Ignorantia

[814] Ignorantia (lat.), Nichtwissen, Unkunde, Irrthum. Sie ist bes. in rechtlicher Hinsicht in der doppelten Weise a) als I. juris, Unkenntniß von Rechtsgrundsätzen u. gesetzlichen Vorschriften, u. b) als I. facti, Unkenntniß von Thatsachen, Ereignissen u. Handlungen, für die Frage der Gültigkeit u. Rechtsverbindlichkeit der Rechtsgeschäfte oft von wichtigem Einfluß. Der Regel nach schließen Unwissenheit u. Irrthum an sich die Willensbestimmung nicht aus, u. es ist daher die Wirksamkeit einer Handlung dieselbe, wie sonst, insofern nicht wegen der obwaltenden Unkenntniß blos der Schein eines bestimmten Willens od. einer Willenseinigung vorhanden ist, z.B. wenn zwei Personen in der Meinung, über dasselbe Object zu contrahiren, in Wirklichkeit doch über ganz verschiedene Sachen contrahirt haben. In vielen Fällen begründet aber das vorhandene Nichtwissen eine Änderung in der regelnäßigen Wirkung der dadurch hervorgerufenen Handlung od. Unterlassung, wenn nur die Unkenntniß od. der Irrthum eine entschuldbare (I. probabilis, I. justa) war. Als ein solcher entschuldbarer Irrthum wird in der Regel aber nur die Nichtkenntniß von Thatsachen, nicht auch der Irrthum über Rechtssätze betrachtet, es müßte denn die betreffende Person keine Gelegenheit zu besserer Belehrung gehabt haben (Error juris nocet, error facti non nocet). Aus letzterem Grunde wird auch der Rechtsirrthum in Fällen, wo er Andern zum Nachtheil gereicht, allgemein Minderjährigen, Frauen, Soldaten, Ungebildeten nachgesehen. Bei der Frage über die Strafbarkeit crimineller Handlungen u. bloßen Polizeivergehungen ist eine Berufung des Verbrechers auf. Unkenntniß des Gesetzes ganz ausgeschlossen.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 814.
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