Kieferneule (Trachea piniperda)

[410] In den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts richtete in den fränkischen und sächsischen Kiefernwaldungen plötzlich eine Raupe so gewaltige Verheerungen an, daß die dortigen Behörden ihre Naturgeschichte untersuchen ließen, um womöglich den weiteren Verwüstungen derselben ein Ziel zu setzen. Man schlug die Akten nach und fand, daß dieselben Raupen schon 1725 die Föhrenwälder verheert hatten, und zwar binnen vierzehn Tagen im Juli mehrere hundert Morgen. Die Raupen saßen auf den Gipfeln der höchsten Bäume und fraßen die Nadeln von der Spitze an ab, bis jene in kurzer Zeit kahl und wie verbrannt aussahen und – – nach einigen Jahren abstarben. Im August ließen die Raupen vom Fraße ab, wurden matt und fielen in solchen Mengen herunter, daß der Boden von ihnen schwarz gefärbt wurde. Die gesunde Raupe hat nichts Schwarzes an sich, den grünen Körper durchziehen mehrere weiße Rückenlinien und ein orangenfarbener Streifen in den Seiten. In jenem zuerst genannten Jahre geschah es auch, daß in der Kurmark, einem Theile der Neumark und Vorpommerns, sowie in der Görlitzer Gegend die Forsten durch dieselbe Raupe und stellenweise ganz besonders durch die früher erwähnte des Kiefernspinners dem Verderben preis gegeben waren. Seitdem ist sie dann und wann, so 1808 und 1815 wieder in Franken, in letzterem Jahre auch in Ostpreußen, in den dreißiger Jahren besonders in Pommern, Mecklenburg, in der Ukermark und um Berlin, in den funfziger Jahren in Preußen, Posen, abermals in der Mark Brandenburg in Bedenken erregenden Massen aufgetreten, und hat für lange Zeit die Spuren der Verwüstung zurückgelassen. Ohne sehr bemerklich zu werden, findet sie sich von Ende Mai bis Mitte Juli wohl in allen Kiefernwäldern und hält sich am liebsten in den dreißig- bis vierzigjährigen Beständen auf. Die jungen Räupchen spinnen die Nadeln zusammen, lassen sich zur schnelleren Fortbewegung oder zu ihrem Schutze an Fäden herab, haben einen spannerähnlichen Gang und bohren sich zum Theil bei dem Fraße tief in den Maitrieb, welcher durch Braunwerden sein Absterben verräth. Dies alles läßt sich im Freien weniger wahrnehmen, da sie ihr Unwesen hoch oben auf den Bäumen treiben, aber in Raupenzwingern angestellte Beobachtungen haben es gelehrt. Erwachsen erreichen sie ungefähr die Länge von 35 Millimeter und kommen herab, um sich unter Moos in einer Höhlung in eine anfangs grüne, später dunkelbraune Puppe zu verwandeln, welche auf dem Rücken ihres vierten Hinterleibsringes ein nach hinten durch einen Wulst begrenztes Grübchen erkennen läßt und überwintert. Die am Schlusse jener amtlichen Mittheilung erwähnte Erfahrung hat sich später vielfach wiederholt. Man hat die Raupen vertrocknet an den Nadeln hängend oder auf dem Boden reichlich ausgestreut und faulend gefunden und diesen Umstand zum Theile auf Rechnung feuchter und kalter Witterung bringen können, welche gerade diese Raupe wenig verträgt, zum Theile aber auch für eine unter ihnen ausgebrochene Epidemie erklären wollen. Weiß doch die Natur überall Rath, das irgendwo gestörte Gleichgewicht bald wieder herzustellen. Es versteht sich von selbst, daß in solchen Fällen ihre sichtbaren Hülfstruppen nicht fehlen; denn tausende und abermals tausende von kleineren und größeren Schlupfwespen umschwärmen die belagerten Bäume und bringen ebenso vielen Raupen einen gewissen Tod. Man kennt einige dreißig verschiedene Schmarotzer an dieser Art, welche fast alle in der Puppe zu ihrer vollkommenen Ausbildung gelangen. Wenn gegen Ende März die Sonne mehrere Tage hintereinander warm geschienen, so kommt die Forleule, Kieferneule (Trachea piniperda, Fig. 1, S. 412), denn ihr gehört die besprochene Raupe an, schon in diesem Monate, sicher aber im folgenden zum Vorscheine. Sie schließt sich den buntesten Eulen an, sitzt mit dachförmigen Flügeln an den Kiefernstämmen oder zwischen den Nadeln und durchstreift auch bei Tage nach blühenden Weidenkätzchen ihr Revier. Man findet kaum zwei Stück, welche vollkommen gleich wären, so ändert sie in Färbung und Zeichnung ab. Im allgemeinen sind die Vorderflügel und der zottige, schopflose Brustkasten zimmetröthlich gefärbt mit gelbgrauer Beimischung; die innere Beschattung der Wellenlinie ist rothbraun, jeder der beiden großen vorderen Flecke weiß; eine weitere Angabe der Farbenvertheilung erspart uns die beigegebene Abbildung. Der Hinterleib und dessen benachbarte Flügel sind einfarbig dunkel graubraun. Durch die Bemerkung, daß [411] die Augen behaart, die kurzen, dünnen Fühler bei dem Männchen etwas perlschnurartig und bewimpert sind und die kurzen Taster sich in der wolligen Behaarung verstecken, möge das Bild der Kieferneule vervollständigt sein. Im Mai legt das Weibchen seine Eier, sechs bis acht gereihet, an die Nadeln.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 410-412.
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