Diatonisch

[245] Diatonisch. (Musik)

Mit diesem Wort, das aus der griechischen Musik beybehalten worden, bezeichnet man die Tonleiter, die von dem Grundton bis auf seine Octave durch sieben Stufen herauf steiget, von denen zwey Intervalle von halben, die übrigen Intervalle von ganzen Tönen sind. Also machen die Töne C, D, E, F, G, A, H, c, eine diatonische Tonleiter. Alle Stufen darin sind ganze Töne, außer den zweyen E-F, und H-c, die nur halbe Töne sind. Die Veränderung der Ordnung in den Stufen, macht keine Verändrung in dem Namen; denn die Tonleiter bleibt diatonisch, von welchem Ton man auch anfängt, so daß auch diese Reyhe E, F, G, A, H, c, d, e, eben so wol eine diatonische Octav ausmacht, als die vorhergehende. Eben so bleibet der Tonleiter dieser Name, wenn auch gleich die von den neuern eingeführten halben Töne darin vorkommen, wenn nur in der ganzen Octave fünf Stufen ganze, und zwey Stufen halbe Töne ausmachen; so daß auch folgende Tonleiter D, E, Fis, G, A, H, cis, d, diatonisch ist.

Jeder Gesang, der seine Intervalle aus einer solchen Tonleiter nimmt, wird ein diatonischer Gesang genennt; und da dieses in der heutigen Musik fast allezeit geschieht, indem nur in gar wenigen Fällen andre Fortschreitungen vorkommen, so ist eigentlich unsre ganze Musik diatonisch, nur mit der Ausnahm, daß bisweilen einzele chromatische oder enharmonische Gänge darin vorkommen.

Wenn man überall nach einer gleichschwebenden Temperatur1 singen könnte, so wäre der diatonische Gesang nur von zweyerley Art, nämlich der harte und der weiche, weil gar alle harte Tonleitern einander vollkommen gleich wären, so wie auch alle weiche einander gleichen würden. Nach jeder andern Temperatur aber hat jeder Grundton eine ihm eigene diatonische Leiter, die sich, wenn man auch auf kleine Abweichungen der Intervalle sehen will, von jeder andern unterscheidet.2 Indessen kommen gar alle diatonische Gesänge darin mit einander überein, daß keine Intervalle darin vorkommen, die kleiner, als ein halber Ton sind, und daß der Gesang nie durch zwey hinter einander folgende halbe Töne fortschreitet.

Der diatonische Gesang scheinet natürlicher und leichter zu seyn, als irgend ein andrer, der durch kleinere Intervalle fortschreitet oder der mehrere halbe Töne hinter einander hören läßt; selbst die bloße diatonische Tonleiter giebt in der natürlichen Folge ihrer Töne so wol im Auf- als im Absteigen, schon einen leichten und guten Gesang,

Diatonisch

welches bey keiner andern Tonleiter angeht.

[245] Da man aber in der heutigen figurirten Musik selten lang in einem Ton bleibet, indem man den Gesang durch verschiedenen Töne und Tonarten durchführet, so wird das Diatonische bey den Ausweichungen oft unterbrochen. Nur in den Choralen, wo keine Ausweichungen geschehen, wird der ganz reine diatonische Gesang ohne Ausnahm beybehalten, und wird deßwegen von Zarlino der Diatono-diatonische Gesang genennt.

Die Griechen hatten in ihrer Musik auch eine diatonische Tonleiter, die aber von der heutigen etwas unterschieden ist. Das diatonische Tetrachord bestehet aus drey Intervallen, einem großen halben Ton und zwey großen ganzen Tönen, da in unsrer Tonleiter nirgend zwey große Töne auf einander folgen. Aber auch das diatonische Tetrachord der Alten war von verschiedenen Arten, davon Ptolemäus sechs angiebt; Aristoxenus aber zwey. Das gebräuchlichste war das, was Ptolemäus diatonicum dironum nennt, dessen Intervalle waren 2/2 4/5 3/6, 8/9, 8/9; die beyden Arten des Aristoxenus waren nach seiner Art die Quarte zu theilen von folgenden Verhältnissen:

das weiche

12. 18. 30.

oder 10592/10000, 10902/10000, 11547/10000

das harte

21. 24. 24.

oder 10592/10000, 11220/10000, 11220/10000

Von dem Ursprung oder der Erfindung der diatonischen Tonleiter ist im Artikel System gesprochen worden.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 245-246.
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