Wiz

[1273] Wiz. (Schöne Künste)

Das Wort bedeutet ursprünglich überhaupt, was man izt im allgemeinen Sinn Verstand, oder einen guten Kopf nennt, und ehedem nennte man einen Menschen von vorzüglichen Gaben des Geistes, einen wizigen Menschen. Gegenwärtig hat es einen etwas eingeschränktern Sinn, und man stellt sich izt, wenigstens in der gelehrten Sprache, den Wiz als eine besondere Gabe des Geistes vor, die vornehmlich in der Fertigkeit besteht, die mancherley Beziehungen und Verhältnisse eines Gegenstandes gegen andere schnell einzusehen und lebhaft zu fühlen. Doch scheinet diese Erklärung den Begriff nicht bestimmt und vollständig genug auszudrüken. Da es aber hier nicht um eine psychologische Zergliederung des Wizes zu thun ist, so begnügen wir uns den Wiz vornehmlich in Rüksicht seines Einflusses auf die Werke des Geschmaks zu betrachten.

Man kommt durchgehends darin überein, daß eine lebhafte Einbildungskraft die Grundlage des Wizes ausmache, und daß der, den man vorzüglich einen wizigen Kopf nennet, in seinen Vorstellungen mehr von einer lebhaften Phantasie, als von Verstand im eigentlichen philosophischen Sinne dieses Worts, geleitet werde. Wie nun der Verstand überall auf deutliches und entwikeltes Denken ziehlet, so scheinet der Wiz auf sinnliche, aber lebhafte sehr klare Vorstellungen zu lenken. Der Verstand zergliedert und betrachtet jeden Begriff, jede Vorstellung nach dem Einzelen, das darin ist, und findet seine Befriedigung in vollständiger Zergliederung; der Wiz aber faßt den Begriff gern im Ganzen, mit sinnlicher Klarheit und bestrebt sich, ihn lebhaft zu fühlen: darum verfährt er schnell, da der Verstand langsamer geht. Die lebhafte Einbildungskraft des wizigen Kopfes erweket bey jedem Begriff eine Menge andrer Vorstellungen, die nach den Gesezen der Einbildungskraft einige Beziehung darauf haben. Aehnlichkeit, Contrast und jede andere, innere oder äußere Beziehung, bringt dem wizigen Kopf, indem er eine Vorstellung lebhaft empfindet, jene andere damit verbundene, zugleich in die Phantasie. Dadurch wird die Lebhaftigkeit der Vorstellung erhöhet; sie gefällt oder mißfällt dem wizigen Kopf mehr, als dem Menschen von Verstande.

Da die Einbildungskraft sich mehr mit dem äusserlichen Ansehen der Dinge, mit ihrer Form und Gestalt, als mit ihrer innern Beschaffenheit beschäftiget, so dringet der Wiz auch nicht tief in die Sachen hinein; der Schein befriediget ihn, wo der Verstand Würklichkeit oder Realität sucht. Indessen kommt es auch hiebey auf den Grad des Scharfsinnes an, der mit dem Wiz verbunden ist. Fehlet sie ihm, so artet dieser in Albernheit aus. Nichts ist verständigen Menschen ekelhafter und abgeschmakter, als die Aeußerungen einer lebhaften Einbildungskraft, die ganz von Beurtheilung verlassen ist.

Es scheinet, daß die Hauptneigung des wizigen Kopfes darauf gehe, daß er sich mit dem, was die Dinge, die er sich vorstellt, gefallendes oder mißfallendes haben, beschäftige. Wie die Kinder mit dem Gelde spiehlen und keinen Unterschied zwischen gemünztem Gold und den so genannten Zahl- oder Rechenpfennigen machen, gerade so geht der Hang des Wizes auf das, was die Vorstellungen an sich ergözendes haben, ohne auf den anderweitigen Gebrauch derselben zu sehen. Eine Begebenheit, die sich auf Glük oder Unglük bezieht, und die andern ihrer Folge halber merkwürdig ist, rührt den wizigen Kopf mehr durch ihre Beschaffenheit, als durch ihre Folgen; er lacht bisweilen über das, was andern Thränen auspreßt, und ärgert sich, wo andre sich freuen. An sich selbst betrachtet ist der Wiz leichtsinnig, indem er die Dinge nicht in ihren Folgen oder Würkungen, sondern in ihren Beziehungen auf die Beschäftigung der Einbildungskraft, beurtheilt; er ist uneigennüzig und ergözt sich an Dingen, die der nachdenkende Verstand für schädlich halten würde. Es ist daher nicht selten, daß bey Menschen von recht herrschenden Wiz, wenig Herz, das ist, wenig von den sonst gewöhnlichen Empfindungen zärtlicher Art, angetroffen wird.

Dieser starke Hang jedes Ding in dem, was es in seiner Beschaffenheit oder Form lustiges, gefälliges oder ergözendes hat, zu betrachten und zu genießen, macht den Wiz erfinderisch bey jeder Vorstellung, aus dem ganzen Vorrath der in der Einbildungskraft liegenden Begriffe, alles herbey zu rufen, was zur Belebung der Hauptvorstellung dienet. Daher kommen die vielen Bilder, die mannigfaltigen Vergleichungen, die Nebenbegriffe [1274] und seltenen Einfälle, in den Reden des wizigen Kopfes.

Es erhellet hieraus, daß der Wiz eine der Grundlagen des zur Kunst nöthigen Genies sey. Denn da die lebhafte Rührung der Einbildungskraft eine der nothwendigsten Würkungen der Werke des Geschmaks ist, der Wiz aber gerade dahin zielt, so ist er eines der Hauptmittel einem Gegenstand, der an sich nicht Reizung genug hätte, ästhetische Kraft zu geben. Eine an sich unbedeutende Begebenheit, von einem wizigen Kopf erzählt, kann sehr unterhaltend werden. Der gemeineste Gedanken, die Schilderung des unerheblichsten Gegenstandes, gewinnt durch den Einfluß des Wizes einen Reiz, der ihn für Menschen von Geschmak höchst angenehm macht.

Wenn er aber in Werken des Geschmaks diesen Dienst leisten soll, so muß er mit Scharfsinn verbunden und von Verstand und guter Beurtheilung geleitet werden. Ohne Scharfsinn wird er leicht falsch, ausschweifend und so gar abgeschmakt; und wenn ihn nicht eine richtige Beurtheilung begleitet, so wird er unzeitig, abentheuerlich, übertrieben und schädlich.

Man muß überhaupt die Aeußerungen des Wizes als ein Gewürz ansehen, und gerade den Gebrauch davon machen, der bey Zurichtung einer Mahlzeit von diesem gemacht wird. Ganz von Gewürze wird kein Gericht gemacht; doch etwa ein kleines Schälchen, mehr zur Wollust, als zur Nahrung, hingesezt. Aber jede zur Nahrung bestimmte Speise wird damit etwas erhöhet; es sey denn, daß sie schon an sich hinlänglichen Reiz für den Geschmak habe. Gerade so verhält es sich mit dem Wize. Blos wizig können kleinere zur Ergözung und zum Scherz gemachte Werke der Kunst seyn; aber in größern Werken, die schon eine höhere Bestimmung haben, muß er niemals herrschend seyn, sondern blos der schon an sich wichtigen Materie einen etwas erhöheten Geschmak geben.

Zu viel Wiz, auch da, wo sein mäßiger Gebrauch nöthig ist, ermüdet, unterdrükt die, den Geist und das Herz nährenden Kräfte, die schon in dem Stoff liegen, und macht, daß das, was nüzlich seyn sollte, blos angenehm wird. Ist er einmal im Reiche des Geschmaks herrschend geworden, so thut er eben die verderbliche Würkung, die der unmäßige Gebrauch des Gewürzes in der Lebensart der Wollüstlinge thut, die allen Geschmak an nahrhaften und gesunden Speisen verliehren, und deswegen in eine Weichlichkeit versinken, in der alle Stärke des Körpers verlohren geht. Verschwendung des Wizes zeiget allemal den Verfall des Geschmaks; und ein Volk das in Werken des Geschmaks sich vorzüglich nach Wiz umsieht, ist schon so verdorben, daß die schönen Künste die heilsameste Würkung, die man von ihnen zu erwarten hat, an ihm nicht mehr thun können. Die gründlichste Rede, darin ein solches Volk zu ernstlicher Ueberlegung dessen, was zu seinem wahren Interesse dienet, ermahnet würde, thäte weniger Würkung, als ein wiziger Einfall. Weit mehr richten die schönen Künste bey einem Volk aus, dessen Geschmak noch rauh und ungeläutert ist, als bey dem, dessen Geschmak durch übertriebenen Gebrauch des Wizes die Schwächung der Weichlichkeit erfahren hat. Darum sollten Kunstrichter, denen die Ausbreitung des wahren und gründlichen Geschmaks am Herzen liegt, auf nichts mehr wachen, als auf die Hintertreibung des Mißbrauches, der insgemein von dem Wize gemacht wird, so bald die schönen Künste bis zu einer gewissen Verfeinerung getrieben worden.

Da der Wiz eigentlich dazu dienet, daß gewisse Vorstellungen, die in ihrer wesentlichen Beschaffenheit die Aufmerksamkeit nicht genug reizen, dadurch Leben und ästhetische Kraft bekommen; so versteht es sich von selbst, daß sein Gebrauch bey Gegenständen, die an sich Lebhaftigkeit und Reizung genug haben, überflüßig, auch wol gar schädlich sey. Wie er einen gemeinen Gedanken erhebt, so benihmt er einem starken und wichtigen etwas von seiner Kraft, indem er die Aufmerksamkeit von dem Wesentlichen auf etwas Zufälliges lenket. Wo der Verstand durch große und wichtige Wahrheit zu erleuchten, oder wo das Herz durch pathetische, oder zärtliche Gegenstände zu rühren ist, da bleibt der Wiz ausgeschlossen. So unumgänglich er zu blos unterhaltenden Werken, zu dem lustigen Schauspiehl und zu der spottenden Satyre ist, so übel wär er in dem Trauerspiehl und in andern pathetischen Werken angewendet. Je feiner er ist, je mehr beleidiget er den guten Geschmak, wo das Herz blos empfinden, oder der Verstand blos erkennen und beurtheilen will.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 1273-1275.
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