Schippeitaro.

[49] In alten Zeiten war es Sitte, daß die tapfersten jungen Krieger in Japan auf Abenteuer auszogen; ähnlich wie die fahrenden Ritter unserer Vorzeit, jedoch nicht so hoch zu Rosse, durchstreiften sie das Land, und wo sie einem ihrer Zunft begegneten, da kämpften sie mit ihm, bis einer der Streiter dem anderen den Sieg und die größere Waffentüchtigkeit zuerkannte. Wo sie aber böse Räuber und andere Unholde trafen, da kämpften sie muthig gegen dieselben und befreiten die Bedrängten von ihren übermächtigen Feinden. In jenen Tagen zog einstmals auch ein junger Held aus, um seinen Muth und die Stärke seines Arms in Wagnissen solcher Art zu prüfen.

Schon war er manchen Tag gewandert, ohne daß ihm etwas besonderes aufgestoßen wäre. Da führte ihn der Weg in ein wildes Gebirge, in welchem er lange umherstreifte. Obgleich er stets wohl bedacht war, die Richtung nicht zu verfehlen, so ward dies hier, wo dichtes Gesträuch und hoher Wald, wo steile Felswände und tausend andere Hindernisse sich ihm entgegenstellten, doch endlich ganz unmöglich. Bald fand er sich inmitten einer solchen Wildniß, daß er sich nicht hinauszufinden vermochte. Der Abend kam heran, und so mußte er sich bequemen, so gut es gehen wollte ein Plätzchen unter freiem Himmel zu suchen, wo er seine Nachtruhe halten konnte. Als er sich im Dämmerlichte danach umsah, da gewahrte er in geringer Entfernung eine Art kleiner Kapelle mit einem Altare darin. Rasch ging er auf das Bretterhäuschen zu und machte sich in der engen Behausung ein Lager für die Nacht zurecht. Müde, wie er war, schlief er bald ein, doch um Mitternacht wurde er von einem entsetzlichen Lärm geweckt. Er horchte darauf, denn anfangs glaubte er, daß ein Traum seine Sinne beherrsche; doch dem war nicht so, der grauenvolle Lärm umtobte die Kapelle fort und fort. Vorsichtig richtete er sich empor, lugte durch die Holzstäbchen der Wände[50] und sah zu seinem nicht geringen Erstaunen eine Schaar scheußlicher Katzen, welche einen wilden Tanz aufführten. Dabei stießen sie gellende, herzzerreißende Töne aus, die weithin durch die Nacht hallten. Der hoch am Himmel stehende Mond bestrahlte hell die Scene, und der junge Krieger war von dem Anblicke so betroffen, daß er still in seinem Verstecke verblieb und die widerlichen Gäste unbehelligt ließ. Noch hörte er deutlich die Worte, welche sie unaufhörlich in ihr Geschrei mischten: »Sagt es ja dem Schippeitaro nicht! Haltet es geheim und verborgen! Sagt es ja dem Schippeitaro nicht!« Und dann, als die Mitternachtstunde vorüber, zogen sie von dannen, und der junge Krieger war wieder allein. Erschöpft fiel er auf sein nothdürftig hergerichtetes Lager nieder und schlief abermals ein.

Als er am anderen Morgen erwachte, trieb ihn der Hunger, eilig fort zu gehen und sich einen Ausweg aus der Wüstenei zu suchen. Kräftigen Schrittes ging er fort und war auch gar nicht lange gewandert, als er einen Seitenpfad erblickte, dessen Fußstapfen verriethen, daß Menschen in der Nähe sein müßten. Diesen Pfad schlug er auch ein, und als er ihm folgte und um einen Felsenvorsprung bog, sah er vereinzelt stehende Hütten und in einiger Entfernung ein Dorf vor sich liegen. Erfreut über die Entdeckung, wollte er dem Dorfe zueilen, als er laute Klagetöne ausstoßen hörte. Es schien eine weibliche Stimme zu sein, die in großer Bekümmerniß die Menschen um Erbarmen anrief und ohne Unterlaß wehklagte. Unser junger Krieger hörte nicht sobald diese Töne, als er sich selbst und seinen Hunger vergaß und in die nächste Hütte trat, um sich nach der Ursache zu erkundigen. Betrübt und sorgenvoll hörten ihn die Menschen, die er um Auskunft bat, an, und kopfschüttelnd bedeuteten sie ihn, daß er nicht helfen könne, denn der große Berggeist, der alle Jahr eine Jungfrau zur Speise verlange, sei die Veranlassung dieses Jammers. »Nächste Nacht,« so erzählten die Leute, »ist nun der Augenblick gekommen, wo der schreckliche Geist wiederum seine Mahlzeit hält, und die Klagen, welche durch den Wald schallen,[51] rühren von der Jungfrau her, welche geopfert werden soll.« Und als sich der junge Krieger erkundigte, wo denn der Berggeist sein Opfer in Empfang nehme, da nannten sie ihm dieselbe kleine Kapelle, in der er geschlafen, und setzten hinzu, daß ein Käfig dicht in die Nähe gestellt würde, in dem die Jungfrau eingeschlossen sei.

Erstaunt und durch und durch von dem Wunsche beseelt, die Jungfrau zu retten, hörte der junge Krieger die schauerliche Erzählung an, und da er bereits mit dem Schauplatze bekannt war, so fühlte er sich schon mit der ganzen Angelegenheit verwachsen. Genau führte er sich alle Einzelheiten der Spuknacht vor die Seele und erinnerte sich dabei auch der bedeutungsvollen Worte, in denen ein Schippeitaro genannt wurde. Vor allen Dingen erkundigte er sich deshalb, ob man ihm nicht sagen könne, wer Schippeitaro sei. »Das ist der schöne, große Hund des Oberbeamten unseres Fürsten, nicht sehr weit von hier,« so riefen ihm die Leute zu und lachten ob der sonderbaren Frage. Doch der junge Krieger lachte durchaus nicht, sondern machte sich auf und ging rasch zu dem Herren des Hundes, um denselben zu bitten, daß er ihm den Hund für die nächste Nacht überlassen möchte. Es bedurfte einigen Zuredens, bevor sich Schippeitaro's Herr entschloß, dem Wunsche des Fremden zu willfahren. Endlich aber nahm dieser das Thier in Empfang und zog, nachdem er fest versprochen, es am anderen Morgen zurückzubringen, mit demselben von dannen. Nachdem dies geschehen, suchte der junge Krieger die Eltern des Mädchens, das geopfert werden sollte, auf und gebot ihnen, ihre Tochter in einem sicheren, gut verwahrten Zimmer zu halten, und statt ihrer sperrte er den Hund Schippeitaro in den Käfig, der am Abend neben der Kapelle niedergestellt wurde. Er selbst begab sich in die Kapelle und harrte der Dinge, die da kommen würden.

Um Mitternacht, als die glänzende, große Mondscheibe über die hohen Berge gestiegen war und in das öde Thal hinabschaute, da kamen auch die Katzen wieder mit ihrem Geschrei,[52] und der ganze Zauberspuk wiederholte sich. Diesmal hatten sie in ihrer Mitte einen riesig großen Kater, der ihr Oberhaupt zu sein schien, und in dem unser Held nicht unschwer den gefürchteten bösen Berggeist erkannte. Der schwarze Kater, der sehr lüstern auf sein Opfer zu sein schien, erblickte nicht so bald den Käfig, als er auch ein gräßliches, weithin tönendes Freudengeschrei anstimmte und den Käfig in hohen Sprüngen umtanzte. Endlich, als er sein Opfer lange genug gequält zu haben glaubte, öffnete er den Käfig und spähete mit gierigem Blick in dessen Inneres. Aber diesmal sollte es ihm schlecht bekommen, denn im Nu sprang Schippeitaro hervor, packte den Kater und hielt ihn mit seinen Zähnen fest, bis der junge Krieger herbeilief und mit einem wohlgezielten, scharfen Schwerthiebe ihm den Garaus machte. Da lag nun das Ungethüm erschlagen in seinem Blute, und die Katzen waren so gelähmt vom Schreck, daß der junge Krieger deren noch viele erlegte und Schippeitaro gar manche von ihnen todt biß.

Der junge Krieger aber brachte den braven Schippeitaro unversehrt und mit vielen Dankesbezeigungen seinem Herrn zurück, und der Jungfrau verkündete er, daß sie gerettet und ihr böser Feind getödtet sei. Und seit dieser Zeit haben die Menschenopfer, die man dem bösen Geiste im Gebirge darzubringen genöthigt war, ein Ende gehabt; die Menschen, welche früher die Gegend mieden, durchwandern jetzt den Wald nach jeder Richtung und preisen noch heute den Muth und die Tapferkeit des jungen fahrenden Kriegers und des trefflichen Hundes Schippeitaro.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 49-53.
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