[178] 42. Der Chaifi

Der Chaifi stand an seiner Esse tief unten in Sasalaguan und schmiedete Seelen, damit er Sklaven hatte, die ihm dienen konnten. Er schürte das Feuer, daß die Esse barst. Glühende Steine und feurige Ströme ergossen sich über die Erde, und eine Seele flog aus Sasalaguan hinaus. Sie fiel im Lande Guahan bei Funia nieder und wurde zu Stein. Doch die Sonne erwärmte den Stein, der Regen erweichte ihn, und das Meer gab ihm Menschengestalt. Da sah der Mensch, daß es auf der Erde schön ist. Er formte andere Menschen aus Erde und Wasser und schmiedete ihnen am Feuer der Sonne Seelen, wie er es bei dem Chaifi gelernt hatte; und nannte sie Erdensöhne.

Als der Chaifi nun merkte, daß ihm eine Seele entflohen war, suchte er sie überall, um sie zu töten. Einst fand er einen Erdensohn am Meere sitzend und glaubte, er sei die entflohene Seele. Er sandte eine große Woge, denn das Wasser, das Feuer und die Winde waren ihm untertan. Die Woge verschlang den Erdensohn, aber sie konnte ihn nicht töten; denn seine Seele kam von der Sonne, die dem Chaifi nicht untertan war; so wurde die Seele zum Fisch. Der Chaifi verfolgte den Fisch und trieb ihn in einen See; er zündete darunter ein großes Feuer an, und der See vertrocknete. Doch der Fisch starb nicht, sondern wurde zum Leguan und lebte im Wald. Da verbrannte der Chaifi den Wald. Nun wurde der Leguan zum Vogel und flog auf und davon. Jetzt sandte der Chaifi einen Sturmwind, der den Vogel an einen Felsen schleuderte, so daß er die Flügel brach – und er wurde wieder zum Menschen.

[178] Da sagte der Mensch mit der Sonnenseele zum Chaifi: »Sieh, du kannst mich nicht mit all deiner Macht töten, denn meine Seele ist von der Sonne.« Nun wunderte sich der Chaifi und antwortete: »Nein, von Sasalaguan ist deine Seele, ich habe sie doch selbst geschmiedet.« Der Erdensohn entgegnete: »Die Seele, welche dir entfloh, wohnt in Funia auf Guahan und schmiedet andere Seelen am Sonnenfeuer. Und wahrlich! du hast sie die Kunst gut gelehrt, denn schau, ich bin ihr Werk, eine Sonnenseele, und du, der Meister, hast keine Gewalt über mich.«

Als der Chaifi das hörte, erschrak er, und Zorn und Wut packten ihn. Er eilte auf Sturmesflügeln davon; das Meer brach über die Länder ein, die Berge spieen Feuer, und viele Inseln wurden vernichtet und begraben. In Funia aber öffnete sich die Erde und verschlang den Menschenvater. Doch sein Geschlecht konnte sie nicht töten.

Der verfolgte Erdensohn ward mächtig und groß und zeugte ein starkes Geschlecht. Aber er war nicht glücklich, denn er sehnte sich nach der Heimat seiner Seele.

Da trat der Chaifi zu ihm und sprach voll Arglist: »Ich sah deine Brüder in Guahan, im Lande der Glücklichen. Ihre Seelen dürsten nicht und hungern nicht, sie sind glücklich und gut, denn sie sind satt. Dich aber dürstet und hungert nach der verlorenen Heimat. Wohlan! Rüste ein Schiff und kehre heim in das Land der Glücklichen!«

Da rüstete der Erdensohn ein Schiff und der Wind trug es nach Guahan. Er sah seine Brüder. Doch die kannten ihn nicht und verstanden nicht, was er sagte. Sie waren aber gut zu ihm, gaben ihm von ihrem Überfluß und wollten ihr Glück mit ihm teilen. Ihr Glück aber und ihre Unschuld waren ihm ein Ärgernis: er zeigte ihnen ihre Nacktheit, daß sie sich schämten, und schenkte ihnen von seinem armseligen Reichtum, so daß sie fürder die Früchte ihrer Gärten verschmähten; er lehrte sie, was er Tugend nannte, und die Sünde und andere Gespenster. Da neideten sie ihm [179] seine Weisheit und seine Tugend, sie haßten ihn und haßten einander; und einer war der Feind des anderen.

Der Chaifi freute sich und lachte darüber; Haß und Neid, seine Lieblingssöhne, wurden herbeigerufen. Die faßten die Menschenherzen mit Haifischzähnen und Polypenarmen und zogen sie vom schirmenden Sonnenlicht zur Tiefe Sasalaguans hinunter. Sie lenkten den Wurfspieß des Kriegers und die Schleuder des Rächers und fuhren mit den Gefällten in den Höllenschlund hinab.

Im Tal der Glücklichen aber erwacht, wer in Frieden sein Erdenleben beschloß. Üppigeren Segen spenden dort Brotbaum und Kokospalme, und köstlichere Fische birgt dort das Meer als hier auf Erden.

Quelle:
Hambruch, Paul: Südseemärchen. Jena: Eugen Diederich, 1916, S. 178-180.
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