Manieren

[741] Manieren. (Musik)

So nennet man die Verziehrungen, welche Sänger und Spieler auf gewissen Tönen anbringen, um dieselben von den andern blos schlechtweg angegebenen Tönen zu unterscheiden; dergleichen die Triller, die Vorschläge, die Schleifer und andere Ausziehrungen mehr sind. Sie geben den Tönen, worauf sie angebracht werden, mehr Nachdruk, oder mehr Annehmlichkeit, zeichnen sie vor den andern aus und bringen überhaupt Mannigfaltigkeit und gewisser maaßen Licht und Schatten in den Gesang. Sie sind nicht als etwas blos künstliches anzusehen: denn die Empfindung selbst giebt sie oft an die Hand, da selbst in der gemeinen Rede die Fülle der Empfindung gar oft eine Abänderung des Tones und eine Verweilung auf nachdrüklichen Sylben hervorbringet, die den Manieren in dem Gesang ähnlich sind. Besonders haben zärtliche Empfindungen dieses an sich, daß sie Accente von mancherley Art auf die Töne legen, auf denen die Leidenschaft vorzüglich stark ist. Dieses hat unstreitig die verschiedenen Manieren im Gesang hervorgebracht.

Hieraus folget aber, daß der Sänger sie nicht willkührlich und wo es ihm einfällt geschikt zu thun, sondern nur da, wo die Empfindung es erfodert, anbringen könne. Es ist nicht genug, daß man alle Manieren auf das zierlichste und nachdrüklichste zu machen wisse; die Hauptsache besteht in der verständigen Anbringung derselben; sie sollen nicht dienen das Ohr zu kizeln, oder die Geschiklichkeit des Sängers und Spielers zu zeigen, sondern die Empfindung zu heben. Unverständige Spieler bringen sie überall an und erweken nur Ueberdruß dadurch; ja es geschiehet bisweilen, daß man den natürlichen Lauf des Gesanges vor den häufigen Manieren nicht mehr bemerken kann. Es zeiget eine große Verderbnis des Geschmaks an, daß man im Gesang überall die Fertigkeit und Beugsamkeit der Kehle der Sänger bewundern will. Dieses hat den großen Mißbrauch der überhäuften Manieren eingeführt und viele Sänger desto nachläßiger gemacht auf den wahren Nachdruk des Gesanges zu denken.

Einige Manieren sind so wesentlich, daß die Tonsezer sie auf den Stellen, wo sie angebracht werden sollen, vorschreiben; andre werden der Willkühr der Sänger überlassen. Die wesentlichsten Manieren sind die Triller, die Vorschläge und einige damit verwandte Verziehrungen, davon an ihren Orten besonders gesprochen wird.1 Ueber alle Manieren und deren Gebrauch und Mißbrauch findet man sehr gründlichen Unterricht in Agricolas Uebersezung der Anleitung zur Singkunst des Tosi im zweyten und dritten Hauptstück.

1S. Triller. Vorschlag.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 741.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: