Die Satire

[57] Die Satire (Satyre) hat ihren Namen von den Satyrn der Alten erhalten (s. Satyr); und man versteht darunter im weitläuftigsten Sinne jeden witzigen Spott über fremde Fehler, in wie fern sie schädlich und selbstverschuldet sind. Daß dieser Spott sich gerade in Worten äußere, ist nicht erforderlich; es kann daher auch ein Gemählde satirischen Inhalts sein, wie z. B. die vortrefflichen Kunstwerke Hogarths (s. dies. Art.) und seines würdigen Nachahmers Gilreys in London, dessen satirische Kupfer politischen Inhalts jetzt in England Epoche machen (m. s. das Journal London und Paris). – Im engern Sinne bedeutet aber Satire diejenige Gattung der Poesie, welche schädliche und selbstverschuldete Fehler, in der Absicht sie zu verbessern, auf eine witzige Art verspottet. Unschädliche und unverschuldete Unvollkommenheiten sind demnach ganz von ihr ausgeschlossen, erstere, weil dabei der Zweck der Besserung wegfällt, letztere, weil sie nie Gegenstände des Witzes werden können. – Die Satire unterscheidet sich vom didaktischen oder Lehrgedicht nicht durch den Zweck (denn auch dieses sucht zu bessern und zu belehren) sondern durch die Behandlungsart: das Lehrgedicht stellt Tugend und Wahrheit selbst dem Leser dar; die Satire aber zeichnet die ihnen entgegenstehenden Laster und Thorheiten, [57] macht sie zum Gegenstande des Spottes und Gelächters und empfiehlt gerade auf dem entgegengesetzten Wege Moralität und Vernunftmäßigkeit. – Da das Charakteristische der Satire im Witze, der Zweck derselben aber in der Besserung besteht; so ergeben sich hieraus ihre hauptsächlichsten Erfordernisse: sie darf nehmlich nur solche Fehler behandeln, die eine witzige Darstellung zulassen, zugleich mit der Verfertigung der Satire existiren und herrschend sind; auch darf nicht die Person, welche den Fehler an sich trägt, sondern bloß der Fehler an und für sich verspottet werden. Persönliche Angriffe berauben die Satire alles moralischen und eben deßwegen auch alles ästhetischen Werthes, und sind, wenn sie auch gleich als Meisterstücke des Witzes Bewunderung verdienen sollten, dennoch höchstens nur dann erlaubt, wenn alle andern Wege zur Besserung oder Bestrafung verschlossen sind, oder der Stolz und die Dummheit gewisser Personen allem andern Tadel mit frecher Stirn Trotz bietet: außerdem aber artet persönlicher Spott in Schmähschrift und niedrige Persifflage aus.1 – Der witzige Spott kann sich auf doppelte Art äußern, entweder auf komische Art oder durch Ernst und Bitterkeit; und es giebt also eine doppelte Gattung der Satire, die scherzhafte und ernsthafte. Ungeachtet sich beide nur durch die Art des Vortrags unterscheiden, so wählt man doch gewöhnlich zur erstern leichtere und weniger bedeutende Schwächen, da sich im Gegentheil die letztere mit den wichtigsten und schädlichsten Fehlern, mit Sittenlosigkeit und Verbrechen, beschäftigt. – Da die äußere Form der Satire ganz der Willkühr des Schriftstellers überlassen ist; so hat man sie von jeher theils in Prosa, theils in Versen vorgetragen und in das Gewand von Briefen, Gesprächen, Erzählungen, Fabeln, Epopöen (besonders komischen), Lustspielen, Epigrammen und Parodien (s. dies. Art.) eingekleidet: auch haben die Neuern eine besondere Art von Parodien, nehmlich die Travestirung (Umkleidung), [58] erfunden, welche darin besteht, daß man das Hauptthema eines frühern, ernsthaften Gedichts beibehält, es aber komisch und mit Bezug auf die Zeitgenossen behandelt, wie dieses besonders der Franzose Scarron in seinem travestirten Virgil und Blumauer in seiner travestirten Aeneis mit vielem Glück ausgeführt haben. – Die satirische Dichtungsart fand schon bei den Griechen sehr viel Beifall, die ihre Comödien zur Aufstellung des beißendsten persönlichen Spottes wählten, wie dieses besonders Aristophanes that; und selbst die Comödien der Alten waren ihrem ersten Ursprunge nach nichts anders als dramatisirte Satiren. Rom stellte im Horaz, Juvenal und Persius die drei trefflichsten Satiriker des Alterthums auf; und auch die Neuern lieferten Meisterstücke. Wir begnügen uns, unter den Franzosen bloß den Regnier, Boileau und Voltaire, und unter den Engländern den Donne, Pope, Swift, Young und die neuesten, ungeachtet mancher Fehler dennoch sehr beliebten, Satiren des so genannten Peter Pindar (Doctor Wolcott) zu empfehlen, und müssen noch zum Schlusse als Lob der Deutschen anführen, daß sich dieselben von den frühesten Zeiten ihrer Bildung an sehr rühmlich mit dieser Dichtungsart beschäftigt haben. Denn schon unter den Minnesängern blühte die Satire; zu Ende des funfzehnten Jahrhunderts erschienen Reinecke der Fuchs (s. diesen Art.), im sechzehnten Jahrhundert Ulrich Huttens und Johann Fischarts oder Mentzers satirische Werke, Brands Narrenschiff, Rollenhagens Froschmäußler und andere, im siebenzehnten Jahrhund. die Satiren des berühmten Balde, Philanders von Sittewald und mehrere, die, ungeachtet mancher ästhetischen Verstoße und der Plumpheit des Witzes, dennoch für ihre Zeitgenossen vortrefflich sind. Allein das achtzehnte Jahrhundert brachte die Satire zu einer hohen Stufe der Vollendung: Cronegk, Friedrich von Hagedorn, Haller, Zachariä, Michaelis, besonders aber Rabener und Kästner, erwarben sich einen ausgezeichneten Ruhm; zu ihnen darf man neuerlich wohl auch Falk gesellen, ob er gleich vielleicht anfangs noch einen höhern-Rang unter den Satirikern einnehmen zu wollen schien, als er in der Folge behauptet hat.


Fußnoten

1 Die Vorschriften des verewigten Rabeners über diesen Gegenstand sind vortrefflich. Man sehe dessen Abhandlungen über den Mißbrauch der Satire und über die Zulässigkeit der Satire, im ersten Theile seiner Satiren.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 5. Amsterdam 1809, S. 57-59.
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