Feuerlose Lokomotiven

[67] Feuerlose Lokomotiven (fireless locomotives [engines]; locomotives sans foyer; locomotive senza focolaio). Unter F. werden ausschließlich Dampflokomotiven verstanden, die keine eigene Feuerung haben, sondern denen der erforderliche Dampf aus stehenden Kesselanlagen in Gestalt von überhitztem Wasser zugeführt wird. Den Übergang von F. zu den eigentlichen Dampflokomotiven bilden Lokomotiven mit Hilfsfeuerung, die entweder nur beim Stillstand oder an bestimmten Streckenabschnitten in Verwendung genommen wird. (In vielen Exemplaren ausgeführt von der Lokomotivfabrik Krauß & Co. in München und Linz.)

Der Betrieb der F. fußt darauf, daß durch Entnahme von Dampf zum Betrieb die Spannung im Kessel sinkt, wobei das Kesselwasser seine Temperatur nicht ändert und infolgedessen gegenüber der augenblicklich herrschenden Kesselpressung als überhitzt, somit zur Abgabe von Dampf geneigt erscheint. F. werden daher für großen Inhalt des Kessels gebaut, der womöglich mit überhitztem Wasser gefüllt wird und in dem die Pressung hoch (15–20 Atm.) gehalten wird. Im Verhältnis zum Reibungsgewicht der Lokomotive und der Kesselspannung werden die Zylinderdurchmesser (oder seltener der Kolbenhub) recht groß bemessen, damit die F. auch nach längerer Fahrt ohne Nachfüllung des Kessels, also bei gesunkener Kesselspannung, noch zu kurzen größeren Leistungen befähigt bleibe. Zwischen Kessel und Zylinder ist meist ein Abspannungsventil eingebaut, so daß die Höchstleistung nach Dampfpressung und Gangwerksabmessung unerreichbar bleibt. Neuester Zeit werden einfache Dampftrockenanlagen an F. ausgeführt, indem das Einströmrohr durch den Heißwasserraum geführt wird. Eine moderne F. ist in Abb. 72 dargestellt. Bereits im Jahre 1823 wurde der Grundsatz, aus heißem Wasser durch Druckminderung Dampf zu entwickeln, durch Perkins aufgestellt. Dieses System der Dampferzeugung [68] wurde 1873 durch den Amerikaner Dr. Lamm für die Konstruktion einer kleinen F. zur Beförderung von Straßenbahnwagen in New Orleans, Vereinigte Staaten, angewendet, da wegen einer Seuche Pferde schwer zu beschaffen waren. Die F. wurden damals bereits mit Wasser von 200° C gefüllt und legten bis zur Wiederfüllung 10 km zurück.

Verbesserte Lokomotiven der gleichen Bauart stellte Scheffler für Straßenbahnen in Brooklyn, New York und Chicago her. Weitere Verbesserungen erfuhr die F. durch Dr. Leon Francq 1875, insbesondere im Absperrventil und durch Beigabe eines Oberflächen- (Luft-) Kondensators. Solche Lokomotiven, deren Bauart von nun an Lamm-Francq benannt wurde, kamen auf mehreren Pariser Vorortestraßenbahnen zur Verwendung, von wo sie erst durch die Einführung des elektrischen Betriebes verdrängt wurden. In einfacherer Bauweise, ohne Kondensator, wurden in Deutschland, insbesondere durch die Maschinenfabrik Hohenzollern-Düsseldorf viele F. für Anschlußgleise von Zechen, großen Fabrikbetrieben u.s.w. ausgeführt.

Für eigentliche Eisenbahnen kamen die F. nicht in Verwendung, sie gerieten vielmehr um das Jahr 1900 infolge Anwendung anderer Beförderungsweisen, besonders der Elektrizität, nahezu in Vergessenheit, um 1910 wieder aufzuleben, als sowohl in Deutschland die Firma Schwartzkopf (Berliner Maschinenfabrik), wie auch in Österreich die Lokomotivfabrik Floridsdorf und das Eisenwerk Witkowitz, zum Teil nach Schwartzkopfpatenten deren Bau aufnahm. Die F. fanden nun wieder mehr Anwendung, besonders für Gleisanlagen, auf denen mittels Kranen be- oder entladen wird, da auf solchen die Verwendung elektrischer Oberleitung wegen der möglichen Berührungen mit Kranketten nahezu ausgeschlossen erscheint.

Eine Abart der F. bildeten die Natronlokomotiven Bauart Honigman.

Literatur: Birk, Die feuerlose Lokomotive. Wien 1883, Organ f.d. F. d. E. 1880, Glasers Annalen. Bd. XI u. XII.

v. Littrow.

Abb. 72. Feuerlose Lokomotive.
Abb. 72. Feuerlose Lokomotive.
Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 5. Berlin, Wien 1914, S. 67-69.
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