Intervall

[562] Intervall. (Musik)

Das Verhältnis zweyer Töne in Absicht auf ihre Höhe; oder der Sprung, den die Stimme zu machen hat, um von einem niedrigen auf einen höhern Ton zu kommen. Es liegen zwischen dem tiefsten vernehmlichen Ton und dem höchsten unendlich viel Grade, deren jeder gegen den tiefsten Ton, ein besonderes Intervall ausmacht; so daß die Anzahl der Intervalle unendlich ist. Aber aus dieser unendlichen Menge hat man nur wenige mit besondern Namen bezeichnet, und nach ihrer eigentlichen Größe bestimmt1: nämlich nur die, welche entweder in dem System der Töne, als würkliche Stufen vorkommen, oder doch zur Kenntnis des Systems und zur Beurtheilung der Harmonie dienen; ob sie gleich in dem Gesange selbst nicht vorkommen. Man ist auf die Betrachtung dieser letztern Art der Intervalle gekommen, da man die verschiedenen Stufen, oder Schritte des Tonsystems unter einander vergliechen hat. So hat man in dem diatonischen System die Stufe C-D, welche einen großen Ton 8/9 ausmacht, mit der Stufe D-E, die ein kleiner Ton 9/10 ist, vergliechen, und gefunden, daß dieser um 80/81 kleiner ist, als jener, und diesem Unterschied hat man den Namen Comma gegeben. Auf eben diese Weise hat man den großen Ton 8/9 mit dem halben Ton 15/16 vergliechen, und gefunden, daß jener um 128/135 größer, als dieser sey, und dieses Intervall, das auch eine Art des halben Tones ausmacht, ein Limma genennt. Die vornehmsten Intervalle von dieser Art sind das Comma, die Diesis, das Diaschisma, und das Limma, deren Ursprung und Größe in andern Artikeln angezeiget worden.2 [562] Von diesen Intervallen ist das gemeine diatonische Comma 80/81, am vorzüglichsten zu merken, weil es eigentlich das höchste erlaubte Maaß der Abweichung von der völligen Reinigkeit ist.

Um dieses deutlich zu verstehen, hat man zu bemerken, daß bey dem Gesang C-D-E das Ohr zwischen der erstern Stufe C-D und der andern D E, keinen merklichen Unterschied empfindet, sondern sie für gleich groß hält, ob schon die erstere einen grossen Ton 8/9 und die andre einen kleinen Ton 9/10 ausmacht, der, wie vorher angemerkt worden, um das Comma 80/81 kleiner, als jener ist. Man hat auf der andern Seite gesehen, daß bey dem Sprung einer Octave C-c der letztere Ton vollkommen rein seyn müsse, und daß dem Ohr die geringste Erhöhung oder Vertiefung der Octaven empfindlich und beschwerlich sey. Daraus hat man geschloßen, daß die Octave nothwendig vollkommen rein seyn müsse, da hingegen die Secunde ohne Schaden um ein ganzes Comma höher oder tiefer seyn kann. Bey der Quinte, welche nächst der Octave die vollkommenste Consonanz ist, ist das Gehör weniger empfindlich, als bey der Octav, doch weit mehr, als bey der Terz. Aus diesen Beobachtungen hat man denn den Schluß gemacht, daß dißonirende Intervalle von ihrer Natur nichts verlieren, wann sie um ein Comma (80/81) zu hoch oder zu tief sind; daß aber die consonirenden um kein Comma zu hoch oder zu tief seyn dürfen, ohne etwas von ihrer Natur zu verlieren. Da die kleine Terz zunächst an die Secunde gränzet, so kann sie zur Noth noch ein Comma über sich vertragen; die große Terz aber verträgt dieses weniger, für die Quarten und Quinten aber, wäre der Mangel eines ganzen Comma schon zu beschweerlich. Diese Anmerkung muß man bey der Temperatur des Systems vor Augen haben, um nicht unbrauchbare Intervalle in das System einzuführen. Es ist unnöthig über die kleinern Intervalle, die keine würkliche Stufen in dem System ausmachen, weitläuftiger zu seyn.

Wichtiger ist die Betrachtung der Intervalle, die als würkliche Stufen in dem Gesang vorkommen. Diese haben ihre Namen von der Art, wie die Töne in Noten gesetzt werden, bekommen; und um diese Namen auf einmal zu fassen, darf man nur die Stufen des Notensystems von unten auf mit Zahlen bezeichnen, wie hier.

Intervall

Man muß hier voraussetzen, daß allemal die Stufe, worauf die Note des Haupttones, aus welchem gespielt wird stehet, mit 1 bezeichnet werde. Wenn das Stük aus C gespielt wird, so ist die Bezeichnung, wie bey α; wird aus A gespielt, so ist sie wie bey β. u. s. f. Von da aus werden die andern Stufen der Reyhe nach mit den Zahlen, wie sie auf einander folgen, bezeichnet. Auf diese Weise bekommt der höhere Ton, in Absicht seines Abstandes von dem Grundtone, das ist, das Intervall, den lateinischen Namen der Zahl, womit die Stufe, darauf er steht bezeichnet ist. Also ist D die Secunde, E die Terz, F die Quarte und so fort, von C. Eben dieses gilt auch, wenn man einen andern Ton z. E. A. für den untersten annihmt, wie im zweyten Beyspiel zu sehen ist.

Daher sind ehedem so viel verschiedene Namen der Intervalle entstanden, als in dem System Stufen gewesen. Die Neuern haben diese Namen nicht alle behalten, sondern geben fast allezeit den Tönen, die das Intervall der Octave überschreiten, wieder die Namen, die sie haben würden, wenn die achte Stufe wieder mit 1, die neunte mit 2 u. s. f. bezeichnet wären, wie bey *. Was also nach der ersten Bezeichnung eine None, Decime, Undecime wäre, wird auf diese Art zur Secunde, Terz und Quarte. Diese hat man verdoppelte, oder auch bisweilen zusammengesetzte Intervalle genennt. Doch giebt es auch Fälle, wo die alten Namen: None, Decime u. s. f. müssen beybehalten werden. Um alle Verwirrung zu vermeiden, wird es nöthig seyn, daß wir zeigen, wo dieses geschehen müsse.

Zuvoderst muß man die verdoppelten Intervalle bey Verfertigung eines doppelten Contrapunkts, nach den alten Namen, None, Decime, Undecime u. s. f. benennen, weil sonst leicht eine Verwirrung entstehen könnte. Wenn man z. E. eine Stimme in [563] die Duodecime versetzen will, so muß man sich folgende Vorstellung von der Veränderung der Intervalle vorzeichnen.3 [= (*) im Bild]

Intervall

Zum Contrapunkt in der Quinte aber folgende:

Intervall

Woraus zu sehen ist, daß im erstern Falle die Stimmen ganz anders kommen, als im andern.

Zweytens hat man auch beym Generalbaß in der Bezifferung bisweilen nöthig, die Intervalle nach alter Art zu bezeichnen. Wenn z. E. bey dem Orgelpunkt, der Accord der Septime mit der None so vorkommt, daß diese Dissonanzen, ehe sie aufgelößt werden, etliche Schritte heraufthun, und denn wieder auf ihre vorige Stelle zurüktreten und aufgelößt werden, in welchem Falle die Bezifferung nach der neuen Art Verwirrung machen würde. So wär es ungereimt und unverständlich, wenn man anstatt dieser Bezifferung Intervalldiese brauchen wollte: Intervall.

Drittens giebt es Fälle, wo die None, ihrer Natur und Behandlung nach, von der Secunde unterschieden ist, so daß man ihr, ihren eigenen Namen der None nothwendig lassen muß.4

Nach unserm heutigen System, kann ein und eben dieselbe Stufe ein höheres oder tieferes Intervall anzeigen; weil einige Stufen in der großen Tonart anders sind, als in der kleinen, und weil überdem der Ton auf einer Stufe durch Intervalloder b. erhöhet, oder erniedriget, werden kann. Wenn die Note eines Tones auf derselbigen Stufe bleibet, sie sey ohne Bezeichnung, oder durch Intervallund b erhöhet, oder erniedriget, so behält das Intervall denselbigen Namen, nur mit dem Zusatz groß, oder klein, vermindert, oder übermäßig. Daher bekommt man mehrere Arten der Secunden, Terzen u. s. f. Außerdem aber hat beynahe jeder Grundton, sowol der grössern als der kleinern Tonart, eine von allen andern unterschiedene Tonleiter, wie aus der Tabelle der Tonleiter zu sehen ist.5 Was wir von dem Gebrauch dieser Intervalle anzumerken haben, wird in den besondern Artikeln, über dieselben angeführt. Damit man aber die Namen aller Intervalle, mit ihren genauen Verhältnissen, wie sie in dem von uns angenommenen System vorkommen, auf einmal übersehen könne, wird hier folgende Tabelle eingerükt.


Tabelle der Intervalle


1. Die übermäßige Prime.6 [= (†) im Bild]

Intervall

2. Die kleine Secunde.

Intervall

3. Die große Secunde.7 [= (††) im Bild]

Intervall

[564] 4. Die übermäßige Secunde.

Intervall

5. Die verminderte Terz.

Intervall

6. Die kleine Terz.

Intervall

7. Die große Terz.

Intervall

8. Die verminderte Quarte.

Intervall

9. Die vollkommene Quarte.

Intervall

10. Die übermäßige Quarte.

Intervall

11. Die falsche Quinte.

Intervall

12. Die vollkommene Quinte.

Intervall

[565] 13. Die übermäßige Quinte.

Intervall

14. Die kleine Sexte.

Intervall

15. Die große Sexte.

Intervall

16. Die verminderte Septime.

Intervall

17. Die übermäßige Sexte.

Intervall

18. Die kleine Septime.

Intervall

19. Die große Septime.

Intervall

20. Die verminderte Octave.

Intervall

21. Die Octaven sind alle rein 1/2.8

1Die Größe eines Intervalls wird durch die Länge der beyden Sayten ausgedrükt, welche die Töne angeben. Wenn man z. B. sagt, die große Secunde sey 8/9 so will dieses so viel sagen, daß das Intervall zwischen zwey Tönen, davon der tiefere von einer Sayte angegeben wird, die 9 Fuß lang ist, die höhere von einer Sayte die 8 Fuß lang ist, eine große Secunde sey. Dieses wird im Art. Klang aus führlicher gezeiget.
2S. Comma; Diesis; Enharmonisch; Limma.
3S. Contrapunkt. S. 229.
4S. None.
5S. Tonleiter.
6Diese Einfassung der Zahlen bedeutet so viel, daß das Verhältnis, welches also eingefaßt ist, von dem kurz vorhergehenden auch von dem feinesten Gehör nicht zu unterscheiden sey.
7Diese Einfassung der Intervalle deutet an, daß das so eingefaßte Intervall eben dasselbe sey, als das nächstvorhergehende, und daß es, nachdem es die Tonart erfodert, auf die eine, oder die andere Weise geschrieben werde.
8Man hat in dieser Tabelle, um einige Brüche abzukürzen, den Ton A 96/161 gesetzt, ob er gleich ganz genau 161/270 ist. S. Temperatur.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 562-566.
Lizenz:
Faksimiles:
562 | 563 | 564 | 565 | 566
Kategorien:

Buchempfehlung

Anonym

Li Gi - Das Buch der Riten, Sitten und Gebräuche

Li Gi - Das Buch der Riten, Sitten und Gebräuche

Die vorliegende Übersetzung gibt den wesentlichen Inhalt zweier chinesischer Sammelwerke aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert wieder, die Aufzeichnungen über die Sitten der beiden Vettern Dai De und Dai Schen. In diesen Sammlungen ist der Niederschlag der konfuzianischen Lehre in den Jahrhunderten nach des Meisters Tod enthalten.

278 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon