Der Glühwurm.

[57] In dem aufsprießenden Geäst einer Lotospflanze, die in einem Sumpfe stand, saß die Tochter einer Feuerfliege als unscheinbarer, kleiner Wurm. Niemand beachtete sie, und so verbrachte sie einsam ihre Tage; indessen machte sie sich nichts daraus, denn sie dachte bei sich, wenn die Zeit gekommen wäre, wo sie erwachsen sei, dann müßte ihr Loos sich wenden, und während sie jetzt allein in ihrem Blüthenkelche ruhete, würde sie später Gesellschaft und Unterhaltung genug bekommen.[57]

Diese ihre Hoffnung erfüllte sich auch richtig, denn eines Abends strahlte ihr Körper in so zauberhaftem Lichte, daß alles rings umher davon geblendet wurde, und die schmale, glänzende Mondsichel am Himmel zog sich vor lauter Neid hinter eine Wolke zurück. Von dem magischen Lichte angezogen, kamen aber Tausende von Insekten und brachten dem glänzenden Glühwurm ihre Huldigungen dar. Der graue Nachtfalter umflatterte den Kelch der Lotosblume, in welchem sie wohnte, ohne Unterlaß; große und kleine Käfer schwirrten unaufhörlich in der Luft oder setzten sich der Leuchtenden zu Füßen, und zahllose buntfarbige Thierchen stimmten ihr zu Ehren ein Concert an, das weithin tönte. Aber allen diesen Huldigungen setzte das Glühwürmchen kalte Verachtung entgegen. Es rührte sich kaum in seinem duftenden Blumenbette und that, als ob es von alle dem Gewirre rings umher nichts vernähme.

Als jedoch Abend für Abend sich die nämliche Scene abspielte, da erhob sich die Schöne endlich und trat hervor. »Laßt mich in Ruhe,« rief sie. »Keiner von euch gefällt mir; ich werde nur den erhören, der mir ein Licht bringt, wie ich selbst es habe.«

Betroffen hörten alle ihre Bewunderer diesen Ausspruch: allein kaum waren die Worte verklungen, so flog alles von dannen, um Licht zu holen, damit der Wunsch des leuchtenden Wesens erfüllt würde. Eitel Bemühen! Alle die zahllosen Insekten stürzten sich tapfer und ohne sich zu besinnen in die Flamme jeder Lampe, jeder Kerze, die ihnen in den Weg kam, und dennoch haftete kein Strahl davon auf ihren Flügeln oder ihrem Leibe, nein, kläglich mußten sie für ihr Wagniß büßen.

Die spröde Prinzessin Glühwurm blieb nun verschont und allein, und sie hätte lange auf einen Freier warten können, wenn nicht plötzlich der Leuchtkäfer gekommen wäre. Dieser glänzte genau so hell als der Glühwurm, und als sich beide erblickten, da waren sie gegenseitig von ihrer Schönheit bezaubert, so daß sie alsogleich beschlossen, einander zu heiraten.[58]

Die armen Insekten aber, welche die Prinzessin mit so hinterlistigen Worten fortgeschickt hatte, mühen sich bis zum heutigen Tage vergebens ab, so bald sie ein Licht sehen, etwas davon zu erhaschen; sie verbrennen sich dabei Flügel und Füße oder gar den ganzen Leib und gehen elendiglich zu Grunde.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 57-59.
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