Ringelspinner (Gastropacha neustria)

[389] Wer hätte nicht schon an den Stämmen der Obstbäume Ende Mai, anfangs Juni die hellblaue, braun-und gelbstreifige Raupe, über deren Rücken außer dem noch ein weißlicher Mittelstreifen läuft und deren blauer Kopf zwei schwarze Flecke trägt, in gedrängten Scharen bei einander sitzen und lustig mit dem Vordertheile ihres Körpers hin und her schlagen sehen, wenn ihr die Sonne recht warm auf den Leib scheint? Dieselbe, auch Livreeraupe genannt, wegen der bunten Streifen und Besätze, entschlüpfte im Frühlinge dem fast steinharten Ringe von Eiern, welcher sich um einen Zweig windet und wegen gleicher Färbung mit diesem schwer zu erkennen ist. Bis zur dritten Häutung ungefähr lebt die Raupe mit den Geschwistern vereint, und silberglänzende Fäden verrathen die Straße, welche sie zu wandern pflegen, wenn es zu Tische und von da nach dem gemeinsamen Ruheplätzchen geht. Insofern die gesellige Vereinigung zusammengehöriger Brut ein Nest genannt werden kann, lebt auch diese Raupe nesterweise; da sie aber kein Nest spinnt, so ist der Begriff des Raupennestes hier ein anderer, als wir ihn beim Baumweißlinge bereits kennen lernten und weiterhin noch finden werden. Erst dann, wenn sie erwachsener ist und mehr Futter bedarf, scheint jeder die allzugroße Nähe der Schwestern eine Beeinträchtigung der eigenen Bedürfnisse in sich zu schließen, und man zerstreut sich daher mehr und mehr. Erwachsen spinnt sie, am liebsten zwischen Blättern, ein gelbliches, in der Regel mehlig bestäubtes, geschlossenes Gehäuse, in welchem die stumpfe, gleichfalls stark bepuderte Puppe einige Wochen ruht; denn im Juli und August erscheint der Ringelspinner (Gastropacha neustria, S. 390), wie man den Schmetterling wegen der Art des Eierlegens genannt hat. Am Tage sitzt er versteckt und träge, erst mit einbrechender Dunkelheit beginnt der Hochzeitsreigen. Wir sehen hier ein recht dunkel gefärbtes Männchen vor uns, eine licht ockergelbe Grundfarbe ist das gewöhnliche Kleid, und die helleren, fast geraden und unter sich ziemlich gleichlaufenden Querlinien unterscheiden diese Art von einer sehr ähnlichen, der Gastropacha castrensis, deren noch buntere, schön goldig braune Raupe gesellig an Wolfsmilch lebt. – Die beiden näher besprochenen und noch zahlreiche andere Spinner Europas und Amerikas hat man zur Sippe der Glucken vereinigt, so genannt, weil viele von ihnen in der Ruhe einen Streifen der Hinterflügel über den Vorderrand der vorderen heraustreten lassen, so daß sich die Flügel etwas ausbreiten, wie die einer Gluckhenne, welche ihre Küchlein darunter verbirgt. Bei dem etwas abweichenden Aderverlaufe, welchen die Flügel mancher zeigen, stimmen sie doch in folgenden Merkmalen überein:[389] die kräftigen, verhältnismäßig kurzen Vorderflügel haben zwölf Rippen, keine Anhangszelle und eine nicht gegabelte Innenrandsrippe, die kurz gefransten breiten Hinterflügel keine Haftborste, zwei Innen randsrippen, deren hintere in den Afterwinkel mündet. Bei beiden Geschlechtern sind die Fühler, welche zwischen viertel und halber Vorderflügellänge schwanken, zweireihig gekämmt, die Zähne des Männchens lange Kammzähne, die des Weibchens meist sehr kurze Sägezähne. Punktaugen fehlen, ebenso an den hintersten Schienen der kurzen, starken Beine ein oberes Sporenpaar.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 389-390.
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