Jacob Necker

[228] Jacob Necker, ist der Sohn eines Professors des Staatsrechts zu Genf. Er verließ schon 1750 seine Vaterstadt, um in Paris die Handlung zu erlernen. Die Pünktlichkeit, mit welcher er die kaufmännischen Geschäfte betrieb, erwarb ihm die Achtung der angesehnsten Handelshäuser und die Verbindung mit dem großen Banquier Thelusson. Er verdiente sich ein ansehnliches Vermögen, und heirathete 1765 die Tochter eines Predigers zu Nyon im Canton Bern; dieß war die gelehrte und geistreiche Curchod, welche der berühmte Gibbon einst geliebt hatte. Als Gemahlin von Necker versammelte sie in Paris eine Gesellschaft von Freunden der Wissenschaften und des guten Geschmacks um sich her, und stiftete eine Art von literarischer Akademie, welche sogar dʼAlembert häufig besuchte. Sie selbst schrieb viele wohlgerathene Aufsätze für den Französischen Merkur und andre Journale. Necker, der schon in der Jugend schriftstellerische Versuche gemacht hatte, wollte nicht hinter seiner Gattin [228] zurückbleiben, und betrat daher die schriftstellerische Laufbahn von neuen. Er schrieb eine Lobrede auf Colbert, die im Jahr 1773 den Preis der Akademie erhielt, und 1775 eine Abhandlung über den Kornhandel; beide Schriften machten großes Aufsehn. Man bewunderte den Scharfsinn des Verfassers, mit welchem er in der ersten das Finanzsystem unter Colberts Ministerschaft aus einander gesetzt, und die Gewandheit, mit der er in der letztern einen trocknen Gegenstand allgemein interessant behandelt hatte. Unter seinen zahlreichen Freunden, welche ihn an den Hof zu bringen suchten, verwendete sich besonders ein gewisser Marquis de Pesay für ihn, und empfahl ihn dem Kanzler Maurepas. Dieser machte ihn 1776 zum Aufseher über die königliche Schatzkammer; und im darauf folgenden Jahre ward er an Taboureauʼs Stelle Finanzminister, ohne jedoch, weil er Protestant war, Sitz und Stimme im Staatsrathe zu haben. Necker, der von einer unbegränzten Eitelkeit gefoltert wurde, konnte sich über diesen Umstand nicht beruhigen, und wurde von seiner eben so ehrgeitzigen Gemahlin täglich ermuntert, schlechterdings bei dem König auf dem Vorrechte einer Stelle im Staatsrathe zu bestehen. Seine Absichten schlugen fehl; er verlangte seinen Abschied, und erhielt ihn ohne Schwierigkeit am 22. Mai 1781. Hiermit endigte sich seine erste Laufbahn am Französischen Hofe. Man kann nicht läugnen, daß er dem Staate während seines Ministeriums nützliche Dienste geleistet habe; er schränkte die Intendanten und Generalpachter ein, hob eine Anzahl überflüssiger Stellen auf, führte über die ganze Finanzverwaltung genaue Rechnung, und klärte durch sein berühmtes Werk (Compte rendu au roi, 1781) die Französische Nation zum ersten Mahle über den wahren Zustand der Finanzen auf. Man hatte zwar alle Ursache, die Richtigkeit dieser Rechnung in einzelnen Theilen zu bezweifeln; allein Necker hatte doch dadurch dargethan, daß, ungeachtet der Finanzzustand Frankreichs nicht der beste sei, ihm nach und nach durch die Klugheit seiner Verwalter auf geholfen werden könne. Unglücklicher Weise verließen die Nachfolger Neckers sein angefangenes System, und bewirkten dadurch, daß das Französische Volk den abgegangenen Minister enthusiastisch verehrte. Dieser [229] lebte indessen in der Schweiz auf der Baronie Coppet, welche er sich gekauft hatte, und sehnte sich an den Französischen Hof zurück, den er nur aus Verdruß verlassen hatte. Er sah jedoch seinen Triumph bis ins Jahr 1788 verschoben, wo er, nachdem Calonne die Finanzen leichtsinnig verschwendet, und Brienne die ganze Staatsmaschine zerrüttet hatte, an die Stelle des Letztern zurückberufen und mit Sitz und Stimme im Staatsrath zum Director der Finanzen ernannt wurde. Necker gab gleich in den ersten Tagen nach seiner Zurückkunft Proben seiner Eitelkeit, und ließ den Hof das Gefühl seiner Würde bitter empfinden. Er nahm Brinneʼs Project der Stände-Versammlung wieder auf, und berief zu dem Ende die Notabeln zum zweiten Mahle, setzte die Parlamente wieder ein, und schien in allen seinen Anordnungen recht geflissentlich darauf hinzuarbeiten, daß das königliche Ansehn geschwächt werden sollte. Es ist nicht wahrscheinlich, daß er dieses aus Rache oder sonst einer niedrigen Leidenschaft gethan habe, vielmehr war auch hier seine kleinliche Eitelkeit im Spiele. Er wollte das königliche Ansehn erst recht heruntersetzen, um es alsdann vor den Ständen, die er ohne Mühe ganz für sich zu gewinnen hoffte, aufs neue zu heben und den König zu nöthigen, seine Macht gewisser Maßen aus seinen Händen zu empfangen. Gewiß ist es, daß Necker alle despotische Maßregeln verabscheute, und daß dieses eine Ursache war, warum er am 11. Juli 1789 abermahls vom Hofe entfernt und dann wieder zurückberufen wurde, als die Zerstörung der Bastille in Paris und die Bewaffnung der Bürger gelehrt hatte, daß der Despotismus bei einer allgemeinen Volksgährung unwirksam sei. Die Freude der Frankreicher über Neckers abermahlige Wiederkunft war außerordentlich; in Paris wurden Fenerwerke und Feste ihm zu Ehren gegeben: und er konnte der Neigung unmöglich widerstehen, von Versailles dahin abzureisen, um sich dem neugierigen Volke zu zeigen. Nachdem er am 29. Juli 1789 die Segenswünsche der National-Versammlung eingeerntet hatte, trat er die Reise wirklich an, und zeigte sich aus einem Fenster in Paris einer versammelten Menge unzähligen Volks, das ihn mit Händeklatschen und Jubel empfing. Dieser Triumph, wobei sich Necker ähnlichen Empfindungen überließ, [230] wie einst Cicero, da er aus der Verbannung nach Rom zurück kam, war der letzte, den er in Frankreich genoß. Den Vernünftigen wurde er seines kleinlichen Ehrgeitzes wegen verhaßt, und den Demagogen war er nicht demokratisch genug. Die National-Versammlung ging ihren eignen Weg, ohne sich um die Pläne des Ministers zu bekümmern. Der getäuschte Necker legte am 21. Juli 1790 der National-Versammlung Rechnung ab, und bald darauf suchte er um seinen Abschied an. Eine heimliche Cabale, an deren Spitze Mirabeau stand, soll damit umgegangen sein, ihn ermorden zu lassen; allein er entfernte sich in der Nacht auf den 5. Sept. von Paris, und reiste am 8. Sept. nach der Schweiz ab, wo er sich gegenwärtig noch auf seinen Gütern befindet. Auf der Reise erfuhr er hin und wieder die bittersten Kränkungen; und das Volk, welches ihn bei seiner Rückkunft nach Frankreich beinahe vergöttert hatte, war jetzt bereit, ihm jede Schmach anzuthun und sogar sein Leben zu bedrohen. Die Meinung, daß Necker Frankreich an den Abgrund des Verderbens gebracht und die Revolution herbeigeführt habe, ist eben so ungegründet, als der Glaube einiger warmen Verehrer von ihm, daß er nur allein im Stande gewesen wäre, Frankreich von dem Untergange zu retten. So sehr jeder Unbefangne Neckers Pünktlichkeit in Geschäften, die strenge Oekonomie, die er in der öffentlichen Verwaltung einführte, und die Freimüthigkeit, mit welcher er die leichtsinnigen Verschwendungen selbst an den Mitgliedern der königlichen Familien rügte, loben muß; so gewiß ist es dessen ungeachtet, daß er der Direction der Staatsgeschäfte, zumahl während seiner zweiten Administration im Jahre 1788, gar nicht gewachsen war, und daß das wenige Gute, was er während derselben ausführte, keineswegs den Schaden ersetzte, welchen das königliche Ansehn durch seine Eitelkeit erlitt. Bei der Einrichtung der Reichsstände beging er unverzeihliche Fehler (vergl. den Art. National-Versammlung); und in dieser Rücksicht war er an den nachher entstandenen Unordnungen hauptsächlich Schuld. Allein da es mehr als wahrscheinlich ist, daß die Sache auf jeden Fall eine für den König ungünstige Wendung genommen haben würde, und daß eine andre Organisation der Reichsstände die Revolution höchstens [231] verschoben, nicht aber gänzlich rückgängig gemacht hätte; so würde es unbillig sein, Neckern für alles Unheil verantwortlich zu machen, das aus der Revolution entsprang Man kennt keine Handlungen von ihm, die einen schlechten Charakter verriethen; und seine Feinde haben ihm außer der Eitelkeit und einer pedantischen Strenge, in seinem Betragen nichts verwerfen können. Von beiden Fehlern zeigen auch seine zahlreichen Schriften: er spricht darin am liebsten von sich, und lobt mit seliger Zufriedenheit seine ehemahligen Anordnungen; auch glaubt er noch immer die Bewunderung aller Staatsmänner auf sich zu ziehen; auf die Schreibart verwendet er beinahe zu viel Sorgfalt, und verfällt daher oft in blendende Declamationen. Sein neuestes Werk ist eine Geschichte der Französischen Revolution, worin er sein Betragen bei derselben zu rechtfertigen sucht, und nicht vergißt, sich eben so reichlich selbst Weihrauch zu streuen, wie in seinen frühern Schriften. So lange er noch die Revolution als Augenzeuge beschreibt, so lange ist seine Erzählung nicht ohne Interesse; ob er gleich auch da manche Punkte unberührt läßt, über die man nähere Aufklärungen von ihm zu fordern berechtigt scheint; die nachherige Erzählung schränkt sich bloß auf die bekanntesten Begebenheiten ein, giebt keine neuen Aufschlüsse, und ermüdet den Leser durch die langweiligen und weinerlichen Declamationen und Tiraden, die der Verfasser seiner bekannten Gewohnheit noch reichlich eingeschaltet hat. Im Jahre 1797 ging sogar das Gerücht, daß Necker abermahls in Paris angestellt werden sollte. So unwahrscheinlich dieses auch war, so gegründet ist es doch, daß Necker darum ansuchte, von der Emigrantenliste ausgestrichen zu werden. Das Pariser Departement hatte auch diese Gefälligkeit für ihn; aber durch die Begebenheiten am 4. Sept. 1797 wurde die Sache wieder rückgängig.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 228-232.
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