen hatte und sagte: »gab es wohl je einen geschickteren Mann, als ich es bin?« antwortete sie: »Doch, es giebt sicher Leute, die Dich an Geschicklichkeit übertreffen.« Da sprach er: »Wenn das der Fall ist, so will ich nicht ruhen, bis ich sie gesunden habe.« Nun verließ er seine Frau und reiste tief in den Dschungel hinein, um wo möglich einen geschickteren Mann, als er einer war, anzutreffen.

Weiter, immer weiter wanderte er, bis er zuletzt an einen großen Fluß kam, an dessen Ufer saß ein Reisender, der verzehrte sein Mittagsmahl. Der Perlenschießer setzte sich zu ihm und knüpfte eine Unterhaltung an und fragte im Verlauf derselben: »Was ist der Zweck Deiner Reise und wohin gehst Du?« Der Fremde entgegnete: »Ich bin ein Ringer und der stärkste Mann dieses ganzen Landes. Im Bereiche des Ringens und Tragens schwerer Lasten vollführe ich manche wunderbare That, deßhalb hielt ich mich für den geschicktesten Mann in der[341] Welt. Nun hörte ich kürzlich von einem noch wunderbareren Manne, der soll in einem weitentfernten Lande leben und mit staunenswerther Geschicklichkeit jeden Morgen eine Perle aus dem Nasenringe seiner Frau schießen, ohne sie zu verletzen. Kaum vernahm ich das, so machte ich mich auf den Weg, um zu erfahren, ob dies Gerücht wahr sei.« Der Perlenschießer antwortete ihm: »Du brauchst nicht weiter zu reisen: ich bin der Mann, von dem Du hörtest.« »Aber weswegen befindest Du Dich auf der Reise und wohin willst Du?« fragte der Ringer. »Ich«, erwiderte der andere, »umreise ebenfalls die Welt, um einen geschickteren Mann, als ich es bin, ausfindig zu machen. Da wir nun aber beide dasselbe Ziel verfolgen, so laß uns einander als Brüder betrachten und zusammen nach einem Manne suchen, der uns übertrifft.« Der Ringer war es zufrieden, und nun machten sich die beiden auf die Wanderschaft. Nicht lange hiernach erreichten sie einen Kreuzweg, zu dem führten drei Pfade. Daselbst trafen sie noch einen Mann, den sie nie zuvor gesehen hatten. Der sprach den Perlenschießer und den Ringer an: »Wer seid Ihr Freunde und wohin geht Ihr?« »Wir?« antworteten sie, »wir sind zwei geschickte Männer, welche die Welt durchreisen, um einen zu finden, der mehr kann, als wir. Aber wer bist Du und wohin gehst Du?« »Ich bin ein Pundit,«1 erwiderte der dritte Mann; »ich besitze ein außerordentlich gutes Gedächtniß und bin meines klaren Kopfes wegen berühmt. Ich bin ein großer Denker und bildete mir ein, es gäbe in der weiten Welt keinen wunderbareren Mann, als ich. Da ich aber von zwei weitenferntlebenden Männern hörte, die jedoch einen noch größeren Ruhm erlangt hätten, machte ich mich auf den Weg, um sie zu suchen. Der eine von ihnen soll eine[342] Perle aus dem Nasenringe seiner Frau schießen können, der andere ist ein Ringer. Ich möchte doch wissen, ob dies Gerücht wahr ist.« »Ja es ist wahr«, entgegneten ihm die beiden; »denn wir, o Pundit, sind die zwei Leute, von denen man Dir erzählte.«

Der Pundit vernahm diese Nachricht mit großer Freude und rief: »Laßt uns Brüder sein, und da Eure Heimath so fern ist, so geht mit mir zu meinem nahegelegenen Hause, ruht Euch daselbst aus, und habt Ihr das gethan, so wollen wir alle drei unsre Künste zeigen!«

Dieser Vorschlag gefiel dem Ringer und dem Perlenschießer, und sie begleiteten den Pundit zu seinem Hause.

Nun befand sich in der Küche des Pundit ein ungemein großer eiserner Kessel; der war so schwer, daß ihn fünfundzwanzig Männer kaum zu bewegen vermochten, und um nun zu zeigen, wozu er im Stande sei, erhob sich der Ringer in der Stille der Nacht, verließ die Verandah, auf der er schlief, nahm so leise wie möglich diesen großen Kessel auf seine Schultern und trug ihn an den Fluß. Hier angekommen watete, er tief ins Wasser hinein und versenkte ihn dort. Nach Ausführung dieser That schlich er so leise, wie er es vorhin verlassen hatte, in das Haus des Pundit zurück, wickelte sich in sein Bettlacken und schlief fest ein. – Obgleich, er sehr vorsichtig aufgetreten war, hatte ihn doch die Punditfrau gehört und die weckte ihren Mann und sprach: »Ich hörte Fußtritte. Es schleicht sich eben einer, der nicht gehört sein will, hier im Hause herum. Vor einer kleinen Weile machte ich dieselbe Bemerkung. Das sind sicher Diebe, laß uns nachsehen, ob meine Vermuthung begründet ist. Es ist doch seltsam, wenn sie sich bei so hellem Mondenschein hereinwagen sollten.« Und dann erhoben sie sich beide leise und gingen durch das Haus.[343] Sie fanden indessen Alles in gewohnter Ordnung, nicht das Geringste war berührt oder vom Platze gerückt worden, bis sie in die Küche kamen. Anfangs schien es ihnen, als ob auch in dieser nichts fehle, in dem Augenblicke aber, da sie wieder hinaus gehen wollten, rief die Punditfrau: »Ei, wo ist unser großer Kessel geblieben? Es ist mir nie in den Sinn gekommen, darauf zu achten, ob er auch sicher aufbewahrt sei –, schien es mir doch unmöglich, daß ihn jemand von der Stelle rücke.« Da suchten sie beide in und außer dem Hause nach, aber der Kessel war nirgends zu finden. Schließlich bemerkten sie im Sande in der Nähe der Küchenthüre tiefe Fußspuren, als ob irgend einer, der eine sehr schwere Last getragen habe, hier gegangen sei, – und diese Spuren konnte man bis an das Flußufer hin verfolgen.

Sprach der Pundit: »Augenscheinlich hat irgend ein sehr starker Mann diese That vollführt, ich sehe nur die Fußspuren eines einzelnen Menschen, – und der hat den Kessel in das Wasser gesenkt, denn sieh nur, dort am jenseitigen Ufer bemerkt man keine Fußspuren mehr. Es ist höchst wunderbar, und wer mag das gethan haben? Laß uns doch nachsehen, ob unsere beiden Gäste schlafen. Vielleicht hat uns der Ringer diesen Streich gespielt, um eine Probe seiner Kraft abzulegen.« – Und dann gingen er und seine Frau auf die Verandah, woselbst der Ringer und der Perlenschießer, in ihren Bettüchern eingewickelt, fest schliefen. Zuerst betrachteten sie den Perlenschießer, doch nachdem sie also gethan hatten, schüttelte der Pundit den Kopf und sprach: »Nein, dieser da that es sicher nicht.« Dann sahen sie sich den Ringer an, und der listige Pundit beleckte die Haut des schlafenden Mannes, wandte sich dann zu seiner Frau und flüsterte: »Ich bin meiner Sache sicher, dieser Mann hier hat den Kessel gestohlen und in den Fluß getragen. Er muß erst[344] vor ein paar Augenblicken bis an den Hals im Wasser gewesen sein, denn seine Haut hat vom Fuß bis zu den Schultern auch keine Spur von Salzgeschmack an sich. Morgen will ich ihn in Erstaunen setzen, indem ich ihm zeige, daß ich um sein Geheimniß weiß.« Mit diesen Worten schlich sich der Pundit wieder in das Haus, und seine Frau folgte ihm.

Kaum war das Tageslicht angebrochen, so wurden auch der Perlenschießer und der Ringer von ihrem Wirthe geweckt und folgendermaßen angeredet: »Kommt, laßt uns zum Flusse gehen und uns in demselben baden, der große Kessel, in dem wir uns gewöhnlich waschen, ist in dieser vergangenen Nacht heimlich fortgeschleppt worden, deßhalb kann ich Euch kein Bad anbieten.« »Wo mag er aber hingekommen sein?« fragte der Ringer. »Ja, wo mag er hingekommen sein?« sagte der Pundit und führte sie zu der Stelle, an welche der Ringer letzte Nacht in den Fluß gegangen war; dann watete er ins Wasser hinein, bis er die fragliche Stelle fand. Nun zeigte er sie seinen Freunden und sagte: »Seht, bis hierher hat der Kessel seine Reise gemacht.« Der Ringer sah staunend, daß der Pundit wußte, wo er den Kessel, verborgen habe und sprach: »Wer hat ihn denn hierhergetragen?« »Das will ich Dir auch mittheilen«, entgegnete der Pundit; »Du thatest es.« Und nun erzählte er ihnen, daß ihn seine Frau diese Nacht geweckt habe, weil sie Fußtritte zu vernehmen glaubte, und in Angst vor Dieben gewesen sei. Wie er darauf den Kessel vermißt, und dann die zum Fluß führenden Fußspuren entdeckt habe. Schließlich fügte er hinzu, woran er gemerkt habe, daß der Ringer eben vorher bis zum Hals im Wasser gewesen sei. Hierüber wunderten sich beide, der Perlenschießer sowohl wie der Ringer und priesen die Weisheit des Pundit, und der Perlenschießer dachte in seinem Sinne: »Die beiden Männer können allerdings mehr als ich.« Darauf kehrten[345] die drei geschickten Männer wieder ins Haus zurück, waren fröhlich und guter Dinge, lachten und schwatzten miteinander den ganzen Tag, und als der Abend kam, sagte der Pundit zum Ringer: »Wir wollen heute keine Fastenmahlzeit halten, sondern uns einmal recht etwas zu Gute thun. Bitte, mein starker Freund, hole uns eine von den fetten Ziegen, die wir dort auf jenem Hügel sehen, damit wir sie braten.« – Der Ringer war es zufrieden. Er lief rasch zu der Stelle des Hügelabhanges, auf dem die Ziegenheerde weidete. Nun kam zufälligerweise in eben dem Augenblicke ein kleiner boshafter Geist des Weges daher, der sah, wie sich der Ringer die Ziegen betrachtete, um die beste von ihnen zum Mittagsessen auszusuchen. Da dachte er in seinem Sinne: »Er soll mich wählen und für sein Mittagsessen nach Hause tragen.« Auf diese Weise spiele ich ihm und seinen Freunden einen rechten Schabernack. Wie gesagt, so gethan. Schnell wie ein Blitz verwandelte er sich in eine ausnehmend schöne Ziege, und als der Ringer diese eine Ziege bemerkte, die so viel größer, schöner und fetter war, als die übrigen, so lief er zu derselben, packte sie, hielt sie unter seinem Arme fest und trug sie nach Hause, damit sie gebraten werde. Die Ziege stieß und stieß, sie schlug mit den Hinterfüßen aus und machte stärkere Anstrengungen frei zu kommen als irgend eine von den Ziegen, die dem Ringer jemals in die Hände gerathen waren; doch hielt er sie fest und trug sie im Triumphe zu der Thüre des Pundit. Der Pundit sah ihn kommen und eilte ihm entgegen. Als er aber die Ziege sah, blieb er bestürzt stehen. Hielt sie doch der Ringer so fest, daß ihr die Augen beinahe aus dem Kopfe traten, und dieselben sahen zudem so zornglühend und böse aus und funkelten gleich zwei brennenden Kohlen, daß der Pundit sofort erkannte, daß das von seinem Freunde gefangene Thier keine Ziege, sondern ein Geist war. Da fuhr ihm der Gedanke[346] durch den Sinn: »Wenn ich zeige, wie sehr ich mich fürchte, wird dieser grausame Geist mir ins Haus kommen, und uns Alle verschlingen. Ich will versuchen ihn einzuschüchtern.« Deßhalb rief er mit muthvollem Tone: »O Ringer, Ringer, thörichter Freund, was thatest Du? Wir baten Dich, uns eine fette Ziege zum Mittagsessen zu besorgen und nun hast Du uns nur diesen kleinen elenden Geist geholt! Wenn Du keine Ziegen finden konntest, warum hast Du uns dann nicht wenigstens ein paar Geister mehr geholt? Weißt Du nicht, welch' hungrige Leute wir sind? Meine Kinder sind gewohnt, jeden Tag einen Geist zu verzehren, meine Frau ißt drei, ich selbst pflege zwölf zu essen; Du aber hast für uns alle zusammen nur einen einzigen gefangen! Was sollen wir nun anfangen?« Als der Ringer diese Vorwürfe vernahm, war er so erstaunt, daß er den in eine Ziege verwandelten Geist los ließ, und der seinerseits war so in Furcht gesetzt durch Pundit's Worte, daß er ganz weh- und dehmüthig auf seinen Knieen zu ihm rutschte und sagte: »O Herr, iß mich nicht, und ich will Dir auch jeden Deiner Wünsche erfüllen. Wenn Du mich frei läßt, bringe ich Dir einen berghohen Schatz von Rubinen, Diamanten und Gold und zahllosen Edelsteinen. Nur verschlinge mich nicht, bitte, laß mich los!« »Nein, nein«, sagte der Pundit, »ich weiß, was Du dann thust. Du läufst fort und kommst nicht wieder, wir aber sind hungrig. Uns liegt nichts an Gold und Edelsteinen, wir sehnen uns nur nach einem schmackhaften Mittagsessen, und deßhalb müssen wir Dich braten.« Der Geist meinte, daß der Pundit die Wahrheit rede. Sprach er doch so furchtlos und natürlich. Deßhalb wiederholte er noch einmal dringender die Worte: »Laß mich los. Ich verspreche Dir auch wirklich wiederzukommen und Dir alle Reichthümer, die Du nur verlangen kannst, zu bringen.« Der Pundit war zu klug, um seine[347] Freude zu äußern, sondern sprach ernst: »Nun wohl, geh nur, kommst Du aber nicht schnell wieder, und bringst uns die versprochenen Schätze, so werden wir Dich finden und verschlingen, und wärest Du auch an dem äußersten Ende der Erde, denn wir sind mächtiger als Du und alle Deine Genossen.«

Der Geist, der eben erst die mehr als gewöhnliche Stärke des Ringers gespürt, und der aus dem Munde des Pundit gehört hatte, daß dieser ein Liebhaber von aus Geistern bereiteter Speise sei, pries sich glücklich, ihren Klauen so leichten Kaufes entgangen zu sein. Er kehrte in seine Heimath zurück, holte aus dem Vorrathshause der Geister einen unermeßlichen Haufen von Kostbarkeiten und flog eiligst zurück, um seine Schuld abzuzahlen und zu verhüten, daß man ihn verfolge und verzehre, als verschiedene seiner Genossen ihn aufhielten und ärgerlichen Tones fragten, wohin er einen so großen Theil ihrer Schätze trüge. Der Geist entgegnete: »Das thue ich, um mein Leben zu retten. Auf meiner Reise um die Welt ward ich von ein paar schrecklichen Wesen ergriffen, die waren entsetzlicher als die Menschenkinder. Die drohten mir, mich zu essen, falls ich ihnen keine Schätze brächte.« »Wir möchten wohl diese schrecklichen Wesen sehen«, antworteten die Geister. »Wir hörten bis jetzt noch niemals von Sterblichen, die uns verschlingen können!« Und diesen entgegnete er: »Es sind auch keine gewöhnlichen Sterblichen. Ich sage Euch, es sind die tapfersten Creaturen, die ich je sah. Sie wären im Stande selbst unsren Rajah zu verspeisen, wenn sie ihm zufällig begegneten. Einer von ihnen sagte, er esse täglich zwölf Geister, seine Frau drei und jedes seiner Kinder einen!« Der vom Pundit betrogene Geist erhielt nun die Erlaubniß weiter zu fliegen, doch befahl ihm der Geisterrajah in möglicher Eile heimzukehren, damit sie am folgenden Tage diese Angelegenheit in einer feierlichen Rathsversammlung[348] bereden möchten. Nach dreitägiger Abwesenheit kam der Geist mit Schätzen beladen zu dem Pundit, der aber fuhr ihn ärgerlich an und sprach: »Wo hast Du Dich so lange umhergetrieben? Du gabst uns das Versprechen baldmöglichst zurückzukehren.« Er antwortete: »All' die anderen Geister hielten mich auf. Sie wollten mich nicht gehen lassen, denn sie waren böse, daß ich Ihnen Euretwegen einen so großen Schatz entwendete, und als ich ihnen von Eurer großen Macht erzählte, wollten sie es mir nicht glauben, sondern werden nach meiner Rückkehr eine feierliche Rathsversammlung halten und über mich richten.« »Wo wird diese Rathsversammlung gehalten?« fragte der Pundit. »O weit entfernt von hier, sehr weit«, antwortete der Geist, »tief im Dschungel, wo unser Rajah täglich Hof hält.« – »Ich und meine Freunde möchten wohl den Ort und den Rajah mit sammt seinem ganzen Hofgesinde sehen«, sagte der Pundit; »Du mußt uns mitnehmen, denn alle Geister stehen in unsrer Gewalt, ja selbst der Rajah, und thust Du nicht, was ich will, so werde ich sehr böse.« »Nun gut«, entgegnete der Geist, denn er war durch Pundit's drohende Worte genug eingeschüchtert, »steigt auf meinen Rücken, ich trage Euch hin.« Nun stiegen der Pundit, der Perlenschießer und der Ringer mitsammen auf den Rücken des Geistes und der flog mit ihnen weit, weit fort, immer zu, immer zu, so schnell wie seine Schwingen nur die Luft zu durchsegeln vermochten, bis er den großen Dschungel erreichte, in dem der Dusbar2 abgehalten ward. Hier setzte er sie auf den Wipfel eines Baumes, der gerade den Thron des Geisterrajahs überschaute. Nach ein paar Augenblicken vernahmen der Perlenschießer, der Pundit und der Ringer ein Sausen und Brausen, und tausend und aber tausend Geister erfüllten den Platz und bedeckten so weit man sehen konnte, die Erde, aber[349] am dichtesten schaarten sie sich um den Rajahthron; doch bemerkten diese die oben im Baume sitzenden Menschen nicht. Da befahl der Rajah, daß man den bösen Geist, welcher einige ihrer Schätze an die Sterblichen gegeben habe, vor ihn führe, damit er ihn richte. Der Schuldige ward in ihre Mitte geschleppt und verklagt, und nachdem man ihn für schuldig erklärt, wollte man ihn bestrafen. Er aber wehrte sich standhaft und sagte: »Mächtiger König, diejenigen, die mich zwangen ihnen Schätze zu bringen, waren keine gewöhnlichen Menschenkinder, nein, sie sind groß und mächtig. Sie sagten, sie äßen viele Geister. Der Eine verzehrt gewöhnlich zwölf, die Frau drei und jedes seiner Kinder einen. Er sagte überdies, er und seine Freunde überträfen uns an Macht und beherrschten Eure Majestät, sowie Eure Majestät uns beherrscht.« Da entgegnete der Geisterrajah: »Wenn Du diese Wesen vor unser Auge bringen kannst, so wollen wir Dir glauben, eher« – Bei diesen Worten brach der Ast, auf dem der Perlenschießer, der Pundit und der Ringer saßen, und sie fielen alle drei kopfüber herunter, erst der Perlenschießer, dann der Ringer und zuletzt der Pundit und zwar gerade auf den Rücken des Geisterrajah, der auf seinem Richterstuhle saß. Es schien, als seien sie vom Himmel gefallen, so plötzlich waren sie da, und da sie sich durch ihre unangenehme Lage sehr in Angst versetzt sahen, hielten sie es für das gerathenste, der angreifende Theil zu werden. Und deßhalb stieß, schlug und kniff der Ringer den Rajah, und der Perlenschießer that dasselbe. Der Pundit aber, der ein bischen höher hockte, rief dazu: »So ist es recht, so ist es recht! – Wir wollen diesen hier zuerst verschlingen und nachher all die anderen Geister.« – Als die bösen Wesen das vernahmen, flogen sie in großer Bestürzung auf und davon, und überließen den Rajah seinem Schicksale. Der aber schrie: »O schonet[350] meiner, o schonet meiner! Ich sehe, daß man mir die Wahrheit von Euch sagte. O schonet meiner. Ich will Euch auch Schätze geben.« »Nein, nein«, sagte der Pundit zu seinen Freunden, »hört nicht auf ihn, wir wollen ihn heute Mittag verspeisen.« Und der Ringer und der Perlenschießer stießen und schlugen ihn noch ärger als zuvor. Da schrie der Geist abermals: »Laßt mich los, laßt mich los.« »Nein, nein«, antworteten sie, und dann züchtigten sie ihn mit aller Macht eine volle Stunde hindurch. Schließlich aber sprach der Pundit, da er sah, daß ihre Kräfte ermatteten: »Die Schätze würden uns hier im Dschungel wenig nützen, doch willst Du uns einen großen Haufen von Kostbarkeiten in unser Haus bringen, so wollen wir Dich heute noch nicht verschlingen. Jedenfalls mußt Du uns einen nennenswerthen Ersatz anbieten, denn wir sind alle sehr hungrig.« Der Geist war über diesen Vorschlag äußerst froh, sammelte seine zerstreuten Unterthanen um sich und befahl ihnen, diese drei tapferen Männer wieder in ihre Heimath zu tragen und den verlangten Schatz in Pundit's Haus zu schaffen. Die kleinen Geister gehorchten mit Furcht und Zittern, und zeigten sich ebenso eilfertig den Pundit, den Perlenschießer und den Ringer aus dem Geisterreiche zu bringen, als diese eilfertig waren, hinauszukommen. Daheim angelangt, sagte der Pundit: »Nun thut Eure Schuldigkeit, dann entlasse ich Euch.« Sofort füllten zahllose Geister das Haus mit Reichthümern an, und nach Vollbringung ihrer Aufgabe flogen sie fort, – froh, dem schrecklichen Pundit und seinen Freunden entgangen zu sein. Redeten diese doch, als äßen sie Geister, wie andere Menschen Knackmandeln und Rosinen! Auf diese Weise, indem er seine eigne Furcht verbarg, rettete der tapfere Pundit sich und seine Familie aus der Hand der bösen Geister und erwarb sich obenein einen unermeßlichen Schatz. Er theilte die Beute in drei gleiche Theile.[351] Ein Drittel gab er dem Ringer, ein Drittel dem Perlenschießer und ein Drittel behielt er selbst. Dann entließ er seine Freunde mit manchem freundlichen Worte. Der Perlenschießer kehrte mit Gold und Juwelen von unschätzbarem Werthe beladen in seine Heimath zurück, und als er sein Haus erreicht hatte, rief er seine Frau, gab ihr alles und sprach: »Ich habe eine weite Reise hinter mir, und Dir alle diese Schätze heimgebracht. Außerdem habe ich erfahren, daß Du die Wahrheit gesprochen hast. Es giebt allerdings in der Welt noch geschicktere Männer als ich bin, denn meine Kunst ist brodlos, durch die Kunst eines Pundit aber und eines Ringers erhielt ich diese Reichthümer. Von nun an will ich keine Perlen mehr aus Deinem Nasenringe schießen.« Und das that er auch nicht wieder.

1

Ein Weiser.

2

Rathsversammlung.

Quelle:
Frere, M[ary]: Märchen aus der indischen Vergangenheit. Hinduistische Erzählungen aus dem Süden von Indien, Jena: Hermann Costenoble, 1874, S. 339-352.
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