Körperschaften

[651] Körperschaften oder (lat.) Corporationen werden Vereinigungen der Menschen genannt, welche unter dem Schutze des Staats und innerhalb desselben bestehen und zum Zweck das rechtlich begründete Dasein ihrer Mitglieder, mithin ein bleibendes Interesse haben. Weder also gehören zu den Körperschaften solche Verbindungen, die gegen den Staat und dessen durch seine Gesetze bedingtes Bestehen gerichtet sind, noch überhaupt Vereine, welche einer Anerkennung von Seiten des Staats ermangeln, noch endlich Gesellschaften, die einen vorübergehenden oder nur das Vergnügen oder einen sonstigen äußerlichen Zweck haben, wie z.B. Handelsgesellschaften. Das christlich europ. Staatenleben verdankt seine Entstehung und Gestaltung vorzüglich den Körperschaften, welche sich dem german. Volkscharakter gemäß in ihm ausbildeten und die sich erst in der neuern Zeit allmälig wieder aufzulösen begonnen haben. Da nämlich die christliche Religion den Völkern zwar eine Richtung auf Gesetzlichkeit und zugleich den Gedanken gleicher geistiger Würde der Menschen in allen Ständen und äußerlichen Lebensverhältnissen einflößte, aber die Gesetze des Staats weder eine demgemäße Ausbildung noch eine hinreichende Macht hatten, so entstanden bald unter Denen, welche sich durch ihre Stellung im bürgerlichen Leben nahe standen und unter dem Schutze des Staats und der Kirche Corporationen, welche keinen andern Zweck hatten, als in sich ein gesetzliches und würdiges rechtliches Dasein zu verwirklichen und zugleich nach außen eine Stellung einzunehmen, welche die Kränkung dieses Daseins möglichst hinderte. Auf diese Weise bot allmälig jeder Staat des Mittelalters den Anblick eines wohlgeordneten, aus sich selbst erwachsenen Ganzen dar, das sich in seine einzelne Corporationen gliederte, durch welche wieder der einzelne Staatsbürger seine eigenthümliche, ehrenwerthe Stellung im Staatsleben erhielt. Sowie nun aber allmälig die Gesetzgebungen der Staaten sich vollkommener ausbildeten und ausreichend wurden, die Freiheit und geistige Würde der Einzelnen zu schützen, desto mehr mußten die Körperschaften als überflüssige, vielfach hemmende Mittelglieder zwischen Staat und Einzelnen erscheinen. Allmälig kam es dahin, daß die Einzelnen in den Corporationen nicht mehr eine Gewähr ihrer Freiheit, sondern ein lästiges Hinderniß in denselben erblickten, und auch die Regierungen sahen sich in ihren, alle Bürger zum Gegenstande der Fürsorge habenden Verordnungen von den Corporationen gehemmt. Die Folge war, daß allmälig die Körperschaften immer mehr abgeschafft wurden, obschon es auch nicht an solchen fehlte, welche, an die Vortheile denkend, die sie dem Staate überhaupt oder persönlich ihnen selbst gewährten, für deren Erhaltung thätig waren. – Man kann im Allgemeinen unterscheiden die ritterschaftlichen, die geistlichen und die städtischen Corporationen. Die ersten sind ganz verschwunden, denn die Ordensgesellschaften, welche noch bestehen, haben durchaus keinen innern Zusammenhang, seit die Orden zu einer die Anerkennung der Verdienste des Einzelnen von Seiten der Fürsten bezeichnenden Decoration geworden sind. Die geistlichen Corporationen bestehen in katholischen Ländern noch, gehen aber überall ihrer schnellen Auflösung entgegen und haben kaum noch irgendwo anerkannte politische Bedeutung. Die städtischen Körperschaften endlich haben auch bereits in den meisten Staaten dem Princip der Gewerbfreiheit weichen müssen. (Vgl. Orden, Zünfte.)

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 651.
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