Elisabeth Mara

[59] Elisabeth Mara, geborne Schmehling (geb. zu Cassel 1750), unstreitig eine der größten und berühmtesten jetzt lebenden Sängerinnen. In der zartesten Kindheit brachte sie ihr Vater, auch ein Tonkünstler,[59] nach London, wo sie die Violine lernte und sich damit schon im zehnten Jahre vor der Königin hören ließ. Auf Aurathen einer Hofdame legte sie aber dieß Instrument bei Seite, und wurde dem Unterricht eines alten Castraten, Paradisi, übergeben, unter dessen Leitung sie sich schon im vierzehnten Jahre als Sängerin bei Hofe mit großem Beifall hören ließ. Nach einigen Jahren reiste ihr Vater mit ihr nach Cassel zurück, und von da, wo man sie eben keiner großen Aufmerksamkeit würdigte, i. J. 1766 nach Leipzig, wo sie beim Concert als erste Sängerin engagirt wurde und der Gegenstand allgemeiner Bewunderung war. Im J. 1767 erhielt sie den Ruf an den Hof nach Dresden, um in einem am Geburtstage des Fürsten aufzuführenden Stücke eine Rolle zu übernehmen. Die verwitwete Churfürstin, Maria Antonia, selbst eine große Kennerin der Musik, erzeigte ihr die Ehre, sie noch vorher in der Action zu unterrichten; und Dem. Schmehling reiste nach Beendigung dieser Vorstellung geehrt und belohnt Anfangs 1768 nach Leipzig zurück. Hier bildete sie sich noch einige Jahre unter Hillers Anleitung, und ward zugleich Virtuosin auf dem Clavier, bis sie endlich 1770 nach Potsdam berufen wurde. Friedrich II. welcher bekanntlich Deutschen Sängern und Sängerinnen nicht hold war, hatte sich doch endlich durch die Schmehlingscheu Bewunderer bewegen lassen, sie zu berufen, wollte aber das Concert bloß im Nebenzimmer abwarten. Kaum hatte Dem. Schmehling angefangen zu singen, als sich der König immer mehr nahte und endlich mit gespannter Aufmerksamkeit dicht an sie anrückte. Nach geendigter Arie lobte er sie laut, fragte aber, ob sie sich eine andere Arie vom Blatte zu singen getraue; er ging auf ihr Bejahen in sein Cabinet, suchte eine der schwersten Arien aus, die sie denn so wie alle übrigen, die er ihr nach und nach vorlegte, mit der größten Fertigkeit und Leichtigkeit sang. Sie wurde sogleich mit 3000 Rthlr. Gehalt engagirt, und trat 1771 in Berlin in Hassens Intermezzo Piramo e Tisbe zum ersten Mahle auf, wo sie mit Concialini um den Preis wetteiferte. Hier bildete sie sich nun zugleich an Concialiniʼs und Porporaʼs Seite zur empfindungsvollen Adagio-Sängerin und [60] guten Actrice, genoß zwei Jahre lang die Bewunderung des Publicums, wurde aber durch ihre Verbindung mit dem berühmten Violoncellisten Mara (1774) unzähligen Verdrießlichkeiten unterworfen, die selbst auf ihren Charakter Einfluß gehabt haben sollen. Sie wußte sich zwar mit ihrem Gatten, der sich sehr oft die Ungnade des Königs zuzog, durch ihre außerordentliche Kunst immer wieder zu behaupten; endlich aber kam es doch so weit, daß ihr der König, nach einigen vereitelten Versuchen von ihrer Seite den Abschied zu erlangen, im höchsten Unwillen 1780 den Abschied selbst gab, worauf sie nach Sachsen, auch wieder nach Leipzig und 1782 nach Wien, von da aber durch die Schweiz und 1783 nach Paris reiste, wo selbst die Todi, bis dahin der Gegenstand der höchsten Bewunderung der Franzosen, an der Mara eine überwiegende Nebenbuhlerin fand, und wo sie den Titel Erste Conzert-Sängerin der Königin erhielt. Im Jahr 1784 ging sie wieder nach London, wo sie mit dem höchsten Enthusiasmus aufgenommen wurde und gleich anfangs für dreizehn Abende im Pantheon-Concert 1000 Guineen erhielt. Seit ihrer Ankunft wurde auch alle Jahre das berühmte Concert Händeln zu Ehren veranstaltet (s. den Art. Händel), wo die Mara allemahl die erste Sängerin war; auch wurde sie im Winter 1785 und 86 am Londner Operntheater angestellt. So einstimmig aber die Lobeserhebungen von ihr als Künstlerin waren, so groß sind die Klagen über ihren Eigensinn gewesen, den man wenigstens in England, besonders auch in Oxford, auf sehr ernstliche Art geahndet hat. Dennoch scheint bis jetzt immer noch London hauptsächlich ihr Aufenthalt zu sein, ungeachtet sie seitdem mehrere Engagemerts (1788 nach Turin und späterhin nach Venedig) von da abgerufen, aber nicht lange zurückgehalten haben. Im J. 1789 schien es Deutschland und namentlich Berlin, wohin sie wieder engagirt werden sollte, aufbehalten zu sein, diese große Sängerin noch einmahl zu hören; allein wegen neuerer eingegangener Verbindungen ist diese Hoffnung wieder vernichtet worden. Sie hat zu London noch 1793 im Salomons-Concert mit dem gewohnten Beifall gesungen, und auch 1796 an einigen großen allgemeinen [61] Concerts zu Birmingham und Gloucester zur Unterstützung armer Prediger-Witwen Antheil genommen. – Der Ruhm dieser großen, fast einzigen Sängerin gründet sich nicht bloß auf die Stärke und Fülle ihres Tons und auf den außerordentlichen Umfang der Stimme (der sich vom ungestrichenen G bis zum dreigestrichenen F in völliger Gleichheit erstreckt), sondern auch auf die bewundernswürdige Leichtigkeit, Schnelligkeit und Ründung der Passagen, womit sie in den schwierigsten Stellen so in Erstaunen und Entzücken setzt, daß sie oft mitten im Gesang durch lauten Beifall unterbrochen wird. Mit außerordentlicher Anmuth und Empfindung trägt sie das Adagio vor; und unaussprechlich soll der Eindruck sein, den sie beim Gesang der Arie »Ich weiß daß mein Erlöser lebt« bei der Aufführung des Händelschen Messias hervorbringt. Ihr Gatte

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 59-62.
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