Der Thierquäler.

[393] Ein Bürger der Hauptstadt Japans, der auf einer der belebtesten Straßen das Gewerbe eines Fächermachers betrieb, kam einstmals auf den Gedanken, ein Kalb in ein Tigerfell zu nähen und es dem Volke als eine angebliche Merkwürdigkeit für Geld zu zeigen. Es kamen auch viel Leute in die Bude, die er hergerichtet, um den vermeinten zahmen und harmlosen Tiger anzusehen, und der Fächermacher hatte großen Gewinn von seinem sonderbaren Unternehmen. Um nun aber nicht durch das Blöken des Kalbes entlarvt zu werden, hatte er die Grausamkeit begangen, des Thieres Maul zuzunähen. Der fortwährende Zuspruch des Volkes, das vom frühesten Morgen bis tief in die[393] Nacht sich zu der Schaubude drängte, machte es ganz unmöglich, daß dem armen Kalbe zeitweilig das Maul wieder geöffnet und daß ihm Futter gereicht werden konnte, und so starb dasselbe nach sechs oder sieben Tagen vor Hunger. Der große Vortheil, den der gewissenlose Fächermacher gehabt, verleitete ihn indessen, immer wieder denselben Versuch zu machen, so daß er nach und nach nicht weniger als sechs Kälber auf die nämliche unbarmherzige Weise umkommen ließ. Darauf aber ereilte ihn die gerechte Strafe. Er erkrankte schwer und blökte dabei fortwährend wie ein Kalb, bis er – schon nach kurzer Frist – elendiglich starb.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 393-394.
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