18. Vom klugen Hans, der es bis zum König brachte. (22 und 27)1.

[412] Es war einmal ein Mann und eine Frau, die waren sehr reich, und sie hatten einen Sohn, der hiess Hans. Hans war klug und[412] lernte in der Schule viele Sprachen. Wie er aber auf die Universität kam, da wurde er ein Bummler und Trunkenbold. Und das wurde nicht besser, als er danach unter die Soldaten musste. Da lebte er, gradeso wie er es als Student gewohnt gewesen war, in Saus und Braus, liess andere für sich auf Wache ziehn, hielt seine Vorgesetzten frei, und da war sein Geld bald alle. ›Väterchen!‹ – so schrieb er jetzt nach Haus an seinen Vater – ›schick mir doch 5000 Millionen, die brauch ich, um Offizier zu werden.‹ Der Vater schickte ihm auch das Geld, und das war bald wieder vertrunken und verjubelt. Nun schrieb er zum zweiten Mal heim: ›Schick mir doch, Väterchen, noch 6000 Millionen, die brauch ich, um General zu werden.‹ Auch das Geld schickte ihm der Vater, und das brachte er denn auch wieder bald mit seinen Vorgesetzten durch. Jetzt verlangte er abermals Geld und schrieb dabei ›Ich will jetzt König werden; ohne Geld geht das aber nicht, die neuen Kleider kosten gar zu viel.‹ Der Vater hatte nur noch 1000 Millionen, die schickte er ihm denn auch, aber er schrieb dazu ›Weiter bekommst du jetzt nichts mehr von mir, merk dir das!‹ Aber auch dieses Geld ging rasch drauf, und da war guter Rat theuer. Hans wollte desertieren, aber da er nicht eine Kopeke mehr besass, musste er's bleiben lassen. Indess er war ein grosser, schlanker und schmucker Mensch, und das half ihm aus der Klemme.

Es kamen nämlich eines Tags zu dem König, bei dem Hans diente, viele andre Könige zu Gast gefahren, und Hans stand grade vor dem Königspalast Schildwache. Die Könige unterhielten sich davon, wer von ihnen die schönsten Soldaten hätte, und wie jetzt einer aus dem Palast herauskam, um sich die Soldaten anzusehn, fiel ihm gleich unser Bruder Liederlich in die Augen, und der gefiel dem König so gut, dass er ihm 300 Thaler schenkte. Bald darauf kam ein zweiter König und dann noch einer aus dem Schloss, und die beschenkten Hansen ebenso. Und der dachte, nun kannst du desertieren. Aber wie er noch so dachte, da kamen zwei Generäle des Wegs, die redeten wer weiss in welcher Sprache mit einander, und der eine sprach ›In der und der Stadt da war[413] ich bei einem Kaufmann, der hatte eine Tochter, die war so schön, dass ich für die blosse Schau 15,000 Dukaten gegeben habe.‹ Drauf sagte der andre ›Ich bin auch bei der gewesen, und ich habe dafür, dass sie mir die Hand gab, auch 15,000 Dukaten bezahlt.‹ Die zwei Generäle dachten nicht daran, dass so ein gemeiner Soldat ihre Sprache verstünde, aber Hans hatte alles verstanden und sprach zu ihnen ›Ihr Narren! Wenn ich 15,000 Dukaten hätte, würd' ich sie doch gleich zur Frau bekommen!‹ Das ärgerte die Generäle, und am nächsten Morgen gingen sie zum König und beschwerten sich bei ihm, dass so ein gemeiner Soldat sie Narren gescholten hätte. Der König liess Hansen rufen und fragt' ihn ›Weshalb nennst du Vorgesetzte von dir Narren?‹ Hans aber erzählte ihm alles, wie es gewesen war, und da machte der König einen Pakt mit ihm, er werde ihm 15,000 Dukaten und ein Jahr Urlaub geben; ›bekommst du aber‹, sagte er, ›in der Zeit die Kaufmannstochter nicht zur Frau, so lass ich dich aufhängen.‹ Und damit entliess er Hansen.

Hans hatte was gelernt, und wer was gelernt hat, kommt überall durch. Er ging in die Stadt, wo der Kaufmann wohnte, und begab sich gleich zu ihm. Der Kaufmann aber hatte Zimmer an Fremde zu vermieten, und da mietete Hans eins davon, und er zahlte für den Tag 300 Rubel. Nun war der Kaufmann mit allen möglichen Königen bekannt, und seine Tochter hatte einen Prinzen zum Liebhaber. Und er veranstaltete eines Tags ein Fest, zu dem verschiedne Könige und auch der Prinz geladen wurden. Wie nun der Prinz während des Festes einmal mit dem Fräulein allein im Garten sich erging, schlüpfte Hans heimlich in den Garten und belauschte sie. Und die beiden redeten in einer Sprache, die dortzuland nicht üblich war, Hans aber verstand sie. Das Fräulein sagte zu ihrem Liebhaber ›Komm doch heut Nacht in mein Zimmer, dann plaudern wir weiter.‹ ›Wie kann ich das?‹ fragte der Prinz, und sie antwortete ›Komm um zwölf und wirf mit Erbsen dreimal an mein Fenster, dann weiss ich, das du's bist, und lasse dich ein.‹ Darauf gingen sie wieder zu den andern Gästen zurück, und das Fest ging zu Ende. Und wie es nun gegen zwölf war, da ging Hans unter das Fenster der Kaufmannstochter, warf dreimal mit Erbsen gegen das Fenster, das Fräulein öffnete, und Hans stieg ein. Sie hatte aber kein Licht angezündet,[414] und da merkte sie nicht, dass es ein andrer war. Hans und das Fräulein kosten zusammen, und das Fräulein fragte ihn, ob er nicht vielleicht für seine Heimreise noch Geld nötig habe. Hans sagte ›Ja‹, und da sprach sie ›Hier steht mein Kofferchen, da lang dir heraus, was du brauchst.‹ Bei diesen Worten ging es wieder mit Erbsen barr barr barr gegen das Fenster, und das war der Prinz. Die Kaufmannstochter sprach ›Wer ist denn das nur?‹ ›Es wird‹, versetzte Hans, ›der Lump sein, der mit uns zugleich im Garten war, der hat wol alles, was wir sprachen, verstanden. Hast du nicht was zur Hand, was wir ihm auf den Kopf giessen können?‹ Da holte das Fräulein das Nachtgeschirr unter dem Bett hervor, öffnete das Fenster, und wie eben der Prinz hereinsteigen wollte, da goss ihm Hans den Pott ins Gesicht. ›Dass dich der Höllenbrand verzehre! Zwischen uns ist's aus!‹ schrie der Prinz und verschwand. Hans aber ging jetzt an das Kofferchen und langte sich, Herz was begehrst du? Geldscheine heraus und steckte sie in die Taschen, vorn in die Brust, in die Stiefelschäfte und wohin er nur konnte. Dabei riss ihm ein Knopf von seinem Ueberrock ab und fiel zur Erde und kullerte unter das Bett. Und das Fräulein fragt ›Was hast du denn da verloren?‹ ›Ach mein Uhrchen ist mir gefallen; ich find es nicht‹, sagte Hans, und da sprach das Fräulein ›So nimm dir mein Uhrchen, dort liegt es auf der Kommode.‹ Hans nahm sich's und steckt' es ein. Und bald darauf machte er sich durchs Fenster davon.

Den andern Tag ging Hans in die Stadt und kaufte sich einen schönen Anzug, wie ihn feine Herrn tragen, und mietete sich einen Lakei, denn er hatte jetzt Geld in Hülle und Fülle. Und zu Haus setzte er sich hin und schrieb und rechnete, als hätt er wer weiss was für grosse Handelsgeschäfte. Da ging der Kaufmann grade einmal durch die Zimmer seiner Logiergäste, um sie zu besichtigen, und wie er durch Hansens Zimmers ging, sah er ihn da sitzen und an einem Brief schreiben; und er schaute ihm von hinten hinein und las, dass Hans auf die Ankunft von 700 Schiffen mit Waaren wartete, die sollten demnächst in der Stadt einlaufen. Na, der ist reich! dachte er, und er erzählte nachher allen Leuten im Haus, was er da für einen reichen jungen Kaufmann bei sich wohnen hätte. In der nächsten Nacht sass Hans die ganze Nacht hindurch an seinem Tisch und zählte Geld und rechnete nach[415] Tausenden und Millionen, und das that er ganz laut, damit es die Kaufmannstochter in ihrem Zimmer nebenan höre. Die erzählte denn auch den andern Morgen ihrem Vater, dass Hans die ganze Nacht gerechnet hätte, und sie hätte vor dem Geldzählen kein Auge zuthun können. Da ging der Kaufmann zu Hans, und bat ihn, er solle das laute Rechnen Nachts lassen; und Hans versprach's. Am Tag darauf warf Hans etliche Scheine unter seinen Tisch auf die Erde und sagte dem Lakei, er solle das Geld nicht aufheben, sondern es, wenn er auskehre, mit hinauskehren. Das that denn auch der Lakei, und da kam der Vater des Kaufmanns, der mit in dem Haus wohnte, grade dazu, und wie er die Geldscheine sah, sprach er zu dem Lakei ›Was machst du denn? Du kehrst da ja Geld mit hinaus!‹ Der Lakei aber antwortete ›Mein Herr hat noch genug Geld!‹ und kehrte die Scheine mit auf die Schippe und schüttete sie draussen mit dem Kehricht aus. Da ging der Alte hin, las das Papiergeld zusammen und zeigt' es seinem Sohn und den andern und sprach ›Muss der eine Masse Geld haben! dass nicht einmal sein Diener es aufhebt!‹ Als nachher sein Sohn zu Hansen hinging, um ihn zum Mittagessen zu rufen, da lag Hans noch im Bett, und der Lakei sagte zu dem Kaufmann ›Tritt nicht so laut auf, mein Herr liegt noch zu Bett, er hat wieder die ganze Nacht Geld gezählt.‹ Während der Kaufmann nun noch mit dem Lakei sprach, stand Hans auf, wusch sich und kam dann zu Tisch. Bei Tisch fragte ihn der Kaufmann ›Bist du noch Junggeselle?‹, und da Hans Ja sagte, fragte er ihn weiter ›Warum heiratest du nicht?‹ und Hans antwortete ›Weil ich nicht jede beliebige haben mag, und eine, die mir gefiele, hab ich noch nicht gefunden.‹

Nachher, als Hans fort war, bat das Fräulein ihren Vater, er solle doch wieder einmal so ein Fest geben wie damals. Dem Vater wars recht, und es wurden wieder viele Könige und Kaufherren, darunter auch Hans, eingeladen. Auch an den Prinzen, den Liebhaber des Fräuleins, wurde ein Brief geschrieben, der gab aber nicht einmal eine Antwort darauf. Bei dem Fest nun gaben alle Könige und Herren 15,000 Dukaten für die Beschauung der Kaufmannstochter, und auch Hans gab so viel. Und als man dann zum Tanzen ging, da tanzte niemand so schön als Hans und die Kaufmannstochter, und es war kein so schönes Paar da als[416] die beiden. Und da sagte einer von den Königen ›Wär er mein Schwiegersohn, ich verschrieb' ihm die Hälfte meines Reichs‹, und ein andrer sprach ›Wär er meiner, ich verschrieb' ihm das ganze Reich‹, der Kaufmann aber sprach ›Wird er mein Eidam, so verschreib ich ihm 700 Schiffe mit Waaren und allem, was dazu gehört.‹ Jetzt ging Hans mit dem Fräulein ein bischen hinaus in den Garten, und sie spazierten darin herum und redeten wer weiss in welcher fremden Sprache mit einander. Nach einer Weile sagte das Fräulein ›Wir gehn doch nicht zu lang im Garten herum?‹ Da nahm Hans die Uhr aus der Tasche, um nachzusehn, und da sah das Fräulein, dass er ihr Uhrchen hatte. Und es fiel ihr ein, dass sie dazumal nach der Nacht unter ihrem Bett statt des Uhrchens einen zinnernen Knopf gefunden hatte, und sie hatte sich das nicht erklären können. Jetzt aber wurde ihr alles klar, und sie sprach zu Hans ›Wenn du bei mir nun doch schon einmal den Anfang gemacht hast, so halt dich auch weiter dazu!‹, und Hans verstand, was sie meinte. Und wie sie jetzt aufs Haus zu gingen, da sprach das Fräulein ›Komm doch morgen Mittag um zwölf Uhr hierher in den Garten. Die Mädchen werden mein Bett zum Lüften heraustragen, da kriech in das Bett, und ich werde dann den Mädchen sagen, sie sollten rasch mein Bett wieder hereinbringen, es ziehe ein Regenwetter auf.‹ Hans sagte zu, und sie gingen dann zu den andern Gästen zu rück. Am nächsten Tag kamen Hans und die Kaufmannstochter denn auch, wie sie's verabredet hatten, im Zimmer des Fräuleins zusammen, und als es grade passte, liess sie ihn dann wieder hinaus. Und vor dem Mittagsessen, als der Kaufmann bei Hans eintrat, um ihn zu Tisch zu rufen, sass Hans wieder da und zählte Geld, als hätt er den ganzen Tag noch nichts weiter gethan.

Es dauerte nun nicht mehr lange, da waren Hans und die Kaufmannstochter Mann und Frau, und der Kaufmann fuhr zum Vojt (Bürgermeister) und verschrieb Hans von den 800 Schiffen, die er hatte, 700 als Mitgift. Und Hans und seine Frau fuhren mit den 700 Schiffen nach der Stadt, wo Hans Soldat gewesen war. Als sie dort ankamen, liess Hans erst noch seine Frau im Schiff zurück und ging allein in die Stadt. Und er kaufte rasch einem grossen General sein Haus mit Dienstleuten und allem, was drin war, ab und holte dann seine Frau heim. Darauf aber ging[417] er mit ihr zum König und nahm allerlei kostbare Geschenke auf einem Präsentierteller mit. Er stellte sich dem König als Mann der Kaufmannstochter vor, und der König und die Königin betrachteten diese mit Wolgefallen und schenkten für das Anschauen beide 15,000 Dukaten. Darauf aber nahm der König Hans bei Seite, und Hans musste seine schönen Kleider ausziehen und die Uniform anlegen, die er dazumal als gemeiner Soldat getragen hatte. Hansens Frau wusste jetzt nicht, wo er hingekommen war, sie dachte, ihm sei wunder was schlimmes passiert, und sie fiel zur Erde nieder und weinte sehr. Der König aber sprach zu Hans ›Hans, du musst mir jetzt deinen Kameraden und allen deinen Vorgesetzten zutrinken.‹ Und es wurde auf einem freien Platz eine Menge Branntwein angefahren, und nachdem alle versammelt waren, trank der König den ersten Schnaps Hansen zu: ›Prost, Hans!‹ sagte er und trank aus. Dann gebot er Hansen, dass er seinen Vorgesetzten zutrinke, die alle in einem Glied dastanden, und Hans fing beim untersten an und ging dann immer höher hinauf. Der König hatte aber Schneider hinbestellt, die hatten Uniformen von allen Offizierschargen bei sich, und jedesmal wenn Hans einem höheren zutrank, befahl der König, dass Hans die Uniform wechsle, zuerst vom gemeinen Soldaten zum Kapitän, dann vom Kapitän zum General und so bis zum obersten General, der gleich nach dem König kam. Zuletzt trank Hans sogar dem König selbst zu. Und der König schenkte ihm die Hälfte seines Reichs und die Hälfte seines Palastes. Es vergingen nun etliche Monde, da fiel der König in eine schwere Krankheit, und er verschrieb Hansen das ganze Land. Der König starb, und nun war Hans König.

Hans hatte eine Weile regiert, da fragte ihn eines Tags seine Frau ›Hast du noch Eltern?‹, und er antwortete ›Ja.‹ Da sagte die Königin, er solle doch hinfahren und seine Eltern holen. Und er nahm sich elf Generäle mit, und sie machten sich zu Pferd auf den Weg. Als sie schon die grösste Strecke hinter sich hatten, kamen sie in einen gewaltig grossen Wald. Mitten darin war eine Schenke, und sie nahmen dort Nachtherberge. Die Schenke gehörte aber zwölf Räubern, und mit denen liessen sich die Generäle des Königs in ein Kartenspiel ein, und sie verloren alles. Es war ein Glück für den König, dass er bei dem Kartenspiel nicht mitmachte,[418] denn jetzt ging der Zank los, und die Räuber machten die Thür zu ihrem Gewölbe auf, und alle elf Generäle rasselten jetzt da hinunter. Der König aber, wie er das sah, lief hinaus in den Wald, und er war nur in Unterhosen. Aber er wusste, dass gleich hinter dem Wald das Haus seiner Eltern war, und da lief er durch die Nacht, bis er daheim war. Dort kroch er in den Backofen, und da er sehr abgehastet war, schlief er bald ein. Am andern Morgen kam die Alte heraus und wollte Feuer anmachen, da sah sie die Füsse eines Menschen und erschrak sehr, und sie lief in die Stube und rief den Alten, er solle doch einmal kommen und zusehn, was da für ein Kerl im Ofen liege. Da kam denn Hans herausgekrochen, und der Alte sah, dass es sein Sohn war. ›Du Racker! du bist gewiss von den Soldaten fortgelaufen!‹ fuhr er ihn an, ›wenn sie erfahren, dass du hier bist, werden wir die schwere Not mit dir kriegen!‹ Und er gab ihm einen Puff ins Genick und jagte ihn hinaus, und da musste Hans seines Vaters Ziegen hüten.

Hansens Frau wartete lange auf seine Wiederkunft. Als er aber immer nicht kam, da machte sie sich auf, ihn zu suchen. Sie zog Mannskleider an, steckte sich eine Landkarte ein, liess eine Kutsche mit vier Pferden anspannen und nahm auch eine Abtheilung Soldaten mit. Sie kam aber nach derselben Schenke, in die ihr Mann gerathen war, und sie nahm da Nachtquartier. Da sah sie in der Schenke eine Uniform an der Wand hängen, und auf dem Unterfutter der Uniform stand der Familienname ihres Mannes; sie erschrak sehr und dachte, ihr Mann werde nun schon todt sein. Und sie befahl ihren Soldaten, dass sie die Männer in der Schenke gefangen nähmen, aber die Räuber hatten einen Durchschlupf in der Mauer ihres Gewölbes, und sie entwischten alle und liefen in den Wald hinein. Da sprach einer von den Soldaten zur Königin ›Was gibt mir die Frau Königin dafür? so will ich die Räuber wieder zur Stelle schaffen.‹ Die Königin antwortete ›Du sollst Hauptmann werden‹, und da trat der Soldat heraus, that einen Pfiff, da kamen alle Räuber aus dem Wald wieder zurück. Jetzt fragte die Königin die Räuber, wo die Männer wären, die damals in der Schenke über Nacht geblieben wären. Und wie die Räuber erzählten, dass sie elf davon umgebracht hätten und der oberste von ihnen entkommen wäre, da befahl die[419] Königin ihren Soldaten, dass sie die Räuber erschössen. Drauf ging sie in die Gewölbe der Räuber, da lagen die todten Generäle und viel viel Geld und Kleider. Auch Pferde und Kaleschen und andre Wagen standen in den Gewölben, und sie liess die Pferde vor die Kaleschen und Wagen spannen und alle Schätze der Räuber aufladen, und dann fuhr sie damit weiter, um den König zu suchen. Sie hatte sich aber den Namen des Dorfes, wo ihres Mannes Eltern wohnten, aufgeschrieben, und sie kam auch bald richtig dorthin, und die Soldaten umstellten das Häuschen von Hansens Eltern. Wie die Alte das viele Militär sah, fing sie an zu schreien, und da riefen ihr die Soldaten zu, sie solle nicht schreien, sondern ihnen sagen, wo der König wäre. Das hatte Hansens Vater mit angehört, und er sprach ›Bei uns ist gar kein König. Aber mein Sohn ist vom Militär ausgerissen. Wenn ihr den sucht: er hütet eben dort am Wald die Ziegen.‹ Die Soldaten wussten, dass das kein andrer als der König war, und sie gingen mit einer Kutsche nach dem Wald hin, um ihn heimzuholen. Hans sass bei einem Feuer und wärmte sich, seine Ziegen aber liefen, wie sie die Masse Soldaten herankommen sahen, in den Wald hinein und waren weg. Und die Soldaten knieten alle vor dem Ziegenhirten nieder, und sie setzten ihn in die Kutsche und fuhren ihn nach dem Häuschen. Dort wurde Hans gebadet und gewaschen und bekam seine Königskleider angezogen. So präsentierte er sich jetzt seinem Vater und sprach zu ihm ›Erkennst du mich, wer ich bin? Du hast doch damals gesagt, ich hätte dein Geld durchgebracht, und ich schrieb dir, dass ich König würde, und das bin ich jetzt auch.‹ Und er liess sich von seiner Frau eine grosse Summe Geld geben und schenkte sie seinem Vater, und der konnte sich jetzt wieder einen grossen Edelhof kaufen.

So war Hans durch seine Klugheit König geworden.

1

Die Pasakos n. 22 und 25 sind so wenig verschieden, dass ich sie hier in eins zusammenziehe. Die deutsche Bearbeitung schliesst sich weniger eng an den Wortlaut des Originaltextes an als es bei den übrigen Erzählungen der Fall ist.

Quelle:
Leskien, August/Brugman, K.: Litauische Volkslieder und Märchen. Straßburg: Karl J. Trübner, 1882, S. 412-420.
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