[130] 23. Herr Lazarus und die Draken.

Es war einmal ein Schuhflicker, der hieß Lazarus und war ein großer Liebhaber von Honig. Als er eines Tages welchen bei seiner Arbeit aß, da sammelten sich so viele Fliegen, daß er deren vierzig mit einem Schlage totschlug. Dann ging er hin, ließ sich ein Schwert machen und darauf schreiben: »mit einem Schlage habe ich vierzig getötet.« Nachdem das Schwert fertig war, machte er sich auf und ging in die Welt; und als er zwei Tage weit von seiner Heimat war, da kam er an einen Brunnen, bei dem legte er sich hin und schlief ein.

In jener Gegend aber wohnten Draken, und es kam einer von ihnen an den Brunnen, um Wasser zu holen, fand dort den Lazarus schlafend, und las, was auf seinem Schwerte geschrieben stand. Da ging er zu den Seinigen und erzählte ihnen, was er gesehen habe, und diese rieten ihm, er solle Brüderschaft mit dem starken Fremden schließen.

Der Drakos ging also zu dem Brunnen zurück, weckte den Lazarus und sagte ihm, wenn es ihm recht wäre, so wollten sie Brüderschaft mit einander machen.[130]

Lazarus antwortete, es sei ihm recht, und nachdem ein Pope den Brüderschaftssegen über sie gesprochen, ging er mit ihm zu den andern Draken und blieb bei ihnen. Nach einigen Tagen sagten sie ihm, es sei bei ihnen Brauch, daß sie Reihe um, Wasser und Holz holen gingen, und da er nun ihr Geselle sei, so müsse er auch in die Reihe eintreten. Sie gingen nun zuerst nach Wasser und Holz aus, endlich aber kam die Reihe Wasser zu holen auch an den Lazarus. Die Draken aber hatten einen Schlauch, welcher zweihundert Maas Wasser faßte, und Lazarus schleppte denselben leer nur mit großer Mühe an den Brunnen, und da er ihn voll nicht hätte tragen können, so füllte er ihn auch nicht, sondern grub statt dessen rings um den Brunnen die Erde auf.

Wie nun Lazarus so lange ausblieb, schickten sie einen von ihnen nach ihm aus, um zu sehen, was aus ihm geworden sei, und als dieser zum Brunnen kam, sagte Lazarus zu ihm: »wir wollen uns nun nicht mehr tagtäglich mit Wasserholen plagen, ich will den ganzen Brunnen nach Hause bringen und uns so von dieser Last befreien.« Da rief der Drakos: »bei Leib und Leben, nicht Herr Lazarus, denn sonst müssen wir alle verdursten. Lieber wollen wir Reih' um Wasser holen, und du sollst davon frei sein.«

Darauf kam die Reihe Holz zu holen an den Lazarus; die Draken, welche nach Holz gingen, luden stets einen ganzen Baum auf die Schulter, und brachten ihn nach Hause, und da er ihnen das nicht nachmachen konnte, so ging er in den Wald, band alle Bäume mit dem Tragseile an einander, und blieb bis zu Abend im Walde. Da schickten die Draken wieder einen nach ihm aus, um zu sehen, was aus ihm geworden sei, und als dieser ihn fragte, was er da vorhabe, antwortete Lazarus: »ich will[131] den ganzen Wald mit einem Male herbeischleppen, damit wir Ruhe haben.« Da rief der Drakos: »bei Leibe nicht, Herr Lazarus, denn sonst sterben wir vor Kälte; wir wollen lieber selbst nach Holz gehen, und du sollst frei bleiben.« Und nun riß der Drakos einen Baum aus, nahm ihn auf die Schulter und trug ihn heim.

Als sie eine Weile so gelebt hatten, da wurden die Draken des Lazarus überdrüssig und machten unter sich aus ihn umzubringen; es solle ihm also in der Nacht, wenn er schliefe, jeder Drakos einen Hieb mit dem Beile geben. Der Lazarus aber hatte das gehört, und nahm daher am Abend einen Holzklotz, bedeckte ihn mit seinem Mantel, legte ihn an seine Schlafstelle und versteckte sich. In der Nacht kamen die Draken; ein jeder tat auf den Klotz einen Hieb mit dem Beile, bis er in Stücke fuhr. Da glaubten sie, ihren Zweck erreicht zu haben, und legten sich wieder nieder. – Darauf nahm der Lazarus den Klotz, warf ihn hinaus, und legte sich nieder. Gegen Tagesanbruch fing er an zu stöhnen, und als die Draken das hörten, fragten sie ihn, was ihm fehle. Darauf erwiderte er: »die Schnaken haben mich jämmerlich zerstochen.« Da erschraken die Draken, weil sie glaubten, Lazarus hielte ihre Axthiebe für Schnakenstiche, und beschlossen um jeden Preis seiner los zu werden. Am andern Morgen fragten sie ihn also, ob er Frau und Kinder habe und ob er sie nicht einmal besuchen möchte, sie wollten ihm einen Ranzen voll Gold mitgeben. Er war es zufrieden und verlangte nur noch einen Draken, um ihm das Gold nach Hause zu tragen. Es ging also einer mit ihm und trug den Ranzen. Als sie in die Nähe von Lazarus' Hause kamen, sagte er zum Drakos: »bleib' einstweilen hier, denn ich muß hingehen und meine Kinder anbinden, damit sie dich nicht fressen.« Er ging also[132] hin und band seine Kinder mit dicken Stricken und sagte zu ihnen: »sobald ihr den Drakos zu Gesicht bekommt, so ruft was ihr könnt: Drakenfleisch! Drakenfleisch!« Als nun der Drakos herankam, da schrien die Kinder: »Drakenfleisch! Drakenfleisch!« und darüber erschrak der Drakos so sehr, daß er den Ranzen fallen ließ und weglief. Unterwegs begegnete ihm eine Füchsin und fragte ihn, warum er so erschrocken aussehe, und er erwiderte, daß er sich vor den Kindern des Herrn Lazarus fürchte, die ihn bei einem Haare aufgefressen hätten. Da lachte die Füchsin und rief: »was? vor den Kindern des Herrn Lazarus hast du dich gefürchtet? Der hatte zwei Hühner, das eine habe ich ihm gestern gefressen, und das andere will ich mir eben jetzt holen, und wenn du es nicht glauben willst, so komme mit, da kannst du es sehen; du mußt dich aber an meinen Schwanz binden.« Der Drake band sich also an ihren Schwanz und ging mit ihr nach Lazarus' Hause zurück, um zu sehen, was sie dort anstellen würde. Dort stand aber Lazarus mit der Flinte auf der Lauer, und als er die Füchsin mit dem Draken kommen sah, rief er ihr zu: »habe ich dir nicht gesagt, du sollst mir alle Draken bringen, und nun bringst du mir nur einen?« Wie das der Drakos hörte, machte er rechtsum Reißaus und lief so schnell, daß die Füchsin an den Steinen zerschellte. Nachdem aber Herr Lazarus von den Draken losgekommen, baute er sich mit ihrem Golde ein prächtiges Haus, und verbrachte den Rest seines Lebens herrlich und in Freuden.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 130-133.
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