Todtenkopf (Acherontia Atropos)

[368] Der Todtenkopf (Acherontia Atropos), nächst der A. Medor aus Mejiko, in Ansehung seiner Körpermasse der größte aller Schmetterlinge – er hält 19,5 Millimeter im Querdurchmesser – hat durch zweierlei eine gewisse Berühmtheit erlangt. Der pelzartig dicht braun behaarte, blaugrau schimmernde Mittelleib trägt auf seinem Rücken eine ockergelbe Zeichnung, welche auffällig einem Todtenkopfe ähnelt, unter welchem sich zwei Knochen kreuzen, und zum zweiten bringt der Schmetterling, sobald er gereizt wird, einen pfeifenden, schrillenden Ton hervor. Daß dieser Laut durch Reibung gewisser Theile des Vorderkörpers entstehe, wurde seit Réaumurs Beobachtungen allgemein angenommen, und zwar sollte die Reibung des Rüssels an der inwendig mit Leistchen versehenen Tasterwurzel diese zum Theil klagenden Töne hervorbringen. Die anatomischen Untersuchungen R. Wagners ergaben eine überaus große, durch Luft ausgedehnte Saugblase, welche dicht vor dem sogenannten Magen, in das Ende der Speiseröhre mündend, den ganzen Vordertheil des Hinterleibes ausfüllt und sich beim Oeffnen desselben sogleich von der Rückseite her hervordrängt. Auch fand sich die Speiseröhre stets mit Luft gefüllt. Wagner hält es nun für wahrscheinlich oder fast ausgemacht, daß die Stimme durch Ein- und besonders durch Ausstoßen der Luft aus der großen Saugblase durch die enge Speiseröhre und vorzüglich durch den Rüssel hervorgebracht wird; je kürzer dieser durch Abschneiden wird, um so schwächer wird sie ... Doch ist es möglich, daß ein Theil der Luft durch ein Spältchen streicht, welches an der Vorderflächenmitte durch die nicht völlig an einander gedrückten Rüsselhälften offen zu bleiben scheint. Auch Landois meint durch seine jüngsten Beobachtungen, welche seinen früheren Ansichten widersprechen, die Wagnerschen zu unterstützen, und nimmt nach seinen Versuchen an, daß der Todtenkopf beim Pfeifen die Luft aus dem Saugmagen durch jene Rüsselspalte ausstoße; denn man kann ihn durch den Rüssel Luft unter sichtlicher Anschwellung des Hinterleibes einblasen und macht ihn durch Abschneiden des Rüssels, oder durch Fortschaffen jener Spalte stumm, sei es, daß man sie verklebt oder durch Auseinanderbiegen beider Rüsselhälften beseitigt. Bei dieser Gelegenheit sei bemerkt, daß noch von einigen anderen Schmetterlingen Lautäußerungen ausgehen. Darwin hat von der Ageronia feronia ein Geräusch vernommen, wie das eines Zahnrades, welches unter einem federnden Sperrhaken läuft, als sich zwei dieser brasilischen Schmetterlinge in unregelmäßigem Laufe jagten, und nimmt an, daß es wahrscheinlich während der Bewerbung der Geschlechter hervorgebracht werde. Doubleday hat einen häutigen Sack an der Vorderflügelwurzel entdeckt, dessen Mitwirkung jener Laut zugeschrieben werden dürfte, wie auch eine blasige Grube am Hinterflügel der männlichen Thecophora (Noctua) fovea nach Bertholds Beobachtung beim Flattern einen schrillenden Ton erzeugen soll. Der Todtenkopf, um nach diesen Abschweifungen sein Bild zu vollenden, nimmt der Länge nach durchschnittlich den Raum von 14 Zeilen der vorliegenden Druckschrift ein (55 Millimeter) und spannt dabei die Breite des Druckes mit Abrechnung von neun Buchstaben (114 Millimeter). Die fast gleich dicken, kurzen Fühler enden mit einem Haarpinsel, der Hinterleib in eine gerundete Spitze. Die Vorderflügel sind tiefbraun, schwarz und etwas ockergelb gewölkt, durch zwei gelbliche Querbinden in die bekannten drei Felder getheilt, deren mittelstes [368] ein lichtes Mittelpünktchen zeigt. Die ockergelben Hinterflügel zieren zwei schwarze Querbinden, deren breitere, äußere an den Rippen zackig, wie ausgeflossen erscheint. Ueber den gleichfalls gelben, schwarz geringelten Hinterleib zieht eine breite blaugraue Längsstrieme. Die Rollzunge ist sehr kurz, bedeutend kürzer als bei jedem anderen Schwärmer und erlaubt dem Schmetterlinge nicht, in der oben geschilderten Weise seine Nahrung zu sich zu nehmen. Man findet ihn bei uns zu Lande und zwar nur im Herbste, entweder mit dachförmig auf den Körper gelegten Flügeln an einer Mauer, einem Steine sitzend, oder er geht dem Lichte nach und erscheint schwärmend in einem Wohnzimmer, wodurch er schon manchmal Furcht und Staunen veranlaßt hat. – Die stattliche Raupe kommt in der Regel im Juli und August auf Kartoffelkraut, Teufelszwirn (Lycium barbarum), Stechapfel vor, man will sie jedoch auch auf Jasmin (Jasminum officinale), Mohrrübe und Färberröthe angetroffen haben. Sie mißt 13 Centimeter und trägt auf dem vorletzten Ringe ein S-förmig gebogenes, an der Wurzel verdünntes und wie ein Schwänzchen herabhängendes Horn. Man kann nach Färbung mehrere Spielarten unterscheiden, für gewöhnlich ist sie grünlichgelb, dicht mit schwarzblauen Pünktchen bestreut, die drei ersten und das letzte Glied ausgenommen, und hat vom vierten ab schön blaue, nach vorn offene, unterwärts schwarz beschattete Winkelhaken über den Rücken, je einen auf jedem Gliede. Dann und wann kommt die Raupe nicht selten vor, während man sie sonst nur einzeln oder auch gar nicht findet. Im Jahre 1783 brachte ein Sammler bei Weimar achtunddreißig Stück zusammen. Kam eine der anderen in dem Futterkasten zu nahe, so suchten sie sich mit ihren Freßzangen, mit welchen sie ein dem Zähneknirschen ähnliches Geräusch hervorbringen können, an den Hälsen zu fassen, wobei die Angegriffene trotz ihrer sonstigen Trägheit mit großer Gewandtheit auszubiegen verstand. Vor der Verpuppung kriechen sie in die Erde, kommen bisweilen nach fünf bis sechs Stunden wieder hervor, oder stecken bloß den Kopf heraus und zehren an einem erreichbaren Blatte. Die Unruhe vieler Raupen zu dieser Zeit ist oft sehr merklich und kann durch gewisse Zufälligkeiten erhöht werden. So erzählte mir ein Freund, daß die schon zur Verwandlung in die Erde gegangene Raupe des Windigs (Sphinx convolvuli), an Größe der des Todtenkopfes nichts nachgebend, allemal wieder hervorgekommen und aufgeregt in ihrem Zwinger umhergekrochen sei, sobald man in ihrer Nähe Klavier gespielt habe. Die glänzend schwarzbraune Puppe des Todtenkopfes, welche vorn hinter dem Kopfe flach sattelartig eingedrückt erscheint, wird bei der Kartoffelernte in unseren Gegenden einzeln in einer Erdhöhle aufgefunden und liefert in der allernächsten Zeit oder niemals den Falter, weil sie weniger als die meisten anderen Puppen während der Entwickelung gestört sein will. Der Todtenkopf kommt in Mejiko, in ganz Afrika und auf Java vor, in Europa mehr in den südlichen als in den nördlichen Gegenden. Diejenigen, welche im mittleren und nördlichen Deutschland während des Herbstes auskriechen, pflanzen sich nicht fort, und im Frühjahre ist meines Wissens noch keiner aufgefunden worden. Daher müssen die bei uns vorkommenden Raupen von zugeflogenen Weibchen herrühren, wofür auch ihr vorübergehendes und örtliches Erscheinen spricht.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 368-369.
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