Hrugner

[258] Hrugner (Nord. M.). Thor, der mächtigste der Asen, war ausgezogen, um Zauberer und Riesen zu tödten; Odin aber war auf seinem trefflichen Ross Sleipner nach Jotunheim gezogen, und kam so auch zu dem grössten und schrecklichsten der Riesen, zu H. Dieser sah den Götterkönig in dem weithin glänzenden Goldhelm über das Meer und durch die Luft reiten, und sprach: das müsse ein unvergleichliches Ross sein, das dieses vermöchte. Odin erwiderte, er setze seinen Kopf zum Pfande, es fände sich dergleichen nicht im ganzen Jotunheim; H. aber ward zornig, sprach: sein Ross Guldfaxi sei wohl ganz ein anderes, bestieg dasselbe, und setzte Odin nach, um ihn für seine Prahlerei zu strafen. Odin entfloh, denn bevor der halbsteinerne Riese auf sein Pferd kam, hatte er einen solchen Vorsprung, dass der Riese ihn nicht einholte, obwohl er in seiner blinden Wuth bis vor die Mauern von Asgard gekommen war. Da er nun zur Pforte gelangte, durch welche Odin längst eingegangen, luden ihn die Asen ein, zu ihrem Trinkgelag zu kommen, welches der Riese annahm, und wobei er sich so rüstig zeigte, dass er alle Schaalen leerte, die nur Thor auszutrinken pflegte; sie wirkten jedoch auch nicht wenig, denn er ward völlig trunken und begann nun mächtig zu prahlen: er wolle Walhalla einnehmen, nach Jotunheim versetzen, Asgard verwüsten, alle Asen tödten, und bloss die schöne Freia und Sif verschonen, welche er mit sich nach seinem Lande zu nehmen gedächte; in dieser Laune durfte sich ihm auch Niemand nahen, als Freia, welche ihm immerfort Bier und Meth einschenken musste. Die Asen waren nun der Prahlereien satt, nannten Thors Namen, und augenblicklich stand der mächtige Held in dem Saale, erhob auch sogleich seinen furchtbaren Miölner und fragte, wer den naseweisen Riesen hieher geladen, und wesshalb ihm, wie bei den Trinkgelagen der Asen, die liebliche Freia einschenke. H. antwortete unfreundlich, dass ihn Odin zu Gast geladen, und dass er sich unter dessen Schutz befände. Thor versicherte, die Einladung solle ihm leid werden, bevor er noch davonkäme; aber der Riese, dem die Gefahr den Rausch benommen, meinte ganz vernünftig, es würde Thor wenig Ehre machen, wenn er ihn unbewaffnet tödten wolle; doch wenn er Herz habe, solle er an die Grenzen von Griotunagarder kommen und dort einen ehrlichen Zweikampf mit ihm bestehen, denn hier habe er weder seinen Schild noch seine Keule. Thor, der noch niemals herausgefordert worden, wollte den Zweikampf auf keine Weise ablehnen, und nun kehrte H. unbeschädigt heim. In Jotunheim ward viel von seiner Reise und Herausforderung gesprochen, denn die Riesen hielten es für eine Ehrensache, den Sieg zu gewinnen; da sie von Thor nichts Gutes zu erwarten hatten, falls H., der stärkste von ihnen allen, in dem Kampfe bleiben sollte, machten sie zum Beistand desselben einen Mann aus Thon von ungeheurer Grösse, und da sie kein Herz für ihn finden konnten, das stark genug gewesen wäre, nahmen sie das eines Rosses, und setzten es dem Thonriesen ein, der Mokkurkalfi hiess. Nun wappnete sich auch H.; er hatte einen Kopf ganz von Stein, also bedurfte er keines Helmes, auch sein Herz war von Stein, darum fürchtete er sich nicht; sein Schild von ungeheurer Grösse und seine mächtige Keule waren gleichfalls von Stein. So gerüstet, an seiner Seite den Thonriesen, erwartete er den Thor. Dieser kam, doch Thialfi, Thors Dienstmann und beständiger Begleiter, lief voraus und sprach: du stehst sehr unvorsichtig Riese! dich hat der mächtige Ase gesehen, und ist nun in die Erde gedrungen, um dich von unten her, wo du nicht gedeckt bist, zu treffen. Alsbald legte der dumme Riese die ungeheure Felsplatte, die ihm zum Schilde diente, an den Boden und stellte sich darauf, da kam Thor an unter Blitz und Donner, und warf seinen Hammer nach dem Riesen; dieser schleuderte demselben seine Steinkeule entgegen, so dass die beiden furchtbaren Waffen sich in der Luft begegneten. Die Steinkeule zerbarst, ein Theil kam zur Erde (die Grösse der Keule ist daran zu ermessen, dass von diesem Stück alle Schleifsteine der Erde herkommen), der andere Theil aber flog Thor an den Kopf und betäubte ihn, so dass er niederstürzte; Besseres aber leistete der Hammer, denn dieser zerschmetterte des Riesen Kopf, und er fiel zu Boden, so dass einer seiner Füsse auf Thors Hals zu liegen kam. Mokkurkalfi, dem das Herz schon in den Bauch gefallen war, als er nur Thors Asenstärke von Ferne vernommen, stritt zaghaft mit Thialfi und fiel mit wenig Ehre. Nun kamen die Asen herzu, und wollten den Fuss des Riesen von Thors Halse hinwegnehmen, damit dieser sich aufrichten könne, allem das gelang keinem derselben, bis der kleine Magni, ein Sohn des Gottes Thor, und die schöne Jotentochter Jarnsaxa herbeigerannt kamen, und obwohl Magni damals erst drei Jahre zählte, hob er doch ohne Mühe den schweren Fuss des Riesen hinweg. Thor erhob sich, freute sich über seinen starken Sohn, und schenkte ihm Guldfaxi, des Riesen Pferd, die Beute, welche er in diesem Kampf gemacht hatte.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 258.
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