Mexikanische Hieroglyphen

[730] Mexikanische Hieroglyphen. Die alten Mexikaner kannten keine Schrift. Aber sie hatten ein System der Gedankenübermittelung und der Auszeichnung und Aufbewahrung von Vorgängen und Ereignissen durch Malereien zu einer hohen Vollendung ausgebildet. Insbesondere wußten sie Namen von Personen und Orten durch kombinierte Bilder, echte Hieroglyphen, wiederzugeben, deren einzelne Elemente den Wörtern oder Wurzeln, die in dem Namen erkennbar waren, entsprachen.

Mexikanische Hieroglyphen.
Mexikanische Hieroglyphen.

Die einzelnen Bilder selbst waren teils mehr oder minder gut gezeichnete und erkennbare Abbilder der Gegenstände selbst, teils konventionell gewordene Zeichen und Symbole derselben, und die Farbengebung bildete ein wesentliches Element bei der Zusammensetzung dieser Hieroglyphen. So war Fig. 1 das konventionelle Zeichen für einen Berg (tepe-tl), ein Element, das in vielen Ortsnamen vorkommt. Für gewöhnlich wurde dieser mit grüner Farbe gemalt. Malte man ihn aber rot, so gab das den Ort Tlatlauhqui-tepec, »am roten Berge«. Malte man ihn schwarz, den Ort Tlil-tepec. Malte man ihn ganz oder zum Teil mit kleinen weißen Kreisen auf schwarzem Grunde, so gab das den Namen Citlal-tepe- tl, »der Sternenberg«. Malte man ihn mit schwarzen Punkten auf weißem Grunde, so erhielt man den Namen Tizatepetl, »der weiße Kreideberg«. Zeichnete man aber an dem grün gemalten Berge mit brauner, der Menschenhaut entsprechender Farbe eine Nase, wie in Fig. 2, so gab das den Ortsnamen Tepeyacac, »an der Bergnase«, »am Bergvorsprung«. Zeichnete man in ihn hinein ein paar weiße Zähne (tlan-tli), vom roten Zahnfleisch sich abhebend, wie in Fig. 3, so gab das wieder einen andern Ortsnamen Tepe-titlan, »zwischen den Bergen«. Und zeichnete man den Berg transformiert in einen offenen zähnestarrenden Tierrachen, wie in Fig. 4, so las man das als Oztotl, »Höhle«. Wie die sprachlichen Elemente in höchst mannigfaltiger Weise sich zu Namen kombinierten, so entsprach denn auch eine unendliche Variation in der Kombination der Bilder. Dabei wurde im allgemeinen die eigentliche Bedeutung der sprachlichen Elemente in den Hieroglyphen festgehalten. So findet sich in den beiden Ortsnamen Quauhnauac und Quauhtinchan dasselbe Element quauh. In dem erstern Fall aber bedeutet es »Baum«, denn Quauhnauac heißt »am Rande des Waldes«; in dem letztern Fall aber »Adler«, denn Quauhtinchan heißt »Haus der Adler«. Dementsprechend wurde der erstere Name durch die Fig. 5 wiedergegeben, einen Baum, in dessen Stamm eine Mundöffnung angebracht ist, mit einem kleinen Schnörkel davor, der einen Hauch oder gesprochene Rede darstellt, entsprechend der Bedeutung des Elements naua, das ursprünglich wohl »Mund«, »Rand«, dann aber insbes. die »deutliche, verständliche Rede« bezeichnet. Der Name Quauhtinchan dagegen ist durch die Fig. 6 wiedergegeben: ein Haus und einen Adler. Demgemäß ist es in den bei weitem meisten Fällen gewiß nicht richtig, die mexikanischen Hieroglyphen mit unserm Rebus zu vergleichen. In vielen Fällen indes, wo die eigentliche Bedeutung des sprachlichen Elements sich schwer im Bild oder Symbol wiedergeben ließ, ist man in der Tat in ähnlicher Weise vorgegangen, wie wir bei unserm Rebus. So gab man den Namen Oztoticpac, »auf der Höhle«, durch die Fig. 7 wieder, das Bild einer Höhle (oztotl) mit einem Garnknäuel (icpatl). In ausgedehnterer und detaillierterer Weise dagegen fand eine solche rebusartige Zerlegung und Wiedergabe der sprachlichen Elemente erst in später spanischer Zeit und augenscheinlich in Nachahmung der spanischen Laut- und Buchstabenschrift statt. Vgl. Fig. 12, die den Namen Teocaltitlan, der »zwischen den Tempeln« bedeutet, durch eine Lippe (te für ten-tli, »Lippe«), einen Weg mit Fußspuren (o-tli), ein Haus (cal-li) und zwei Zähne (tlan-tli) wiedergibt. Als Beispiele von Hieroglyphen von Personennamen mögen Fig. 8–11 dienen, die Namen der mexikanischen Könige: Chimalpopoca (»rauchender Schild«), Ilhuicamina (»der einen Pfeil in den Himmel schießt«), Axayacatl (»Wassergesicht«), Motecuhzoma (»der erzürnte Herr«). Der letztere Name ist wiedergegeben durch die königliche Stirnbinde aus Türkismosaik, mit dem dreieckig aufragenden Stirnblatt. Vgl. Orozco y Berra, Historia antigua y de la conquista de México (Mexiko 1880); Peñafiel, Nombres geográficos de México' (das. 1885); Aubin, Mémoires sur la peinture didactique et l'écriture figurative des anciens Mexicains (Par. 1885); Seler, Der Charakter der aztekischen und der Maya-Handschriften (Gesammelte Abhandlungen, Bd. 1, Berl. 1902).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908, S. 730.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: