Nachdruk

[800] Nachdruk. (Schöne Künste)

Man schreibet den Mitteln, wodurch wir in andern Vorstellungen oder Empfindungen erweken, Nachdruk zu, wenn sie eine vorzügliche Kraft haben den Geist oder das Herz lebhaft anzugreifen. Wenn Cäsar dem Brutus, den er unter seinen Mördern gewahr wird, zuruft: καμ συ τεκυον auch du mein Sohn! so liegt ein großer Nachdruk in dieser Art der Anrede. Der Name Sohn, den er seinem Mörder giebt, und der im griechischen noch zärtlicher klinget, und selbst das sonst unbedeutende καμ geben dieser Anrede ungemeine Kraft zur Rührung. Der Nachdruk liegt hier in vielbedeutenden Nebenbegriffen, die durch diese Art des Ausdruks erwekt werden. Bisweilen entstehet er blos aus dem Ton, welchen die Worte in dem mündlichen Vortrage bekommen. In der Musik ist der Ton richtig angegeben, der genau die Höhe hat, die er haben soll; nachdrüklich aber wird er, wenn er mit mehr Stärke, oder Zärtlichkeit, oder mit einer andern, dem Ausdruk sehr angemessenen, Modification, bebend, oder gestossen, oder geschleift, mit sich hebender oder mit sinkender Stimme, angegeben wird. In der Mahlerey ist ein Gegenstand richtig ausgedrükt, wenn Zeichnung und Farbe so sind, daß er mit Leichtigkeit erkannt wird: nachdrüklich aber wird er, wenn wir durch Zeichnung oder Farbe ein besonderes Leben, eine besondere Kraft der Deutung an ihm gewahr werden.

Die Werke der Kunst müssen überhaupt das an sich haben, daß sie mit Nachdruk auf die Vorstellungskraft oder auf die Empfindung würken, und sie bekommen diese Kraft überhaupt durch die verschiedenen Arten des Aesthetischen, das darin liegt.1 [800] Aber von diesem allgemeinen Nachdruk ist hier nicht die Rede, sondern nur von dem, der einzele Stellen vor andern auszeichnet. Jeder Theil muß außer der Richtigkeit des Ausdruks, auch das Gepräge des guten Geschmaks haben; aber Nachdruk muß nur auf die wesentlichsten Theile gelegt werden. Wer jedes Einzele nachdrüklich machen will, wird im Ganzen gezwungen und ohne Nachdruk. So suchten die späthen griechischen Rhetoren, auch einige römische Schriftsteller, die nach der goldenen Zeit des Geschmaks kamen, jedem einzelen Gedanken eine schöne Wendung, oder eine andere ästhetische Kraft zu geben, um überall nachdrüklich zu seyn, und eben dadurch wurden sie unnatürlich, und sanken durch die Mittel, wodurch sie sich auf die Höhe ihrer Vorgänger schwingen wollten, tief unter dieselben herab. Auch in unsrer deutschen Litteratur zeigen sich schon hier und da Spuhren dieses sinkenden Geschmaks: wir haben auch schon Schriftsteller, die in jeder einzelen Redensart wizig, oder nachdrüklich, oder höchst empfindsam zu seyn suchen, und nicht bedenken, daß der Nachdruk im Einzelen, eine Würze sey, die mit sparsamer Hand einzustreuen ist; weil aus bloßem Gewürze keine gesunde Speise kann gemacht werden.

Es gehöret eine reife Beurtheilung dazu, daß das Nachdrükliche nicht gemißbraucht, sondern nur auf die Stellen eines Werks gelegt werde, die ihrer Natur nach von vorzüglicher Würkung seyn sollen. Hierüber lassen sich keine Regeln geben; der Künstler muß sich entweder bewußt seyn, oder durch ein vorzüglich richtiges Gefühl in dem Feuer der Begeisterung selbst, empfinden, wo eine vorzügliche Kraft nöthig sey. Die Mittel den Nachdruk zu erreichen sind sehr vielfältig, und liegen bald in dem Gegenstand selbst, bald in dem Ausdruk desselben. Jede Art der ästhetischen Kraft kann den Nachdruk bewürken. Der Künstler dem es nicht an richtiger Urtheilskraft fehlet, wird in jedem besondern Fall eine gute Wahl derselben treffen. Der Dichter wird aus Betrachtung der Personen und der Umstände für die er dichtet, bald in der roheren, bald in der feineren Empfindung, izt in einem völlig natürlichen, denn in einem verfeinerten Ausdruk; einmal in einem wilden, ein andermal in einem gemäßigten Rhythmus; bald in kühnern, bald in bescheidenen Figuren und Tropen, den wahren Nachdruk zu finden wissen.

Ein neulicher Kunstrichter2 scheinet zu bedauren, daß unsre Dichter nicht mehr so durchaus nachdrüklich sind, wie die alten Celtischen Barden gewesen. Er scheinet zu wünschen, daß man izt noch so dichtete, wie die nordischen Barden vor zweytausend Jahren gedichtet haben. Aber er hat nicht bedacht, daß bey einem Volke, wo die Vernunft schon merklich entwikelt und die Empfindung verfeinert worden, nicht alles blos rohes Gefühl seyn könne, und daß der Dichter in dem Geist seiner Zeit singen müsse. Jedermann wird gestehen, daß es für einen Irokese eine höchst reizende Sache sey, aus dem Hirnschädel seines Feindes starkes Getränk zu trinken und dabey wilde Siegeslieder anzustimmen, wo Ton, Rhythmus und Worte von der heftigsten Leidenschaft angegeben werden. Aber wir sind nicht Irokesen, unsre Krieger sollen nicht in die Wuth gesezt werden, das Blut der erschlagenen Feinde zu trinken, oder ihr Fleisch zu braten. Die Schlüsse des Verfassers führen noch weiter, als er selbst denkt, denn sie beweisen, daß die Dichter nicht singen, sondern brüllen und heulen müßten, wie der noch ganz wilde Mensch in der Leidenschaft wird gethan haben. Denn ohne Zweifel ist das unartikulirte Heulen noch weit nachdrüklicher, als die ausgesuchteste Klage in bedeutenden Worten. Es geht also gar nicht an, daß man sich zur Regel mache in den Künsten durchaus den größten Nachdruk zu suchen. Daraus würde folgen, daß man auf der Schaubühne bisweilen die Menschen lebendig schinden müßte; denn dieses wär doch an sich betrachtet das nachdrüklichste Mittel Schreken und Abscheu zu erweken.

Der Nachdruk der in den Werken der redenden Künste und der Musik aus dem Vortrag entstehet, verdienet ein besonderes Studium. Die kräftigsten Stellen können durch den Mangel des Nachdruks im Vortrag schwach werden. Die Hauptkunst des guten Vortrages besteht in dem gehörigen Nachdruk durch den sich einige Theile vor andern auszeichnen. Davon aber wird an einem andern Orte besonders gesprochen werden.3

1S. Aesthetisch.
2Der Verfasser der Briefe über den Oßian in dem Werk gen, das unter dem Titel von deutscher Art und Kunst in Hamburg herausgekommen ist.
3S. Vortrag.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 800-801.
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