4. Sippe: Süßwasserschwamm (Spongilla)

[539] Während die Schwämme im Meere eine unerschöpfliche Mannigfaltigkeit erreicht haben, findet sich im Süßwasser nur eine einzige Sippe, Süßwasserschwamm, Spongilla. Ihre Verbreitung ist jedoch sehr groß, indem sie sich über Asien, Europa und Amerika erstreckt, auch lassen sich nach den mikroskopischen Bestandtheilen ziemlich viele Arten unterscheiden. Die bei uns häufig in stehenden und fließenden Gewässern vorkommende Form, Spongilla fluviatilis, ist entweder farblos oder grün, wächst knollig, inkrustirend oder ästig am Boden oder überzieht Steine und Wasserpflanzen, am liebsten alte Pfähle und Brückentheile. Die mikroskopischen Nadeln sind[539] schlanke Spindeln, welche zu zwei und drei mit den Spitzen durch erhärtende Sarcodenmasse aneinandergeleimt, ein ziemlich festes Netzwerk bilden, dessen Fasernadeln ein wenig über die Oberfläche des Schwammes hervorragen und ihm, wenn man ihn einige Minuten außerhalb des Wassers hält, so daß die Weichtheile einsinken, ein feinstacheliges Aussehen geben.

Unter den Seehalichondrien stimmen am meisten die Renieren mit den Spongillen überein. An die direkte Abstammung der letzteren von jenen ist um so eher zu denken, als die Renieren fast die einzigen auch in das Brackwasser eindringenden Spongien sind.

Die Fortpflanzung der Spongillen durch Schwärmlarven hat schon 1856 Lieberkühn sehr genau beobachtet, indem ihm aus der Spree bei Berlin reiches Material zur Verfügung stand.


Junger Süßwasserschwamm. 100mal vergrößert.
Junger Süßwasserschwamm. 100mal vergrößert.

Er nennt die Larven Schwärmsporen und schreibt: »Ich entdeckte die Schwärmsporen zuerst, als ich frisch gesammelte Spongillen einige Stunden in einem Gefäße voll Flußwasser hatte liegen lassen. Man erkennt sie schon mit bloßem Auge, indem sie eine Größe von nahezu zwei Drittheilen eines Millimeters im Längs- und gegen einen halben Millimeter im größten Durchmesser erreichen. Sie sind von ovaler Gestalt und auch in der Regel an dem einen Ende etwas mehr zugespitzt, gerade so wie ein Hühnerei. Die kleineren Formen sind noch nicht halb so groß. An den meisten Exemplaren kann man ohne Instrument einen wasserhellen halbkugeligen Raum in dem vorderen und einen blendend weißen in dem hinteren Theile des Körpers unterscheiden. Von einem vorderen Theile ist insofern zu reden erlaubt, weil beim Schwimmen meist der das Licht schwach brechende Theil nach vorn und der stark brechende nach hinten zugekehrt ist. Die Sporen schwimmen in den verschiedensten Richtungen umher; zeitweise schwimmen sie an der Oberfläche des Wassers, dann gehen sie in die Tiefe, gleiten an dem Boden des Gefäßes entlang, erheben sich wieder in die oberen Schichten der Flüssigkeit; sie schwimmen in gerader Linie; öfters drehen sie sich im Kreise herum. Treffen zwei Exemplare zusammen, so schwimmen sie oft minutenlang aneinander herum und entfernen sich wieder; oft bleiben sie eine zeitlang unbewegt und beginnen dann ihre Bewegungen von neuem. Stehen sie still, und man stößt sie an, so schwimmen sie fort.

[540] Die Entwickelung der Schwärmsporen konnte ich auf folgende Weise am leichtesten verfolgen. Eine beliebige Anzahl derselben wird in eine große, mit Regenwasser angefüllte Glasschüssel gesetzt. Nach zwei bis drei Tagen stellen die Sporen ihre Bewegungen ein und liegen lose auf dem Boden des Gefäßes.


Schwärmlarve eines Kieselschwammes (Reniera). 300mal vergrößert.
Schwärmlarve eines Kieselschwammes (Reniera). 300mal vergrößert.

Jetzt werden sie in kleinere Gefäße, in Uhrgläser oder Glasnäpfchen zu zweien oder mehreren vertheilt und dabei mit frischem Brunnenwasser versehen. Binnen einem oder wenigen Tagen sitzen sie schon so fest am Glase, daß man sie sammt dem Uhrgläschen in ein großes, mit Wasser gefülltes Gefäß werfen kann, ohne daß sie abreißen. Das Wasser pflegte ich jedesmal zu erneuern, wenn ich die Sporen zur Beobachtung herausnahm. Sie blieben auf diese Weise meist bis zur sechsten Woche und bisweilen länger am Leben. Ich fand in den Spongillen der Spree die Sporen vom Anfang des Juni bis zum Ende des Oktober bisweilen zu hundert und mehr an einem Tage.«

Was Lieberkühn hinsichtlich des Ueberganges der Schwärmlarve in die festsitzende Spongille beobachtete, stimmt in allen wesentlichen Zügen mit dem überein, was er bald darauf selbst, und in den letzten Jahren auch andere an Seespongien gesehen. Auch bei dieser, wir meinen die Ordnung der Halichondrien, geschieht die Vermehrung durch Schwärmer, welche, oft mit bloßem Auge sichtbar, an den Wasserkanälen sich entwickeln, mitunter in eigenen Brutkammern eingeschlossen liegen, immer aber, wenn sie reif sind, in die Kanäle durchbrechen und durch einen Schornstein ins Freie sich begeben. Sie sind meist von elliptischer regelmäßiger Gestalt und anfänglich, wenn sie ausschwärmen, mit einem gleichmäßigen Wimperkleide versehen. Dies verschwindet bei wenigen der beobachteten Arten am Hinterende, wo sich auch ein Kranz längerer Wimpern bilden kann. Schon auf dieser Stufe werden bei den Kieselschwämmen im Inneren des zelligen Körpers Nadeln abgesondert. Dann setzt sich die Larve mit dem Hinterende fest, die Wimpern verschwinden, es bildet sich eine Leibeshöhle, und erst nach dieser bricht die große Auswurfsöffnung durch. Wir wissen, daß, so lange nur diese eine Oeffnung vorhanden ist, wir den Schwammkörper als ein Individuum ansehen müssen; bricht eine zweite Kanalöffnung durch, so daß eine Theilung des fundamental wichtigen Wassergefäßsystemes eintritt, so ist der Schwamm zu einem Stock mit zwei Personen geworden. Die Entstehung der vielpersonigen Stöcke ist damit gegeben.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 539-542.
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