Zweites Capitel.

Ueber Inductionen, die unpassend so genannt werden.

[340] §. 1. Induction ist also diejenige Verstandesoperation, durch welche wir schliessen, dass dasjenige, was für einen besondern Fall (oder Fälle) wahr ist, auch in allen Fällen wahr sein wird, welche jenem in irgend einer nachweisbaren Beziehung ähnlich sind. Mit anderen Worten, Induction ist das Verfahren, wonach wir schliessen dass was von gewissen Individuen einer Classe wahr ist, auch für die ganze Classe wahr ist, oder dass was zu gewissen Zeiten wahr ist, unter ähnlichen Umständen zu allen Zeiten wahr sein wird.

Diese Definition schliesst von der Bedeutung des Wortes Induction verschiedene logische Verrichtungen aus, denen man nicht ungewöhnlich diesen Namen beilegt.

Die Induction ist nach der obigen Definition ein Folgern; sie geht vom Bekannten zum Unbekannten über, und ein jedes Verfahren, das keine Folgerung involvirt, ein jeder Process, in welchem das, was sich als der Schluss darstellt, nicht erweiterter erscheint, als die Prämissen, woraus er gezogen ist, fällt nicht innerhalb der Bedeutung des Ausdrucks. In den gewöhnlichen Werken über Logik ist dies indessen als die einzige ganz vollkommene Form der Induction angegeben. In diesen Werken wird ein jedes Verfahren, das von einem weniger allgemeinen Ausdruck ausgeht und in einem allgemeineren endigt – was in folgender Form ausgedrückt werden kann: »Dieses und jenes A ist B, daher ist jedes A, B« – eine Induction genannt, es mag etwas wirklich gefolgert sein oder nicht; und die Induction wird als nicht vollkommen erachtet, wenn nicht jedes einzelne Individuum der Classe A in dem Antecedens oder der Prämisse eingeschlossen ist, d.h. wenn wir nicht von der ganzen Classe aussagen, was wir bereits von einem[340] jeden Individuum derselben behauptet haben: so dass der angebliche Schluss in der That kein Schluss, sondern nur eine Wiederholung der Prämissen ist. Wenn wir nach der Beobachtung eines jeden einzelnen Planeten sagten, alle Planeten sind durch das Licht der Sonne leuchtend, oder alle Apostel waren Juden, weil dies von Petrus, Paulus, Johannes und jedem einzelnen Apostel wahr ist, so wird dieses und Aehnliches in der in Rede stehenden Terminologie eine vollkommene, ja die einzige vollkommene Induction genannt. Es ist dies jedoch eine von der unsrigen ganz verschiedene Induction; es ist kein Schliessen von bekannten Thatsachen auf unbekannte, sondern ein Verzeichniss in einer Geschwindschrift von bekannten Thatsachen. Die angeführten zwei fingirten Argumente sind keine Generalisationen; die Urtheile, welche besagen, dass sie Schlüsse daraus sind, sind in Wirklichkeit keine allgemeinen Urtheile. Ein allgemeines Urtheil ist dasjenige, in welchem das Prädicat von einer unbegrenzten Anzahl von Individuen bejaht oder verneint wird; von Allen nämlich, ob wenige oder viele, existirend oder fähig zu existiren, welche die in dem Subject des Urtheils inbegriffenen Eigenschaften besitzen. »Alle Menschen sind sterblich«, bedeutet nicht alle jetzt lebenden, sondern alle vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Menschen. Wenn die Bedeutung des Ausdrucks so beschränkt wird, dass er als ein Name, nicht für irgend eines und ein jedes Individuum, auf das eine gewisse allgemeine Beschreibung passt, sondern nur als ein Name für ein jedes Individuum einer Anzahl von Individuen erscheint, die als solche bezeichnet und gleichsam abgezählt sind, so ist das Urtheil zwar der Sprache nach ein allgemeines, in Wirklichkeit aber nichts als eine Anzahl besonderer, in abgekürzter Sprache geschriebener Urtheile. Dieses Verfahren mag, wie die meisten Formen abgekürzter Schreibart, nützlich sein, aber an der Erforschung der Wahrheit hat es keinen Antheil, obgleich es oft das Material dazu bereiten hilft.

Sowie wir eine bestimmte Anzahl von Einzelurtheilen zu einem scheinbar aber nicht wirklich allgemeinen Urtheil summiren können, so können wir eine bestimmte Anzahl von allgemeinen Urtheilen zu einem Urtheil summiren, das scheinbar aber nicht wirklich allgemeiner ist. Wenn durch eine, auf eine jede unterschiedene Thierspecies angewandte, besondere Induction festgestellt worden ist, dass eine jede Thierspecies ein Nervensystem besitzt, und wenn[341] wir darauf hin affirmiren, dass alle Thiere ein Nervensystem haben, so sieht dies wie eine Generalisation aus, obgleich es uns nichts zu sagen scheint, was wir nicht bereits wussten, da der Schluss nur von allen behauptet, was schon von einem jeden einzelnen behauptet worden war. Ein Unterschied ist übrigens zu machen. Wenn wir schliessen, dass alle Thiere ein Nervensystem haben, und wir gerade soviel damit meinen als ob wir gesagt hätten, »alle bekannten Thiere«, so ist das Urtheil kein allgemeines, und das Verfahren, wodurch man dazu gelangte, ist keine Induction. Wenn es aber unsere Meinung ist, dass die bei den verschiedenen Thierspecies gemachten Beobachtungen uns ein Gesetz der thierischen Natur enthüllt haben, und dass wir im Stande sind zu sagen, dass sich auch bei noch nicht entdeckten Thieren ein Nervensystem finden wird, so ist dies in der That eine Induction; aber in diesem Fall enthält das allgemeine Urtheil mehr als die Summe der speciellen Urtheile, woraus es gefolgert ist. Der Unterschied zeigt sich noch stärker wenn wir betrachten, dass wenn diese wirkliche Generalisation überhaupt gültig ist, ihre Gültigkeit wahrscheinlich nicht erfordert, dass wir eine jede bekannte Species ohne Ausnahme untersucht haben. Es ist die Anzahl und die Natur der Fälle, nicht dass sie das Ganze der uns bekannten Fälle vorstellen, was sie zu einem genügenden Beweis eines allgemeinen Gesetzesmacht, während die beschränktere Behauptung, welche bei allen bekannten Thieren stehen bleibt, nur gemacht werden kann, wenn wir sie bei einer jeden Species streng geprüft haben. In ähnlicher Weise (um zu unserem früheren Beispiel zurückzukehren) hätten wir folgern können, nicht dass alle die Planeten, sondern dass alle Planeten durch reflectirtes Licht leuchten; das letztere ist eine Induction und zwar eine schlechte, da sie durch den Fall von Doppelsternen – von selbstleuchtenden Körpern, die eigentlich Planeten sind, indem sie sich um einen Mittelpunkt drehen –, widerlegt wird.

§. 2. Ein anderes Verfahren, welches von der Induction wohl zu unterscheiden ist, das aber von Mathematikern häufig Induction genannt wird, gleicht derselben insofern, als das Urtheil, zu welchem es führt, in der That ein allgemeines ist. Wenn wir z.B. in Beziehung auf den Kreis bewiesen haben, dass eine gerade Linie ihn nur in zwei Punkten schneiden kann, und wenn dies successive[342] von der Ellipse, von der Parabel und Hyperbel bewiesen worden ist, so kann es als eine allgemeine Eigenschaft der Kegelschnitte aufgestellt werden. Die bei den zwei früheren Beispielen gezogene Unterscheidung kann hier nicht Raum finden, denn da ein Kegel nachweisbar nur in einer dieser vier Linien geschnitten werden kann, so ist kein Unterschied vorhanden zwischen allen bekannten Kegelschnitten und allen Kegelschnitten. Da für eine über dasselbe hinausgehende Generalisation kein Raum ist, so kann man dem gewonnenen Urtheil den Namen einer Generalisation nicht versagen; es liegt aber keine Induction darin, da keine Folgerung darin liegt; der Schluss ist ein blosses Summiren von dem, was in den verschiedenen Urtheilen, aus denen er gezogen wurde, behauptet worden war. Ein, wenn auch nicht ganz ähnlicher Fall ist der Beweis eines geometrischen Lehrsatzes vermittelst einer Figur. Die Figur sei auf dem Papier oder nur in unserer Phantasie, so beweist (wie S. 228 bemerkt) die Demonstration nicht unmittelbar den allgemeinen Lehrsatz, sie beweist nur, dass der Schluss, welcher in dem Lehrsatz ausgedrückt ist, für das in der Figur dargestellte besondere Dreieck oder Kreis wahr ist; indem wir jedoch wahrnehmen, dass in derselben Weise, als wir es von jenem Kreise bewiesen haben, es von jedem andern Kreise bewiesen werden kann: so fassen wir alle diese so zu beweisenden besonderen Sätze in einen allgemeinen Ausdruck zusammen und vereinigen sie in einem allgemeinen Satze. Nachdem wir bewiesen haben, dass die drei Winkel des Dreiecks A B C gleich zwei Rechten sind, so schliessen wir, dass dies von jedem andern Dreiecke gilt, nicht weil es von A B C wahr ist, sondern aus dem Grunde, durch welchen wir bewiesen haben, dass es von A. B C wahr ist. Wenn man dies Induction nennen wollte, so wäre Induction durch Gleichheit des Schliessens eine geeignete Bezeichnung dafür. Es fehlt hier jedoch ganz die charakteristische Eigenschaft der Induction, indem die erhaltene Wahrheit, obgleich sie wirklich eine allgemeine ist, nicht einzelner bewiesener Fälle wegen geglaubt wird. Dass alle Dreiecke diese Eigenschaft besitzen, schliessen wir nicht daraus, dass einige sie besitzen, sondern wir schliessen es des anderweitigen demonstrativen Beweises wegen, welcher der Grund unserer Ueberzeugung in den einzelnen Fällen war.[343]

Es giebt indessen in der Mathematik einige Beispiele von sogenannter Induction, worin der Schluss in der That den Anschein einer Generalisation hat, welche sich auf einige besondere, in ihr eingeschlossene Fälle gründet. Wenn ein Mathematiker durch die Berechnung einer hinreichenden Anzahl von Gliedern einer Reihe das bestimmt hat, was er das Gesetz der Reihe nennt, so nimmt er keinen Anstand mehr, die Reihe um eine willkürliche Anzahl von Gliedern fortzuführen ohne die Berechnung zu wiederholen. Ich glaube indessen, dass er dies nur auf den Grund einer Betrachtung a priori hin thut (welche in der Form einer Demonstration dargelegt werden könnte), aus welcher klar hervorgeht, dass die Bildungsweise der folgenden Glieder, eines jeden aus dem vorhergehenden, der Bildungsweise der berechneten Glieder ähnlich sein muss. Wenn der Versuch ohne die Bestätigung dieser allgemeinen Betrachtungen gewagt worden ist, so hat er, wie nicht vergessene Beispiele zeigen, zu falschen Resultaten geführt.

Man sagt, dass Newton den binomischen Lehrsatz durch Induction entdeckt hat, indem er ein Binom successive zu einer gewissen Anzahl von Potenzen erhob und dieselben so lange mit einander verglich, bis er das Verhältniss, in welchem die algebraische Form einer jeden Potenz zu dem Exponent dieser Potenz und den zwei Grössen des Binoms steht, entdeckte. Diese Thatsache ist nicht unwahrscheinlich; aber ein Geist wie der Newton's, welcher sprungweise zu den Principien und Schlüssen gelangte, welche gewöhnliche Mathematiker nur schrittweise erreichen, konnte gewiss die fragliche Vergleichung nicht unternommen haben, ohne darin durch einen aprioristischen Grund des Gesetzes geleitet zu sein; denn es kann Keinem, der die Natur der Multiplication hinreichend versteht, und der einige Linien oder Symbole wiederholt miteinander multiplicirt, entgehen, dass die Coefficienten von den Gesetzen der Permutationen und Combinationen abhängig sind; sobald aber dies erkannt ist, ist der Lehrsatz bewiesen. Wenn es einmal ersichtlich war, dass das Gesetz bei einigen niederen Potenzen vorhanden war, so ergaben sich aus seiner Identität mit dem Gesetze der Permutationen die Betrachtungen, welche beweisen, dass es allgemein gültig ist. Es sind dies also Beispiele von dem, was ich Induction durch Gleichheit des Schliessens genannt habe, d.h. keine wirklichen Inductionen,[344] da sie keine Folgerung eines allgemeinen Satzes aus besonderen Fällen umfassen.

§. 3. Es bleibt nun noch ein dritter unrichtiger Gebrauch des Wortes Induction zu berichtigen, durch welchen die Theorie der Induction bis zu einem ungewöhnlichen Grade verwirrt worden ist. Der Irrthum besteht darin, dass man die Beschreibung einer Anzahl von beobachteten Erscheinungen mit einer Induction daraus verwechselt hat.

Nehmen wir an, ein Phänomen bestände aus Theilen, und diese Theile könnten nur einzeln und sozusagen stückweise beobachtet werden. Nachdem die Beobachtungen gemacht worden sind, kann eine Darstellung des ganzen Phänomens erhalten werden, wenn man die einzelnen Fragmente miteinander verbindet. Wenn ein Schiffer, mitten auf dem Ocean segelnd, ein Land entdeckt, so kann er nach einer Beobachtung nicht sagen, ob es ein Festland oder eine Insel ist; wenn er aber der Küste entlang fährt und nach einigen Tagen findet, dass er dasselbe umschifft hat, so nennt er es nun eine Insel. Er bestimmte diese Thatsache durch eine Reihe von besonderen Beobachtungen und wählte dann einen allgemeinen Ausdruck, der in zwei oder drei Worten Alles umfasst, was er beobachtet hatte. Liegt aber in diesem Verfahren etwas von der Natur der Induction? Folgerte er aus dem Beobachteten etwas, was er nicht beobachtet hatte? Gewiss nicht. Dass das Land eine Insel ist, ist keine Folgerung aus den einzelnen Thatsachen, welche der Schiffer im Verlaufe seiner Schifffahrt beobachtete; es sind die Thatsachen selbst, summarisch zusammengefasst; es ist die Beschreibung einer complexen Thatsache, deren einzelne Theile jene einfache Thatsachen sind.

Der Art nach ist nun kein Unterschied zwischen diesem Verfahren und demjenigen, durch welches Kepler die Bahnen der Planeten bestimmte; alles, was in Kepler's Verfahren charakteristisches lag, war daher ebensowenig inductiv, als das Verfahren unseres Schiffers.

Die Absicht Kepler's war, die wirkliche Bahn, wel che die Planeten oder, nehmen wir an, welche Mars beschreibt (denn in Beziehung auf diesen Körper stellte er zuerst die drei grossen astronomischen Wahrheiten auf, welche seinen Namen tragen), zu[345] bestimmen. Es gab hierzu kein anderes Mittel, als die directe Beobachtung, und der ganze Antheil, welchen diese dabei haben konnte, war, mit ihrer Hülfe eine grosse Anzahl von Orten, oder vielmehr von scheinbaren Orten des Planeten zu bestimmen. Dass der Planet successive alle diese Stellungen einnahm, oder auf alle Fälle Stellungen, welche denselben Eindruck auf das Auge hervorbrachten, und zwar ohne eine sichtliche Unterbrechung des Zusammenhangs, dies Alles konnten die Sinne mit Hülfe geeigneter Instrumente, erforschen. Kepler that nun mehr als dies, indem er zusah, welche Curve diese verschiedenen Punkte bilden würden, wenn er sie alle miteinander vereinigte. Er drückte die ganze Reihe der beobachteten Orte des Mars durch das aus, was Herr Whewell die allgemeine Conception einer Ellipse genannt hat. Dieses Verfahren war bei Weitem nicht so leicht, als das des Schiffers, welcher die Reihe der beobachteten Punkte der Küste durch eine allgemeine Vorstellung einer Insel ausdrückte; es ist jedoch dasselbe Verfahren, und wenn das Eine keine Induction, sondern eine Beschreibung ist, so muss es auch das Andere sein.

Um Missverständnisse zu vermeiden, muss bemerkt werden, dass Kepler in gewisser Hinsicht eine wirkliche Induction vollführte, indem er nämlich schloss, dass, weil die beobachteten Orte des Mars durch Punkte einer imaginären Ellipse richtig repräsentirt wurden, der Planet sich fortwährend in dieser Ellipse bewegt; ebenso indem er schloss, dass der Ort des Planeten während der Zeit, welche zwischen zwei Beobachtungen verstrich, die dazwischenliegenden Punkte der Curve decken musste. Dies waren Thatsachen, die nicht direct beobachtet worden waren; es waren Folgerungen aus der Beobachtung; gefolgerte, und von den gesehenen unterschiedene Thatsachen. Aber diese Folgerungen waren weit entfernt, ein Theil von Kepler's philosophischer Operation zu sein, da sie gemacht waren lange bevor derselbe geboren war. Den Astronomen war es lange bekannt, dass die Planeten periodisch zu denselben Orten zurückkehren. Nachdem dieses bestimmt worden war, blieb Kepler keine Induction zu machen übrig, und er machte auch keine weitere Induction; er wendete bloss seine neue Vorstellung auf die gefolgerten Thatsachen an, wie er sie auf die beobachteten anwandte. Da er bereits wusste, dass sich die Planeten fortwährend in denselben Bahnen bewegen, so wusste[346] er, als er fand, dass eine Ellipse die vergangene Bahn darstellte, dass sie auch die zukünftige Bahn repräsentirt. Indem er einen kurzen Ausdruck für die eine Reihe von Thatsachen fand, fand er auch einen für die andere Reihe; aber er fand nur den Ausdruck, nicht die Folgerung, auch erhöhte er nicht das Vermögen der Vorhersagung, wie man es bereits besass (was die wahre Probe für eine allgemeine Wahrheit ist).

§. 4. Das descriptive Verfahren, wodurch eine Anzahl von Einzelnheiten in einen summarischen Ausdruck zusammengefasst wird, ist von Hrn. Whewell mit dem passenden Ausdrucke einer »Colligation (eines Zusammenbindens, oder einer Verbindung) von Thatsachen« bezeichnet worden. Den meisten seiner Bemerkungen über diesen geistigen Process stimme ich vollkommen bei und würde die betreffenden Stellen seines Buches gern hier aufnehmen, ich glaube nur, dass er in einem Irrthum befangen ist, wenn er, der alten und angenommenen Bedeutung des Ausdrucks entgegen, denselben als den Typus des inductiven Verfahrens hinstellt, und in seinem ganzen Werke die Principien einfacher Colligation als Principien der Induction darstellt.

Herr Whewell behauptet, dass das allgemeine Urtheil, welches die einzelnen Thatsachen zusammenbindet und sie gleichsam zu einer Thatsache macht, nicht die einfache Summe dieser Thatsachen, sondern etwas mehr ist, da eine Vorstellung des Verstandes, die nicht in den Thatsachen selbst liegt, hineingelegt ist. »Die einzelnen Thatsachen,« sagt er, »sind nicht bloss vereinigt, sondern es ist der Combination ein neues Element durch den Act des Denkens, wodurch sie combinirt werden, hinzugefügt worden... Wenn die Griechen, nachdem sie lange die Bewegung der Planeten beobachtet hatten, sahen, dass diese Bewegungen betrachtet werden konnten, als durch die Bewegung eines Rades an der Innenseite eines andern Rades hervorgebracht, so waren diese Räder Schöpfungen ihres Geistes, die sie den durch die Sinne wahrgenommenen Thatsachen hinzufügten. Aber sogar wenn diese Räder nicht mehr als materiell angenommen, sondern auf geometrische Kugeln und Kreise reducirt würden, so waren sie nichtsdestoweniger Producte des Geistes – etwas den beobachteten Thatsachen hinzugefügtes. Dasselbe ist der Fall bei allen unseren Entdeckungen.[347] Die Thatsachen sind bekannt, aber sie sind so lange vereinzelt und unverbunden, bis der Entdecker aus seinen eigenen Mitteln das Princip des Zusammenhangs liefert. Die Perlen sind da, aber erst wenn man sie geschickt mit einer Schnür versieht, werden sie zusammenhängen.«

Es sei zuerst bemerkt, dass Dr. Whewell in dieser Stelle Beispiele von zwei Processen untereinander wirft, die ich mich zu trennen bemühte. Als die Griechen die Voraussetzung, die Bewegung der Planeten werde durch die Rotation materieller Räder verursacht, aufgaben und auf die Idee von »bloss geometrischer Kugeln und Kreisen« verfielen, dalag in dieser Meinungsänderung etwas mehr als die blosse Substitution einer ideellen Curve für eine physikalische; es war die Aufgabe einer Theorie und die Ersetzung derselben durch eine blosse Beschreibung. Niemand würde es einfallen, die Lehre von materiellen Rädern eine blosse Beschreibung zu nennen; sie war ein Versuch, die Kraft nachzuweisen, welche auf die Planeten wirkte und sie zwang, ihre Bahnen einzuhalten. Aber als man den grossen Schritt in der Philosophie vorwärts that, als man die materiellen Räder fallen liess und nur die geometrischen Formen beibehielt, da wurde damit der Versuch, die Bewegungen zu erklären, aufgegeben, und was von der Theorie übrig blieb, war eine blosse Beschreibung der Bahnen. Die Behauptung, die Planeten würden durch Räder herumgetragen, die sich an der Innenseite anderer Räder bewegen, machte dem Satze Platz, dass sie sich in Linien bewegen, welche durch so herumgetragene Körper beschrieben werden würden, was nur ein Modus war, die Summe der beobachteten Thatsachen darzustellen, sowie ja auch dieselben Thatsachen durch Kepler in einer andern und bessern Weise dargestellt wurden.

Dass sowohl für diese einfachen beschreibenden Operationen als auch für die irrthümlich inductiven eine Conception des Geistes erforderlich war, ist wahr; die Vorstellung von einer Ellipse muss sich dem Geiste Kepler's dargeboten haben, ehe er die Planetenbahnen mit ihr identificiren konnte. Nach Dr. Whewell war die Vorstellung etwas den Thatsachen hinzugefügtes; er drückt sich so aus, als ob Kepler durch die Art und Weise, wie er sie sich vorstellte, etwas in die Thatsachen hineingelegt habe. Dies war nicht der Fall; die Ellipse war in den Thatsachen, ehe sie [348] Kepler erkannte, sowie die Insel eine Insel war, ehe sie umsegelt worden war; was sich Kepler vorstellte, legte er nicht in die Thatsachen, sondern er sah es in ihnen. Eine Vorstellung begreift ein ihr entsprechendes Vorgestellte ein, und obgleich die Vorstellung nicht in den Thatsachen, sondern in unserm Geiste ist, so muss sie, wenn sie in Betreff derselbe ein Wissen mittheilen soll, die Vorstellung von etwas, das wirklich in den Thatsachen liegt, sein, von irgend einer Eigenschaft, welche sie besitzen und welche sie unseren Sinnen offenbaren würden, wenn diese fähig wären, Kenntniss davon zu nehmen. Wenn z.B. der Planet in dem Welträume eine sichtbare Spur zurückliess und der Beobachter befände sich in einer festen Stellung oberhalb der Ebene der Bahn, und in einer solchen Entfernung, dass er die ganze Bahn übersehen könnte, so würde er sie als eine Ellipse sehen; und wenn er die geeigneten Instrumente und das Vermögen der Ortsveränderung besässe, so könnte er durch das Vermessen der verschiedenen Dimensionen beweisen, dass es in der That diese Curve ist. Ja sogar wenn die Bahn sichtbar wäre, und er wäre so placirt, dass er alle Theile derselben hintereinander, aber nicht auf einmal sehen könnte, so könnte er durch Aneinanderreihen seiner successiven Beobachtungen beides entdecken, dass es eine Ellipse ist, und dass der Planet sich in ihr bewegt. Der Fall würde dann genau dem des Schiffers gleichen, der durch Umsegeln eines Landes entdeckt, dass es eine Insel ist. Wenn die Bahn sichtbar wäre, so würde, glaube ich, niemand bezweifeln, dass, sie mit einer Ellipse identificiren, sie beschreiben hiesse, und ich sehe nicht wie es einen unterschied machen könnte dass sie nicht den Sinnen direct zugänglich ist, wenn ein jeder Punkt so genau bestimmt ist, als wenn sie es wirklich wäre.

Da die Vorstellung der eben angeführten unerlässlichen Bedingung unterworfen ist, so vermag ich nicht zu begreifen, dass der Antheil, den sie bei dem Studium der Thatsachen hat, jemals übersehen oder unterschätzt worden wäre. Niemand hat je bestritten, dass wenn wir in Beziehung auf irgend ein Ding Schlüsse ziehen wollen, wir eine Vorstellung von ihm haben müssen, oder dass wenn wir eine Menge von Dingen in einem allgemeinen Ausdruck einschliessen, in dem Ausdruck eine Vorstellung von etwas diesen Dingen gemeinsamem liegt. Hieraus folgt aber keineswegs, dass die Vorstellung nothwendig[349] präexistirt, oder von unserm Verstande aus seinem eigenen Material geliefert wird. Wenn die Thatsachen in der Vorstellung richtig classificirt sind, so ist dies der Fall, weil in den Thatsachen selbst etwas liegt, wovon die Vorstellung ein Abbild ist; wenn wir dies nicht direct wahrnehmen, so liegt der Grund in unseren beschränkten Organen und nicht darin, dass das Ding selbst nicht vorhanden ist. Die Vorstellung selbst wird oft durch Abstraction von denselben Thatsachen erhalten, welche sie, nach Hr. Whewell's Ausdrucksweise, zu verbinden herbeigerufen wird. Dies giebt er selbst zu, wenn er bemerkt, welch ein grosser Dienst der Physiologie durch den Philosophen geleistet würde, »der eine genaue, haltbare und consequente Conception vom Leben herstellen würde.« Eine solche Conception kann nur aus den Erscheinungen des Lebens abstrahirt werden, aus den Thatsachen, die sie miteinander verbinden soll. Statt die Vorstellung in anderen Fällen aus den Erscheinungen, die wir verbinden wollen, zu folgern, wählen wir sie unter den Vorstellungen, die wir vorher durch Abstraction aus anderen Thatsachen gebildet haben. Bei Kepler's Gesetzen war das Letztere der Fall. Da die Thatsachen in einer Weise ausserhalb des Bereiches der Beobachtung lagen, dass die Sinne die Bahn des Planeten mit nichts identificiren konnten, so konnte die zu einer allgemeinen Beschreibung dieser Bahn erforderliche Vorstellung nicht aus den Beobachtungen selbst durch Abstraction gebildet werden; der Geist musste hypothetisch von den Vorstellungen aus anderen Theilen seiner Erfahrung eine unterlegen, welche die Reihe von beobachteten Thatsachen genau darstellte, er musste in Betreff des allgemeinen Ganges des Phänomens eine Voraussetzung aufstellen und sich fragen: wenn dies die allgemeine Beschreibung ist, wie werden die Einzelheiten sein? Er musste diese alsdann mit den beobachteten Einzelheiten vergleichen. Wenn sie übereinstimmten, so diente die Hypothese zu einer Beschreibung des Phänomens; wenn nicht, so musste sie verworfen und eine andere versucht werden. Ein Fall wie dieser giebt der Lehre, dass der Geist, indem er die Beschreibung bildet, etwas in die Thatsachen lege was nicht darin enthalten war, einen Schein von Wahrheit.

Dass der Planet eine Ellipse beschreibt, ist gewiss eine Thatsache, und zwar eine Thatsache, welche wir wahrnehmen könnten,[350] wenn wir die geeigneten Organe und die erforderliche Stellung hätten. Da er nicht diese Vortheile, wohl aber die Vorstellung einer Ellipse hatte, oder (um es populärer zu sagen) da Kepler wusste, was eine Ellipse ist, so versuchte er, ob die beobachteten Orte mit einer solchen Bahn sich vertrügen. Er fand, dass dies der Fall war, und nahm folglich als eine Thatsache an, dass sich der Planet in einer Ellipse bewegt. Aber diese Thatsache, welche Kepler den Bewegungen des Planeten nicht hinzufügte, sondern darinnen fand, nämlich, dass er successive die verschiedenen Punkte des Umfangs einer gegebenen Ellipse einnahm, war die Thatsache selbst, deren verschiedene Theile er beobachtet hatte; es war die Summe der verschiedenen Beobachtungen.

Nachdem ich so den fundamentalen Unterschied zwischen meinen Ansichten und denen des Hrn. Whewell bezeichnet, muss ich hinzufügen, dass mir seine Meinung von der Art wie die Vorstellung, die geeignet ist die Thatsachen auszudrücken, gewählt wird, ganz richtig scheint. Die Erfahrung aller Denker wird es, glaube ich, bezeugen, dass das Verfahren ein probirendes ist; dass es in einer Reihe von Muthmaassungen besteht, von denen viele verworfen werden, bis sich zuletzt eine für die Wahl tauglich zeigt. Wir wissen von Kepler selbst, dass, ehe er auf eine Ellipse verfiel, er neunzehn andere ideelle Bahnen versucht, und als er sie mit den Beobachtungen unverträglich fand, wieder verworfen hatte. Aber die erfolgreiche Hypothese sollte, wie Hr. Whewell ganz richtig bemerkt, nicht eine glückliche, sondern eine geschickte genannt werden, wenn sie auch ein Rathen war. Die Vermuthungen, welche dazu dienen, einem Chaos von zerstreuten Einzelheiten eine geistige Einheit und Ganzheit zu geben, sind Zufälle, die nur solchen Geistern begegnen, welche einen Reichthum von Wissen und Uebung in wissenschaftlichen Combinationen besitzen.

Inwieweit diese probirende Methode, die als ein Mittel zur Verbindung (Colligation) von Thatsachen behufs der Beschreibung so unentbehrlich ist, auf Induction selbst angewandt werden kann, und welche Geschäfte ihr dabei zufallen, wird in dem Capitel, welches sich auf die Hypothesen bezieht, erläutert werden. Gegenwärtig haben wir dieses Colligationsverfahren von der eigentlich sogenannten Induction wohl zu unterscheiden, und damit der Unterschied noch deutlicher werde, ist es nützlich, auf eine merkwürdige[351] und interessante Bemerkung des Hrn. Whewell aufmerksam zu machen, welche in Beziehung auf das erstere Verfahren eben so schlagend wahr, als sie unzweifelhaft falsch in Beziehung auf das letztere ist.

In den verschiedenen Stadien des Fortschrittes des Wissens haben die Philosophen zur Verbindung einer Reihe von Thatsachen verschiedene Conceptionen gebraucht. Die frühen und rohen Beobachtungen der Himmelskörper, in denen eine grosse Genauigkeit weder erhalten noch gesucht wurde, boten der Darstellung der Bahn eines Planeten als eines Kreises, in dessen Mittelpunkt die Erde stand, nichts Widersprechendes dar. Als die Beobachtungen an Genauigkeit zunahmen, und Thatsachen entdeckt wurden, die mit dieser einfachen Annahme nicht vereinbar waren, so wurde sie der Verbindung der Thatsachen wegen geändert; sie wurde geändert und wieder geändert, in dem Maasse, als die Thatsachen zahlreicher und genauer beobachtet wurden. Die Erde wurde aus dem Mittelpunkte in einen andern Punkt innerhalb des Kreises versetzt; man nahm an, der Planet bewege sich in einem kleinem Kreise, Epicykel genannt, um einen imaginären Punkt, der sich in einem Kreise um die Erde dreht; in dem Verhältnisse, als die Beobachtung neue Thatsachen entdeckte, welche dieser Darstellung widersprachen, wurden neue Epicykel und neue Excentricitäten hinzugefügt, welche neue Complicationen verursachten, bis zuletzt Kepler alle diese Kreise entfernte und die Conception einer genauen Ellipse an ihre Stelle setzte. Man findet sogar, dass auch diese nicht mit vollständiger Richtigkeit die genauen Beobachtungen unserer Tage, welche viele leichte Abweichungen von einer genau elliptischen Bahn enthüllt haben, repräsentirt. Hr. Whewell hat nun bemerkt, dass diese aufeinanderfolgenden, allgemeinen Ausdrücke alle richtig waren; sie entsprachen alle dem Zwecke der Colligation, sie setzten alle den Geist in den Stand, sich mit Leichtigkeit und in einem Blicke die Gesammtheit der zu jener Zeit festgesetzten Thatsachen vorzuführen; ein jeder diente der Reihe nach als eine richtige Beschreibung des Phänomens, so weit die Sinne zu seiner Zeit Kenntniss davon genommen hatten. Wenn es später nöthig war, die eine dieser allgemeinen Beschreibungen der Planetenbahnen zu verwerfen und eine andere imaginäre Linie anzunehmen, um die Reihe von beobachteten[352] Thatsachen auszudrücken, so lag der Grund darin, dass eine Anzahl von neuen Thatsachen hinzukamen, die nothwendig mit den alten Thatsachen zu einer allgemeinen Beschreibung verbunden werden mussten. Aber dieses änderte nichts an der Richtigkeit des früheren Ausdrucks, insofern er als eine Angabe von nur denjenigen Thatsachen betrachtet wird, die er repräsentiren sollte. Dies ist so wahr, dass, wie Hr. Comte wohl bemerkt, jene alten Generalisationen, sogar die rohesten und unvollkommensten derselben, die von einer gleichförmigen Bewegung in einem Kreise, weit entfernt ganz falsch zu sein, noch jetzt von den Astronomen gewöhnlich gebraucht würden, wenn eine nur grobe Annäherung an die Wahrheit verlangt wird. »L'astronomie moderne, en détruisant sans retour les hypothèses primitives, envisagées comme lois réelles du monde, a soigneusement maintenu leur valeur positive et permanente, la propriété de représenter commodément les phénomènes quand il s'agit d'une première ébauche. Nos resources à cet égard sont même plus étendues, precisément a cause que nous ne nous faisons aucune illusion sur la réalité des hypothèses, ce qui nous permet d'employer sans scrupule en chaque cas, celle que nous jugeons la plus avantageuse«.75

Herrn Whewells Bemerkung ist daher philosophisch richtig; successive Ausdrücke für die Verbindung beobachteter Thatsachen, oder, mit anderen Worten, successive Beschreibungen eines Phänomens als eines Ganzen, das nur stückweise beobachtet wurde, können soweit als sie gehen alle richtig sein, obgleich sie einander widerstreiten. Aber es wäre sicher absurd, dies von einander widerstreitenden Inductionen zu behaupten.

Das wissenschaftliche Studium der Thatsachen kann zu drei verschiedenen Zwecken unternommen werden; nämlich der einfachen Beschreibung der Thatsachen, ihrer Erklärung, oder ihrer Voraussagung wegen; unter Voraussagung die Bestimmung der Bedingungen, unter denen ähnliche Thatsachen wiederkehren mögen, verstanden. Der ersten dieser drei Verfahrungsweisen kommt der Name Induction nicht zu, wohl aber den beiden letzteren. Dr. Whewell's Bemerkung ist nun aber von der ersten allein wahr. Als eine blosse Beschreibung betrachtet, stellt die Kreistheorie[353] der Bewegungen der Himmelskörper vollkommen genau deren allgemeinen Züge dar; und indem man Epicykel ohne Ende hinzufügt, könnten diese Bewegungen, so wie sie uns jetzt bekannt sind, mit einem jeden erforderlichen Grad von Genauigkeit ausgedrückt werden. Der einzige wahre Vortheil der elliptischen Theorie, als einer blossen Beschreibung, würde ihre Einfachheit und die daraus folgende Leichtigkeit, sie zu begreifen und Schlüsse daraus zu ziehen, sein; denn in Wirklichkeit wäre sie nicht wahrer als die andere. Verschiedene Beschreibungen können also alle wahr sein, aber sicher nicht verschiedene Erklärungen. Die Lehre, dass die Himmelskörper sich durch eine ihnen inwohnende Kraft bewegen, die Lehre dass sie durch Stoss in Bewegung gesetzt werden (was zu der Annahme von Wirbeln als der einzigen Kraft, die fähig ist, Körper im Kreise zu bewegen, führte) und die Lehre Newton's, dass sie durch das Zusammenwirken einer centripetalen mit einer ursprünglich bewegenden Kraft bewegt werden, sind Erklärungen, die durch wirkliche Induction aus, wie man voraussetzte, parallelen Fällen gefolgert, und von den Philosophen nach einander als wissenschaftliche Wahrheiten in Beziehung auf die Himmelskörper angenommen wurden. Können wir aber von diesen, wie von den verschiedenen Beschreibungen sagen, dass sie alle wahr sind soweit als sie gehen? Ist es nicht klar, dass nur eine bis zu einem gewissen Grade wahr ist, und dass die beiden anderen gänzlich falsch sein müssen? So viel in Beziehung auf Erklärungen; wir wollen nun einige verschiedene Voraussagungen betrachten. Die erste, dass Finsternisse entstehen wenn ein Planet oder Trabant eine solche Stellung hat, dass er seinen Schatten auf einen andern wirft; die zweite, dass sie entstehen werden, wenn der Menschheit ein grosses Unglück droht. Sind diese zwei Lehren nur in dem Grade ihrer Wahrheit verschieden, so dass sie wirkliche Thatsachen mit ungleichem Grade von Genauigkeit ausdrücken? Gewiss ist die eine wahr, und die andere ganz falsch.76[354]

Es ist also in jeder Hinsicht evident, dass wenn man die Induction erklärt, als die Verbindung (Colligation) von Thatsachen durch[355] geeignete Conceptionen, welche sie wirklich ausdrücken, man eine blosse Beschreibung der beobachteten Thatsachen mit der Folgerung[356] aus diesen Tatsachen verwechselt und der letzteren zuschreibt, was eine charakteristische Eigenschaft der ersteren ist.

Es besteht indessen zwischen Colligation und Induction eine wirkliche Beziehung, und es ist wichtig, dieselbe richtig aufzufassen. Colligation ist nicht immer Induction, aber Induction ist immer Colligation. Die Behauptung, dass sich die Planeten in Ellipsen bewegen, war nur ein Modus, die beobachteten Thatsachen darzustellen, es war nur eine Colligation, während die Behauptung, dass sie von der Sonne angezogen werten, eine durch Induction gefolgerte Angabe einer neuen Thatsache war. Wenn aber die Induction einmal gemacht ist, so erfüllt sie ebenfalls den Zweck, der Colligation. Sie bringt dieselben Thatsachen, welche Kepler durch seine Vorstellung einer Ellipse verbunden hatte, unter die weitere Vorstellung von Körpern, worauf eine Centralkraft wirkt, und dient deshalb als ein neues Verbindungsmittel für diese Thatsachen, als ein neues Princip ihrer Classification.

Es ist ferner jene allgemeine Beschreibung, die unrichtig mit Induction verwechselt wird, eine nothwendige Vorbereitung für die Induction und eben so unentbehrlich als die Beobachtung der[357] Thatsachen selbst. Ohne die vorhergehende Verbindung der Thatsachen vermittelst einer allgemeinen Vorstellung hätten wir, mit Ausnahme von in sehr engen Grenzen eingeschlossenen Erscheinungen, niemals eine Basis für eine Induction erhalten können. Wir wären nicht fähig, irgend ein Prädicat eines Subjects, das nur stückweise beobachtet werden kann, anzugeben, und wir könnten noch weniger dieses Prädicat durch Induction auf andere ähnliche Subjecte übertragen. Die Induction setzt daher immer voraus, nicht allein dass die nöthigen Beobachtungen mit der nöthigen Genauigkeit gemacht worden sind, sondern auch dass die Resultate dieser Beobachtungen soweit als thunlich durch allgemeine Beschreibungen mit einander ver bunden sind, wodurch der Geist fähig gemacht wird, sich diejenigen Phänomene als Ganze vorzustellen, welche überhaupt fähig sind, so dargestellt zu werden.

§. 5. Auf die vorhergehenden Bemerkungen hat Dr. Whewell ausführlich geantwortet und seine Ansicht noch einmal dargelegt, er hat jedoch (soviel ich sehen kann) seinen Argumenten nichts Wesentliches hinzugefügt. Da die meinigen nicht das Glück hatten, einen Eindruck auf ihn zu machen, so will ich noch einige Bemerkungen beifügen, welche deutlicher zeigen sollen, worin unsere Meinungsverschiedenheit besteht, und welche dieselbe gewissermaassen erklären sollen.

Allen Definitionen der Induction von Schriftstellern von Ansehen zufolge besteht dieselbe in dem Ziehen von Folgerungen aus bekannten Fällen auf unbekannte; in dem Behaupten von einer Classe eines Prädicats, das von einigen zu dieser Classe gehörigen Fällen als wahr befunden worden ist; in dem Schliessen, dass weil einige Dinge eine gewisse Eigenschaft haben, auch andere ihnen ähnliche Dinge dieselbe Eigenschaft haben – oder dass weil ein Ding eine Eigenschaft zu einer gewissen Zeit gezeigt hat, es dieselbe Eigenschaft zu anderen Zeiten zeigen wird.

Man wird kaum behaupten, dass in diesem Sinne des Worts Kepler's Verfahren eine Induction war. Die Angabe, Mars bewege sich in einer elliptischen Bahn, war weder eine Generalisation aus individuellen Fällen auf eine Classe von Fällen, noch war es eine Ausdehnung von etwas auf alle Zeiten, was zu einer[358] besondern Zeit als wahr befunden worden war. Die ganze Generalisation, welche der Fall zuliefe, war bereits vollzogen oder hätte es werden können. Lange vorher, ehe man an die elliptische Theorie dachte, hatte man bestimmt, dass die Planeten periodisch zu denselben scheinbaren Orten zurückkehrten; die Reihen dieser Orte waren vollständig bestimmt, und der scheinbare Lauf eines jeden Planeten hätte an einem Himmelsglobus in einer ununterbrochenen Linie markirt werden können. Kepler dehnte eine beobachtete Wahrheit nicht auf andere Fälle aus als die waren, in denen diese Wahrheit beobachtet worden war; er erweiterte nicht das Subject des Urtheils, das die beobachteten Thatsachen ausdrückte, er veränderte nur das Prädicat. Statt zu sagen, die successiven Orte des Man sind so und so, summirte er sie in der Behauptung, die successiven Orte des Mars sind Punkte einer Ellipse. Es ist wahr, wie Dr. Whewell sagt, diese Behauptung war nicht lediglich die Summe der Beobachtungen, es war die unter einem neuen Gesichtspunkt betrachtete Summe der Beobachtungen.77 Aber es war nicht, wie bei einer wirklichen Induction, die Summe von mehr als die Beobachtungen; sie umfasste keine anderen Fälle als die wirklich beobachteten, oder nur solche, die aus den beobachteten Fällen hätten gefolgert werden können, ehe sich der neue Gesichtspunkt darbot. Es war kein Uebergang von bekannten Fällen zu unbekannten vorhanden, wie er der ursprünglichen und anerkannten Bedeutung des Wortes nach die Induction ausmacht.

Es ist wahr, alte Definitionen, sollten nicht neues Wissen überherrschen, und wenn das Kepler'sche Verfahren als ein logischer Process wirklich identisch wäre mit dem, was bei einer anerkannten Induction stattfindet, so müsste die Definition so erweitert werden, dass sie dasselbe aufnimmt, indem die wissenschaftliche Sprache sich den wahren Beziehungen der Dinge, die sie bezeichnen soll, anpassen muss. Hier also ist der streitige Punkt zwischen mir und Dr. Whewell; er hält beide Operationen für identisch. In keinem Fall von Induction gesteht er ein anderes Verfahren zu als wie es in Kepler's Fall stattfand, nämlich Rathen oder Muthmaassen bis eine Muthmaassung gefunden[359] ist, die den Thatsachen entspricht; er verwirft, wie wir später sehen werden, alle Regeln der Induction, weil wir nicht vermittelst dieser Regeln muthmassen. Dr. Whewell's Theorie von der Logik der Wissenschaft wäre vollkommen, wenn er nicht die Frage des Beweises gänzlich übergangen hätte. Aber nach meinem Verständniss giebt es so ein Ding wie der Beweis, und in ihrer Beziehung zu diesem Element unterscheiden sich die Inductionen gänzlich von den Beschreibungen. Die Induction ist Beweis; sie ist ein Folgern von etwas Nichtbeobachtetem aus etwas Beobachtetem; sie verlangt daher eine geeignete Probe, und es ist der Zweck der inductiven Logik, diese Probe zu liefern. Wenn wir im Gegentheil bekannte Thatsachen nur aneinanderreihen, und sie, nach Dr. Whewell's Phraseologie, bloss durch eine neue Conception verknüpfen: so haben wir alles was wir wollen, wenn die Conception dazu dient, die Beobachtungen miteinander zu verknüpfen. Da das Urtheil, worin sie verkörpert ist, nur auf die Wahrheit Anspruch macht, welche es mit vielen anderen Darstellungsweise derselben Thatsachen theilen könnte, nämlich in Uebereinstimmung mit den Thatsachen zu sein, so hat es den Beweis weder nöthig noch lässt es ihn zu, obgleich es dazu dienen kann, andere Dinge zu beweisen. Indem es nämlich die Thatsachen in einen geistigen Zusammenhang mit anderen Thatsachen bringt, von denen man vorher nicht ersah, dass sie ihnen gleichen, assimilirt es den Fall einer andern Classe von Erscheinungen, in Betreff derer bereits wirkliche Inductionen stattgefunden haben. So brachte Kepler's sogenanntes Gesetz die Bahn des Mars in die Classe Ellipse und bewies damit, dass alle Eigenschaften der Ellipse von der Marsbahn wahr sind; aber zu diesem Beweis lieferte Kepler's Gesetz die untere und nicht (wie bei wirklichen Inductionen) die obere Prämisse.

Dr. Whewell nennt nichts Induction, wo nicht eine neue geistige Conception eingeführt, und er nennt alles Induction, wo sie eingeführt wird; dies heisst aber zwei ganz verschiedene Dinge, Erfindung und Beweis, mit einander verwechseln. Die Einführung einer neuen Idee ist Erfindung, und Erfindung mag für ein jedes Verfahren erforderlich sein, aber von keinem ist sie das Wegen. Eine neue Conception mag für beschreibende Zwecke sogut wie für inductive eingeführt werden; aber sie ist soweit entfernt,[360] die Induction auszumachen, dass die Induction ihrer nicht einmal nothwendig bedarf. Die meisten Inductionen bedürfen nur der Vorstellung wie sie in einem jeden der besonderen Fälle, auf welche die Induction gegründet ist, schon vorhanden war. Alle Menschen sind sterblich, ist gewiss ein inductiver Schluss; aber es wird durch ihn keine neue Vorstellung eingeführt. Wenn man weiss, dass bisher ein jeder Mensch gestorben ist, so besitzt man alle in der inductiven Generalisation enthaltenen Vorstellungen. Aber Dr. Whewell betrachtet den Erfindungsprocess, welcher in der Aufstellung einer neuen, mit den Thatsachen übereinstimmenden Conception besteht, nicht bloss für einen nothwendigen Theil der Induction, sondern für das Ganze derselben.

Das geistige Verfahren, welches aus einer Anzahl von vereinzelten Beobachtungen gewisse allgemeine Charaktere, in denen die beobachteten Erscheinungen einander oder anderen bekannten Thatsachen gleichen, loslöst, wurde von Bacon, Locke und den meisten späteren Metaphysikern Abstraction genannt. Ein allgemeiner, durch Abstraction erhaltener Ausdruck, welcher bekannte Thatsachen vermittelst gemeinsamer Charaktere mit einander verbindet, ohne jedoch von ihnen auf unbekannte Thatsachen zu schliessen, kann, wie ich glaube, mit logisch strenger Richtigkeit Beschreibung genannt werden; auch kann ich nicht einsehen, wie min Dinge jemals anders beschreiben könnte. Ich bin aber auch ganz zufrieden mit dem Gebrauch von Dr. Whewell's Ausdruck Colligation, vorausgesetzt man sehe ein, dass das Verfahren nicht Induction, sondern etwas radical Verschiedenes ist.

Was sonst noch nützliches über Colligation oder den von Dr. Whewell erfundenen correlativen Ausdruck, die Erklärung von Conceptionen, und im allgemeinen über Ideen und geistige Repräsentationen, wie sie mit dem Studium der Thatsachen verbunden, zu sagen ist, wird im vierten Bach, bei den Hülfsoperationen für die Induction, eine geeignete Stelle finden; und dahin muss auch der Leser für die Lösung einer jeden Schwierigkeit, welche die vorliegende Discussion ihm belassen haben sollte, verwiesen werden.[361]

Quelle:
John Stuart Mill: System der deduktiven und inductiven Logik. Band 1, Braunschweig 31868, S. 340-362.
Lizenz:

Buchempfehlung

Gellert, Christian Fürchtegott

Die Betschwester. Lustspiel

Die Betschwester. Lustspiel

Simon lernt Lorchen kennen als er um ihre Freundin Christianchen wirbt, deren Mutter - eine heuchlerische Frömmlerin - sie zu einem weltfremden Einfaltspinsel erzogen hat. Simon schwankt zwischen den Freundinnen bis schließlich alles doch ganz anders kommt.

52 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon