Asen

[72] Asen (Nord. M.), allgemeiner Name der Götter des Nordens. Nach Einigen soll schon bei Sueton eine Spur ihres Namens zu finden sein, welcher im Leben des Augustus sagt: »Unter die Vorboten von Augusts Tode und seiner darauf folgenden Vergötterung ist auch der Umstand zu zählen, dass an einer ihm erbauten Ehrensäule der Blitz das C an seinem Titel (Namen) verlöschte, so dass statt CAESAR Augustus nunmehr AESAR übrig blieb, welches Wort in der etruskischen Sprache die Götter bedeutet (Isländisch: As, Plural: Asir), und es ist offenbar hierdurch angezeigt worden, dass Augustus binnen C (hundert) Tagen zu den Göttern versetzt werden würde.« Wenn nun auch nicht zu läugnen ist, dass die Aehnlichkeit des etruskischen AESAR mit dem isländischen Aesir auffallend genannt werden muss, so steht dieses Beispiel doch so ganz vereinzelt da, dass wir schwerlich berechtigt sind, darauf fortzubauen, um so weniger, als es uns an weiteren Beweisen der Sprach- und Religionsverwandtschaft fehlt. Erst 300 Jahre später finden wir das Wort A. wieder bei Hesychius, welcher sagt: »Asoi theoi apo Tyrrhenôn,« die Asen, Götter bei den Tyrrhenern. Noch 300 Jahre später (550 n. Chr.) hören wir von Jornandes, dass die Gothen nach einem glänzenden Siege über das Heer des Domitian ihre Feldherren für Götter hielten und A. nannten. Dazu kommt, dass sich noch in mehreren Sprachen, z.B. der galischen, ostiakischen, assanischen, das Wort As als Bezeichnung der höchsten Gottheiten nachweisen lässt; ja, darf man den Sprachforschern trauen, so heisst Mithr-As, der oberste Gott der Perser, im Persischen nichts weiter, als der herrliche, der grosse Ase. Desto auffallender ist es, von einem der ältesten Schriftsteller des skandinavischen Nordens, Snorri Sturleson, zu hören, dass dieser Göttername auch zugleich Name eines in frühem Alterthum im Norden eingewanderten Volkes sein soll. Er sagt: »Der Fluss Tanaquisl (Tanais, Don) theilt die Welt in drei Theile; ostwärts heisst sie Asia, westwärts Europa. Das Land im Osten bat man Asaheim, und die Hauptstadt Asaburg genannt. In dieser Burg befand sich der bekannte Häuptling Odin. Es war dort eine grosse Opferstätte und zwölf Tempelvorsteher, die als Oberpriester über die Opfer und zugleich über die Rechtspflege des Landes gesetzt waren; man nannte sie Diar oder Drottnar (Götter oder Herren), und alles Volk muss ihnen dienen und hohe Verehrung bezeugen. In dem Türkenlande hatte Odin grosse Besitzungen. Zu der Zeit breiteten die Häuptlinge der Römer ihre Waffen über die ganze Welt aus, und zwangen alle Völker unter ihre Botmässigkeit; es flohen daher manche Häuptlinge aus ihrem Lande. Da Odin ein Prophet war, so wusste er, dass seinen Nachkommen bestimmt sei, in der Nordhälfte der Welt zu wohnen; er setzte daher seine Brüder We und Wili über sein Reich, und zog mit den zwölf Diar aus dem Lande, erst nordwärts nach Garda-riki (Russland, wo man noch viele Spuren einer früheren Beherrschung durch Normänner findet), und von da südwärts nach Sachsen. Odin liess seine Söhne in den Ländern, die er sich erobert, als Beherrscher zurück, er selbst aber ging zur See, nordwärts, und nahm seinen Wohnsitz auf einer Insel, welche jetzt Odins-ei (Odensee) heisst. Nun schickte er Gefion (eine der vier höchsten Göttinnen der A.) aus, um neues Land zu suchen; sie kam zu Gylfe, welcher ihr so viel Land anwies, als sie in einem Tage mit vier Stieren würde umpflügen können. Da sie von einem Riesen aus Jotunheim vier Söhne hatte, verwandelte sie diese in Stiere, und sie zogen an dem Pfluge so gewaltig, dass sie ein mächtiges Stück Land von dem Reiche der Gylfe abrissen und in die See brachten; dieses hiess man Seeland, hier wohnte sie und vermählte sich mit Odins Sohne Skiold. Wo aber dieses Stück Land vorher gewesen war, entstand nun der Mälersee, in welchem daher eben so viele Buchten sind, als Vorgebirge an Seeland. Odin hörte von der Trefflichkeit des Landes und ging dahin, wählte sich einen Platz zum Wohnsitz und führte dort einen grossen Tempel nach Sitte der A. auf, gab jedem der zwölf Tempelvorsteher eine Wohnung, Noatun dem Niord, Upsal dem Freyr, Himinbiorg dem Heimdal, Theudwang dem Thor, Breidablik dem Balder etc. So wurden denn, wie in Asien, so nun im Norden, dem Odin und seinen zwölf Begleitern, als eben so vielen Göttern, Opfer gebracht, und man betete sie lange Zeit als Götter an.« So wären denn, nach der Ansicht des ältesten nordischen Historikers, die A. ein im Norden eingewandertes, gebildetes Hirtenvolk, das durch seine Tapferkeit sich die Länder, und durch seine geistige Ueberlegenheit die Gemüther unterwarf, Künste und Wissenschaften verbreitete, und so sein göttliches Ansehen befestigte. Die A. männlichen Geschlechts waren: Odin, das Oberhaupt derselben; Thor, der Stärkste von Göttern und Menschen; Freyr, der Gütigste, der Sonnenschein, Regen und gedeihliche Witterung verleiht; Vidar, der Verschwiegene; Balder, der Beste, von glänzender Gestalt; Ali oder Vali, der geschickte Bogenschütze; Niord, der den Gang des Windes leitet; Heimdal, der Wächter an der Himmelspforte; Uller, ein muthiger Krieger; Forsete, ein Schlichter aller Uneinigkeiten; Tyr, der Gott der Kühnheit und Unerschrockenheit; Braga, Gott der Dichtkunst; Hoder, der Blinde. Die weiblichen A. heissen: Frigga, Odins Gemahlin; Iduna, Göttin der Unsterblichkeit; Freya, Göttin der Liebe; Jord (Erde), mit Frigga dieselbe Person und Thors Mutter; Gerda, Freyrs Gattin; Laga, Odins Gesellschafterin; Rinda, Vali's Mutter; Gefiona, Göttin der Jungfrauen; Fulla, Dienerin und Vertraute der Frigga; Löben oder Lofn, Göttin der ehelichen Liebe; Eira, Göttin der Arzneikunde; Siöna oder Siöfna, Göttin der Zärtlichkeit; Surtra, Göttin der Klugheit; Syn, Göttin der Gerechtigkeit; Vör, Göttin der Herzensprüfung, die alle Geheimnisse kennt; Var, Göttin der Treue und Wahrheit; Alyn, Freundin der Frigga und Schutzgöttin der Menschen; Gna, Botin der Götterkönigin Frigga; Sol, die Sonne; Beyla oder Bil, Freya's Dienerin. Auch müssen hierzu noch die Nornen, Göttinnen der Zeit und des Schicksals, und die Walküren, Göttinnen der Schlacht, gerechnet werden. Aber so mächtig auch alle diese Göttinnen sind, und so unbedingt sie im Himmel und auf Erden gebieten, werden sie doch am Ende der Welt vernichtet. Alfadur allein, dessen Wirksamkeit weder an Zeit noch an Raum gebunden ist, herrscht ewig; allein er ist auch kein sterblicher Ase, sondern ein unsterblicher, ewiger Gott.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 72.
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