Schneiderfisch (Alburnus bipunctatus)

[286] In allen deutschen Strömen kommt neben dem Uckelei eine zweite Art der Sippe vor: der Schneiderfisch, auch Schneider, Schuster, Aland- und Breitblecke, Schußlaube, Tausendfischchen, Rothlauge, Riemling, Bachbumel und Bambeli genannt (Alburnus bipunctatus und fasciatus, Leuciscus bipunctatus und Baldneri, Cyprinus, Aspius und Abramis bipunctatus). Er unterscheidet sich von jenem durch seine gedrungene Gestalt und die eigenartige Färbung. Die dunkelgraue Rückenfärbung geht an den Seiten in Graulichsilberfarb, am Bauche in Reinsilberfarb über; die Seitenlinie aber ist oben und unten schmal schwärzlich gesäumt, fällt daher gleich einer Naht ins Auge und hat dem Fische zu seinem am meisten gebrauchten Namen verholfen. Die Rückenflosse spannen drei und acht, die Afterflosse drei und funfzehn bis siebzehn, die Brustflosse ein und vierzehn, die Schwanzflossen zwei und sieben bis acht, die Schwanzflosse neunzehn Strahlen. An Größe kommt der Schneider mit dem Uckelei ungefähr überein.

Den Verbreitungskreis hat man mit Sicherheit noch nicht feststellen können, weil der Schneider oft in Gesellschaft verwandter Arten gefunden und vielfach verwechselt worden ist. In den meisten Flüssen und Seen Mitteleuropas, des Westens wie des Ostens, tritt er sehr häufig auf, vorausgesetzt, daß das Wasser derselben klar und nicht zu rauschend ist. Im Winter wird er in manchen Gewässern nicht bemerkt, dürfte daher ebenfalls winterschlafend im Schlamme sich verbergen.

Geselliger als viele andere Fische, bilden die Lauben, und so auch beide beschriebenen Arten, stets sehr zahlreiche, zuweilen unschätzbare Gesellschaften und tummeln sich bei warmer, windstiller Witterung nahe dem Wasserspiegel munter umher, Kerfe fangend und anderweitige Beute solcher Art aufnehmend. Sie sind, wie Heckel und Kner schildern, wenig scheu, aber neugierig und gefräßig, kehren deshalb, wenn in ihrer Nähe irgend etwas ins Wasser geworfen wird, nach augenblicklicher Flucht wieder zurück, um nachzusehen, was es war, schnappen sofort nach dem erspäheten Gegenstande und geben ihn wieder von sich, wenn ihnen derselbe nicht behagt. In den Augen des Anglers, welchem es nur darauf ankommt, viele Beute zu machen, gelten sie demgemäß als die dankbarsten aller Fische; denn sie beißen unter allen Umständen und nach jedem ihnen vorgeworfenen Köder. Ihre Fortpflanzungszeit fällt in die Monate Mai und Juni, kann jedoch bereits im Märzbeginnen und bis zum August sich hinausziehen. Um diese Zeit sammeln sie sich zu dichten Scharen und steigen in den Flüssen empor, um geeignete Stellen zur Ablage der Eier auszuwählen. Hierbei werden ihnen neuerdings Fabrikanlagen, deren Abflüsse Bäche und Flüßchen vergiften, sehr verderblich. Beim Aufsteigen in der Wupper zum Beispiele gerathen die Züge, laut Cornelius, in der Evertsaue in das von Säuren und Farbstoffen aus den Barmer und Elberfelder Färbereien geschwängerte und vergiftete Wasser, »und bald schwimmen zahlreiche todte und halbtodte Fische zurück, die Wupper hinab. Manchmal ist auch wohl die Anzahl der ausgeworfenen und an langsam fließenden Stellen im Wasser verwesenden Leichname so beträchtlich, daß die Luft weit umher von einem unausstehlichen Geruche erfüllt wird«. Zum Laichen selbst ersehen sie sich Stellen mit steinigtem Grunde oder zwischen Wasserpflanzen verschiedener Art, bewegen sich noch lebhafter als sonst, schnellen sich oft über die Oberfläche empor und zeigen sich überhaupt sehr erregt. Das Laichen erfolgt, nach Angabe unserer Gewährsmänner, in drei mehr oder weniger langen Zwischenräumen; die ältesten Weißfische machen den Anfang, die jüngsten den Schluß. Ihre Vermehrung ist außerordentlich stark, ihr [286] Leben aber unverhältnismäßig kurz; denn die Art und Weise ihres Zusammenhaltens und der Bevorzugung der oberen Wasserschichten macht sie zu einer häufigen Beute der Raubfische und Wasservögel, welche ihren Schwärmen ununterbrochen folgen. Stürzt sich ein raubgieriger Barsch unter ihren Haufen, so pflegen sie sich außerhalb des Wassers eine Strecke weit fortzuschnellen und wissen so den Verfolgungen ihrer Feinde oft zu entgehen. Aber wie bei den Hochflugfischen geschieht es, daß dann Möven oder Seeschwalben, ihre nicht minder wachsamen Feinde, von oben herab sich auf sie werfen und unter ihnen Beute gewinnen. »Dafür«, sagt Siebold, »behaften sie auch diese Wasservögel mit einem Bandwurme, welcher als Lingula simplicissima frei in ihrer Leibeshöhle vorkommt und durch sie in den Darm jener Vögel übergepflanzt wird.«

Als Nahrungsmittel gelten die Lauben insgemein, also auch unsere Weißfische für werthlos; doch betreibt man hier und da regelmäßigen Fang, weil man sie doch genießt, als Köder für andere Fische und seit dem vorigen Jahrhunderte zur Herstellung der Essence d'Orient benutzt, erzielt daher für das Kilogramm dieser Fischchen immerhin sechzig bis achtzig Pfennige, in Schlesien sogar eine bis anderthalb Mark. An der Ahr und anderen Zuflüssen des Rheines fängt man sie als kleine Junge nebst anderen Fischchen verschiedener Art zu Millionen, kocht sie ab, hüllt sie, nachdem sie abgetrocknet, in grüne Blätter, umgibt diese mit Baumrinde und bringt sie päckchenweise unter dem Namen »Rümpchen« oder »Gesäms« auf den Markt; in Ost- und Westpreußen räuchert man sie oder macht sie ein; in Pommern und am Oberrheine verwendet man vorzugsweise ihre Schuppen. Aus der Essence d'Orient, deren Bestandtheile längere Zeit geheim gehalten wurden, fertigt man die falschen Perlen, welche bekanntlich den echten täuschend ähnlich sein können und den Preis der letzteren wesentlich herabgedrückt haben. Die Erfindung, Glasperlen innerlich mit fein gestoßenen Fischschuppen zu bekleiden und ihnen so jenen Perlenglanz zu verleihen, wurde vor der Mitte des vorigen Jahrhunderts von einem französischen Rosenkranzverfertiger gemacht und seitdem in mehr oder minder großartigem Maßstabe betrieben. Man schuppt den Weißfisch ab, bringt die Schuppen in ein Geschirr mit Wasser und zerreibt sie hier so fein wie möglich. Das Wasser, welches bald eine Silberfärbung annimmt, wird in ein großes Glas gegossen und letzteres zum Setzen der Masse mehrere Stunden lang an einen ruhigen Ort gestellt. Ist die Masse zu Boden gesunken, so gießt man das reine Wasser durch vorsichtiges Neigen des Glases ab, bis außer einem ölartigen, dicken Safte, der Essence d'Orient, nichts mehr zurückgeblieben. Die Benutzung gründet sich auf die Eigenschaft der abgeriebenen Silberglanzplättchen, in Ammoniak keine Veränderung zu erleiden. Nach den von Siebold am Mittelrheine eingezogenen Erkundigungen liefern funfzig Kilogramm Weißfische zwei Kilogramm Schuppen und sollen zur Auswaschung von fünfhundert Gramm Silberglanz achtzehn- bis zwanzigtausend Fische erforderlich sein. Freilich sind letztere so häufig, daß es unter Umständen leicht wird, derartige Mengen mit einem Male zu erbeuten. Im Bodensee zum Beispiele hatte man schon auf einen Zug zehn Eimer von ihnen gefangen.

Für engeren Gewahrsam eignen sich die Lauben vorzüglich; denn sie sind die spiellustigsten und unterhaltendsten aller kleineren Fische, unablässig in Bewegung, auf alles aufmerksam, springen nach jeder kleinen Fliege oder nach jedem ins Wasser gebrachten Körper überhaupt und scheinen ebenso zufrieden wie unermüdlich zu sein.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 286-287.
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