Hieroglyphen

[248] Hieroglyphen, die heilige Bildersprache der Aegypter, deren Entstehung man dem Nilkalender zuschreibt, welcher die mit dem Steigen und Fallen dieses Flusses in Verbindung stehenden Himmelszeichen und Erscheinungen in eine Bilderschrift brachte, die damals wohl Jedem verständlich sein mochte, indem sie im entgegengesetzten Falle ganz unbrauchbar gewesen wäre. Sie sollten den gemeinen Mann von der Zeit unterrichten, in welcher der Nil steigen oder fallen würde. Aus den Bildern entstand ein Bilderdienst, und in Verbindung mit diesem eine geheime Bilderschrift, welche, weil nur die Priester den Schlüssel dazu hatten, für heilig gehalten wurde. Champollion glaubt, den Schlüssel in der Trennung der vermischten Zeichen gefunden zu haben, und theilt daher die H. in solche, die Töne bezeichnen (Silben, Buchstaben), und in solche, die Begriffe andeuten. Zoëga theilt sie in vollständige Bilder der Natur und Kunst, in Umrisse und allgemein ausgedrückte Bilder sinnlicher Gegenstände: in umschreibende, welche den Gegenstand andeuten, wie die Schlange Gesundheit, der Hund Wachsamkeit; in räthselhafte und in Wort-H. So heisst der Habicht in der Sprache der Aegypter Baieth, soll aber die im Herzen wohnende Seele andeuten, denn Bai heisst Seele, und Eth heisst Herz. Ausser diesen classificirten H. finden sich noch über tausend verschiedene Charaktere, welche Champollion Buchstaben, Schriftzeichen nennt; darunter finden sich mancherlei Bilder von Thieren, Pflanzen, Kunsterzeugnissen, Waffen, Werkzeugen, Schiffen, Gliedern menschlicher und thierischer Körper, Mumien, wunderlich zusammengesetzte[248] Thier- und Menschen - Gestalten etc. Die Epochen der Bilderschrift sind aus dem Gange der Geschichte ziemlich klar; die Uranfänge sind da zu suchen, wo man noch keine Buchstabenschrift hatte; ihre geheime Anwendung zu den Zeiten, in welchen die Priester sich als heilig von dem Volke sonderten; die Vermischung der griechischen Religionslehren mit den ägyptischen brachte die eigentliche Bedeutung in Vergessenheit; und als man im Anfange des Christenthums sich derselben Zeichen für magische, gnostische, chemische, theurgische und astrologische Phantasien bediente, verschwand der alte Sinn derselben so ganz, dass man schwerlich mehr die vollständige Entzifferung zu finden vermag.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 248-249.
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