Schuld, die

[1673] Die Schuld, plur. die -en, ein sehr altes Wort, welches in einer doppelten Hauptbedeutung vorkommt.

I. Mit dem herrschenden Begriffe eines begangenen Fehlers, Vergehens oder Verbrechens.

1. Ein Verbrechen. 1) Eigentlich. Auf daß sie sich nicht mit Missethat und Schuld beladen, 3 Mos. 22, 10. Daniel war treu, daß man keine Schuld noch Übelthat an ihm finden mochte, Dan. 6, 4. Und so in andern Stellen mehr, wo es gemeiniglich durch die folgende Verbindlichkeit zur Strafe erkläret wird. Allein, daß es ehedem wirklich eine böse That, ein Verbrechen bedeutet habe, erhellet auch aus alten Niedersächsischen Statuten, wo mit der Schuld begrepen so viel ist, als auf einer bösen That ergriffen seyn. In der Monseeischen Glosse ist Sculd gleichfalls Crimen, Vitium. Indessen ist es in dieser Bedeutung jetzt veraltet, außer daß es noch dann und wann in der höhern Schreibart gebraucht wird. 2) Die Folge eines Verbrechens, oder die Verbindlichkeit zur Strafe, ohne Plural; eine noch in einigen R.A. übliche Bedeutung. Wenn ich dir ihn nicht wiederbringe, so will ich mein Leben lang die Schuld tragen, 1 Mos. 43, 9. Das ist der Sünde Schuld, die Folge, die Strafe, der Sünde. So mag sie die Schuld ihrer Thorheit tragen.

2. In weiterer Bedeutung, ein Fehler, ein Versehen, ingleichen die wirkende oder veranlassende Ursache eines Übels, und die daraus folgende Verbindlichkeit zum Ersatz oder zur Strafe; wo es nur im Singular allein, und gemeiniglich nur in einigen besondern R.A. gebraucht wird. Es ist deiner Bosheit Schuld, daß du so gezüchtiget wirst, Jer. 2, 19. Das ist ohne meine Schuld geschehen. Einem etwas Schuld geben, ihn für die wirkende Urasche eines Verbrechens oder auch eines Übels überhaupt erklären. S. Beschuldigen. Ich werde ihm die Schuld nicht beymessen. Die Schuld auf jemanden schieben. Endlich wird alle Schuld auf mich fallen. Wer hat die Schuld? An wem liegt die Schuld? Die Schuld liegt nicht an mir.[1673] Was hilft dein Zorn? du selbst hast alle Schuld, Rost. Hingegen mit dem Vorworte an ist diese R.A. mit haben unrein. Bloß deine Gelindigkeit hat Schuld daran, Gottsch. besser, ist Schuld daran. Ohne Schuld seyn. Eine Schuld auf sich nehmen. Schlägt es fehl, so ist das meine Schuld nicht. Es war gewiß seine Schuld nicht, daß er nicht noch rechtschaffener war, Less. Eine besondere Redensart ist es, sich etwas zu Schulden kommen lassen, sich eines Vergehens schuldig machen. Daß keiner der Unglücksfälle mir zu Schulden kommen solle, Less. Mit dem Zeitworte seyn wird es in eben dieser Bedeutung oft in adverbischer Gestalt gebraucht. An etwas Schuld seyn. Ich bin nicht Schuld daran. Ist sie nicht selber Schuld, wenn mir ein Wort im Zorne entfährt? Gell. Du bist an allem Schuld. Doch hat er schon die Flucht genommen,


So seyd ihr selbst durch eure Blicke Schuld,

Gell.


Zuweilen wird es mit dem Zeitworte seyn auch wohl für Ursache überhaupt gebraucht; ich bin Schuld, daß du das Geld bekommen hast. Allein alsdann geschiehet es sehr uneigentlich und gemeiniglich nur im Scherze. Eigentlich bedeutet Schuld allemahl die Ursache eines Übels.

II. Mit dem herrschenden Begriffe der Verbindlichkeit. 1. Im weitesten Verstande, eine jede Verbindlichkeit, welche man einem andern zu leisten verbunden ist; wo es doch nur seltener und am liebsten im Singular gebraucht wird. Versprechen macht Schuld. Die Schuld der Natur bezahlen, sterben. Dieses Geständniß ist eine Schuld, die ich dem Verdienste abtragen muß. Ich bin noch in ihrer Schuld, bin ihnen noch zu einer Pflicht verbunden. 2. In der engsten und gewöhnlichsten Bedeutung, eine Geldsumme, welche man einem andern zu zahlen verbunden ist, wo von mehrern solchen Geldsummen auch der Plural üblich ist. Seine Schuld bezahlen. Einem eine Schuld erlassen. Schulden machen. In Schulden stecken, gerathen. Frey von Schulden seyn. Ein Gut, auf welchem viele Schulden haften. Zuweilen, obgleich seltener, wird es auch von Geldsummen gebraucht, welche man von andern zu fordern hat, welche man auch wohl active Schulden zu nennen pflegt, zum Unterschiede von den vorigen passiven. Seinem Nächsten eine Schuld borgen, 5. Mos. 24, 10. Seine Schulden eintreiben. Viele Schulden ausstehen haben.

Anm. Dieses alte Wort lautet in der Fränkischen Mundart schon in 8ten Jahrhunderte Sculd, bey dem Kero gleichfalls Sculd, im Nieders. Schuld, im Schwed. Skuld, im Lettischen Skola. Die gemeinste und fast von allen Wortforschern angenommene Ableitung ist von sollen, welches im Nieders. schallen, Imperf. ich schull, lautet, da denn der Begriff der Verbindlichkeit als der herrschende angegeben wird. Allein, so gut sich diese Ableitung zu der zweyten Hauptbedeutung schickt, so gezwungen wird sie für die erste, besonders in dem Verstande eines Verbrechens, eines Versehens, welchem Zwange durch die Verbindlichkeit zur Strafe, durch welche man es gemeiniglich erkläret, nicht abgeholfen wird, und der noch mehr hervor leuchtet, wenn man die veralteten Bedeutungen dieses Wortes mit in Erwägung ziehet. In der Monseeischen Glosse ist Sculd theils Lohn, Sold, ane sculd, umsonst, theils Recht, Billigkeit, von Sculde, von Rechts wegen. Bey andern alten Schriftstellern bedeutet es den Fall, Zufall. Ob es zu solchen Schulden queme, wenn sich der Fall ereignen sollte. Im Schwedischen bedeutet Skuld nicht allein alles, was unser Deutsches Schuld ausdruckt, sondern auch Steuer, Zins, Abgabe, Ursache überhaupt, for min Skuld, um meinetwillen, Pflicht u.s.f. Hierzu kommt noch, daß der Zischlaut diesem Worte nicht wesentlich ist. Im Salischen Gesetze ist Chalta Geldstrafe, Ersatz und[1674] Verbrechen, im Schwabenspiegel Gelte, im Schwed. Geldeta, im Dänischen Giäld, und im Lettischen Kalte, die Schuld, bey den Schwäbischen Dichtern ist Gelter der Schuldner; so daß es scheinet, daß dieses Wort eher von gelten als von sollen abgeleitet werden müsse, zumahl da gelten ehedem nicht allein zahlen, sondern auch zum Ersatz, und dessen Ermanglung zur Strafe verbunden seyn.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 1673-1675.
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