Vom Bartmännlein.

[128] In einem Dorfe war einmal ein kleiner Grundbesitzer, der hatte eine Frau, und sie bekamen lange Jahre hindurch kein Kind, und waren beide sehr betrübt darüber. Endlich aber genas die Frau eines Söhnleins, das sie Martin nannte. Die Mutter liebte das Knäblein sehr und behielt ihn an der Brust bis er zwölf Jahre alt war, und davon wurde der Junge so stark, daß ihn niemand zwingen konnte. Als er zwanzig Jahre alt geworden war, bekam er Lust, die Welt zu durchreisen und bat seinen Vater, er solle ihm einen starken eisernen Stab schmieden laßen, außerdem werde er auch nicht das geringste verlangen. Da fuhr der Vater in die Stadt, kaufte ein paar Stangen Eisen und gab sie dem Schmied, um daraus eine Stange zu machen. Als sie fertig war, war sie so schwer, daß sie der stärkste Mann kaum aufheben konnte; Martin aber ergriff die Stange, schwenkte sie wie eine Feder hin und her und warf sie zur Probe in die Höhe, und als er sie beim Herabfallen gerade im Schwerpunkte auffieng, da brach sie in der Mitte enzwei. Da muste der Vater noch einmal so viel Eisen kaufen und das alles in eine Stange zusammen schmieden laßen; das gab dann einen Stock, wie ihn Martin brauchte. Als der Stab fertig war, da versuchte Martin abermals seine Kraft an ihm und warf ihn in die Höhe; da drang er beim Herabfallen so tief in die Erde ein, daß ein Mann einen halben Tag Arbeit hatte, um ihn heraus zu graben. Dann nahm Martin von allen Abschied und trat seine Reise an.

Als er schon manchen Tag unterweges war, traf er einen Schmied, der hatte einen sehr großen Hammer und sagte, daß er sehr stark sei. Da machte ihm Martin den Vorschlag, selbander zu reisen, und der Schmied gieng auf den Vorschlag ein. Als sie so mit einander giengen, fragte Martin den Schmied, wie stark er sei. Der Schmied sagte ›Wenn ich mit diesem Hammer drei Hiebe an den stärksten Baum thue,[128] so muß der Baum umfallen.‹ Martin sagte »Wenn du ihn nieder werfen wirst, so werde ich ihn mit meinem Stabe im Fallen stützen.« So war es auch in Wahrheit. Als sie an einen sehr großen und dicken Baum kamen, schlug ihn der Schmied mit drei Hieben um; Martin aber stemmte, als er fiel, seinen Stab dagegen, daß er nicht nieder fallen konnte. Daran sahen nun beide, daß sie stark seien. Als sie weiter mit einander wanderten, trafen sie einen Schneider, der sagte, daß er freilich nicht so stark sei, daß er aber so flink nähen könne, daß er im Stande sei, in einem Tage einen Menschen vom Kopfe bis zu den Füßen zu kleiden. Das gefiel jenen beiden und sie sagten ›Geh mit uns, wir beide sind stark genug und werden nicht zugeben, daß dir ein Unfall zustoße.‹ Da gieng er mit ihnen, und die drei wanderten und kamen weit und breit herum.

Nach langer Zeit fanden sie an einem Walde ein sehr nettes Häuschen, in welchem alle Leute gestorben waren, aber Mundvorrat war noch genug vorhanden. Da verabredeten sie sich, eine Zeit lang, so lange es ihnen gefallen werde, hier zu bleiben. Als sie schon einige Tage da waren, kamen sie auf den Gedanken, auf die Jagd zu gehen und sich Wildpret zu schießen, einer aber muste zu Hause bleiben und das Eßen besorgen; sie verabredeten, daß der von ihnen, der sich aufs Kochen am besten verstehe, zu Hause bleiben könne. Der Schneider sagte ›Ich werde wol die Sache am besten verstehen, ich bin gewohnt in der Stube bei den Hausfrauen zu sein und weiß schon mit dem Topfe und mit der Pfanne um zu gehen.‹ »Gut (sagten die andern beiden), da bleib du da und koch und back wies gut schmecken wird.« Den andern Tag nach dem Frühstücke nahmen sich Martin und der Schmied jeder eine Flinte und giengen in den Wald auf die Jagd; der Schneider aber besorgte zu Hause das Mittageßen und lief mit seiner Schürze, die er sich vor gebunden, wie sichs für einen Koch gehört, in allen Ecken herum, bis er alles zusammen gebracht hatte, was man zum Mittageßen braucht, und er wollte sich rechte Mühe geben und recht schmackhaft kochen, damit die andern ihn loben sollten.

Als der Topf auf dem Feuer stund und schon anfieng zu kochen, begann jemand an die Hausthür zu klopfen. Er konnte aber nicht so schnell vom Topfe ab kommen, um nach zu sehen, wer da sei, und dachte ›Wenn es ein Mensch ist, so wird der schon kommen, da ja die Thür offen ist.‹ Als es aber ununterbrochen an die Thür klopfte, da gieng er nach einer Weile hinaus und sieh da! draußen vor der[129] Thürschwelle stund ein fußhohes Männchen mit einem klafterlangen Barte. Das Männchen begann den Schneider zu bitten, er möge ihn doch in die Stube laßen, er sei so erschöpft und erfroren, daß er auf der Stelle umkommen könne, und er stellte sich so elend und schwach, daß er nicht einmal über die Thürschwelle steigen konnte und ihn der Schneider von draußen bis in die Stube tragen muste. In der Stube winselte er wieder so arg und bat, man möge ihn doch aufs Bänkchen heben, damit er sich am Feuer wärmen könne. Da faßte ihn der Schneider, wie einen elenden armen Mann, sehr sorgfältig und hob ihn auf die Bank; und als er sich da ein bischen gewärmt hatte, fieng er wieder an zu jammern, er sei sehr hungrig und bat nur um ein kleines Stückchen Fleisch, daran werde er sich schon etwas erholen. Der Schneider nahm ein Stück aus dem Topfe, das schon einigermaßen gar war, und gab ihm etwas davon mit den Worten ›Da nimm das Stückchen, wenn alles gar sein wird, so sollst du haben daß du satt wirst.‹ Das Bartmännlein zitterte aber so, daß ihm das Stückchen Fleisch aus der Hand auf die Erde fiel, da bat er jenen wieder, er möge ihm doch das Fleisch von der Erde aufheben. Der Schneider that auch das. Als er sich aber bückte, um das Fleisch auf zu heben, da sprang husch! das Bartmännchen von der Bank ihm aufs Genick und begann nun, hast dus nicht gesehn, ihn mit den Fäusten zu schlagen. Jener bat, schrie und schalt, aber das half alles nichts, er schlug und quälte ihn so lange bis er zu Boden stürzte und kaum noch halb am Leben war. Nachdem er seinen Wolthäter so gemartert und geplagt hatte, gieng er weg, ohne daß man wißen konnte, wo er hin gekommen sei. Als der Schneider einigermaßen sich erholt hatte, kroch er auf allen vieren ins Bett und war krank.

Als jene ziemlich lange nach Mittag von der Jagd zurück kamen, fanden sie ihren Genoßen sehr krank und wimmernd. Das Feuer auf dem Herde war ausgegangen, das Fleisch noch nicht recht gar und die Suppe taugte gar nichts. Da musten denn die beiden Jäger ein sehr schlechtes Mittagsmal halten und sie hätten gar nichts eßen können, wenn sie nicht so sehr ausgehungert gewesen wären. Der Schneider aber sagte nicht, was ihm zugestoßen und wie es ihm ergangen war; er sagte, es habe ihn eine schreckliche Kolik gequält, so daß er fast gestorben sei, und die andern beiden glaubten es auch. Den andern Tag aber blieb er nicht zu Hause, um zu kochen, sondern gieng auch auf die Jagd, indem er den andern beiden sagte, es könne[130] sonst, wenn er beim Kochtopfe zu schaffen habe, von dem Dampfe oder sonst von einem Dufte die Kolik ihn abermals befallen; deswegen kamen sie überein, daß der Schmied zu Hause bleibe und koche, Martin aber gieng mit dem Schneider auf die Jagd.

Als der Schmied kochte, klopfte wieder jemand an die Hausthüre, da er aber keine Zeit hatte, gieng er nicht gleich nachsehn; als es aber in einem fort klopfte, gieng er hinaus, um zu schauen wer da sei, und sieh da, das Bartmännlein war wieder da. Der Schmied aber wuste nichts von ihm. Das Bartmännlein verstellte sich wieder so und that eben so wie gestern, und der Schmied hatte eben so Mitleid mit ihm wie der Schneider; der Schmied hob ihn auch auf die Bank, gab ihm ein Stückchen Fleisch, und als er das Fleisch absichtlich fallen ließ, als könne er es mit seinen zitternden Händen nicht halten, da bückte sich der Schmied um das Fleisch auf zu heben, und als er sich gebückt hatte, da sprang auch ihm, husch, das Bartmännchen ins Genick. Der Schmied versuchte auf alle Art ihn vom Nacken herab zu reißen, aber vergeblich; das Bartmännlein schlug, drückte, kneipte und marterte ihn auf alle Art so arg, daß dem Schmiede alle Kraft ausgieng und er zur Erde stürzte, und als er kaum mehr am Leben war, ließ jener ab. Der Schmied war so schlimm zugerichtet, daß er noch lange Zeit auf dem Boden liegen muste, ehe er so weit zu sich kam, um auf allen vieren ins Bett kriechen zu können.

Als die Beiden kamen, fanden sie ihn im Bette liegend; nichts war gar, denn gerade mitten im Kochen hatte der Unfall mit dem Bartmännlein Statt gefunden. Obschon der Schmied auch nichts sagte, so wuste doch der Schneider sehr wol, was da vorgefallen war, und dem Schmiede war es auch klar, weshalb der Schneider gestern krank war; aber er klagte auch, daß er ein so unerträgliches Leibschneiden gehabt, daß er gemeint habe, er müße auf der Stelle sterben, auch er wiße nicht wovon es gekommen sei. Als ihn Martin in so kläglicher Lage sah, bedauerte er ihn sehr und schaffte gleich Branntwein und Wermut und andre Sachen herbei und gab ihm davon ein, und Abends war ihm schon beßer, aber nur deshalb, weil er sich immer mehr erholte.

Am dritten Tag aber sollte Martin zu Hause bleiben und den Koch machen, und genau zu derselben Frist als das Mittageßen aufs Feuer gesetzt und gekocht werden sollte, kam das Bartmännchen wieder an das Haus und klopfte. Martin aber ließ sich Zeit und jener muste[131] sehr lange klopfen. Sodann, als Martin satt hatte das Geklopfe zu hören, gieng er hinaus um zu sehen wer da sei, und er wunderte sich nicht wenig, als er das Bartmännlein vor der Thürschwelle fand, und fuhr es hart an ›Was bist du für einer? Woher bist du? Jetzt sehe ich schon, wer gestern und vorgestern meine Kameraden so übel zugerichtet hat.‹ Als das Bartmännlein das vernahm, fieng es an am ganzen Leibe zu zittern, daß sein ganzer langer Bart sich bewegte, und zu heulen und zu jammern, daß sich ein Stein hätte erbarmen mögen, und sagte »Ach, ich weiß von nichts, ich bin ja ein von der ganzen Welt verlaßenes, verachtetes und verspottetes Männchen und kann mich nicht unter den Leuten zeigen, ich kam ganz von ungefähr daher und verirrte mich so zu sagen. Ach, erbarme dich mein und laß mich in die Stube, damit ich mich wenigstens nur ein wenig wärmen kann! ich bin ja so sehr ausgefroren.« Als Martin ihn so zittern und heulen sah und sein bitteres Wehklagen hörte, dachte er ›Der Mensch ist doch elend‹ und mitleidsvoll sagte er zu ihm ›Da, geh in die Stube.‹ Das Bartmännlein aber sagte »Ach, ich bin so erschöpft und so schwach, daß ich nicht über die Schwelle steigen kann: sei so gut und trag mich hinein!« ›So ist das (sagte Martin), du jämmerlicher Wicht, wenn ich dich mit dem Fuße stoße, so holt dich gleich der Henker, dann wirst du hinein getragen werden; wenn du willst, so geh hinein, und wenn nicht, so kannst du da hocken bleiben.‹ Als er das gesagt, gieng er in die Stube, denn das Feuer unterm Topfe war inzwischen ausgegangen, und er muste anschüren und auch den Schaum vom Topfe abschöpfen. Da fieng das Bartmännlein vor dem Hause so jämmerlich an zu wehklagen, zu heulen und zu flehen, daß Martin, der es nicht länger aus halten konnte, hinaus gieng und sagte ›Geh her, du Grindbatz!‹ und ihn am Barte erwischte, in die Stube trug und an den Ofen hinstellte mit den Worten ›Jetzt bleib da stehen und rühr dich nicht von der Stelle, sonst gieb Acht, wie dirs gehn wird.‹ Das Bartmännlein begann wieder zu flehen, er möge ihn auf die Bank heben, damit er sich beim Kamine am Feuer wärmen könne. Martin faßte ihn wieder am Barte und hob ihn auf die Bank. Jetzt wärmte er sich am Feuer und begann sich bei Martin einzuschmeicheln, indem er freundlich mit ihm sprach und seine Hände küsste. Martin aber schöpfte daraus Verdacht, und als er ihm zu viel plauderte und in den Kamin kroch, da packte er ihn wieder am Bart, hob ihn in die Höhe, stieß ihn auf die Bank und sagte zu[132] ihm ›Wenn du mir noch einmal in den Kamin kriechst, so schmeiß ich dich zum Fenster hinaus wie einen Dreck.‹ Eine kleine Weile war nun Ruhe, dann fieng er aber wieder an zu bitten, Martin möge ihm ein Stückchen Fleisch geben, er könne sonst vor Hunger sterben. Martin drohte ihm mit den Schöpflöffel, den er in der Hand hatte, und sagte ›Ich werde dir Fleisch, siehst du den Löffel? Wart bis es gar ist, dann sollst du haben.‹ Aber er fieng wieder an zu winseln, er möge ihm nur ein Bröckchen geben, er sei schon ganz ohnmächtig. Martin nahm inzwischen ein Stück Fleisch aus dem Topfe, versuchte es, ob es schon weich sei, schnitt auch für jenen einen Bißen ab und gab ihn ihm in die Hand. Jener ließ aber auch diesmal das Fleisch mit Absicht aus den Händen auf den Boden fallen, indem er sich stellte, als ob ihm die Hände so zitterten und noch von der Kälte so abgestorben seien, und er bat sehr, Martin möge ihm das Fleisch auf heben. Da wurde Martin sehr böse und sagte ›Na du nichtsnutziger Wicht, soll ich etwa deinen Diener machen?‹ Er stampfte mit dem Fuße auf den Boden, daß man hätte meinen sollen, der Ofen stürze ein, faßte jenen am Barte, schüttelte ihn und sagte ›Wenn ich dich an die Wand schleudern werde, so wirst du auseinander spritzen wie Rotz.‹ Nachher aber wollte Martin doch das Stückchen Fleisch von der Erde aufheben, und als er sich, ohne das Männchen aus den Augen zu verlieren, bückte, da wollte sich der, husch! ihm ins Genick hängen, aber Martin faßte ihn schnell am Barte, ehe er ihm recht auf den Nacken gekommen war, und jetzt gab es, hast du nicht gesehen, eine große Balgerei. Martin muste aber seine ganze Kraft einsetzen, ehe er ihn so weit überwunden hatte, um zu seinem Stabe kommen zu können, dann aber gab er es ihm ordentlich und wollte ihn auf der Stelle erschlagen. Aber so weit brachte er es doch nicht mit ihm, und hätte er seinen Stab nicht erfaßt, so hätte er den kürzeren gezogen, mit dem Stabe aber zertrommelte er ihn so, daß er zuletzt doch den Martin anflehen muste. Als nun Martin merkte, daß jenem die Kräfte ausgiengen, nahm er eine Axt in die rechte Hand, hielt den Bartmann mit der linken, trug ihn hinaus, hieb in einen sehr großen Baumstumpf einen Spalt, und in den Spalt klemmte er des Bartmännchens Bart ein und ließ ihn da an dem Stamme hängen. Nach dieser Arbeit bereitete er geschwind sein Mittageßen und setzte sich dann hin um aus zu ruhen, denn er hatte sich bei dem Ringen mit dem Bartmännlein sehr abgequält; doch freute er sich[133] darüber, daß er ihn überwunden habe, und daß er den andern beiden den Unhold werde zeigen können.

Der Schmied und der Schneider erzählten einander auf der Jagd von dem Bartmännlein, wie es jedem von ihnen ergangen sei, und sie waren sehr begierig zu erfahren, wie es nun dem Martin gehen werde. Als sie von der Jagd kamen, sagte Martin zu ihnen ›Na, da kommt her und eßet euch erst satt, dann will ich euch den Vogel zeigen, der euch beide krank gemacht hat. Ihr seid mir ein paar tüchtige Männer; laßt euch von einem solchen elenden Wicht überwinden.‹ Nun setzten sie sich alle zu Tische und aßen zu Mittag; Martin hatte aber sehr gut gekocht, so daß sie unter fortwährendem Lobe aßen. Nach dem Eßen sagte Martin ›Jetzt laßt uns gehen und nach dem Bartmännchen sehen; ich habe ihn in ein gutes Gefängnis gethan und ihm ganz gehörig ausgezahlt; ihr werdet sehen, ob das euer Teufel ist oder nicht.‹

Aber was war geschehen? Als sie zu dem Baumstumpfe hin kamen, war das Bartmännlein nicht mehr da; es hatte so lange gearbeitet, bis es sich den eingeklemmten Bart mit der Wurzel ausgerißen hatte, war entflohen und hatte den Bart im Spalte zurück gelaßen. Man konnte aber gut erkennen, wohin er gegangen war; denn das Blut muste ihm aus der Stelle, wo der Bart gestanden, stark gefloßen sein. Da verabredeten sich die drei, den Spuren nach zu gehen bis zu seiner Wohnung; denn sie dachten, sie könne nicht weit sein; auch wollten sie sehr gerne wißen, wie es zu Hause bei ihm ausschaue.

Tags darauf machten sie sich auf, das Bartmännlein zu suchen, und das Blut, das er überall verloren, war ein guter Führer für sie. Unterweges trafen sie einen schönen Hof, durch den das Bartmännlein gegangen war. In dem Hofe war gar niemand, aber an allen Bedürfnissen ganz ungeheuer viel. Sie sahen sich da eine Weile um und sprachen unter sich davon, daß sie, nachdem sie das Bartmännlein aufgefunden haben würden, nicht mehr in jenes Häuschen zurück kehren, sondern in dem Hofe wohnen wollten; und als sie das überlegt hatten, giengen sie wieder weiter. Sie musten aber noch ein langes Ende gehen und kamen in einem Wald an einen Berg, und auf dem Gipfel des Berges war ein großes Loch, das gieng gerad in die Erde hinunter; in das war das Bartmännlein hinein gegangen. Sie stellten sich so und so an das Loch, konnten aber nichts machen. Dann[134] kamen sie auf den Gedanken, wieder in den Hof zurück zu gehen, einen großen Korb und ein langes Seil zu suchen und dann einen von ihnen in das Loch hinab zu laßen. Als sie in den Hof kamen, fanden sie bald einen dazu tauglichen Korb, aber sie konnten gar keinen Strick finden. Da sagte Martin ›Wißt ihr was? Vieh ist in dem Hofe genug; schlagen wir etwa acht Ochsen todt; aus ihren Häuten machen wir einen langen Riemen, der wird eben so halten wie ein Strick.‹ Jene stimmten ihm bei. Da nahm Martin die Ochsen bei den Hörnern und schleuderte sie mit einer solchen Gewalt seitwärts, daß alle Eingeweide sammt dem Fleische hinaus flogen und nur die Haut an den Hörnern hangen blieb. Der Schmied muste sie nun zerschneiden und der Schneider zugleich zusammen nähen. Als sie nun einen viele Klafter langen Riemen hatten, giengen sie zu dem Loche hin. Martin, als der stärkste, stellte sich mit seinem Stabe in den Korb und die andern beiden ließen ihn langsam hinunter. Der Riemen war aber noch zu kurz, und sie musten Martin heraus ziehen, wieder in den Hof zurück gehen und den Riemen noch mit den Häuten einiger Ochsen verlängern. So ließen sie denn den Martin zum zweiten Male hinab, und dies Mal reichte der Riemen bis auf den Boden des Loches.

Als Martin unten angekommen war, wunderte er sich sehr, in der Tiefe so helle und herrliche Gemächer zu finden. Obwol aber viel Schönes da war, sah und hörte er doch niemanden. Lange wuste er nicht, was er thun solle, und blieb unten am Eingange des Lochs stehen, und alles war still; dann aber gieng er, im Vertrauen auf seine Kraft und seinen Stab, weiter und fand viele Stuben und geschmückte Zimmer und Kammern und Keller und überall prächtiges Geräte aller Art. Endlich fand er in einer sehr glänzenden Stube drei sehr feine und schöne Jungfrauen: das waren Prinzessinnen, die vor Zeiten einem Könige von Drachen gestohlen und in diese Tiefe gebracht worden waren. Als diese Jungfrauen den Martin erblickten, erschraken sie heftig und sagten zu ihm, er solle so schnell als möglich von da hinweg, sonst werde er sterben müßen. Martin sagte »Ich fürchte mich vor gar nichts, ich bin sehr stark; seht ihr da meine Stange, die ist von lauter Eisen; wenn ich mit der einem eins aufziehe, so hat der was zu fühlen.« Jene sagten zu ihm ›Das kann wol sein; aber du wirst kaum so stark sein als die, welche hier wohnen. Da erzählten sie ihm, daß in der Tiefe die Wohnungen der Drachen[135] seien, und daß es nicht mehr lange dauern werde, so werde einer heim geflogen kommen; im ganzen seien es ihrer drei. Der erste, der jetzt gleich kommen werde, habe drei Häupter, der zweite sechs und der dritte neun.‹ Martin trotzte noch immer auf seine Stärke; da sagte eine von den dreien zu ihm ›Komm her und versuch dich an dem Schwerts da!‹ Als er hin gieng und es anfaßte, konnte er es nicht einmal ein wenig bewegen. Da erschrak er heftig und hielt sich für verloren; die Jungfrau aber führte ihn zu einem Schranke und gab ihm aus einer Flasche zu trinken und ließ ihn alles austrinken, was in der Flasche war: denn das war das Waßer der Kraft. Dann hieß sie ihm wieder sich an jenem Schwerte zu versuchen, und es war ihm nun leicht wie eine Feder. In die leere Flasche aber füllte die Jungfrau gewöhnliches Waßer.

Bald darauf kam der erste Drache, der dreiköpfige, angeflogen. Wie er nun in fürchterliche Wut geriet, als er einen fremden Mann fand und schnell sein Schwert nehmen und Martin in Stücke hauen wollte, aber nicht im Stande war, es vom Pflocke zu nehmen, da sprang er schnell zu der Flasche hin, um das Waßer der Kraft zu trinken, und als er es getrunken hatte, war er noch schwächer als zuvor. Während er trank, hatte Martin das Schwert bereits ergriffen, und als der Drache sich nach ihm hin wandte, da versetzte er ihm mit solcher Gewalt einen Hieb, daß von dem einen Streiche alle drei Häupter herab fielen und der Drache leblos da lag.

Da freuten sich die Jungfrauen, in der Hoffnung, er werde sie vielleicht erlösen, und eine andre führte ihn zu dem Schwerte des sechshäuptigen, um sich an dem zu versuchen; das hob er wol in die Höhe, vermochte aber doch nicht es gehörig zu führen. Da ließ sie ihn aus der zweiten Flasche das Kraftwaßer des zweiten Drachen austrinken: da war ihm auch dieses Schwert leicht wie eine Feder; die Flasche goß sie aber voll Waßer. Nach ein paar Stunden kam auch der zweite angeflogen; aber was der erst für einen Lärm machte, als er einen Menschen fand! Man hätte glauben können, er werde sich selbst zerreißen; und schnell sprang er zu seinem Schwerte, um zu zu hauen, vermochte es aber nicht von der Wand zu nehmen. Da eilte er zu dem Waßer der Kraft, und als er das ausgetrunken hatte, war er noch schwächer als zuvor. Martin hatte inzwischen das Schwert ergriffen, und als der Drache von der Flasche sich weg wandte, um[136] sein Schwert zu nehmen, da hieb er ihn so gewaltig, daß auf zwei Streiche alle sechs Häupter zu Boden rollten. Da war er erlegt.

Da sprangen die Jungfrauen vor Freuden herum und sagten ›Ach, wenn du nur auch noch den schlimmsten erlegen könntest, dann wären wir erlöst!‹ Da führte ihn die dritte Jungfrau zu dem Schwerte des neunköpfigen, und das konnte er ebenfalls kaum rühren. Da ließ sie ihn aus der Flasche dieses Drachen das Waßer der Kraft austrinken und füllte sie mit gewöhnlichem Waßer auf; nun führte er auch dies Schwert wie eine Feder. Etwa nach einer Stunde hörte man den neunhäuptigen herbei fliegen mit furchtbarem Gesause und Gepolter. Aus seinen Rachen flogen Feuerflammen wie Blitze, und er brüllte so entsetzlich, daß auch der tiefe Grund erbebte und alle Fenster klirrten. Martin befiel davon eine solche Furcht, daß auch er zu zittern begann. Als die Jungfrauen das sahen, sprachen sie ihm zu, er solle nicht kleinmütig werden, sondern rechten Mut haben und sich gar nicht fürchten; er werde auch den überwinden. Je näher der Drache kam, desto unerträglicher wurde der entsetzliche Lärm, und als er Martin erblickte, spie er so fürchterlich Feuerflammen aus, daß Martin ganz umsprüht war und fast seine Augen verlor. Jetzt wollte der Drache schnell sein Schwert ergreifen, aber er vermochte nicht es von der Wand zu nehmen und lief nach seiner Flasche, um das Waßer der Stärke zu trinken; da aber nur gewöhnliches Waßer in der Flasche war, so ward er noch viel schwächer, als er zuvor gewesen, nachdem er es ausgetrunken hatte. Inzwischen war Martin herbei gesprungen, hatte sein Schwert von der Wand genommen und nun begann er ihm die neun Häupter abzuhauen. Mit drei gewaltigen Hieben waren sie alle neun abgeschlagen; der Drache aber wälzte sich noch eine gute Weile in seinem Blute, ehe er ganz todt ward. Da gab es nun eine große Freude bei den Jungfrauen, so daß sie nicht wusten, was sie thun sollten. Sie küssten dem Martin Hände und Füße und bewirteten ihn und pflegten sein mit den leckersten Speisen und Getränken und brachten ihm die kostbarsten Geschenke.

Martin aber sagte ›Wenn es auch sehr prachtvoll hier aussieht, so wollen wir doch nicht hier bleiben; gehn wir zur Öffnung, meine zwei Kameraden werden uns alle in dem Korbe, in welchem sie mich herab gelaßen haben, hinauf und heraus ziehen; denn hier sind ja doch nur die Wohnungen der Drachen.‹ So giengen sie denn an die Öffnung hin. Jene beiden vermochten aber nicht alle vier auf einmal[137] heraus zu ziehen, und Martin packte die drei Jungfrauen und einige sehr kostbare Gegenstände in den Korb, um sie hinaus ziehen zu laßen; er selbst blieb unten und wartete da, bis sie den Korb wieder herab laßen würden. Als jene beiden den Korb heraus gezogen, wunderten sie sich nicht wenig, daß sie nicht den Martin, sondern drei Jungfern zu Tage gefördert hatten. Die Jungfern aber sagten, Martin sei noch drunten und sie sollten den Korb wieder hinunter laßen, um Martin heraus zu ziehen. Als sie aber den Korb hinab ließen, sprachen sie unter sich, Martin werde sich die allerschönste von den drei Jungfrauen wol schon zur Braut ausersehen haben, und sie beneideten ihn um dieselbe. Als sie den Martin etwa bis zur Hälfte in die Höhe gezogen hatten, entschloßen sie sich schnell, den Riemen zu durchschneiden; und als sie das gethan hatten, polterte Martin jählings in die Tiefe hinab, fiel aber unten so weich auf, als wäre er auf Federn gekommen. Als sie das gethan hatten, hatten sie ihre Freude darüber, nahmen die Jungfrauen mit in jenen Hof und lebten da ohne alle Sorgen.

Der arme Martin aber merkte sogleich den teuflischen Trug seiner Kameraden und wuste nun gar nicht, was er anfangen und wie er aus der Tiefe heraus kommen solle. Aus Mismut durchwanderte er alle Stuben, Kammern und Winkel, um irgend wo vielleicht ein lebendiges Geschöpf, vorzüglich aber um jenes Bartmännlein zu finden; er fand aber nichts. Nach langem Suchen fand er hinter einem Ofen das Bartmännlein, das seinen Bart pflegte, damit er wieder wachse. Sofort ergriff er ihn am Barte, zerrte ihn hinter dem Ofen vor und sagte zu ihm ›Wenn du mir aus diesem Abgrunde heraus helfen kannst, so ist das dein Glück; wenn aber nicht, so must du auf der Stelle sterben!‹ Das Bartmännlein sagte »Ich habe jetzt nicht so viel Kraft, um dich hinaus zu schaffen; aber ich werde dir viel Hab und Gut und große Vorräte von Lebensmitteln zeigen, so daß du hier sehr gut wirst leben können; laß mich nur am Leben, ich werde dir in allem dienstbar, und wenn ich wieder gesund sein werde, von großem Nutzen sein.« Martin ließ sich wol vom Bartmännlein überall herum führen und alles zeigen; aber es war ihm doch ganz unheimlich zu Mute, und er setzte dem Bartmanne abermals zu, er solle ihn hinaus schaffen, sonst müße er sterben. Das Bartmännlein versicherte, er würde das sehr gerne thun, wenn er nur die Kraft dazu hätte. Martin, der voll Kummer und Unruhe war, wurde sehr böse[138] auf ihn und sagte ›Du Unhold, wo hast du denn deine Kraft hingebracht! Damals konnte ich dich kaum zwingen und jetzt sagst du, du vermögest nicht mich hinaus zu schaffen; wolan, so sollst du verrecken wie ein Hund!‹ Als er das gesagt hatte, stieß er mit seinem Stabe in die Erde und machte ein tüchtiges Loch, stopfte das Bartmännlein hinein und stampfte mit dem Stabe das Loch wieder zu. So nahm das Bartmännlein ein schreckliches Ende.

Für Martin wurde aber der Aufenthalt da drunten noch entsetzlicher, da er nun gar kein lebendes Wesen mehr um sich hatte und doch nicht heraus konnte. Er verwünschte alles und dachte in seiner Niedergeschlagenheit, es werde wol keinen andern Ausweg geben, als sich das Leben zu nehmen. Während er sich mit solchen Gedanken quälte, gieng er wieder an die Mündung jenes Loches; aber da war auch alles still. Da er nun nicht wuste, was er thun sollte, nahm er seinen Stab und warf ihn mit solcher Gewalt in die Höhe, daß er oben hinaus und noch hoch in die Luft empor flog; und als er wieder herab fiel, traf er zufällig in das Nest eines Walddrachen und warf ihm eines seiner Jungen aus dem Neste. Der Drache wurde darüber sehr grimmig, und als er sein Junges wieder in das Nest getragen hatte, ließ er sich durch das Loch in die Tiefe hinab, um zu sehen, wer ihn so beunruhigt habe, und fand unten den Martin. Da sagte der Drache in gröster Wut zu ihm ›Warum, läst du mich nicht in Frieden? Ich wohne schon lange Jahre hier und mir ist noch nichts Böses widerfahren, und jetzt hast du mir einen solchen Schrecken gemacht.‹ Martin erzählte ihm, daß auch er in großer Not sei und in seiner Niedergeschlagenheit nicht wiße, was er thun solle; und er bat den Drachen, er möge ihn doch aus der Tiefe heraus tragen; er werde ihn, wenn er auch nicht mehr leisten könne, doch mit Fleisch füttern. Der Drache sagte ihm das zu und sprach ›Lad das Fleisch auf mich und setze dich selbst auf, und so oft ich während des Fliegens den Rachen öffnen werde, must du mir ein Stück Fleisch geben.‹ Martin legte also ein Fäßchen voll Fleisch auf den Drachen und setzte sich selbst auf ihn. Der Drache begann nun in die Höhe zu fliegen, und so bald der Drache den Rachen öffnete, schleuderte ihm Martin ein Stück Fleisch hinein. Allein er hatte noch nicht den halben Weg zurück gelegt, als das Fleisch schon aufgefreßen war; und als der Drache wieder aufsperrte und Martin ihm nichts mehr geben konnte, da wurde der Drache grimmig und fieng an sich zu schütteln, um[139] den Martin ab zu werfen; der klammerte sich aber so fest an ihn an, daß er ihn nicht abwerfen konnte. Da versprach der Drache ihn heraus zu tragen, wenn er ihm mehr als noch einmal so viel Fleisch geben könne. Da lud Martin zwei tüchtige Fäßer Fleisch auf den Drachen und dachte nun reichlich auszukommen, und setzte sich auf. Der Drache stieg nun wieder in die Höhe, aber nicht weit vom obern Ende war das Fleisch abermals aufgefreßen, und Martin muste sich aus seinen Schenkeln noch Stücke Fleisch heraus schneiden und dem Drachen in den Rachen werfen, und so brachte ihn denn der Drache nach oben. Als er aber draußen war, schleuderte er den Martin in die Höhe, daß er fast bis in die Wolken flog, damit er beim Niederfallen sich zu Tode schlage; das geschah aber nicht; er fiel auf die Erde als wie auf Federn und beschädigte sich gar nicht.

Schnell machte er sich nun auf, nahm aus der Tasche ein Glas, in dem er Fett von jenen erlegten Drachen hatte, und bestrich damit die Wunden seiner Schenkel. Jene drei Jungfrauen hatten ihm nämlich gesagt, daß das Drachenfett, auf Wunden gestrichen, diese sehr schnell heile. Und so war es auch; sobald er nur aufgestrichen hatte, waren sofort die Wunden geheilt, als wären sie gar nicht da gewesen. Sodann suchte er sich seinen Stab und gieng in jenen Hof zu seinen Kameraden. Als er auf den Hof kam, fand er sie da herrlich und in Freuden lebend. Aber es gab keinen kleinen Schreck, als Martin in die Stube herein trat. Der Schmied und der Schneider konnten kein Wort sagen; die drei Jungfrauen aber, die Martin sehr wol erkannten, hiengen sich sofort an ihn, umarmten und küssten ihn liebreich und hatten eine große Freude, daß sie wieder bei ihrem Erlöser waren. Nun kam der Trug jener beiden zum Vorschein, und Martin ergriff sie, prügelte sie jämmerlich durch und jagte sie vom Hofe weg. Er behielt dann alle drei Jungfrauen als seine Frauen und blieb auf dem Hofe wohnen, wo es ihm sehr gut gieng und er alt wurde, und nach seinem Tode wohnten dort seine Kinder und Kindeskinder, und vielleicht wohnt noch eines von ihnen dort.

Quelle:
Schleicher, August: Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder. Weimar: Böhlau, 1857, S. 128-140.
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