Rothhalsfalk (Falco chiquera)

[551] In Mittelafrika und Indien wird die Wanderfalkengruppe durch einen kleinen, überaus zierlichen Raubvogel vertreten, welcher seiner ungewöhnlichen Schönheit halber auch in unserem Werke erwähnt zu werden verdient. Dies ist der Rothhalsfalk oder »Turumdi« der Inder (Falco chiquera, ruficollis und ruficapillus, Hypotriorchis chiquera und ruficollis, Chiquera ruficollis), vielleicht der schönste aller Edelfalken überhaupt. Kopf und Nacken sind rostroth, hier und da durch die dunkleren Schäfte der Federn fein gestrichelt, Rücken, Oberflügel, Flügeldeckfedern und Oberarmschwingen dagegen auf dunkel aschgrauem, im Leben hellblau überflogenem Grunde mit breiten, stark hervortretenden, schwarzen Querbinden, Unterbrust, Bauch und Schenkel [551] auf licht röthlichgelbem Grunde dicht mit dunkel aschgrauen Bändern gezeichnet. Ein schmaler Streifen über dem Auge ist, wie der deutlich hervortretende Bart, schwarz, die Kehle weiß, der Kropf, einschließlich der Oberbrust, zumal an den Seiten, ebenso wie der Flügelbug, hellrostroth; der Schwanz hat dieselbe Grundfärbung wie der Rücken und ist acht- bis zehnmal dunkler gebändert, die breite Endbinde weiß gesäumt.


Rothhalsfalk (Falco chiquera). 3/8 natürl. Größe.
Rothhalsfalk (Falco chiquera). 3/8 natürl. Größe.

Das Auge ist dunkelbraun, der Schnabel am Grunde grünlichgelb, an der Spitze hornblau, der Fuß hellorangegelb. Die Länge beträgt beim Männchen 29, beim Weibchen 34, die Breite bei jenem 58, bei diesem 68, die Fittiglänge 18,5 und beziehentlich 22, die Schwanzlänge 11, beim Weibchen 14,5 Centimeter.

Einzelne Naturforscher unterscheiden Rothhalsfalk und Turumdi als besondere Arten; es ist jedoch wahrscheinlich, daß auch in diesem Falle dieselben Verhältnisse, wie für die Wanderfalken insgemein maßgebend sind.

Nach meinen Erfahrungen findet sich dieser reizende Falk in Nordostafrika erst südlich des sechzehnten Grades nördlicher Breite und hier ausschließlich auf den Dulébpalmen, welche mit prächtigen Kronen über den Hochwald sich erheben und ihm auf ihren breiten Fächerblättern [552] wohlgeeignete Stellen zur Anlage seines Horstes gewähren. Wir durften mit aller Sicherheit darauf rechnen, da, wo wir eine dieser Palmen sahen, auch ihn anzutreffen. Nur ein einziges Mal sahen wir ihn in einem Dompalmenwalde bei Roseeres; freilich gab es hier weit und breit keine Dulébpalmen. Heuglin hat ihn in Mittelafrika auf denselben Bäumen gefunden, und wahrscheinlich verhält es sich an der Westküste, wo er ebenfalls vorkommt, ganz ebenso.

Eine einzige genannter Palmen ist genügend, ein Pärchen zu fesseln. Von hier fliegt der Falk wohl auch auf einen der Affenbrodbäume und nimmt hier auf der höchsten Spitze seinen Sitz, um von dieser Warte aus sein Gebiet zu überblicken. Fliegt dann ein Schwarm Webervögel vorüber, so sieht man ihn wie einen Pfeil vom Bogen und selten vergeblich von oben sich herniederstürzen; denn seine Gewandtheit ist außerordentlich groß und übertrifft nach meinem Dafürhalten die aller übrigen Falken, welche ich beobachtet habe. Unter seinem Horste habe ich einen getödteten Zwergsegler (Cypselus parvus) gefunden und später gesehen, wie ein Paar der prachtvollen Falken einen dieser schnellsten aller dortigen Flieger längere Zeit verfolgte und glücklich fing. Kleinere Vögel, vor allem aber die Finkenarten, und zwar wiederum eben die Webervögel, scheinen jedoch die ausschließliche Nahrung zu bilden. An größeren Thieren vergreift er sich nicht; dafür spricht wenigstens ein eigenthümliches Freundschaftsverhältnis, welches wir wiederholt beobachtet haben. Auf denselben Fächerblättern nämlich, welche den Horst des Falken tragen, nistet die Guineataube (Columba guinea), und oft haben wir gesehen, daß die beiden Nachbarn in unmittelbarer Nähe harmlos friedlich neben einander saßen. Den Horst selbst habe ich nie untersuchen können: die Dulébpalme erwies sich für mich als unersteiglich.

Die Schnelligkeit und Gewandtheit des prächtigen Räubers sichert ihm ein freies Leben; doch hat auch er seine Feinde, wahrscheinlich in den stärkeren Mitgliedern seiner Sippe. Im Urwalde fand ich einmal Kopf und beide Flügel eines männlichen Falken dieser Art als Ueberbleibsel einer Mahlzeit, welche sein Leib gebildet hatte. Die Innerafrikaner stellen dem Vogel nicht nach, der Hindu hingegen weiß seinen Verwandten zu würdigen und dessen Gewandtheit zu verwerthen.

Es dient zur Vervollständigung des von mir eben gesagten, wenn ich Jerdons Beschreibung des Turumdi noch folgendes entnehme. »Er ist über ganz Indien vom Norden zum Süden verbreitet, in waldigen Gegenden jedoch selten, da er offene Strecken in der Nachbarschaft von Ansiedelungen, Gärten und Baumgruppen bevorzugt. Oft sieht man ihn auch im offenen Lande auf hohen einzeln stehenden Bäumen, von denen aus er namentlich während der Tageshitze Ausfälle macht. Dabei gleitet er mit unglaublicher Schnelligkeit längs der Gebüsche, Hecken und Teichufer hin, über Felder hinweg und stürzt sich plötzlich auf eine Lerche, Bachstelze oder einen Sperling herab. Ich habe ihn auch schon wiederholt für einige Sekunden wie einen Thurmfalken rütteln sehen. Er jagt in Paaren und raubt vorzüglich kleine Vögel, namentlich Kalanderlerchen, Sperlinge, Regenpfeifer, aber auch Feldmäuse.

Der Horst des Turumdi steht gewöhnlich auf hohen Bäumen und enthält in der Regel vier gelblichbraune und mit braunen Flecken besprenkelte Eier. Die Jungen entfliegen schon zu Ende März oder Anfang April dem Neste. Er ist beim Horste sehr muthig und verjagt mit schrillendem, lautem Schrei Krähen, Milane und selbst den Steinadler aus seinem Gehege.

Gelegentlich wird er gezähmt und auf Wachteln, Rebhühner, Meinas, besonders aber auf die indischen Raken abgerichtet. In Verfolgung dieser Beute verfährt der Falk sehr vorsichtig und zurückhaltend, wird aber doch oft betrogen durch die außerordentlichen Kunststücke der Rake, welche bald schief dahinstreicht, bald gerade senkrecht herunterstürzt, fortwährend dabei schreit und so schleunig als möglich einen schützenden Baum zu gewinnen sucht. Aber gerade hier ist sie nicht sicher; denn der Falk folgt ihr von Zweig zu Zweig, treibt sie von neuem heraus, und einige Augenblicke später fällt die abgemattete Beute dem ruhelosen Verfolger zum Opfer. Ich habe Falkner gekannt, welche den Turumdi abgerichtet haben, in Gesellschaft zu jagen.«


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 551-553.
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