[170] 40. Das Bündel von Ngeraod

[170] Im Südteil der großen Insel Babeldaob liegt nördlich von a Irai ein waldiger Berg mit zwei Spitzen. Er heißt Ngeraod; und die Leute erzählten sich, daß er zum Himmel gehört, denn hier wohnten einst in einem schönen, hohen geräumigen Haus gewaltige überirdische Wesen, die Galid. In ihrem Gefolge befanden sich auch die Tekil malap; das waren böse menschenfressende Teufel, die in den Bergwäldern ihr Unwesen trieben und friedliche Leute belästigten.

Vor langer, langer Zeit kamen neun solcher Teufel jede Nacht vom Berge herunter und begaben sich zur Westküste der großen Insel an den Fluß von a Imul, zum Ngertukur. Damit sie nicht erkannt würden, setzten sie sich stets Eulenköpfe auf; so gingen sie in das Boothaus am Flusse, holten ein Fahrzeug heraus und fuhren damit auf die Lagune hinaus, um zu fischen. Noch vor Sonnenaufgang brachten sie das Boot zurück; und als der Eigentümer sein Fahrzeug öfters in der Frühe naß und mit Fischschuppen beschmutzt vorfand, fragte er im Dorf herum, wer denn in der Nacht immer sein Boot stehle. Aber niemand konnte ihm Auskunft geben; und so glaubte er, daß es die Galid waren, und beschloß sie einmal zu überraschen und abzufassen. Gesagt, getan. Er ging abends an den Fluß und legte sich der Länge nach in sein Boot. Fürchten tat er sich nicht, und damit der Menschengeruch ihn nicht verriet und die Teufel vertrieb, röstete er sich zwei Stückchen Kokosnuß am Feuer und steckte sie in die Ohren. Es dauerte gar nicht lange, da vernahm er ein Geräusch; die Teufel kamen; mäuschenstill blieb er liegen und rührte sich nicht. Die Tekil malap spürten alsbald den Duft der gebratenen Kokosnuß, sie schnupperten in der Luft herum, und als sie dem Geruch nachgingen, da fanden sie den Mann im Boote liegend. Wie der die Teufel erblickte,[171] war er nicht schlecht erschrocken; doch er verlor den Mut nicht; er bot ihnen sofort die Nußstückchen an, und die Teufel waren darüber sehr erfreut. So etwas Schönes hatten sie noch nie gegessen. Und der Mann und die Tekil malap wurden Freunde und gingen nun gemeinsam auf den Fischfang. Sie machten reiche Beute, und als sie zurückkehrten, wurde der Fang geteilt. Ehe sich die Teufel aber verabschiedeten, fragten sie ihren Freund, ob er ihnen nicht noch etwas Röstnuß schenken möchte. Da lud er sie ein, mit ihm in sein Haus zu kommen, wo er vom Boden einige Nüsse holte, die noch in ihrer trockenen Hülle steckten. Er legte sie so wie sie waren ins Feuer, und als es ausgebrannt war, schälte er die schön gerösteten Kerne heraus und gab sie seinen Galidfreunden zu essen. Die freuten sich sehr und verzehrten alsbald ihre Lieblingsspeise mit großer Gier. Dann luden sie ihrerseits den Mann ein, mitzukommen und einmal ihre Speisen zu versuchen. Er willigte ein und sie zogen zusammen los. »Tritt immer in unsere Fußstapfen!« riefen sie ihm zu, denn ihr Weg führte nicht auf der Erde entlang, sondern durch die Lüfte. Er tat, wie ihm geheißen, und so gelangten sie alle zusammen in kurzer Zeit nach Ngeraod. Dort kamen sie an einen großen Baum, der sich vor den Ankömmlingen in der Mitte spaltete und dann wieder schloß, als sie hindurchgeschritten waren. Und die Tekil malap sagten zum Manne: »Wenn wir nun zu unserer alten Mutter ins Haus kommen, und wir bieten dir etwas zum Geschenk an, dann schlage alles aus, bis auf das, was im Taroschrank steht; das nimm an!« Bald darauf kamen sie in das Haus zu ihrer Mutter, die eine große Frau war, mit riesigen Brüsten. Sie ließen es sich hier nun wohl sein. Nach zwei Tagen wollten die Tekil malap ihrem Freunde ein Geschenk geben. Die Alte reichte ihm eine Schildpattschale, welche die Eigenschaft hatte, sich immer wieder neu zu füllen, wenn man sie einmal um sich selbst drehte; er lehnte sie aber ab. Darauf fragte ihn die Alte, ob er den geldbrütenden Hahn haben wolle, den berühmten Malk ra Ngeraod, der einen Menschenkopf [172] hatte; aber auch den wollte er nicht haben. Nun fragte sie ihn, was sie ihm denn eigentlich schenken sollte; da antwortete er: »Gib mir das, was dort im Taroschrank rasselt.« »Schön,« sagte das Weib, »du sollst es haben.« Als er sich zur Heimkehr anschickte, nahmen die Tekil malap ein Bündel aus dem Schrank heraus und gaben es ihm mit der Weisung, es fest in der Hand zu behalten. Es war das Bündel Tur re Ngeraod; ein Stück von der heiligen Fackel-Linde, dem garamal-Baum, und war in eine Blattspreite der Areka-Palme eingewickelt. Dann führten die Teufel ihn zum großen Baum und verabschiedeten sich dort; der Baum öffnete sich wieder und schloß sich hinter ihm. Nun tat er, wie man ihm vorher geheißen hatte; er hielt das Bündel vor die Brust und legte sich darauf nieder. Und kaum hatte er die Augen geschlossen, da flog er schon durch die Lüfte und war in wenigen Augenblicken in a Imul vor seinem Haus. Er ging hinein und verbarg das wundersame Bündel sorgfältig im Taroschrank.

Einige Tage später wurde das Söhnchen des ersten Häuptlings, Saga ra Imul, plötzlich schwer krank. Niemand konnte ihm helfen, und es mußte sterben. Der Mann saß gerade auf dem Steinpflaster vor dem großen Häuptlingshause, als mehrere Frauen mit Töpfen auf dem Kopfe vorübereilten. Er fragte sie, wohin sie gingen, und sie antworteten: »Wir bringen Wasser und wollen das sterbende Kind von Saga ra Imul waschen, denn morgen früh wird es wohl schon tot sein.« Da rief er nur die Worte: »Audogul ma geuid!«

Als die Frauen zu Saga ra Imul kamen, erzählten sie ihm, was sie erlebt hatten und sagten ihm auch die Worte. Da schickte der Häuptling nach dem Mann und bat ihn, er möchte doch kommen und seinem Kinde beistehen. Der Mann ging erst in sein Haus, holte das wundersame Bündel und begab sich zum Saga ra Imul. Und während er sich ein Betelpriemchen zurechtmachte, verschied das Kind. Da erhob sich ein lautes Klagen und Wehgeschrei und Saga ra[173] Imul sagte: »Das Kind ist tot. Mann, wenn du mir helfen kannst und es wieder gesund machst, dann schenke ich dir viel, viel Geld.« – »Schön,« antwortete der Gast, nahm das Bündel und legte es auf die Brust des Kindes, das sofort die Augen wieder aufschlug und gesund war. Der Mann bekam nun von dem beglückten Vater das viele Geld; er ging heim und verbarg das Bündel wieder.

Der Vorfall sprach sich rasch herum; und die Leute neideten ihm sein Geld und den Schatz und dachten darüber nach, wie sie ihn wohl entwenden könnten. Häufig schlichen sie nach dem Hause hin; sie verstellten sich und baten den Mann, ihnen doch von seinem Reichtum abzugeben. Aber er vertröstete sie auf später, und so beruhigten sich die Leute für den Augenblick. Als er jedoch eines Tages mit Speer und Korb auf den Fischfang ausgegangen war, da sah er plötzlich in a Imul dicken schwarzen Rauch aufsteigen. Ihm ahnte nichts Gutes, und er dachte, daß sein Haus brannte. Er eilte rasch ans Land, und wie er in a Imul ankam, da sah er wirklich sein Haus in hellen Flammen stehen; aber hoch oben im Gebälk erblickte er das Bündel, und das garamal-Stück rief ihm zu: »Weine nicht, klage nicht, hier bin ich!«

Schnell holte er es aus den Flammen heraus und sagte zu den Missetätern: »Hier ist das Bündel! Seid doch vernünftig, und laßt es mir um unser aller Leben willen! Setzt ihr mir aber noch weiter zu, dann werfe ich es in den Busch, und es ist euch für immer verloren.« Sie hörten jedoch nicht auf seine Worte, sie ließen ihm keine Ruhe – und da führte er seine Drohung aus.

So kommt es, daß die Menschen sterben müssen, während der garamal-Baum unsterblich ist.

Quelle:
Hambruch, Paul: Südseemärchen. Jena: Eugen Diederich, 1916, S. 170-174.
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