Fliegenpilz

Fliegenpilz

[58] Fliegenpilz, Fliegenschwamm. Dieser schöne, aber sehr giftige Pilz findet sich im Herbste fast in allen Gegenden, welche Nadelwälder und Haideboden haben.

Jung ist er eiförmig, indem er ganz von einer weißen, fleischigen Hülle umschlossen ist. Bei seiner schnellen Entwickelung zerreißt diese Hülle, ein Theil bleibt am Grunde des Strunks stehen, [58] der andere in Gestalt unregelmäßiger weißer Flocken auf dem schönrothen Hute hängen. Der Strunk eines ausgewachsenen Fliegenpilzes ist 4–6 Z. lang, weiß, fast ganz erfüllt, zuweilen nur in der Mitte etwas hohl, und nach unten verdickt. Er trägt einen gewölbten, gegen die Mitte hin etwas verflachten oder vertieften Hut und etwas unter seiner Spitze einen häutigen, unregelmäßig zerrissenen Ring. Der fleischige Hut ist auf seiner Oberseite schön roth gefärbt, findet sich aber auch, wiewol selten, weiß. Die Unterseite ist mit weißen Plättchen, die vom Anheftungspunkte des Strunks aus gegen den Rand hin strahlenförmig stehen, versehen. Der Fliegenpilz ist nicht leicht mit eßbaren Pilzen zu verwechseln, denn der Kaiserling, der einen gleichfalls gelbrothen Hut hat, besitzt einen blaßgelben Strunk und dergleichen Plättchen auf der Unterseite des Huts; beim Fliegenpilz sind diese Theile rein weiß. Der sogenannte Champignon könnte mit der weißhütigen Abänderung des Fliegenpilzes verwechselt werden, allein er unterscheidet sich leicht dadurch, daß die Plättchen auf der Unterseite des Huts blaßrosenroth sind, später rothbraun und endlich chocoladenbraun werden, die des Fliegenpilzes hingegen jederzeit rein weiß erscheinen. Die Wirkungen, die dieser Giftpilz durch seinen Genuß hervorbringt, sind nicht immer gleich; doch sind viele Vergiftungsfälle bekannt, die den Tod nach sich zogen. Die Vergifteten bekommen Ekel, Erbrechen, Angst, gerathen endlich in Wahnsinn mit heftigem Zittern der Muskeln, oder in Betäubung und Bewußtlosigkeit, bis der Tod ihren Leiden ein Ende macht. Nicht immer entstehen heftige Schmerzen im Unterleibe oder Darmgrimmen, aber häufig eine Zusammenziehung des Schlundes, wodurch oft das Erbrechen verhindert wird. Als Gegenmittel sind anfangs brechenerregende Dinge, Kitzeln des Schlundes mittels einer Feder, später auch abführende Klystiere, anzuwenden, um die Reste des Pilzes aus dem Körper zu entfernen; später dienen Essig und in Wasser aufgelöstes Kochsalz; bei heftigen Schmerzen schleimige Mittel, z.B. Reis- und Hafelgrützschleim; wenn Unruhe, Wahnsinn oder Betäubung eingetreten sind, ableitende Dinge, Senfteig und Blasenpflaster. Doch kann eine falsche und unzeitige Anwendung, besonders des Essigs, schädlich werden, deshalb ist immer der Arzt so schnell als möglich herbeizurufen. Die Kamtschadalen genießen entweder frische oder getrocknete Fliegenpilze, oder bereiten daraus ein Getränk, um sich zu berauschen. Der Zustand, in den sie gerathen, ist Tollkühnheit und Wahnsinn, der sie jede Gefahr verachten läßt, bis sie in einen festen Schlaf verfallen, aus dem sie mit aufgedunsenem Gesichte, Kopfschmerz und Schwäche der Glieder erwachen. Die Anwendung des Fliegenpilzes als Arznei ist gering und nicht gehörig festgestellt.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 58-59.
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