Dioscuren

Fig. 97: Dioscuren
Fig. 97: Dioscuren
Fig. 98: Dioscuren
Fig. 98: Dioscuren

[169] Dioscuren, (Gr. M.), »Jupiters Knaben«, die Brüder Castor und Pollux, auch Tyndariden genannt, weil Tyndareus, König von Sparta, Anfangs für ihren Vater galt. Ihre Mutter war Leda, Tochter des Thestius, Gemahlin des Tyndareus. In den Angaben über ihre Erzeugung von väterlicher Seite wechselt die Sage auf das Manchfaltigste und wunderlichste. Homer nennt sie einfach Söhne des Tyndareus; später jedoch tritt der Mythus dazwischen, wonach Jupiter in Gestalt eines Schwans sich zu Leda gesellt, welche in Folge davon ein Ei zur Welt bringt, aus welchem nach Einigen Castor, Pollux und Helena als Drillinge hervorgehen, nach Anderen nur die beiden Brüder als Zwillinge. Nach der verbreitetsten Annahme jedoch sind Pollux und Helena Kinder der [169] Leda von Jupiter, Castor und Clytämnestra dagegen Kinder derselben Mutter von Tyndareus, daher Pollux unsterblich, Castor aber sterblich. Die beiden Knaben wurden von Tyndareus in allen ritterlichen Kenntnissen oder Geschicklichkeiten geübt, doch zeichnete sich Pollux als Faustkämpfer, Castor aber als Wagenlenker aus. Beide werden von Mercur oder Juno mit zwei unübertrefflichen Rossen beschenkt. Sehr jung noch, ernteten sie schon hohen Ruhm ein, indem ihre Schwester Helena, zu wunderbarer Schönheit erblüht, von Theseus geraubt worden, und bei Athen auf der festen Burg Aphidnä verwahrt war. Sogleich machten die Jünglinge sich auf, erstiegen die Burg und führten triumphirend die Schwester zurück, als Sklavin Theseus' Mutter, Aethra, mit sich hinweg nehmend, welche nicht früher, als nach der Eroberung von Troja, durch ihren Enkel Demophoon befreit wurde. Die Jünglinge machten später die calydonische Jagd mit, zeichneten sich schon dabei, aber noch mehr auf dem Argonautenzuge aus. Phöbe und Hilaira, zwei schöne Mädchen, Töchter des Leucippus, wurden von den D. geliebt und entführt. Pollux verband sich mit Phöbe, und erhielt von ihr einen Sohn Mnesileus, Castor aber von Hilaira den Anogon. Der Raub blieb nicht ungerächt, beide Mädchen waren von ihren Eltern schon an die beiden Söhne des Aphareus, Indas und Lynceus, versprochen; diese überzogen nun die D. mit Krieg, in welchem der sterbliche Castor blieb. Pollux rächte seinen Tod, war aber über den Verlust des Bruders untröstlich. Jupiter bot ihm Ersatz, indem er ihm den Olymp öffnete, doch liebte er seinen Bruder so sehr, dass er ohne diesen keinen Gebrauch von des Vaters Güte machen wollte, und da Jupiter dem schon Gestorbenen die Unsterblichkeit nicht mehr ertheilen konnte, so erlaubte er dem Pollux, seine Unsterblichkeit zur Hälfte an seinen Bruder zu verschenken, und so bringen beide vereint die Hälfte der Tage neben einander im Grabe, die andere auflebend im Olymp zu; oder es ist jeder, getrennt vom andern, den einen Tag im Himmel, den andern in der Unterwelt. Immer findet man sie, in folge dieser Liebe, vereint dargestellt. Siehe Fig. 97 (geschnittener Stein): Köpfe der Dioscuren mit Lorbeerkronen; Fig. 98 reiten sie in entgegengesetzter Richtung davon: Anspielung auf ihren nie gemeinschaftlichen, wechselnden Aufenthalt im Himmel und in der Unterwelt. Häufig bemerkt man über ihren Köpfen einen Stern oder ein Flämmchen, welches man ihnen, als Schutzgöttern der Seefahrer, beilegte, indem man glaubte, dass sie in den electrischen Funken oder Strahlenbüscheln, welche sich häufig bei Ungewittern an den Spitzen der Masten zeigen, gegenwärtig seien, und daher diese zu ihrem Attribut machte. Auch in dem Morgen- und Abendstern denkt man sie sich vereint auf- und absteigend zwischen Orcus und Olymp. In dem Gestirn, die Zwillinge, sind ihre Namen verewigt; Gemini.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 169-170.
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