Bahnhofpostamt

[409] Bahnhofpostamt (railway post office; bureau de poste de la gare; ufficio postale) heißt ein öffentliches Postamt im Empfangsgebäude (Aufnahmsgebäude) oder in dessen nächster Nähe, das die Vermittlungsstelle zwischen dem Bahnpostverkehr und der sonstigen Postbeförderung, insbesondere dem Ortsverkehr bildet. Dagegen bezeichnet man mit Bahnpostamt in Deutschland eine Dienststelle, die den Bahnpostbetrieb auf einem größeren Kurse regelt. Das Bahnpostamt ist in der Regel in dem B. einer großen Station mit untergebracht. Wo, wie in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die Post nicht nur Briefe und Drucksachen, sondern auch Pakete befördert, sind für die B. besonders in großen Städten oft recht ausgedehnte Anlagen erforderlich. Die B. enthalten außer den Schaltern für das Publikum und den Bureaus zunächst eine Briefsortierstelle zum Ordnen der Drucksachen und Briefe, die von den Ortspostämtern und Briefkasten zugeführt werden, oder die von einer Bahnpost auf eine andere übergehen (Durchgang). Dagegen gehen die mit der Bahn angekommenen Briefe für den Ort meist direkt zum Hauptpostamt oder Briefbestellamt, ohne das B. zu berühren. In der Briefsortierstelle werden die mit der Bahn weitergehenden Briefe nach den einzelnen Postkursen sortiert und zu Briefbunden vereinigt; die Bunde werden durch einen obenauf liegenden Zettel mit dem Namen des Kurses »der Briefkarte« bezeichnet und mit Bindfaden umschnürt; man nennt sie deshalb auch »Kartenschlüsse«. Umfangreiche Sendungen werden nicht zu Bunden vereinigt, sondern in Säcke gepackt. Dient das B. auch dem Ortsverkehr, so erhält es zur Verteilung der angekommenen Ortsbriefe besondere Räume; im Entkartungszimmer werden die Kartenschlüsse geöffnet. Von hier gelangen die Sendungen je nachdem sie durch die Briefträger bestellt oder durch die Empfänger abgeholt werden sollen, in die Briefträgerabfertigung oder zum Briefausgabeschalter.

Der Paketverkehr spielt sich meist in besonderen Räumen (Packkammern) ab. Auf sehr großen Bahnhöfen sind die Abgangs- und Ankunftspackkammern getrennt. Die Abgangspackkammer erhält zweckmäßig einen länglichen Grundriß. Die eine Längsseite – an der Straße – erhält eine große Anzahl von Toren mit oder ohne Ladebühne. Hier fahren die Postfuhrwerke rückwärts heran. Ist die Straßenseite der Abgangspackkammer zu kurz und können nicht alle Fuhrwerke heranfahren, so müssen die Pakete von den auf dem Vorplatz haltenden Fuhrwerken in Karren geladen und zur Packkammer gefahren werden, wodurch Zeitverluste entstehen. Die Pakete werden in der Packkammer nach den Bestimmungsorten oder Kursen verteilt. Entweder sortiert man sie sofort mittels beweglicher Hürden, die an jedem Tor aufgestellt werden, oder man ladet sie gleich kursweise in aufgestellte Postkarren, oder läßt sie durch Unterbeamte auf die einzelnen Stellen der Packkammer verteilen. Von der Packkammer aus werden die Pakete mittels Karren zu den Bahnsteigen befördert. Das Verfahren bei der Ankunft gestaltet sich einfach, wenn die angekommenen Pakete lediglich einem Ortspostamte zugeführt werden. Auch wenn die Pakete nach verschiedenen Stellen weiterzubefördern sind (z.B. nach anderen Bahnhöfen u. dgl.), kommt man bei der Ankunft meist mit den einfachsten Einrichtungen aus. Man begnügt sich vielfach damit, die Postfuhrwerke auf einer Art von Freiladestraße an die Eisenbahnpostwagen heranfahren zu lassen, oder man richtet verdeckte Rampen ein. Findet die Ortsbestellung der Pakete vom B. aus statt, so muß dagegen eine größere Ankunftspackkammer vorhanden sein, die Raum zum Sortieren bietet.

Das Ein- und Ausladen der Paketsendungen an den Bahnpostwagen findet auf den Bahnsteigen oder den Gepäcksteigen statt. Eine gute Verbindung zwischen diesen und den Posträumen durch Tunnel und Aufzüge ist ein Haupterfordernis.

Auf Bahnhöfen, wo Züge mit Postbeförderung gebildet werden, oder wo Postwagen in Züge einzusetzen oder aus solchen herauszunehmen sind, müssen besondere Gleisanlagen und Ladesteige vorgesehen werden. Wichtig ist es, für die angekommenen Postwagen Abstellgleise zu schaffen. Dann kann man sie in Ruhe entladen. Wo diese fehlen, müssen die Postwagen am Bahnsteig selbst entladen werden, wodurch der Aufenthalt der Züge in den Bahnsteiggleisen unnütz verlängert[409] wird. Postverladesteige sollten stets überdacht sein und, wenn beiderseits Gleise liegen, eine nutzbare Breite von mindestens 4∙5 bis 5∙5 m haben.

In großen Verkehrsmittelpunkten nehmen die Postverladeanlagen oft einen so gewaltigen Umfang an, daß ihre direkte Angliederung an den Personenbahnhof Schwierigkeiten macht. Man ist dann unter Umständen genötigt, die Anlagen für den Paketverkehr abseits anzulegen, wie es für Stuttgart, Leipzig, Berlin (Potsdamer Bahnhof) geplant ist. Die Anlagen für den Briefverkehr beläßt man aber zweckmäßig auf dem eigentlichen Personenbahnhof, um die Auflieferzeit möglichst zu verlängern. Diese besonderen »Postverladestellen« müssen dann in möglichst bequemer Verbindung sowohl mit dem Abstellbahnhof stehen – um die Postwagen den Zügen vor der Überführung in die Bahnsteiggleise beistellen zu können – als auch mit den Bahnsteiggleisen selbst, um erforderlichenfalls Postwagen selbständig dorthin bringen oder von dort abholen zu können. Für Postladeanlagen wird meist eine Anordnung mit zahlreichen kurzen Gleisen empfohlen. Dann ist es möglich, einzelne Wagen hinzustellen und herauszuholen, ohne bei den übrigen das Ladegeschäft zu stören. Anderseits wird aber beim Vorhandensein zahlreicher Ladegleise die Aufsicht ganz bedeutend erschwert. Bei der Anwendung kurzer Gleise werden die Ladegleise in Sägeform mit Weichenverbindung oder in Zungenform mit Drehscheiben oder Schiebebühnenverbindung, seltener mit Weichenverbindung hergestellt.

Eine sehr geschickte Lösung auf beschränktem Raum zeigt die Postverladestelle auf dem Lehrter Bahnhof in Berlin, die für die Bahnpost der Hamburger und der Lehrter Bahn bestimmt ist (Abb. 256). Die Längswände der Abgangspackkammer sind vollständig durchbrochen und können durch Rolljalousien abgeschlossen werden. Der Vorplatz liegt höher als der Boden der Packkammer; die Pakete werden auf pultartig abgeschrägten Tischen entladen und sortiert. Die Zuführung der Postwagen zur Ladestelle geschieht durch Dampflokomotiven. Das Heraufziehen der Wagen auf die Drehscheiben und das Abrollen in die Ladegleise geschieht aber mittels elektrischer Spille, ebenso die Bewegung der Drehscheiben. Ladegleise und Ladesteige sind vollständig überdacht. Die Ankunftspackkammer befindet sich auf der anderen Seite des Bahnhofes und besteht aus einer überdeckten Rampe nebst angebautem Schuppen. Sie ist in der Abbildung nicht dargestellt. Weitere Beispiele s. auf den Tafeln V, VI u. VII zum Artikel »Bahnhöfe«.

Oder.

Abb. 256. Bahnhofpostamt
Abb. 256. Bahnhofpostamt
Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 1. Berlin, Wien 1912, S. 409-410.
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409 | 410
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