10. Der Meisterdieb

[27] Einst lebte eine Frau, die nur einen Sohn hatte. Jeden Tag ging sie in die Kirche und bat die heilige Jungfrau Maria um Rat, was ihr Sohn werden solle. Da sie laut sprach und jeden Tag dasselbe, so fiel es endlich dem Messner auf und eines Tages, als ausser ihr und ihm niemand in der Kirche war, schlüpfte er hinter die Statue der hl. Maria mit der Absicht, die Frau zu foppen.

Sie kniete wieder vor der Statue nieder und leierte ihre gewöhnliche Bitte herab: »Teure Maria, sage mir, was mein Sohn werden soll!« – »Ein Meisterdieb!« schrie eine hohe Stimme. – »Schweig, kleiner Schwätzer,« rief die Frau, welche glaubte, dass das Jesukind spreche, »lass doch deine Mutter reden. Teure Maria, sag', was soll mein Sohn werden?« – »Ein Meisterdieb,« antwortete der Messner mit einer Frauenstimme. – »Dein Wille geschehe, liebe Maria,« erwiderte die Alte und ging nach Hause.

Nicht weit von ihr wohnte ein vortrefflicher Dieb und zu dem gab sie ihren Sohn in die Lehre. Einst gab ihm sein Lehrmeister einen Sack voll Nüsse, dass er sie zum Markt bringe, trug ihm jedoch auf, ihn in der Kirchenvorhalle zu erwarten, da er unterdessen ein Schwein stehlen wolle.

Als der Junge allein war, setzte er sich nieder und begann Nüsse zu knacken. Der Messner hörte dieses Geräusch und lief aus Furcht zum Pfarrer. »Herr Pfarrer,« rief er, »der Teufel ist in der Kirche; kommt doch und verjagt ihn.« – »Du weisst doch, dass ich meines Rheumatismus wegen nicht gehen kann,« antwortete der Pfarrer. – »Dann werde ich euch tragen; steigt nur getrost auf meinen Rücken.« – Der Pfarrer bestieg den Rücken des Messners. Als sie in die Nähe der Kirche kamen, rief der Messner: »Hört ihr, wie er mit den Zähnen knirscht?« – Der Junge glaubte, dass sein Lehrmeister mit dem Schwein komme und schrie: »Ist es fett? Ich werde es abstechen.«[27]

Kaum hatte der Pfarrer diese Worte vernommen, so sprang er flink zur Erde und rannte zurück in sein Haus und zwar so rasch, als ob er nie die Gicht gehabt hätte. Etwas später kehrte der Lehrherr zurück. – »Ich habe«, sprach der Junge, »soeben zwei Männern, die hier vorbeigingen, Furcht eingejagt. Ich glaubte nämlich, dass ihr mit dem Schwein kommt und als ich nun frug, ob es fett sei, da rannten sie davon als ob sie den Teufel in eigener Person gesehen hätten.«

Der Meister wollte das Schwein abstechen. Es lief jedoch davon und versteckte sich im Speicher des Messners, wo es an den Hölzern zu rütteln begann. Der Messner eilte zum Pfarrer und rief: »Herr Pfarrer, kommt schnell, der Teufel ist in meinem Speicher.« – »Ich kann nicht gehen.« – »So kommt doch, ich bitte euch darum.« – Als sie zur Türe des Speichers kamen, befahl der Pfarrer seinem Messner, auf alles, was er sage, Amen zu sagen. Sie öffneten die Türe, doch da stürzte das Schwein hervor und zwischen den Beinen des Pfarrers durch, ihn gleichzeitig mitreissend, sodass er wie von einem Reittier davongetragen wurde.

Der Pfarrer schrie: »Zu Hilfe, zu Hilfe!« Doch der Messner antwortete immer mit Amen. Ich weiss nicht, was mit dem Pfarrer weiter geschah.

Als der Junge eine genügende Ausbildung erhalten hatte, machte er sich selbständig und wurde bald als geschickter Dieb berühmt.


* * *


Einst verurteilte ihn das Gericht, eine Summe, die er schuldete, zu bezahlen. Da er jedoch die zehn Taler nicht hatte, so drohte ihm die Gefangenschaft. Von Tür zu Tür ging er, um sich den kleinen Betrag auszuleihen, doch niemand borgte ihm etwas. Traurig machte er sich auf den Heimweg, da begegnete er den Dummkopf Johann.

»Von wo kommst du, Johann?« – »Vom Markt. Ich habe dort eine Kuh verkauft, doch da sie heute nicht teuer waren, habe ich, trotzdem sie eine gute Milchkuh war, nur zehn Taler dafür erhalten.« – »Leihe mir die zehn Taler, lieber Johann. Du ersparst mir dadurch das Einsperren. Ich gebe sie dir bestimmt wieder zurück.« – »Ich würde dir diese Gefälligkeit gern erweisen, doch wir haben zu Hause heute abend nur mehr ein wenig Kuchen und ich muss morgen für[28] das erhaltene Geld Mehl kaufen. Wenn ich dir die zehn Taler ausfolge, so schimpft mich meine Frau aus.« – »Fürchte nichts, leihe mir nur das Geld! Ich werde dir auch Mehl verschaffen, wenn nicht noch heute Abend, so doch morgen früh.«

Der dumme Johann liess sich überzeugen, gab ihm das Geld und lud ihn zum Abendessen ein. Als Johanns Frau die Sache erfuhr, schimpfte sie gewaltig.

»Dummkopf, wie kannst du denn dem Schwindler zehn Taler geben, der dir gewiss kein Mehl verschaffen und der sich über uns nach dem Abendessen nur lustig machen wird!« – »Schweig' doch, liebe Frau«, sprach der Meisterdieb, »morgen früh werde ich dir beweisen, dass ich ein Mann von Wort bin.«


* * *


Am nächsten Morgen, schon bei Tagesanbruch, lieh sich der Meisterdieb einen Sack aus, füllte ihn mit Sägespänen, belud sich damit und kam gebeugt daher, als ob seine Last noch so schwer wäre. Er ging zur nächsten Mühle und stellte seinen Sack zu den Mehlsäcken.

»Herr Müller,« sprach er, »ich habe hier Korn gebracht, könnt ihr es mir sofort mahlen?« – »Nein, das kann ich nicht.« – »Dann muss ich es wo anders hintragen.«

Einen Augenblick benützend, wo sich der Müller umdrehte, lud er einen der dort stehenden Mehlsäcke auf und trabte eiligst davon, dem Hause des dummen Johann zu.

»Hier, liebe Frau, ist der Sack mit Mehl. Es ist eine ausgezeichnete Sorte. Ich habe mein Versprechen gehalten!«

Der Müller schickte seinen Jungen mit Mehl ins Schloss. Der Köchin gelang es jedoch nicht, aus den Sägespänen einen Teig zu verfertigen. Sie zeigte das Mehl ihrem Herrn, der äusserst zornig wurde, sofort sein Pferd satteln liess und zur Mühle ritt.

»Diebischer Müller! Du bist noch ein grösserer Spitzbube als alle anderen. Ich habe dir schönes, gutes Korn übersandt und du hast mir Sägespäne anstatt Mehl zurückgeschickt.« – »Gewiss hat mir der Meisterdieb, der heute früh bei mir war, diesen Streich gespielt,« schrie der Müller.

Der Herr suchte den Meisterdieb auf. Als ihn dieser sah, versteckte er sich in einem oben offenen, aufgestellten Fass und befahl seiner Frau, wenn er aus dem Spundloch[29] einen Finger herausstecke, auf alles mit: »Ja, Herr, er wird es tun,« zu antworten.

»Guten Tag,« sagte der Edelmann zur Frau. »Wo ist euer Mann?« – »Er ist seit morgens weg und noch nicht zurückgekehrt.« – »Sagt ihm, er möge zu mir kommen. Er soll mir diese Nacht die Pastete, welche im Backofen fertig gebacken wird, stehlen.« – »Das wird er tun.« – »Wie, er wird das durchführen?« – »Ja, wenn es Gott gefällt.«


* * *


Zu beiden Seiten der Backofenöffnung stellte der Edelmann zwei Landjäger auf und schärfte ihnen ein, wohl achtzugeben. Als es Nacht war, kam der Meisterdieb vorsichtig herzu, sah jedoch, dass der Ofen bewacht war und konnte daher augenblicklich nichts unternehmen. Er verbarg sich jedoch und passte auf das Kommende auf.

Gegen Mitternacht sprach der eine der Wächter zum andern: »Es ist kalt. Nichts rührt sich, ich glaube daher, dass einer von uns schlafen gehen kann. Wenn er etwas geschlafen hat, so möge er wieder zurückkehren, damit auch der andere bis Anbruch des Morgens sich ausruhen könne.« – »Ich bin mit deinem Vorschlag einverstanden,« sprach der Zweite, »und da du es warst, der diesen trefflichen Gedanken hatte, so lege dich als Erster nieder.«

Eine Stunde nachher näherte sich der Meisterdieb geräuschvoll und rief mit verstellter Stimme: »Hast du nichts gesehen, Kamerad?« – »Nein.« – »Geh' schlafen, ich wache nun.«

Kaum war der Landjäger weg, so nahm der Meisterdieb die Pastete und die gebackenen Brote aus dem Ofen und brachte sie in Sicherheit. An Stelle der Pastete, legte er einen Kuhfladen in die Schüssel, schloß dann den Ofen wieder ab und blieb als Wächter davor.

Nach einiger Zeit kam der erste Landjäger zurück und frug: »Nichts Neues?« – »Nein!« – »Dann geh' schlafen! Komme bei Tagesanbruch wieder.« – Der Meisterdieb ging fort und trug seinen Raub mit sich.

Als der Edelmann am Morgen kam, fand er die Wächter auf ihrem Posten. – »Hat der Meisterdieb etwas genommen?« – »Nein, wir haben ihn weder gesehen noch gehört.« – »Gut! Kommt, wir wollen zusammen eins trinken.« – »Es wäre aber gut, vorher noch die Pastete und die Brote, die[30] ja schon gebacken sein werden, aus dem Ofen herauszunehmen,« meinte einer der Hüter.

Der Ofen wurde geöffnet, die Brote waren jedoch verschwunden. Darüber geriet der Edelmann so in Zorn, dass er die Wächter der Nachlässigkeit zieh.

»Wir haben aber doch gut aufgepasst,« rief der Eine. »Übrigens, die Pastete ist noch hier.« – Der Edelmann nahm diese heraus und brachte sie seiner Frau, die in ihrer Schlaftrunkenheit davon kostete. Doch kaum hatte sie ein Stück im Munde, so schnitt sie ein fürchterliches Gesicht und rief: »Das ist ja ein Kuhfladen!« – »Diebischer Schurke,« schrie der Edelherr, »um mein Mehl hat er mich betrogen, mein Brot, meine Pastete hat er gestohlen und meiner Frau gibt er Kuhdreck zu fressen. Er macht sich über uns lustig, doch es soll ihm teuer zu stehen kommen!«

Der Edelmann ging wieder in's Haus des Meisterdiebs, der, als er ihn sah, sich abermals im Fass versteckte.

»Sage deinem Mann, dass er mir diese Nacht meine Stute aus dem Stalle stehle,« sagte der Edelmann zur Frau des Meisterdiebs. – »Er wird es besorgen,« erwiderte die Frau, da sie sah, dass ihr Mann den Finger beim Spundloch heraussteckte.


* * *


Der Edelherr sattelte und zäumte seine Stute auf und stellte sie mitten in den Stall. Zu jeder Seite stand ein Landjäger als Wache. Einem der beiden wurde es in dem finstern Stall bald langweilig und er teilte seinem Kameraden mit, dass er schlafen gehen, aber nach ein oder zwei Stunden wieder kommen werde. »Nehme, zur Sicherheit, den Zügel der Stute in die Hand.« – Der Meisterdieb, der im Hinterhalt lag, sah ihn fortgehen. Er trat in den Stall ein, frug den Wächter, ob es nichts Neues gebe und riet ihm, sich nun zur Ruhe zu begeben. Sobald dieser weg war, schirrte er das Pferd aus und hängte das Geschirr auf eine Flachsbreche. Das Pferd führte er hinaus und befestigte es an einem Baum. Hierauf kehrte er wieder zurück, nahm den Zügel, den er an der Flachsbreche befestigt hatte, in die Hand und wartete auf den Hüter, der zuerst weggegangen war. Als dieser kam, übergab er ihm den Zügel, bestieg dann das Pferd und ritt weg.

Im Morgengrauen kam der Edelmann in den Stall, in dem noch völlige Dunkelheit herrschte und fand die Wächter auf ihrem Posten. »Seid ihr wachsamer gewesen als eure[31] Kollegen, die meinen Backofen bewachten?« – »Ja, lieber Herr, hält doch einer von uns euer Reittier am Zügel.« – »Dann kommt und trinkt eines zur Stärkung.« – »Gern, lieber Herr, doch da das Pferd müde sein wird, werden wir ihm vorher sein Geschirr abnehmen.«

Als sie das Geschirr weggenommen hatten, fiel die Flachsbreche mit grossem Lärm um. Der Edelmann beschimpfte die Wächter, deren Wachsamkeit sich nicht bewährt hatte.

»Der elende Dieb,« schrie er, »hat mir mein Mehl, mein Brot, meine Pastete gestohlen. Er gab meiner Frau Kuhfladen zu essen und nun hat er mir meine gute Stute weggeführt. Das wird er mir büssen, denn wer zuletzt lacht, lacht am besten.«


* * *


Noch einmal suchte er den Meisterdieb auf, der sich wieder ins Fass verkroch. »Liebe Frau, wo ist euer Mann?« – »Er ist seit morgens weg.« – »Er ist ein sehr geschickter Bursche. Er wird jedoch, wenn er mir heute nachts die Bettdecken, unter denen ich und meine Frau schlafen, stiehlt, alles bisherige übertreffen!« – »Er wird es ausführen.« – »Das werden wir sehen,« sprach der Edelmann und entfernte sich.

Die Sache ängstigte unseren Meisterdieb anfangs so sehr, dass er nicht wusste, wie er sich daraus ziehen werde. Dann machte er sich jedoch einen Strohmann, einen solchen, den man sonst als Vogelscheuche verwendet. Er bekleidete ihn mit alten Lumpen, setzte ihm einen zerfetzten Hut auf und trug ihn abends zum Hause des Edelmanns.

Dort angelangt, lehnte er eine Leiter an die Mauer und bestieg sie, wobei er jedoch den Strohmann vorausschob. Der Edelmann, der wachte, sah ihn bald heben, bald senken, als ob er Furcht hätte. Er öffnete sachte das Fenster und schoss auf die Puppe, die der Meisterdieb nun zur Erde fallen liess. Er schob ihr dann einige grosse Steine in die Säcke und versteckte sich ganz in der Nähe.

Als der Edelmann die Strohpuppe verschwinden sah, glaubte er, dass er den Meisterdieb getötet habe und ging daher mit seiner Frau hinaus, um ihn zu begraben. Der Dieb stieg einstweilen ins Zimmer, nahm die Bettdecken an sich und verwechselte die auf dem Tisch stehende Flasche Kognak, die er mitnahm, mit einer Flasche Essig, die er in irgend einem Winkel entdeckt hatte. Hierauf entfloh er mit seiner Beute.[32]

Der Edelmann und seine Frau hüllten unterdessen den Strohmann ein und befahlen dann ihren Dienern, ihn in ein Loch zu verscharren. Sie selbst kehrten in ihr Zimmer zurück. »Ich habe Durst,« rief der Mann, »die Arbeit hat mich erhitzt.« – »Trink aus der Kognakflasche, die am Tisch steht,« erwiderte die Frau. Der Edelmann schenkte sich ein und trank, aber der Essig schnürte ihm die Kehle zusammen, sodass er zu husten begann. Unterdessen bemerkte die Frau, dass die Bettdecken weg waren. »Der Meisterdieb foppt uns,« schrie sie.


* * *


Am andern Tag kam der Edelmann wieder zum Meisterdieb, doch diesmal verbarg sich dieser nicht, sondern ging in den Stall, wo er dem gestohlenen Pferd einige Goldstücke unter dem Schwanz befestigte und einige auf die Erde streute.

»Sieh,« sprach der Edelmann, »hier ist ja das Tier, das du mir gestohlen hast.« – »Ja,« erwiderte der Meisterdieb, »ich habe es mit ihm gut getroffen. Denn anstatt Pferdemist bringt es Goldstücke hervor. Seht – dabei zog er am Schwanz – hier sind noch welche.« – »Verkauft mir das Tier!« – »Wieviel gebt ihr dafür?« – »Tausend Franken.« – »Um diesen Preis gebe ich es nicht her, denn da zahle ich darauf. Gebt mir dreitausend Franken und ihr sollt es haben. Aber betreut es wohl, sonst ist es mit der Goldmacherei aus.«

Der Edelmann holte das Geld und führte dann die Stute, welcher der Meisterdieb einstweilen Gold unter die Kleie gemischt hatte, nach Hause. Die Diener des Edelmanns fanden am nächsten Tag noch etwas Gold unter dem Pferdemist, aber die nächsten Tage war nichts mehr zu finden.

Als der Edelmann sich dem Hause des Meisterdiebs nahte, um sich zu beklagen, befahl der Meisterdieb seiner Frau, sie möge sich niederlegen und tot stellen. Er nahm einen Blasebalg und blies seine Frau damit an; dazu sprach er: »Wenn mir mein Blasbalg nicht hilft, so bin ich verloren.« – »Was ist deiner Frau zugestossen?« – »Ach, Herr, sie ist tot!« Und wieder rief er: »Wenn mir mein Blasebalg nicht hilft, so bin ich verloren.«

Nach einiger Zeit öffnete die Frau ein Auge, streckte einen Arm aus und endlich setzte sie sich auf, sodass der Edelmann vor Verwunderung beinahe starr wurde. – »Ja, ja, mein Blasbalg ist doch gut, er belebt die Toten wieder,« erklärte der Meisterdieb dem Edelmann. Nachdem sie längere[33] Zeit gefeilscht hatten, verkaufte er ihm den Blasbalg um 2000 Franken.

Als der Edelmann in sein Schloss kam, zeigte er den Einkauf seiner Frau, die sich darüber lustig machte und ihm vorwarf, dass er sich wie ein Dummkopf von dem Meisterdieb beschwätzen lasse. Da sie fortfuhr, ihm Vorwürfe zu machen, tötete er sie, bereute es jedoch bald und versuchte nun, sie mit Hilfe des Blasbalgs ins Leben zurückzurufen. Aber sie war und blieb tot.


* * *


Als der Edelmann sah, dass seine Frau mausetot sei, wurde er tief bekümmert und schickte, um ihr ein ihrem Stande entsprechendes Leichenbegängnis zu veranstalten, zu seinem Bruder, der Priester war.

Dieser warf ihm seine Leichtgläubigkeit vor, die ihn übrigens nicht Wunder nehme, denn er habe ihn in seiner Eigenschaft als Krieger und Jäger immer für etwas einfältig gehalten.

»Hüte dich, lieber Bruder, dass du, obwohl du sehr schlau bist, doch nicht von dem Meisterdieb übervorteilt wirst,« sprach der Edelmann.

Als der Priester weg war, ging er zum Meisterdieb, der aber seiner Gewohnheit gemäss wieder im Fass steckte. »Sage deinem Mann, er möge meinem Bruder, dem Priester, einen Streich spielen, denn dieser hat sich über mich lustig gemacht und meine einzige Freude wäre, wenn er ebenfalls hineinfallen würde.« – »Mein Mann wird den Versuch unternehmen, doch ich sage euch gleich, es ist nicht leicht, einen Priester zu übervorteilen.«

Der Meisterdieb begab sich in den Ort, wo der Bruder des Edelmanns Pfarrer war. Er nahm zwei Katzen mit, deren Schwänze er miteinander verknüpfte, ebenso zwei Böcke, die er ähnlich behandelte und zwei Ochsen, die er auf gleiche Weise miteinander verband. Allen setzte er Kerzen auf die Köpfe und führte sie, die durch einen Strick verbunden waren, um die Kirche herum.

Als der Messner in der Frühe kam, um das Angelus zu läuten, fürchtete er sich vor dieser sonderbaren Prozession und lief zum Pfarrer. Dieser kam eilig herbei und rief: »Was macht ihr denn hier? Seid ihr Gottes oder des Teufels?« – »Ich komme aus dem Jenseits und sage dir, bezahle deine[34] Haushälterin und gib den Rest deines Vermögens mir, denn ich führe dich ins Paradies.«

Der Pfarrer zahlte der Haushälterin ihren Lohn aus und übergab den Rest dem Meisterdieb, der das Geld in seine Tasche, den Pfarrer jedoch in einen Sack, den er oben zuband und am Joche der Ochsen befestigte, steckte. Die Ochsen trieb er an und liess sie die holperigsten Wege gehen.

»Gnade, Gnade!« schrie der Pfarrer im Sack. Doch der Meisterdieb stachelte die Ochsen nur noch mehr an. »Gnade, Gnade!« schrie der Pfarrer wieder.

Als der Meisterdieb ins Schloss des Edelmanns gekommen war, zog er den Priester aus dem Sack und führte den Halbtoten in einen Stall, wo sich eine grosse Sau befand, die grunzend auf ihn losging, sodass er wieder zu schreien begann: »Gnade, Gnade!«

Der Edelmann, den der Meisterdieb verständigt hatte, befreite endlich seinen Bruder aus dieser Lage und rief ihm zu: »Du glaubtest gescheit zu sein, doch der Meisterdieb hat dich noch besser erwischt als mich!«


* * *


Ein andermal fand der Meisterdieb einen Schatz, füllte mehrere Säcke mit Silber an und trug sie heim. Seinen Nachbar, den Edelmann, bat er, ihm einen Scheffel zu leihen. Dieser wollte wissen, was der Meisterdieb zu messen habe und bestrich den Boden des Eimers mit Pech. Richtig blieb auch ein Sechsfrankenstück kleben.

»Was hast du gemessen?« fragte er, als ihm der Meisterdieb den Scheffel zurückbrachte. – »Korn, lieber Herr!« – »Ja, hast du diesen Sommer denn Sechsfrankenstücke geerntet?« – »Nein, aber ich werde euch die Wahrheit sagen. Ich habe meine Kühe getötet und für jede Haut tausend Franken bekommen.«

Der Edelmann liess sofort seine Kühe schlagen, ihnen die Haut abziehen und diese zum Markt schaffen, wo er schrie: »Wer kauft mir Kuhhäute ab?« – Käufer kamen herbei, doch sobald sie den Preis erfuhren, den er für jede Haut haben wollte, da begannen sie zu lachen, verhöhnten ihn und machten sich lustig über ihn.

Er geriet in Zorn und bemächtigte sich des Meisterdiebs, den er in einen Sack steckte, in der Absicht ihn zu ertränken. Als er und seine Diener zum Ufer eines Teiches, in welchen[35] sie den Meisterdieb hineinwerfen wollten, kamen, empfanden sie Durst und beschlossen daher in das nächste Wirtshaus zu gehen. Den Sack liessen sie am Rande des Weges liegen und empfahlen dem Eingeschlossenen einstweilen die Reue zu erwecken.

Der Meisterdieb schrie und mühte sich ab, herauszukommen, was ihm aber nicht gelang, denn der Sack war gut zugebunden. Seine Rufe erweckten jedoch das Interesse eines vorbeiziehenden Händlers, der stehen blieb und ihn um die Ursache seines Lärmens frug. – »O, ich soll ins Wasser geworfen werden, weil ich mich nicht mit der Tochter des Königs verheiraten will.« – »Dummkopf, ich heirate sie, tauschen wir unsere Plätze!«

»Dann binde den Sack auf, steige herein und ich werde ihn hernach wieder so zuknüpfen, dass man nichts merkt. Sobald du fühlst, dass man dich aufhebt, so rufst du, dass du nun in das, was man von dir fordert, einwilligst.«

Nachdem der Kaufmann seine Stelle eingenommen und er den Sack sorgfältig zugeknöpft hatte, nahm der Meisterdieb das Felleisen des Kaufmanns an sich, bestieg dessen Pferd und entfernte sich rasch.

Der Edelmann und seine Diener kamen zurück und als sie den Sack aufhoben, um ihn ins Wasser zu werfen, hörten sie schreien: »Meine Herren, ich will nun.« – »Das ist schön,« rief der Edelmann, »ich sehe mit Vergnügen, dass du ein fügsamer Mann bist.«

Sie stürzten den armen Händler in den Teich. Er ging unter und ertrank.

Am nächsten Tag ging der Edelmann spazieren und begegnete zu seinem grössten Erstaunen den Meisterdieb. »Wie,« rief er, »du bist nicht ertrunken?« – »Ah, woher denn! Ich danke euch übrigens, dass ihr mich in den Teich geworfen habt, denn dessen Grund ist mit Goldstücken gepflastert und hier – dabei zog er aus seiner Tasche das Geld, dass er dem Kaufmann geraubt hatte – ist ein Teil dessen, das ich fand.«

»Lieber Freund,« sprach der Edelmann, »du musst mir den gleichen Dienst erweisen und mich ins Wasser werfen.« – »Mit grösstem Vergnügen, obwohl ihr mich gestern nicht verpflichtet habt. Doch ich bin gutmütig und will euch nichts nachtragen.«[36]

Der Meisterdieb steckte den Edelmann in einen festen Sack, knüpfte ihn ordentlich zu, hing noch einen schweren Stein an und warf ihn in den Teich. Ruhig kehrte er dann nach Hause zurück.


(Haute-Bretagne).

Quelle:
Blümml, Emil Karl: Schnurren und Schwänke des französischen Bauernvolkes. Leipzig: Deutsche Verlagsaktiengesellschaft, 1906, S. 27-37.
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