Siebentes Capitel.

Von der Classification als Hülfsoperation der Induction.

[281] §. 1. Es giebt, wie wir in diesem Werke oft Gelegenheit hatten zu bemerken, eine Classification der Dinge, welche von der Thatsache ihrer allgemeinen Benennung unzertrennlich ist. Ein jeder Name, der ein Attribut mitbezeichnet, theilt durch diese Thatsache alle Dinge in zwei Classen, in solche, die das Attribut besitzen, und solche, die es nicht besitzen; in solche, von denen der Name ausgesagt, und in solche, von denen es nicht ausgesagt werden kann. Und diese Eintheilung ist nicht bloss eine Eintheilung der Dinge, welche gegenwärtig existiren oder deren Existenz bekannt ist, sondern auch aller Dinge, die noch entdeckt, oder sogar gedacht werden können.

In Beziehung auf diese Classification haben wir dem schon früher Gesagten nichts hinzuzufügen. Die Classification, welche als ein besonderer Act des Geistes zu erörtern ist, ist eine ganz andere. Bei der einen Classification ist die Anordnung der Gegenstände in Gruppen und ihre Vertheilung in Abtheilungen eine bloss zufällige Wirkung, die aus dem Gebrauche von Namen folgt, welche zu einem andern Zweck gegeben wurden, nämlich zu dem Zweck, einfach einige ihrer Eigenschaften auszudrücken. Bei der anderen ist die Anordnung und Vertheilung der Hauptzweck und die Benennung ist dieser wichtigen Operation untergeordnet und richtet sich vorsätzlich nach ihr, anstatt dieselbe zu beherrschen.

In dieser Weise betrachtet ist die Classification eine Vorrichtung, ein Kunstgriff, um die Ideen der Gegenstände in unserem Geiste am besten zu ordnen; um zu bewirken, dass die Ideen sich in einer solchen Weise begleiten oder folgen, dass wir die grösste Gewalt über unser schon erlangtes Wissen erhalten, und am directesten[281] zur Erlangung von mehr geführt werden. Die allgemeine Aufgabe der Classification in Beziehung auf diese Zwecke kann, wie folgt, angegeben werden: zu bewirken, dass Dinge in solchen Gruppen und diese Gruppen in einer solchen Ordnung gedacht werden, wie es für die Erinnerung und für die Bestimmung ihrer Gesetze am förderlichsten ist.

Die so betrachtete Classification unterscheidet sich von der Classification im weiteren Sinne dadurch, dass sie sich ausschliesslich auf reale Gegenstände bezieht und nicht auf bloss denkbare; ihr Gegenstand ist die gehörige Coordination nur derjenigen Dinge in unserem Geiste, mit deren Eigenschaften wir wirklich Gelegenheit haben uns bekannt zu machen. Aber von der anderen Seite umfasst sie alle wirklich existirenden Gegenstände. Wir können eine Classe nur mit Rücksicht auf eine allgemeine Eintheilung der ganzen Natur richtig aufstellen; wir können nicht die Gruppe bestimmen, in die ein Gegenstand am besten zu stellen ist, ohne alle Varietäten der existirenden Dinge in Betracht zu ziehen, wenigstens alle, die einen Grad von Verwandtschaft mit ihm besitzen. Man konnte keine einzige Familie von Pflanzen oder Thieren vernunftgemäss anders aufstellen; als indem man sie als einen Theil einer systematischen Anordnung aller Pflanzen und Thiere betrachtete; auch konnte eine solche allgemeine Anordnung nicht in geeigneter Weise gemacht werden, ohne zuerst den Platz der Pflanzen und Thiere in einer allgemeinen Eintheilung der Natur genau zu bestimmen.

§. 2. Es giebt keine Eigenschaften der Gegenstände, welche wir nicht einer Classification oder geistigen Gruppirung dieser Gegenstände zu Grunde legen könnten; und bei unseren ersten Versuchen werden wir wahrscheinlich zu diesem Zwecke Eigenschaften wählen, welche einfach, leicht zu begreifen, und ohne einen vorhergängigen Gedankenprocess beim ersten Blick wahrnehmbar sind. So war Tournefort's Anordnung der Pflanzen auf die Gestalt und die Theile der Blumenkrone gegründet, und die Anordnung, welche man gewöhnlich die Linné'sche nennt (obgleich Linné auch eine andere und wissenschaftlichere Anordnung aufstellte), war hauptsächlich auf die Anzahl der Staubfäden und Pistille gegründet.[282]

Aber diese Classificationen, welche sich dadurch empfehlen, dass sie es sehr leicht machen zu bestimmen, in welche Classe ein Individuum gehört, sind zu dem Zwecke der Classification, die der Gegenstand unserer gegenwärtigen Bemerkungen ist, selten sehr geeignet. Die Linné'sche Anordnung erfüllt den Zweck, uns alle diejenigen Pflanzen ins Gedächtniss zu rufen, welche eine gleiche Anzahl Staubfäden und Pistille besitzen; aber es ist von geringem Nutzen, in dieser Weise an sie zu denken, da wir selten etwas zu affirmiren haben, was Pflanzen, die eine gegebene Anzahl von Staubfäden und Pistille haben, gemein ist. Wenn Pflanzen von der Classe Pentandria, Ordnung Monogynia, in irgend anderen Eigenschaften übereinstimmten, so würde die Gewohnheit, von den Pflanzen vermittelst einer gemeinsamen Bezeichnung zu denken und zu sprechen, zu der Erinnerung dieser gemeinschaftlichen Eigenschaften, so weit sie bestimmt sind, führen und uns veranlassen, nach anderen, noch nicht bekannten Eigenschaften zu suchen. Da dies jedoch nicht der Fall ist, so ist der einzige Zweck der Linné'schen Classification, uns besser, als es in einer anderen Weise geschehen könnte, an die genaue Anzahl der Staubfäden und Pistille einer jeden Pflanzenspecies zu erinnern. Nun ist aber diese Eigenschaft von wenig Wichtigkeit und Interesse, und die besonders genaue Erinnerung daran von keiner grossen Bedeutung. Insofern wir aber dadurch, dass wir uns gewöhnlich die Pflanzen in diesen Gruppen denken, daran verhindert werden, sie gewohnheitsmässig in Gruppen zu denken, welche eine grössere Anzahl von Eigenschaften gemein haben, so muss die Wirkung einer solchen Classification auf unsere Denkgewohnheiten, wenn man ihr systematisch anhängt, eine verderbliche sein.

Den Zwecken einer wissenschaftlichen Classification wird am besten entsprochen, wenn aus den Gegenständen Gruppen gebildet werden, in Beziehung auf welche eine grössere Anzahl von allgemeinen und zwar wichtigeren Urtheilen aufgestellt werden kann, als dies in Beziehung auf andere Gruppen, in welche man dieselben Dinge eintheilen könnte, geschehen könnte. Es sollten daher die Eigenschaften, nach welchen die Dinge classificirt werden, Eigenschaften sein, welche Ursachen von vielen anderen Eigenschaften, oder welche jedenfalls sichere Merkmale derselben sind. Die Ursachen sind vorzuziehen, weil sie sowohl die sichersten[283] und directesten Merkmale, als auch selbst Eigenschaften sind, auf welche unsere Aufmerksamkeit mit dem grössten Nutzen gerichtet wird. Aber die Eigenschaft, welche die Ursache der hauptsächlichen Eigenthümlichkeiten einer Classe ist, ist unglücklicherweise selten geeignet, als Kennzeichen der Classe zu dienen. Statt der Ursache müssen wir gewöhnlich einige der hervorragendsten Wirkungen wählen, die als Merkmale der anderen Wirkungen und der Ursache selbst dienen können.

Eine so gebildete Classification ist eigentlich wissenschaftlich oder philosophisch und wird gewöhnlich eine natürliche genannt, im Gegensatz zu einer technischen oder künstlichen Classification der Anordnung. Der Ausdruck natürliche Classification scheint besonders für solche Anordnungen geeignet, welche in den Gruppen, die sie bilden, der Neigung des Geistes entsprechen, die dem Ansehen nach ähnlichsten Gegenstände zusammenzustellen; im Gegensatze zu jenen technischen Systemen, welche, indem sie die Dinge nach ihrer Uebereinstimmung in einem willkürlich gewählten Umstande ordnen, in dieselbe Gruppe oft Gegenstände bringen, welche in der allgemeinen Summe ihrer Eigenschaften keine Aehnlichkeit darbieten, und in verschiedene und von einander entfernte Gruppen andere Gegenstände, welche die grösste Aehnlichkeit haben. Es ist mit das beste Lob des wissenschaftlichen Charakters einer Classification, dass sie auch in diesem Sinne eine natürliche Classification sei; denn die Probe ihres wissenschaftlichen Charakters ist die Anzahl und die Wichtigkeit der Eigenschaften, welche von allen in einer Gruppe enthaltenen Gegenständen gemeinschaftlich ausgesagt werden können; und die Eigenschaften, von denen das allgemeine Aussehen der Dinge abhängt, sind, wenn auch nur aus diesem Grunde, sowohl wichtig, als auch in den meisten Fällen zahlreich. Aber obgleich dieser Umstand von grossem Werthe ist, so ist er doch keine conditio sine qua non, indem die augenfälligeren Eigenschaften der Dinge, im Vergleich zu anderen, nicht augenfälligen, von geringer Bedeutung sein können. Ich habe als eine grosse Absurdität der Linné'schen Classification angeführt gesehen, dass sie das Veilchen an die Seite der Eiche stellt (was sie, beiläufig gesagt, nicht thut). Gewiss trennt sie natürliche Verwandtschaften und bringt Dinge zusammen, die einander so unähnlich sind, wie das Veilchen und die Eiche. Aber der anscheinend so[284] grosse Unterschied, der die Nebeneinanderstellung dieser zwei Pflanzen zu einem Beispiele einer schlechten Anordnung macht, hängt für das gewöhnliche Auge vornehmlich von der Grösse und Textur ab; wenn wir es uns nun zum Ziel machten, diejenige Classification anzunehmen, die am wenigsten die Gefahr ähnlicher rapprochemens darbietet, so müssten wir zur absoluten Eintheilung in Bäume, Sträuche und Kräuter zurückkehren, zu einer Eintheilung, die, obgleich von Wichtigkeit in Beziehung auf den allgemeinen habitus, dennoch (sogar im Vergleich mit einer so geringen und wenig auffallenden Unterscheidung, wie die in Dicotyledonen und Monocotyledonen) so wenigen Unterschieden in den anderen Eigenschaften der Pflanzen entspricht, dass eine darauf gegründete Classification (abgesehen von der Undeutlichkeit der Demarcationslinien) ebenso künstlich und technisch sein würde, wie die Linné'sche.

Unsere natürlichen Gruppen müssen daher oft nicht auf die augenfälligen, sondern auf die nicht augenfälligen Eigenschaften der Dinge gegründet werden, wenn diese von grösserer Wichtigkeit sind. Aber in einem solchen Falle ist es nothwendig, dass irgend eine vom Beobachter leichter zu erkennende Eigenschaft oder Reihe von Eigenschaften vorhanden sei, welche mit den Eigenschaften, die das wirkliche Fundament der Classification sind, coexistiren und als Merkmale derselben genommen werden können. Eine natürliche Anordnung der Thiere z.B. muss hauptsächlich auf ihre innere Structur gegründet sein, aber (wie richtig bemerkt worden ist) es würde absurd sein, wenn wir nicht im Stande wären, das genus und die species eines Thieres zu erkennen, ohne es vorher zu tödten. Aus diesem Grunde muss von allen zoologischen Classificationen wahrscheinlich der auf die Unterschiede in den äusseren Hüllen gegründeten Classification von Blainville der Vorzug gegeben werden, da dies Unterschiede sind, welche genauer, als man voraussetzen sollte, den wirklich wichtigen Verschiedenheiten, sowohl in anderen Theilen der Structur, als auch in den Gewohnheiten und der Geschichte des Thieres entsprechen.

Dies zeigt mehr als Alles, welche ausgedehnte Kenntniss von den Eigenschaften der Gegenstände nöthig ist, um eine gute Classification aufzustellen. Und da es einer der Vortheile einer solchen Classification ist, dass sie dadurch, dass sie die Aufmerksamkeit auf[285] die Eigenschaften richtet, auf welche sie gegründet ist – auf die Eigenschaften, welche wenn die Classification gut ist, Merkmale vieler anderer Eigenschaften sind – die Entdeckung dieser anderen Eigenschaften erleichtert, so sehen wir, auf welche Weise unsere Kenntniss der Dinge und unsere Classification derselben gegenseitig und unbegrenzt beitragen, einander zu verbessern.

Wir haben oben gesagt, dass die Classification der Gegenstände sich nach denjenigen von ihren Eigenschaften richten sollte, welche nicht allein die zahlreichsten, sondern auch die wichtigsten Eigenthümlichkeiten anzeigen. Was ist hier unter Wichtigkeit zu verstehen? Dieselbe bezieht sich auf den besonderen Zweck, den man im Auge hat; und dieselben Gegenstände können daher verschiedene Classificationen zulassen. Eine jede Wissenschaft oder Kunst bildet ihre Classificationen der Dinge nach den Eigenschaften, die ihr speciell bekannt sind, oder denen sie Rechnung tragen muss, um ihre besonderen praktischen Zwecke zu erreichen. Ein Landbauer theilt die Pflanzen nicht, wie ein Botaniker, in Monocotyledonen und Dicotyledonen, sondern in nützliche Pflanzen und in Unkraut ein. Ein Geologe theilt die Fossilien nicht, wie ein Zoologe, in Familien ein, welche denen der lebenden Species entsprechen, sondern in Fossilien der secundären und tertiären Periode, in Fossilien über den Kohlen und unter den Kohlen etc. Der Wallfisch ist ein Fisch oder nicht, je nach dem Zwecke, wofür wir ihn betrachten. »Wenn wir von dem inneren Baue und der Physiologie des Thieres sprechen, so dürfen wir ihn nicht Fisch nennen, denn in dieser Beziehung weicht er von den Fischen sehr ab; er hat warmes Blut, gebärt lebendige Junge und säugt sie wie die Vierfüsser. Dies hindert uns aber nicht, vom Wallfischfange zu sprechen, und bei allen mit diesem Gebrauche zusammenhängenden Gelegenheiten dieses Thier einen Fisch zu nennen; denn die so entstehenden Relationen hängen davon ab, dass das Thier im Wasser lebt und in einer ähnlichen Weise gefangen wird wie andere Fische. Ein Rechtsgrund, wonach Gesetze, welche der Fische erwähnen, sich nicht auf den Wallfisch beziehen, würde von einem intelligenten Richter verworfen werden.«161[286]

Diese verschiedenen Classificationen sind alle gut für die Zwecke ihrer eigenen besonderen Zweige des Wissens oder der Praxis. Aber wenn wir die Dinge nicht zu einem speciellen Zwecke studiren, sondern um unsere Kenntnisse des Ganzen ihrer Eigenschaften oder Beziehungen zu erweitern, so müssen wir diejenigen Attribute als die wichtigsten betrachten, welche entweder für sich allein oder durch ihre Wirkungen am meisten dazu beitragen, die Dinge einander ähnlich und anderen Dingen unähnlich zu machen; welche der daraus zusammengesetzten Classe die markirteste Individualität verleihen; welche, so zu sagen, den grössten Platz in ihrer Existenz ausfüllen und die Aufmerksamkeit eines Beobachters, der alle ihre Eigenschaften kennt, den aber keine besonders interessirt, am meisten anregen. Classen, die auf dieses Princip gegründet sind, können mit grösserem Rechte, als alle anderen, natürliche Gruppen genannt werden.

§. 3. In Beziehung auf diese Gruppen hat Herr Whewell eine Theorie aufgestellt, die auf eine wichtige Wahrheit gegründet ist, und die er in mancher Beziehung sehr glücklich ausgedrückt und erläutert hat, aber, wie mir scheint, ebenfalls unter Beimischung von Irrthum. Aus beiden Gründen wird es daher von Nutzen sein, seine Theorie mit denselben Worten wiederzugeben, welche er gebraucht hat.

»Natürliche Gruppen sind – nach Hrn. Whewell162 – durch den Typus und nicht durch die Definition gegeben. Und diese Betrachtung erklärt jene Undeutlichkeit und Unbestimmtheit, die wir oft in den Beschreibungen solcher Gruppen finden, und die einem Jeden so sonderbar und unconsequent erscheinen müssen, der nicht voraussetzt, dass diese Beschreibungen einen tieferen Grund des Zusammenhanges assumiren, als die willkürliche Wahl des Botanikers. So sagt man bei der Familie des Rosenstrauches, dass die Eichen (ovula) sehr selten aufrecht, die Narben gewöhnlich einfach sind. Von welchem Nutzen, könnte man fragen, können solche unbestimmte Angaben sein? Die Antwort hierauf ist, dass sie nicht gemacht wurden, um die Species, sondern um die Familie zu unterscheiden, und dass die sämmtlichen Beziehungen der Eichen[287] und der Narben aus dieser allgemeinen Angabe besser erkannt werden. Eine ähnliche Bemerkung kann hinsichtlich der Anomalien einer jeden Gruppe gemacht werden, welche so gewöhnlich vorkommen, dass Herr Lindley in seiner Einleitung zu dem natürlichen Systeme der Botanik bei jeder Familie die ›Anomalien‹ zu einem Glied derselben macht. So ist ein Theil des Charakters der Rosaceen, dass sie abwechselnde, von Nebenblättern begleitete Blätter haben, und dass das Albumen obliterirt ist; dennoch fehlen bei der Lowea, einem der genera die ser Familie, die Nebenblätter, und bei einem genus, der Neillia, ist das Albumen vorhanden. Dies schliesst, wie wir bereits gesehen haben, ein, dass der künstliche Charakter (oder die diagnosis, wie Herr Lindley es nennt) unvollkommen ist. Wenn auch sehr nahe, so ist er doch der natürlichen Gruppe nicht genau angemessen, und daher geschieht es in gewissen Fällen, dass dieser Charakter dem allgemeinen Gewicht der natürlichen Verwandtschaften in gewissen Fällen nachsteht.

Diese Ansichten – von Classen, welche durch Charaktere bestimmt werden, die nicht durch Worte ausdrückbar sind – von Urtheilen, welche aussagen, nicht was in allen Fällen, sondern nur was gewöhnlich geschieht, – von Particularitäten, welche in einer Classe eingeschlossen sind, obgleich sie die Definition derselben überschreiten, werden wahrscheinlich den Leser überraschen. Sie sind vielen gangbaren Meinungen über den Gebrauch der Definitionen und die Natur der wissenschaftlichen Sätze (Urtheile) so entgegen, dass sie wahrscheinlich Vielen höchst unlogisch und unphilosophisch erscheinen werden. Aber eine Neigung zu einem solchen Urtheil entsteht zum grossen Theil daraus, dass die mathematischen und die mathematisch-physikalischen Wissenschaften die Ansichten der Menschen über die allgemeine Natur und die Form der wissenschaftlichen Wahrheit bis zu einem hohen Grade bestimmt haben, während die Naturgeschichte noch nicht Zeit oder Gelegenheit gehabt hat, den ihr zustehenden Einfluss auf die gangbaren Gewohnheiten des Philosophirens auszuüben. Die scheinbare Unbestimmtheit und der Widerspruch in den Classificationen und Definitionen der Naturgeschichte kommt in einem viel höheren Grade allen anderen Speculationen zu, mit Ausnahme der mathematischen; und die Art und Weise, wie Annäherungen[288] an genaue Distinctionen und allgemeine Wahrheiten in der Naturgeschichte erreicht worden sind, verdient unsere Aufmerksamkeit schon wegen des Lichtes, welches sie auf die Art und Weise werfen, wie eine jede Art Wahrheit am besten zu verfolgen ist.

Obgleich bei einer natürlichen Gruppe von Dingen eine Definition nicht mehr als ein leitendes Princip gebraucht werden kann, so sind die Classen deswegen doch nicht gelockert und ohne Maassstab oder Richtschnur. Die Classe ist festgestellt, wenn auch nicht genau begrenzt; sie ist gegeben, wenn auch nicht umschrieben ; sie ist bestimmt, nicht durch eine äussere Grenzlinie, sondern durch einen inneren Centralpunkt, nicht durch das, was sie streng ausschliesst, sondern hauptsächlich durch das, was sie einschliesst; durch ein Beispiel, nicht durch eine Vorschrift; kurz, anstatt einer Definition haben wir einen Typus zum Führer.

Ein Typus ist ein Muster irgend einer Classe, (z.B. eine Species einer Gattung), welches betrachtet wird als den Charakter der Classe in besonderem Grade besitzend. Alle Species, welche eine grössere Verwandtschaft mit dieser Typus-Species als mit anderen Species haben, bilden die Gattung und werden um sie gruppirt, indem sie in verschiedenen Richtungen und Graden davon abweichen. So kann eine Gattung aus verschiedenen Species bestehen, welche dem Typus sehr nahe kommen, und deren Anspruch auf einen Platz neben ihm augenscheinlich ist, während es andere Species geben kann, welche weiter von diesem Centralknoten abschweifen, und welche dennoch offenbar mehr damit zusammenhängen, als mit irgend einem anderen. Und wenn es auch Species gäbe, deren Platz zweifelhaft ist, und welche zwei Gattungstypen gleich gut anzugehören scheinen, so sieht man doch leicht, dass dies die Realität der generischen Gruppen nicht zerstören würde, so wenig wie die über die zwischenliegende Ebene zerstreuten Bäume uns verhindern von den unterschiedenen Wäldern zweier getrennter Hügel zu sprechen.

Die Typus-Species jeder Gattung, die Typus-Species einer jeden Familie ist also eine Species, welche alle Charaktere und Eigenschaften dieser Gattung in einer markirten und hervorstechenden Weise besitzt. Der Typus der Familie der Rosaceen hat wechselständige Blätter mit Nebenblättchen vergehen, Mangel an Albumen,[289] die Eichen nicht aufrechtstehend, einfache Narben, und ausser diesen Zügen, welche ihn von den Ausnahmen oder Varietäten dieser Classe unterscheiden, besitzt er Züge, welche ihn in seiner eigenen Classe hervorragen lassen. Er ist einer von den Typen, welcher mehrere leitende Attribute deutlich besitzt; und obgleich wir von keinem genus sagen können, es müsse der Typus der Familie sein, noch von einer Species, sie müsse der Typus der Gattung sein, so sind wir darum nicht in die Nothwendigkeit versetzt zu suchen; der Typus muss durch viele Verwandtschaften mit den meisten anderen seiner Gruppen im Zusammenhang stehen, es muss nahe im Mittelpunkte der Gruppe stehen, nicht an deren Grenze.«

In dieser Stelle (deren letzten Theil ich als ein bewunderungswürdiges Beispiel eines philosophischen Styles anführe) hat Herr Whewell sehr klar und deutlich, aber, wie ich glaube, nicht mit allen nöthigen Distinctionen, eines der Principien einer natürlichen Classification dargelegt. Welches Princip es ist, welches seine Grenzen sind, und in welcher Weise er sie mir überschritten zu haben scheint, wird klar werden, wenn wir eine andere und, wie mir scheint, fundamentalere Regel einer natürlichen Anordnung werden aufgestellt haben.

§. 4. Der Leser ist nun vertraut mit der allgemeinen Wahrheit (die ich der grossen Verwirrung wegen, von der sie gewöhnlich umgeben ist, so oft wieder anführe), dass es in der Natur Distinctionen der Art giebt, Distinctionen, die nicht in einer gegebenen Anzahl von bestimmten Eigenschaften plus den daraus hervorgehenden Wirkungen bestehen, sondern die sich durch die ganze Natur, durch die Attribute im allgemeinen der unterschiedenen Dinge ziehen. Unsere Kenntniss der Eigenschaften einer Art ist niemals vollständig; wir entdecken fortwährend neue Eigenschaften an ihr und erwarten sogar, sie zu entdecken. Wo der Unterschied zwischen zwei Classen von Dingen nicht ein Unterschied der Art ist, da erwarten wir zu finden, dass ihre Eigenschaften ähnlich sind, ausgenommen da, wo ein Grund für einen Unterschied vorhanden ist. Ist es dagegen ein Unterschied der Art, so erwarten wir sie in ihren Eigenschaften verschieden zu finden, wenn nicht ein Grund für ihre Aehnlichkeit vorhanden ist. Alle Kenntniss der[290] Art muss durch Beobachtung der Art selbst und das Experiment damit erworben werden; keine Folgerung in Beziehung auf ihre Eigenschaften aus den Eigenschaften der Dinge, die nicht durch die Art damit verbunden sind, ist etwas mehr als jene, gemeiniglich als eine Analogie charakterisirte Vermuthung, und gewöhnlich in einem ihrer schwächsten Grade.

Da die gemeinschaftlichen Eigenschaften einer wahren Art, und folglich auch die allgemeinen Behauptungen, welche in Beziehung auf dieselbe aufgestellt werden können oder gewiss aufgestellt werden, so wie sich unser Wissen erweitert, unbestimmt und unerschöpflich, sind, und da es das erste Princip der natürlichen Classification ist, die Classen so zu bilden, dass die sie zusammensetzenden Gegenstände die grösste Anzahl von gemeinschaftlichen Eigenschaften haben: so schreibt dieses Princip vor, dass eine jede derartige Classification alle Distinctionen der Art, die zwischen den von ihr classificirten Gegenständen existiren, anerkenne und in sich aufnehme. Distinctionen der Art übergehen und bestimmte Distinctionen substituiren, die, wie wichtig sie auch sein mögen, nicht auf letzte unbekannte Unterschiede hinweisen, hiesse an die Stelle von Classen mit mehr gemeinschaftlichen Attributen Classen mit weniger setzen, und würde die natürliche Methode der Classification umwerfen.

Demgemäas sind alle natürliche Anordnungen, es mögen diejenigen, welche sie aufstellten, die Realität der Distinction von Arten gefühlt haben oder nicht, durch das blosse Verfolgen ihres eigenen Zieles veranlasst worden sich nach den Distinctionen der Art, so weit sie zu der Zeit bekannt waren, zu richten. Die Pflanzenspecies sind nicht allein wirkliche Arten, sondern auch wahrscheinlich163 alle wirkliche unterste Arten, infimae species;[291] und wenn wir sie in Unterclassen abtheilen würden, was uns natürlich freisteht zu thun, so würde die Unterabtheilung nothwendig auf bestimmte Distinctionen gegründet sein, die (ausser dem was von ihren Ursachen oder Wirkungen bekannt sein mag) auf keinen anderweitigen weiteren Unterschied mehr hinweisen.

Insofern eine natürliche Classification auf wirkliche Arten gegründet ist, sind ihre Gruppen gewiss keine conventionellen; es ist vollkommen wahr, dass sie nicht von der willkürlichen Wahl des Naturforschers abhängig sind. Aber daraus folgt nicht, und ich halte es auch nicht für wahr, dass diese Classen durch einen Typus, und nicht durch Charaktere bestimmt werden. Sie durch den Typus zu bestimmen, wäre ein ebenso sicherer Weg, um die Art zu verfehlen, als wenn wir eine Anzahl von Charakteren willkürlich wählen würden. Sie werden durch Charaktere bestimmt, jedoch nicht durch willkürliche. Die Aufgabe besteht darin, wenige bestimmte Charaktere zu finden, welche auf eine Menge von unbestimmten Charakteren hinweisen. Arten sind Classen, welche durch eine unübersteigliche Mauer getrennt sind, und wir müssen die Merkmale suchen, wonach wir entscheiden, auf welcher Seite der Mauer ein Gegenstand seinen Platz erhalten soll. Diejenigen Charaktere, welche dies am besten thun, müssen gewählt werden; sind sie an und für sich wichtig, so ist dies um so besser. Wenn wir diese Charaktere gewählt haben, so vertheilen wir die Gegenstände nach diesen Charakteren und nicht, wie ich glaube, nach der Aehnlichkeit mit einem Typus. Wir setzen die Species Ranunculus acris nicht aus allen Blumen zusammen, welche einen hinreichenden Grad von Aehnlichkeit mit einer Muster-Butterblume haben, sondern aus den Blumen, welche gewisse Charaktere besitzen, die als Merkmale gewählt wurden, durch welche wir die Möglichkeit einer Verwandtschaft erkennen; und die Aufzählung dieser Charaktere ist die Definition der Species.

Es entsteht zunächst die Frage, ob, da alle Arten einen Platz unter den Classen haben müssen, auch alle Classen einer natürlichen Anordnung Arten sein müssen? Gewiss nicht. Die Unterschiede der Art sind nicht zahlreich genug, um die ganze Basis der Classification abzugeben. Sehr wenige von den Gattungen oder sogar von den Familien der Pflanzen können mit Gewissheit für Arten ausgegeben werden. Die grossen Distinctionen[292] von Vasculär und Cellulär, Dicotyledonisch oder Exogen, und Monocotyledonisch oder Endogen sind vielleicht Unterschiede der Art; die Demarcationslinien, welche diese Classen scheiden, scheinen (obgleich ich auch dies nicht positiv behaupten möchte) durch die ganze Natur der Pflanzen zu gehen. Aber die verschiedenen Species eines Genus oder der Genera einer Familie haben gewöhnlich nur eine begrenzte Anzahl von Charakteren gemein. Eine Rosa scheint sich von einem Rubus, die Umbelliferen scheinen sich von den Ranunculaceen in nicht viel mehr als gerade in den Charakteren zu unterscheiden, die diesen Gattungen oder diesen Familien von der Botanik beigelegt werden. Bei manchen existiren gewiss unzählige Verschiedenheiten; es giebt Pflanzenfamilien, welche Eigenthümlichkeiten in der chemischen Zusammensetzung darbieten, oder welche Producte geben, die eine eigenthümliche Wirkung auf den thierischen Organismus haben. Die Cruciferen und Schwämme enthalten eine ungewöhnliche Menge Stickstoff; die Labiaten sind die Hauptquellen der ätherischen Oele; die Solaneen sind gewöhnlich narkotisch etc. In diesen und ähnlichen Fällen bestehen möglicherweise Unterschiede der Art, es ist aber keineswegs nothwendig, dass sie vorhanden seien. Obgleich durch eine begrenzte Anzahl von Eigenschaften unterschieden, können Gattungen und Familien doch ausserordentlich natürlich sein, wenn diese Eigenschaften nur wichtige sind, und wenn die in jeder Gattung oder Familie enthaltenen Gegenstände einander mehr gleichen, als etwas Anderem, das aus der Gattung oder Familie ausgeschlossen ist.

Nach der Erkennung und Definition der infimae species ißt also der nächste Schritt, diese infimae species in grössere Gruppen zu ordnen, indem wir diese Gruppen überall, wo es möglich ist, Arten entsprechen lassen; in den meisten Fällen wird dies jedoch nicht geschehen können. Es ist wahr, dass wir hierbei naturgemäss und eigentlich von einer Aehnlichkeit mit dem Typus geleitet werden, wenigstens in den meisten Fällen. Wir bilden unsere Gruppen um gewisse auserwählte Arten herum, wovon eine jede ihrer Gruppe als eine Art Muster dient. Aber obgleich diese Gruppen nach Typen aufgestellt sind, so kann ich doch nicht glauben, dass eine Gruppe nach ihrer Bildung durch den Typus determinirt sei, dass man bei der Entscheidung der Frage, ob eine[293] Species dieser Gruppe angehört, den Typus und nicht die Charaktere berücksichtige, dass »die Charaktere nicht in Worten ausgedrückt werden können.« Diese Behauptung ist im Widerspruch mit Herrn Whewell's eigener Angabe des fundamentalen Princips der Classification, wonach »allgemeine Behauptungen möglich sein sollen«. Wenn aber die Classe keine Eigenschaften gemein hätte, welche allgemeine Behauptungen könnten dann in Beziehung auf sie aufgestellt werden? Ausgenommen, dass sie alle einander mehr gleichen als einem anderen Dinge, könnte nichts von der Classe ausgesagt werden.

Die Wahrheit ist, dass im Gegentheil eine jede Gattung oder Familie mit besonderer Rücksicht auf gewisse Charaktere aufgestellt und vor allem und hauptsächlich aus Species zusammengesetzt ist, welche darin übereinstimmen, dass sie alle jene Charaktere besitzen. Diesen Species ist als eine Art Anhang eine gewöhnlich geringe Anzahl anderer Species hinzugefügt, welche die gewählten Eigenschaften nahezu besitzen, indem der einen die eine Eigenschaft fehlt, der die andere, und welche, während sie mit den übrigen fast so sehr übereinstimmen, als diese unter sich, in einem gleichen Grade keiner anderen Gruppe gleichen. Unser Begriff von der Classe ist immer auf die Charaktere gegründet, und die Classe könnte definirt werden als diejenigen Dinge, welche entweder diese Reihe von Charakteren besitzen, oder welche den Dingen, die sie besitzen, mehr gleichen, als irgend etwas Anderem.

Diese Aehnlichkeit ist nicht, wie Aehnlichkeiten zwischen einfachen Sensationen, eine letzte, der Analyse unzugängliche Thatsache. Auch der niederste Grad der Aehnlichkeit geht aus dem Besitze von gemeinsamen Eigenschaften hervor. Was der Gattung Rose mehr gleicht, als einer jeden Gattung, besitzt eine grössere Anzahl von den Charakteren dieser Gattung, als von einer anderen. Auch kann nicht die geringste Schwierigkeit bestehen, die Natur und den Grad der Aehnlichkeit durch Aufzählung der Charaktere so strenge darzustellen, wie es erforderlich ist, um irgend einen Gegenstand in die Classe einzuschliessen. Es giebt immer einige Eigenschaften, die allen darin eingeschlossenen Dingen gemein sind. Manche von den eingeschlossenen Dingen bilden in Beziehung auf andere Eigenschaften Ausnahmen; aber die Gegenstände,[294] welche Ausnahmen in Beziehung auf den einen Charakter bilden, sind es nicht in Beziehung auf den : die Aehnlichkeit, welche in manchen Einzelheiten fehlt, wird in anderen vorhanden sein. Die Classe wird daher durch alle Charaktere constituirt, welche allgemein sind, und durch die meisten von denen, welche Ausnahmen zulassen. Wenn eine Pflanze aufrechtstehende Eichen, einfache Narbe, kein obliterirtes Albumen und keine Nebenblättchen hätte, so Würde sie wahrscheinlich nicht den Rosaceen zugetheilt werden. Aber einer oder mehrere dieser Charaktere können ihr fehlen, und sie wird darum doch nicht von der Classe ausgeschlossen werden. Den Zwecken einer wissenschaftlichen Classification wird besser entsprochen, wenn man sie einschliesst; denn da sie mit der Summe der Charaktere der Classe so nahe übereinstimmt, so wird sie in ihren noch unentdeckten Eigenschaften dieser Classe wahrscheinlich mehr, als irgend einer anderen gleichen.

Es sind daher die natürlichen Gruppen ebensogut wie die künstlichen durch Charaktere bestimmt; sie sind in Betracht und auf Grund von Charakteren hin aufgestellt. Aber in Betracht nicht allein von Charakteren, die allen in der Gruppe eingeschlossenen Dingen streng gemein sind, sondern in Betracht des Ganzen der Charaktere, die alle in den meisten dieser Gegenstände und wovon die meisten in allen angetroffen werden. Es ist daher unsere Conception von der Classe, das geistige Bild, welches dieselbe repräsentirt, das eines in allen Charakteren vollständigen Exemplars; natürlich eines Exemplars, das, da es alle diese Charaktere in dem höchsten Grade besitzt, in welchem sie zu finden sind, am besten geeignet ist, deutlich zu zeigen, welcher Art sie sind. Mit einer stillschweigenden Beziehung auf dieses Muster, nicht anstatt der Definition, sondern zur Erläuterung derselben, bestimmen wir gewöhnlich, ob ein Individuum oder eine Species einer Classe angehört oder nicht. Dies ist, wie mir scheint, das, was an der Theorie der Typen Wahres ist.

Wir werden sogleich sehen, dass da, wo die Classification zu dem ausdrücklichen Zwecke einer besonderen Induction aufgestellt wird, es, ohne uns eine andere Wahl zu lassen, für die Erfüllung der Bedingungen einer genauen inductiven Methode erforderlich ist, dass wir eine Typus-Species oder Gattung aufstehen, nämlich[295] eine solche, welche das zu untersuchende besondere Phänomen im höchsten Grade darbietet. Doch hiervon hernach. Um die Theorie der natürlichen Gruppen zu vervollständigen, ist es nöthig noch einige Worte über die Principien einer angemessenen Nomenclatur zu sagen.

§. 5. Eine Nomenclatur ist, wie wir gesehen haben, ein System von Namen von Arten. Diese Namen werden, wie andere Classennamen, durch Aufzählung der unterscheidenden Charaktere der Classe definirt. Das einzige Verdienst, welches eine Reihe von Namen ausserdem noch haben kann, besteht darin, dass sie durch ihre Aufstellungsweise soviel Information mittheilt, wie möglich; so dass derjenige, welcher ein Ding kennt, vom Namen alle Hülfe erhält, welche derselbe dadurch geben kann, dass er ihn an das erinnert, was er weise, während derjenige, welcher es nicht kennt, soviel Kenntniss davon erhalten kann, als der Fall zulässt, wenn er bloss den Namen des Dinges hört.

Diese Art von Bedeutung kann dem Namen einer Art auf zweierlei Weise gegeben werden. Die beste, aber unglücklicherweise selten anwendbare, ist die, wenn das Wort durch seine Bildungsweise die Eigenschaften angiebt, welche es mitbezeichnen soll. Der Name der Art mitbezeichnet natürlich nicht alle Eigenschaften der Art, indem diese unerschöpflich sind, aber er mitbezeichnet diejenigen, welche hinreichen, um die Art zu unterscheiden; diejenigen, welche si chere Merkmale aller anderen sind. Nun ist es Sehr selten, dass eine Eigenschaft, oder auch zwei oder drei Eigenschaften diesem Zweck entsprechen können. Es würde die Specificirung vieler Charaktere erfordern, um die gewöhnliche Gänseblume von allen anderen Pflanzenspecies zu unterscheiden. Und ein Name kann durch seine Etymologie oder Bildungsweise, ohne für den gewöhnlichen Gebrauch zu schwerfällig zu werden, nicht mehr als eine geringe Anzahl von Charakteren anzeigen. Die Möglichkeit einer ideal vollkommenen Nomenclatur beschränkt sich daher wahrscheinlich auf den einzigen Fall, in welchem wir glücklicherweise in Besitz von etwas ihr sehr Nahekommendem sind; ich meine die chemische Nomenclatur. Die einfachen und zusammengesetzten Substanzen, von denen die Chemie handelt, sind Arten, und die Eigenschaften,[296] welche die eine Art von den anderen Arten unterscheiden, sind daher unzählbar; aber die zusammengesetzten Substanzen (die einfachen sind nicht zahlreich genug, um eine systematische Nomenclatur zu verlangen) besitzen eine Eigenschaft, die chemische Zusammensetzung, die für sich allein hinreicht, um (bei einigen noch nicht völlig verstandenen Vorbehalten) die Art zu unterscheiden; sie ist allein schon ein sicheres Merkmal aller anderen Eigenschaften der Verbindung. Es war daher nichts Anderes erforderlich, als den Namen einer jeden Verbindung so zu bilden, dass er beim blossen Anhören ihre chemische Zusammensetzung ausdrückt, d.h. den Namen der Verbindung in einer gleichförmigen Weise aus den Namen der einfachen Substanzen, aus denen die Verbindung besteht, zu bilden. Dies haben die französischen Chemiker mit grosser Geschicklichkeit gethan. Das Einzige, was nicht von ihnen ausgedrückt wurde, war das genaue Verhältniss, in welchem sich die Substanzen verbinden, und seit der Aufstellung der atomistischen Theorie fand man es ausführbar, durch eine einfache Anwendung ihrer Terminologie auch dieses auszudrücken.

Wo aber die zur Bezeichnung der Art in Betracht zu ziehenden Charaktere zu zahlreich sind, um alle bei der Ableitung des Namens aufgeführt zu werden, und wo keiner von einer solchen hervorragenden Wichtigkeit ist, um allein dabei angeführt zu werden, da können wir uns eines Hülfsmittels bedienen. Wenn wir nicht die unterscheidenden Eigenschaften der Art anführen können, so können wir doch die zunächst natürlichen Verwandtschaften anführen, indem wir ihrem Namen den Namen der nächsten natürlichen Gruppe einverleiben, wovon sie eine Species ist. Auf dieses Princip ist die bewunderungswürdige binäre Nomenclatur der Botanik und der Zoologie gegründet. In dieser Nomenclatur besteht der Name einer jeden Species aus dem Namen der zunächst über ihr stehen den Gattung oder natürlichen Gruppe und einem hinzugefügten Wort, das die besondere Species anzeigt. Dieser letzte Theil des zusammengesetzten Namens ist manchmal von einer der Eigenthümlichkeiten genommen, durch welche sich die Species von anderen Species der Gattung unterscheidet, wie Clematis integrifolia, Potentilla alba, Viola palustris, Artemisia vulgaris; manchmal von einem Umstande von einer historischen Natur, wie Narcissus poeticus, Potentina tormentilla (anzeigend, dass[297] man die Pflanze früher so nannte), Exacum Candollii (nach ihrem Entdecker Candolle); und manchmal ist das Wort rein conventionell, wie Thaspi bursa-vastoris, Ranunculus thora, es ist gleichgültig, was für ein Wort es sei, da der zweite, oder, wie man gewöhnlich sagt, der specifische Name unabhängig von der Uebereinkunft höchstens nur einen kleinen Theil der Mitbezeichnung des Wortes ausdrücken könnte. Indem wir aber den Gattungsnamen hinzufügen, geben wir den besten Ersatz für die Unmöglichkeit, den Namen so herzustellen, dass er alle unterscheidenden Charaktere der Art ausdrückt. Er wird jedenfalls so viele von den Charakteren ausdrücken, als der nächsten natürlichen Gruppe, in welche die Art eingeschlossen ist, gemein sind. Und wenn auch diese gemeinschaftlichen Charaktere so zahlreich, oder so wenig bekannt sind, dass sie eine weitere Ausdehnung desselben Hülfsmittels erforderlich machen, so könnten wir statt einer binären eine ternäre Nomenclatur annehmen, indem wir nicht allein den Namen der Gattung, sondern auch den der nächst oberen Gruppe, den der Familie, gebrauchen. Dies geschah in der mineralogischen Nomenclatur, welche Mobs vorschlug. »Die von ihm aufgestellten Namen sind nicht aus zwei, sondern aus drei Elementen zusammengesetzt, die beziehungsweise die Species, die Gattung und die Ordnung bezeichnen; auf diese Weise erhält er Species, wie das rhomboidale Kalkhaloid, das octaëdrale Fluorhaloid, prismatischer Halbaryt164 In der Botanik und Zoologie hat man indessen die binäre Nomenclatur für ausreichend gefunden; es sind dies die einzigen Wissenschaften, in welchen man dieses allgemeine Princip bei der Aufstellung einer Nomenclatur bisher mit Erfolg angewendet hat.

Ausser dem in diesem Princip der Nomenclatur liegenden Vortheil, den Namen der Species die grösste Quantität von unabhängiger Bedeutung zu geben, welche die Umstände des Falles zulassen, bietet es noch den weiteren Vortheil, den Gebrauch der Namen sehr zu ersparen und zu verhindern, dass dem Gedächtniss eine allzu grosse Last auferlegt werde. Wenn die Namen der Species sehr zahlreich werden, so wird (wie Hr. Whewell bemerkt165) ein Kunstgriff, der es möglich macht, sich ihrer zu erinnern oder[298] sie anzuwenden, durchaus nöthig. »Die bekannten Pflanzenspecies z.B. beliefen sich zu Linné's Zeit auf zehntausend und belaufen sich jetzt wahrscheinlich auf sechzigtausend. Es wäre nutzlos, für eine jede dieser Species einen besonderen Namen aufzustellen. Die Eintheilung der Gegenstände in ein subordinirtes classificatorisches System setzt uns in den Stand, eine Nomenclatur einzuführen, welche diese enorme Anzahl von Namen nicht erfordert. Eine jede Gattung hat ihren Namen und die Species wird durch Hinzufügung eines Beiworts zum Namen der Gattung bezeichnet. Auf diese Weise fand Linné, dass ungefähr siebenhundert generische und eine massige Anzahl specifischer Namen hinreichten, um alle zu seiner Zeit bekannten Pflanzenspecies genau zu bezeichnen.« Und obgleich die Anzahl der Gattungsnamen seitdem sehr vermehrt worden ist, so ist sie doch bei Weitem nicht in demselben Verhältniss gewachsen wie die Anzahl der bekannten Species.[299]

Quelle:
John Stuart Mill: System der deduktiven und inductiven Logik. Band 2, Braunschweig 31868, S. 281-300.
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