Achte Familie: Karpfen (Cyprinidae)

[261] Weitaus der größte Theil aller südeuropäischen und ebenso eine namhafte Anzahl der in den Binnengewässern Asiens, eines Theiles von Afrika und Nordamerika hausenden Süßwasserfische gehört einer Familie an, welche wir, dem wichtigsten Mitgliede derselben zu Gefallen, Karpfen (Cyprinidae) nennen. Sie sind länglich eirund gebaute, kleinmäulige, mit großen Rundschuppen bekleidete Fische mit schwachen, zahnlosen Kinnladen, deren Rand von dem Zwischenkiefer gebildet wird, hinter welchem der Oberkiefer liegt; an Stelle der Kieferzähne finden sich entsprechende Gebilde in dem unteren Schlundknochen, welche gegen einen am Schädelgrunde gelegenen, meist mit einer Hornplatte verdeckten Fortsatz des Schädels, den sogenannten Karpfenstein, wirken. Der Magen hat keinen Blindsack, der Darm keinen Blinddarm; die Schwimmblase ist in der Regel in eine vordere und hintere getheilt und mit dem Gehörorgane durch eine Kette von Gehörknöchelchen verbunden.

Unter diesen Merkmalen haben die Mundbildung und die Schlundknochen für die Eintheilung der Familie besondere Wichtigkeit. Der Mund wird entweder von dicken, fleischigen Lippen umgeben, oder von dünnschneidenden, oft knorpelig überdeckten Kieferrändern begrenzt; die Schlundzähne unterscheiden sich bezüglich ihrer Form, Anzahl und Stellung, und diese Verschiedenheiten sind so beständig und verläßlich, daß sie geeignet erscheinen, zur Kennzeichnung der einzelnen Arten benutzt zu werden. »Der Umstand, daß diese Zähne sich abnutzen und einem regelmäßigen Wechsel unterworfen sind«, sagen Hec kel und Kner, »beeinträchtigt ebensowenig wie das im ganzen seltene Vorkommen von Mißbildung ihre Brauchbarkeit zu diesem Zwecke; sie setzen daher vorzugsweise in den Stand, die Arten und Gattungen dieser Familie schärfer abzugrenzen, als dies von der Mehrzahl anderer Familien gerühmt werden kann. Die Anzahl der Schlundknochen ist mit wenigen Ausnahmen eine geringe. In den meisten Fällen stehen jederseits deren vier bis zehn, nicht immer [261] auf einer Seite so viel wie auf der anderen; sie ordnen sich auch bei den einen in einfache, bei anderen in doppelte, in dreifache Reihen. Hierzu kommt das Vorhandensein oder Fehlen der Bärtel, die Beschuppung usw.«

Die Karpfen, von denen gegen eintausend Arten beschrieben wurden, lieben stehende Gewässer mit weichem, schlammigem oder sandigem Grunde, welcher ihnen ihre bevorzugte Nahrung, Würmer, Kerbthierlarven und verwesende Pflanzenstoffe, bietet. In ruhig fließenden Strömen finden sie sich ebenfalls; Gebirgswässer dagegen werden von ihnen mehr oder weniger gemieden. Sie leben größtentheils gesellig und vereinigen sich gern zu zahlreichen Scharen, welche, wie es scheint, längere Zeit gemeinschaftlich mit einander schwimmen und jagen, auch während der rauhen Jahreszeit dicht neben einander in den Schlamm sich betten und hier gewissermaßen einen Winterschlaf abhalten. Ihr Nahrungserwerb bedingt, daß sie oft und lange unmittelbar über dem Grunde sich aufhalten. Sie ziehen den größten Theil ihrer Beute aus dem Schlamme selbst hervor, indem sie denselben förmlich durchsuchen, wenigstens oft ihre Köpfe in ihn einbohren und längere Zeit in solcher Stellung verweilen. Gegen die Laichzeit hin trennen sich die Schwärme in kleinere Haufen; die Roggener ziehen voran, und die Milchner folgen ihnen getreulich nach, gewöhnlich in größerer Anzahl, so ungefähr, daß zwei oder drei Männchen ein Weibchen begleiten. Ueberwiegt das eine Geschlecht bedeutend an Zahl, so kann es geschehen, daß verwandte Arten der Familie sich gesellen und gemeinschaftlich laichen; wenigstens nimmt man jetzt, und wohl mit Recht, an, daß mehrere von den in den Büchern der Gelehrten aufgeführten Karpfenarten nichts anderes als Blendlinge sind. Die Geneigtheit der verschiedenen Karpfenarten, mit einander sich zu paaren, findet vielleicht in dem auch bei diesen Fischen sehr lebhaften Begattungstriebe ihre Erklärung. Schon seit alter Zeit gilt das Urbild der Familie, der Karpfen, mit Recht als ein Sinnbild der Fruchtbarkeit. Als solches war er der Venus geheiligt; auf diese Fruchtbarkeit bezieht sich der in die lateinische und von dieser in unsere Sprache übergegangene Name. Schon in dem Roggen eines drei Pfund schweren Weibchens hat man dreihundert siebenunddreißigtausend, in ausgewachsenen Roggenern bis siebenhunderttausend Eier gezählt. Ein so großer Reichthum will angebracht sein, daher denn die lebhafte Unruhe, das auch in anderer Hinsicht veränderte Wesen, die Rücksichtslosigkeit der Karpfen.

Sind nun diese Vermischungen verschiedener Arten Ursache zu abweichenden Formen geworden, so tritt noch ein zweiter Umstand hinzu. Mehrere Arten der Familie sind seit vielen Jahrhunderten als Zuchtfische vom Menschen beeinflußt worden, und so haben sich infolge der den Karpfen gewissermaßen unnatürlichen Verbreitung, der Beschaffenheit der Zuchtteiche und Seen, der verschiedenen Behandlung usw. Ausartungen gebildet, welche mit der Zeit Ständigkeit erlangten. Dementsprechend ist die Anzahl der Ab- und Spielarten innerhalb der Familie der Karpfen größer als in jeder anderen.

Mit Ausnahme weniger, unseren Fischern und Hausfrauen wohlbekannter Arten der Gruppe haben die Karpfen ein weiches, saftiges und höchst wohlschmeckendes Fleisch, lassen sich, dank ihrer Zählebigkeit, ohne besondere Vorkehrungen weit versenden, leichter als alle übrigen Fische in verschiedenartigen Gewässern einbürgern, vermehren sich, wie bemerkt, sehr stark, zeigen sich anderen Fischen gegenüber verhältnismäßig anspruchslos, begnügen sich mit billigen Nahrungsmitteln, wachsen rasch und wer den leicht feist: vereinigen also alle Bedingungen, welche man an einen Zuchtfisch überhaupt stellen kann. In den von den Menschen überwachten Gewässern haben sie zwar viel von Krankheiten, aber doch wenig von Feinden zu leiden, obgleich ihnen, so lange sie jung sind, fast die gesammte übrige Bewohnerschaft der Gewässer nachstellt. Deshalb schlägt ihre Zucht auch selten fehl, und sie dürfen so recht eigentlich als der Fisch des Bauers gelten. Wollte man die Zucht etwas verständiger betreiben, als es gegenwärtig noch immer geschieht, namentlich während der Laichzeit für geeignete, mit leichter Mühe herzustellende Plätze zum Absetzen ihres Laiches sorgen, die größeren und kleineren gebührend aus einander halten und es an entsprechendem [262] Futter nicht fehlen lassen: der Gewinn, welchen ein Teichbesitzer aus ihnen zieht, würde noch ungleich bedeutender sein, als es bisher der Fall war.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 261-263.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Die Narrenburg

Die Narrenburg

Der junge Naturforscher Heinrich stößt beim Sammeln von Steinen und Pflanzen auf eine verlassene Burg, die in der Gegend als Narrenburg bekannt ist, weil das zuletzt dort ansässige Geschlecht derer von Scharnast sich im Zank getrennt und die Burg aufgegeben hat. Heinrich verliebt sich in Anna, die Tochter seines Wirtes und findet Gefallen an der Gegend.

82 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon